Neue Medienkunst: Das coole Obskure

Neue Medienkunst: Das coole Obskure
Erkundungen abseits des offiziellen Diskurses

Von Geert Lovink

Übersetzung: Ulrich Gutmaier

Lettre 74, Herbst 2006.

(Achtung, version history. This is the translation of a selection that I made for Lettre Internationale from the extended book chapter that I finished mid 2006 for my upcoming book Zero Comments. The Lettre editors then further reduced this superb translation in order to get the lengthy text into their magazine. /Geert)

“Wer ohne Rücksicht auf den Stand der Kunst philosophiert, betreibt letztlich immer das Geschäft eines Mythos, verdeckt oder offen, und nicht selten mit gefährlichen Konsequenzen.” Peter Sloterdijk (1)

Warum wird neue Medienkunst als obskure und selbstreferentielle Subkultur wahrgenommen, die im Begriff ist, zu verschwinden? (2) Warum ist es für Künstler, die mit den neuesten Technologien experimentieren, so schwer, Teil der Popkultur oder der ‘zeitgenössischen Kunst’ zu werden? Was macht es so attraktiv und dennoch so schwierig, mit Wissenschaftlern zusammenzuarbeiten? Warum ging die neue Medienkunst während der ‘üppigen’ Tage des Dotcom-Booms leer aus, und warum bevorzugen Geeks und IT-Millionäre, sich Autos und anderen Tand der Mittelklasse zu kaufen, statt sich ihrer ‘eigenen’ Kunstform zuzuwenden? Woher kommt die unterwürfige Haltung gegenüber den Naturwissenschaften? Bietet der Bereich der Erziehung den einzigen Ausweg, wenn wir einzelne Biographien betrachten? Neue Medienkunst hat sich zwischen kommerziellem Demodesign und Museumsstrategien positioniert, und anstatt erdrückt zu werden, ist sie in einen Abgrund des Missverstandenwerdens hineingefallen. Nach Jahren des heroischen Kampfs, Arbeiten zu schaffen, Ausstellungen zu konzipieren und Festivals, Konferenzen und Kurse zu organisieren, zeichnet sich nun ein drohendes Gefühl der Krise ab. Handelt es sich dabei nur um einen schmerzhaften Augenblick in einem Prozess des Wachstums oder haben wir es mit strukturellen Problemen zu tun?

Wäre es besser, die neue Medienkunst in den Bereich des Film, des Theaters und der bildenden Künste zu intergrieren, oder bekommt man bessere Werke zu sehen, wenn technologiebasierte Kunst ihre eigenen Finanzierungsstrukturen, Medienlabore und Zentren hat? Abgesehen von einer kritischen Untersuchung der Voraussetzungen – und überhaupt der Existenz – einer ‘elektronischen Kunst’, werde ich das um Biennalen kreisende System der ‘zeitgenössischen Kunst’ argumentativ hinterfragen. Letzteres reproduziert eine rückwärtsgewandte Unterscheidung zwischen dem Fake des Spezialeffekts und dem authentischen Kampf ‘echter’ Künstler mit dem rohen, unbearbeiteten Bild.

Was nun am Punkt A zum Vorschein kommt, war lange Zeit unbewegt am Punkt B verharrt. Es gibt jedoch Trends und Gerüchte – Meme verbreiten sich schnell. Elektronische Kunst, ein frühes Synonym für neue Medienkunst, befindet sich in der Krise. Auch der ‘virtuellen Kunst’ und der ‘net.art’ geht es nicht anders. Diese sorgsam abgeschotteten Gemeinschaften haben sich als unfähig gezeigt, die Dringlichkeit und Schönheit ihrer Werke ihrem (potenziell) stetig wachsenden Publikum zu vermitteln. Daher stehen heute weniger Fördermittel zur Verfügung und weniger Sponsoren bereit. Die ‘Krise’ spielt sich in einer kulturell konservativen Ära ab, die generell vor Experimenten zurückschreckt. Kunst soll erschüttern, ein Schlag ins Gesicht sein, alle Barrieren hinter sich lassen und möglichst keine Fragen stellen. Sie soll sich als Objekt des Verlangens präsentieren und sich nicht als Prototyp betrachten. Sie soll augenblicklich bereit für den Konsum sein.

Neue Medienkunst kann am besten als transitorische und hybride Kunstform, als multidisziplinäre ‘Wolke’ von Mikro-Praxen beschrieben werden. (3) Historisch entstanden die ‘neuen Medien’, als die Grenzen zwischen klar voneinander getrennten Kunstformen wie Film, Theater und Fotografie wegen des Aufstiegs digitaler Technologien zu verschwimmen begannen. (4) Die Geburt der neuen Medien ist eng mit der Demokratisierung von Computertechnologie in Gestalt des Personal Computers (PC) verbunden. Viele sehen in ihr eine Kunstform, die aus dem Geist von Fluxus, seiner Videokunst und seinen Performances geboren wurde. Andere betonen den Einfluss von elektronischer Musik in den Siebzigern, von postindustrieller Kunst und vom Aktivismus der Achtziger. Wieder andere weisen auf die ‘intermediären’ Praktiken hin, die auch als ‘Multimedia’ bezeichnet wurden und eine Vielfalt von analogen Techniken nutzten, darunter Dias und Super-8, Zündstoffe und Soundscapes. Der Begriff der ‘neuen Medienkunst’ entstand als Beschreibung einer Reihe von Praktiken in den späten Achtzigern und ist insbesondere mit dem Aufkommen von Desktop Publishing, Hypertext und der Produktion von CD-Roms verbunden. Die Einbeziehung des Internet begann erst relativ spät, von 1994/95 an, nachdem das World Wide Web entwickelt worden war. Neue Medienkunst ist zuerst einmal Teil des größeren Kontexts der ‘visuellen Kultur’. Obwohl sie starke Verbindungen zu Hypertext-Diskursen, Cyberkultur, Klangkunst, abstrakter Kunst, Konzeptkunst und Performance hat, lässt sich dennoch sagen, dass das Element der visuellen Kunst den dominanten Strang ausmacht.

Das Problem mit diesen Darstellungen der ‘Anfänge’ der neuen Medien ist jedoch ihre Überbetonung von individuellen Künstlern und ihren Arbeiten. Solchen Darstellungen mangelt es gewöhnlich an institutioneller Aufmerksamkeit. So langsam sich ein institutionelles Verständnis auf diesem Sektor herausgebildet hat, so schnell ging die Entwicklung der neuen Medientechnologien von statten. In dieser Hinsicht handelt sich bei der neuen Medienkunst um eine falsche Bezeichnung, weil sie wieder einmal das alte modernistische Dilemma zwischen ästhetischer Autonomie und sozialem Engagement reproduziert hat. Wo immer man das Wort ‘Kunst’ anfügt, schafft man ein Problem. Im Fall der neuen Medienkunst gab – und gibt es – keinen nennenswerten Markt, beinahe keine Anbindung an Galerien, kaum Kuratoren und Kritiker und lediglich ein spezialisiertes Publikum, das beinahe einer Sekte ähnelt. Und was am wichtigsten ist: Es gibt kein ‘suprematistisches’ Gefühl, als Avantgarde zu handeln. Ganz offensichtlich fehlt hier das Gefühl historischer Zuversicht. Stattdessen gibt es eine starke Praxis der ‘kleinen’ Intervention im Schatten etablierter Praktiken wie des Films, der visuellen Kunst, des Fernsehens und des Grafikdesigns.

Neue Medienkunst ist als Prozess definiert worden, “in dem neue Technologien von Künstlern genutzt werden, um Werke zu schaffen, die neue Formen künstlerischen Ausdrucks erforschen. Zu diesen neuen Technologien gehören Computer, Informations- und Kommunikationstechnologien, virtuelle oder immersive Umgebungen, oder Technologien zur Klangbearbeitung. Sie sind die Pinsel und Stifte einer neuen Generation von Künstlern.” (5) Die Betonung liegt hier auf der Erforschung. Neue Medienkunst ist auf der Suche nach neuen Standards und Kunstformen. Ihr erstes Ziel ist nicht notwendigerweise, ewig währende, universelle Kunstwerke zu schaffen. Stattdessen bahnt sie den Weg für eine neue Generation, die dann die neu entdeckte Sprache in ihrer Gänze nutzen kann – außerhalb des Kontexts der neuen Medienkunst. Die Emphase, die auf der Schaffung einer neuen Sprache liegt, könnte erklären, warum soviel verborgene, freiwillige Arbeit in dieser Szene geleistet wird und warum Selbstausbeutung hier so verbreitet ist. Nur Pioniere verstehen, dass man erst eine Sprache, eine Infrastruktur schaffen muss, um ein Gedicht schreiben zu können. Doch die ‘Gesetze der neuen Medien’ sind nicht einfach da, um entdeckt zu werden. Was einige als Vorteil betrachten, nämlich kein komplexes Gefüge von Regeln und Refernzen zu besitzen, burteilen andere als eine inhärent unreife Situation. Wie zieht man sich selbst aus dem Sumpf, wie springt man über den eigenen Schatten? Keiner wird es für die neue Medienkunst tun. Es gibt keinen Sugar Daddy. Es gibt keine Trophäe am Ende des Rennens zu gewinnen.

In den frühen Neunzigern fand eine stille Scheidung statt. Inmitten der Aufregung über virtuelle Realitäten, Multimedia und Cyberspace stahl sich Videokunst aus der Szene davon und bewegte sich in einem cleveren Schachzug auf die ‘zeitgenössische Kunst’ zu, die über eine weitaus bessere Infrastruktur von Biennalen, kuratorischen Programmen, Atelierförderungen und Ausstellungsorten verfügt. Es gibt einige wenige Ausnahmen wie die New Yorker Postmasters Gallery, die in den späten Neunzigern wegen der Netzkünstler bekannt wurde, die sie repräsentierte. Wenn wir von neuer Medienkunst sprechen, haben wir es mit einer Kunstform zu tun, die mit Technologien experimentiert. Auch wenn dies für manche Videokunst weiterhin zutrifft, so haben sich die meisten Videokünstler vom Frame-im-Frame und anderen Spezialeffekten abgewandt. Videokunst kann es sich nicht länger leisten, formalen Experimenten zu fröhnen und hat die Notwendigkeit erkannt, Ideen zu kommunizieren, die im Rahmen einer klassischen narrativen Form leicht verstanden werden. Innerhalb des Diskurses der neuen Medienkunst herrscht hingegen Unklarheit über den exakten Status des bewegten Bildes. Was heute als ‘Video’ bezeichnet wird, reicht von High-End-Produktionen von Pipilotti Rist und Stan Douglas zu Arbeiten, die so aussehen, als wären sie von einem Cousin mit iMovie zusammengebaut worden. In sein Buch “Topologie der Kunst” hat Boris Groys ein Kapitel aufgenommen, das den Titel “Media Art in the Museum” trägt. Dort reduziert er neue Medien auf Videoinstallationen und begnügt sich mit der Frage, wie sich diese zum Kino verhalten. Es werden der Begriff der Interaktivität, Fragen der Immersion, die Rolle von Klang, vernetzte Umgebungen und Performances erwähnt. Als Kunsthistoriker des Karlsruher ZKM sollte Groys es besser wissen. Aber dieser Ausschluss ist selbstverständlich ein bewusster. Er bekräftigt die Auffassung, dass neue Medien per definitionem in den Bereich der visuellen Kunst gehören. (6)

Ganz offensichtlich unterscheidet sich das politische Klima stark in den westlichen Ländern. Während die Förderung von ‘E-Kultur’ in den Niederlanden zwar angestiegen ist, existiert die Kategorie der neuen Medien inzwischen nicht mehr in der Kunstförderung. Im Zuge eines politischen Coups in Rotterdam im Jahr 2000 wurde versucht, die Kunst zu zentralisieren. Im Zuge dessen sollte das V2 Zentrum für ‘instabile Medien’ in das übergreifende Zentrum für Visuelle Kultur integriert werden, doch dieser Versuch scheiterte kläglich. Die Gegebenheiten in Berlin, Paris und London unterscheiden sich wiederum radikal voneinander. Die Universität ist in den USA weiterhin ein Zufluchtsort, während außerhalb kaum kulturelle Förderung gewährt wird. In Europa hingegen wird weiterhin um die Frage gestritten, ob die Kunstausbildung überhaupt akademisch sein soll. Meine Kritik soll aber nicht so verstanden werden, als ob ich verächtlich auf die “gähnende Leere des technologischen Erhabenen” (7) herabschauen wollte. Ich bin keineswegs der erste, der diese Fragen anspricht. So hat etwa der in Köln ansässige Medeintheoretiker Hans Ulrich Reck 2002 einen kleinen Band veröffentlicht, der den Titel “Mythos Medienkunst” trägt. Neue Medienkunst ist kein einheitliches Gebilde. Sie “ist auf der Suche” und fokussiert nicht in erster Linie auf große Erzählungen oder abgeschlossene Arbeiten, die in einer Galerie erworben werden können. Ihre Kunstwerke sind Formen, die auf der Suche nach einer Form sind. Sie sind prozessual im Sinne des Schreibens materialspezifischer Prozeduren. Als Versuchsfelder angelegt fehlt ihnen oft ein Inhalt. Viele ihrer Arbeiten sind weder “cool” noch ironisch, wie so viele Werke der zeitgenössischen Kunst es sind. Stattdessen verbreiten sie oft ein verspieltes, naives Gefühl, insofern sie ihre Nutzer dazu einladen, alternative Schnittstellen zu erfahren. Elektronische Kunst, ein älterer Begriff, der manchmal als Synonym für neue Medienkunst benutzt wird, ist eine hybride Anordnung, die stark von den kulturellen Parametern abhängt, die von Ingenieuren festgelegt worden sind. Viele der wichtigen Spieler auf diesem Gebiet positionieren ihre Praxis in der fragilen Zone zwischen ‘Kunst’ und ‘Technologie’. Das aber bedeutet, Ärger zu suchen. Oft finden sich Spuren, die auf die Praxis von ‘Intermedia’ zurück verweisen, die sich wiederum mit transdisziplinärer Zusammenarbeit berschäftigt. (8)

Kunstwerke aus dem Bereich der neuen Medien sehen sich vor die unmögliche Aufgabe gestellt, sowohl Computerwissenschaftler als auch Kuratoren beeindrucken zu müssen. Weder die Kunstwelt noch die Spezialisten der Informationstechnologien sind notwendigerweise Fans der elektronischen Kunst. Es gibt keinen großen Bedarf an Wunderkammern. Aus der Perspektive der Geeks sind sie von Nutzern, nicht von Entwicklern gemacht. Das fehlende Interesse an Werken der neuen Medienkunst hat damit zu tun, dass diese oft mit Verweisen auf Philosophie, Kunstgeschichte und die eigene Geschichte des Genres aufgeladen sind. Für Kunstexperten wiederum gehört die neue Medienkunst eher ins Technikmuseum und in den Freizeitpark als in eine Ausstellung mit zeitgenösssicher Kunst. Liest man die Mainstream-Kritiker, so glauben sie, Kunst solle Wahrheit und Gefühl vermitteln. In der heutigen Gesellschaft des Spektakels gibt es keinen Platz für halbe Kunst, ganz egal, wie viele Programmpapiere der Politik die neue Medienkunst für ihre Experimentierfreude und Innovationswillen preisen. Die These, die ich hier vorstellen will, ist keine Kritik am Experiment. Es geht vielmehr um die strategische Frage, wie man mit der unvermeidbaren Selbstreferentialität umgehen soll, die auftritt, sobald “neue Medien” nicht länger neu sind und ein Prozess der Institutionalisierung einsetzt, in dem am Ende mehr Möglichkeiten verspielt als geschaffen werden.

An dieser Stelle möchte ich vier Modelle vorstellen, um der gegenwärtigen Stagnation zu begegnen.

Das erste Modell kann an den meisten Orten beobachtet werden: Es ist der verzweifelte Versuch, das semi-autonome Terrain für technologiebasierte Kunstpraxen weiter auszudehnen.
Diese Strategie ist ambivalent, weil sie versucht, sich zu institutionalisieren, während gleichzeitig mit benachbarten und konkurrierenden Kunst- und Forschungspraktiken wie dem Theater, der Performance, der Film- und Medienforschung, der Computerwissenschaft, der Geisteswissenschaft und der zeitgenössischen Kunst zusammengearbeitet wird. Die Schaffung einer voll entwickelten Disziplin wird ständig unterminiert durch inter/poly/meta-disziplinäre Ansätze. Auf einem Gebiet, das ständigen und schnellen Veränderungen unterworfen ist, ist es umso schwerer, auf lange Sicht zu planen. Die Etablierung eines eigenständigen Feldes mit ganz eigener Expertise braucht Dekaden. Man muss sich nur vergegenwärtigen, wie lange es dauert, Preise und Stipendien zu installieren, kritische Berichterstattung und Rezensionsmechanismen zu organisieren, sowie Zentren und Labore einzurichten, wo Künstler arbeiten können, und eigene, nachhaltige Förderungsmodelle durch föderale oder lokale Behörden, Stiftungen oder Sponsoren sicherzustellen.

Die zweite Option wäre die Hegelianische Transzendenz der neuen Medienkunst in die existierenden institutionellen Kunstpraxen. Man könnte sie auch als Strategie des Verschwindens bezeichnen. Sie ist gleichermaßen naiv und realistisch, die Synthese zwischen dem Traditionellen und dem Digitalen ist ein zu gutes Geschäft, um wahr sein zu können. Es könnte einzelnen Künstlern zwar durchaus möglich sein, ihr Ghetto zu verlassen, als Strategie wäre diese Vorgehensweise aber verheerend für die kleine Infrastruktur, die auf dem Gebiet der neuen Medienkunst in den letzten Jahrzehnten aufgebaut worden ist. Wohin sollten all die Menschen gehen, die so viel in ihre beruflichen Karrieren investiert und ihre Träume, Hoffnungen und Ambitionen auf ihre Identität als Neue-Medien-Künstler gesetzt haben, hingehen? Die zeitgenössische Kunstszene spricht nur mit Herablassung über die hässlichen High-Tech-Installationen der neuen Medienkunst, was nicht unbedingt vielversprechend für zukünftige Verhandlungen sein dürfte. Das Schicksal der neuen Medienkunst als eines autonomen Bereichs erscheint in einem düsteren Licht, wenn sie mit etablierten Kunstformen fusionieren muss. Ein mögliches Beispiel könnte die Videokunst sein, die sich auf elegante Weise von den ‘neuen Medien’ in den frühen Neunzigern losgesagt hat, um sich als vermarktbare Kunstform zu reinkarnieren.

Die dritte Option besteht darin, den Kunstkontext gänzlich zu verlassen. Die meisten jungen Medienkünstler verschwinden im kommerziellen Sektor und finden Arbeit als Web- oder Spieledesigner, im Animationsbereich, als Cutter, oder noch schlimmer, am Ladentisch eines Copyshops. Manche werden schlicht arbeitslos und leben von Sozialhilfe, sofern das überhaupt als Option bgeriffen werden kann, und verdienen sich etwas dazu, indem sie auf dem Aktienmarkt mitspielen. Die meisten verschwinden im Erziehungsbereich. Ein weiterer Ausweg besteht darin, Zuflucht in Forschungslaboren zu suchen. Solche Formen der Zusammenarbeit zwischen Kunst und Wissenschaft werde ich weiter unten diskutieren.

Eine weitere Option bestünde darin, neue Medienkunst künftig als Ergebnis von ‘Kreativität’ zu bezeichnen. Das Konzept der so genannten Creative Industries hat sich als kurzlebiger Trend offenbart, der vor allem in den Programmpapieren der Politik stattfand. Der Hype um die Creative Industries existiert nur in den Köpfen von Bürokraten. Das ist insofern ein Problem, als das CI-Konstrukt zumindest der Ausweitung der Geldquellen dienlich sein könnte (zumindest an Orten, an denen Regierungen Geld verteilen…). Das Gute am CI-Mem ist aber, dass es die ökonomische Frage wenigstens aufwirft: Wie überleben Künstler überhaupt? Es zwingt die Künstler dazu, über staatliche Förderung und einen Galeriemarkt hinauszudenken, der erst gar nicht existiert. Bislang haben sich neue Medienkünstler zumindest in Europa nur zögerlich mit kommerziellen Möglichkeiten beschäftigt. Wenn man in der Wirtschaft tätig ist, ist man nicht länger ein Künstler. Anderswo, etwa in Japan, den meisten Teilen Asiens und den USA, gibt es kaum andere Möglichkeiten, als sich seinen Lebensunterhalt im privaten Sektor zu verdienen.

Der Mythos der leeren Seite
Wenn die Lage so elend ist, warum gibt es die “elektronische Kunst” überhaupt? Ist es der noch nicht ausgetretene Pfad, der Kitzel neuer Entdeckungen, oder die Möglichkeit, Geschichte zu schreiben, der Künstler anzieht? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir uns den Archetypen des Künstlers als Erfinders und Erzeugers näher ansehen. Diejenigen, die den ‘Medien’-Aspekt betonen, sehen die Rolle des Künstlers vor allem darin, kritisch zu kommentieren und Fragen zu stellen, während diejenigen, die den Schwerpunkt in der ‘Technologie’ festmachen, die Aufgabe des Künstler darin erkennen, einen positiven und erfinderischen Beitrag zu leisten. Viele Beobachter teilen die Auffassung, dass technikbasierten Arbeiten das Potenzial des Genialen innewohnt. Ihre Annahme besteht darin, dass auf neu entwickelten Technologien noch keine Spuren, keine ‘Fingerabdrücke’ des Sozialen zu finden sind und dem Künstler oder der Künstlerin insofern alle denkbaren Ausdrucksmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Man muss sich nur vorstellen, man wäre der erste, der ein Foto schießt oder einen Film dreht. Die Menschen und ihre schmutzige Interessen haben den neuen Kanal noch nicht verdorben. Auch die Popkultur hat noch keinen Einfluss ausüben können. Die offenkundige Abwesenheit einer digitalen Ästhetik für PDAs, innerstädtische Großmonitore, RFID-Etiketts, ‘smarte Kleidung’, Mobiltelefone und ähnliches ist es gerade, die als das eigentliche Potenzial dieser Produkte angesehen wird. Gemäß dieses ‘Mythos der leeren Seite’ werden neue Medienkünstler nicht von bereits existierenden kulturellen Konnotationen eingeschränkt, weil es Referenzen, die für diese Medien spezifisch wären, schlicht noch nicht gibt. Es ist also die heroische Aufgabe des neuen Medienkünstlers, diese kulturellen Codes zu definieren. Es gibt in der Tat historische Indizien, dass diejenigen, die zuerst mit einem neuen Medium arbeiten, einen gottähnlichen Status erreichen (und ein Vermögen machen) können. In den meisten Fällen aber beginnen diese Künstler erst Geld zu verdienen, nachdem sie längst tot sind.

Im Mythos der leeren Seite erscheint die Situation der neuen Medien zu schön, um wahr zu sein. Du kannst machen, was du willst, und du kannst die schwere Last der Kunstgeschichte ignorieren. Das Problem dieser Theorie der unverdorbenen Wahrnehmung besteht im unkritischen Glauben an künstlerische Talente, die außerhalb ihres eigenen Raum-Zeit-Kontinuums operieren könnten. So genannte kreative, zeitgenössische Künstler wiederum konzentrieren sich auf den Markt. Sie müssen sich den Gesetzen des Ruhms unterwerfen und können es sich nicht leisten, ihre Zeit an so uncoolen Orten wie Rechnerräumen zu verschwenden. Für sie ist Technologie ein bloßes Werkzeug, sie sind die letzten, die das Handbuch hinterfragen, gar eigene Software schreiben oder experimentelle Schnittstellen bauen würden. Für die Suche nach den spezifischen Eigenschaften eines neuen Mediums wird viel Zeit benötigt, in der mit Versuch und Irrtum gearbeitet werden muss, gut aussehende Bilder oder faszinierende Erfahrungen können dabei nicht garantiert werden. Pop und Experimente gehen nicht gut zusammen. Das Rollenmodell des Geek hatte seine mediale Zeit während des Internethypes der Neunziger, die aber genauso so schnell vorüber war, wie sie gekommen war. Die Geek-Ästhetik wiederum ist so schlecht geblieben, wie sie immer war. Das ist die Medienrealität, aber die Akteure der neuen Medienkunst tun sich schwer, mit ihr umzugehen. Das Uncoole kann nur einmal, für den Augenblick Pop sein – nach seinem Niedergang wird es nur noch als Scheitern betrachtet.

Der Wunsch nach Wissenschaft
Hinter dem Wunsch, eine Synthese zwischen Kunst und Technologie zu schaffen und somit der hässlichen Konfrontation mit dem Markt zu entfliehen, verbirgt sich ein implizit holistisches New-Age-Element. Mit Rekurs auf Leonardo da Vinci erwartet der Künstler-Ingenieur von der Welt, seinen Wunsch nach einer Vereinigung von Geistes- und Naturwissenschaften zu teilen. Doch zu seiner großen Überraschung muss er feststellen, dass die Welt für so gute Ideen noch nicht reif ist. Oftmals ist der Künstler nicht viel mehr als ein williger Testnutzer, ein früher Anwender. Das wäre für sich genommen kein Problem, aber viele Medienkunstwerke sind darüber hinaus weder subversiv, noch übermäßig konzeptionell oder kritisch. Und um es noch komplizierter zu machen: Sie sind auch nicht Pop. Das Genre der neuen Medienkunst hat keine Ahnung, ob es Underground oder eine urbane Subkultur sein soll. Neue Medienkunst wurde zu keinem Zeitpunkt ein Teil der Techno- und Raveszene – oder gar zu einer ‘rebellischen’ Subkultur. Sie hatte sicher auch nie etwas mit Rap oder anderen zeitgenössischen Straßenkulturen zu tun. Die VJ-Kultur gehört wiederum nicht zu ihrem offiziellen Kanon und bewegt sich nur an ihrem Rand. Wie die Welt der modernen Wissenschaft, die in selbstgewählter Isolation in ihrem Elfenbeinturm lebt, lokalisiert sich die neue Medienkunst eher im Medienlabor als in der Lounge eines Clubs. Der Ort, an dem neue Arbeiten präsentiert werden, ist typischerweise das Neue-Medien-Festival, zu dem sich Gleichgesinnte treffen.

Anstatt aber laut und deutlich den eigenen hybriden, prozessualen Charakter zu annoncieren, hat sich die seltsame und isolierte Situation der neuen Medien zu einem Tabuthema entwickelt. Eine allgemeine Unzufriedenheit ist seit einiger Zeit zu spüren, vor allem, weil ein privilegierter innerer Zirkel sich auf die Entwicklung extrem teurer, so interaktiver wie ‘barocker’ Installationen konzentriert hatte, die an Orten wie der Ars Electronica in Linz, am ZKM in Karlsruhe und am ICC in Tokyo zu sehen waren. Doch diese exzessive Periode der späten Neunziger ist vorbei, und man könnte in der Erinnerung an jene Tage beinahe nostalgisch werden. Es war eine gute Party für viele und für einige gar eine kleine Goldgrube. Im Gegensatz dazu ist die Periode nach der Jahrtausendwende von Budgetkürzungen, konzeptioneller Stagnation, dem Begriff der ‘Creative Industries’, von künstlerischen Rückschlägen (mit der ‘Rückkehr’ der minimalen Malerei) und politischer Unsicherheit gekennzeichnet – während die neuen Medien gleichzeitig die Gesellschaft auf eine Weise durchdringen, die ohne Beispiel ist.

Es wird als schlechtes Betragen angesehen, offen über Krisenphänomene zu sprechen, und das hat einen einfachen Grund: Düstere Stimmung könnte zukünftige Projekte, den nächsten Job oder eine nahende Bewerbung gefährden. Oft genug wird auf die mindere Qualität der meisten neuen Medienkunst hingewiesen. Das Etikett des ‘Negativismus’ bleibt an den Angehörigen dieser Szene schnell kleben, die im Stillen von einem New-Age-Positivismus dominiert wird. Dieser wird angetrieben vom unerschütterbaren Glauben, dass Technologie uns am Ende retten wird. Wir befinden uns auf der richtigen Seite der Geschichte, oder nicht? Es gibt nur wenige, die sich offen äußern. Der Rest schweigt und macht weiter, um Teil der ‘zeitgenössischen Kunst’ zu werden oder anderswo einen Job zu finden. Ein weiterer Grund für das Fehlen von Negation könnte der Einfluss der techno-libertären Ideologie sein. Diejenigen, die protestieren, werden schnell als ‘Feinde der Zukunft’ verdammt, allerdings niemals öffentlich.

Die kollektive diskursive Armut in der Szene erklärt die beinahe vollkommene Abwesenheit lebhafter Debatten über Kunstwerke im allgemeinen. Es gibt kaum eine institutionalisierte Kritik, während sich die Mainstreammedien uninteressiert zeigen. Die Szene hat aber auch Angst vor potenziell verheerenden internen Debatten. Rivalisierende akademische Disziplinen und Kulturpolitiker könnten auf der Suche nach Budgets sein, die gekürzt werden können. Stattdessen regiert eine unscharfe Stammeskultur des Konsenses, die auf gutem Willen und gegenseitigem Vertrauen basiert. Um eine tatsächlich kritische Perspektive einnehmen zu können, muss man entweder von außerhalb kommen oder sich von der Szene entfernen und sich in ein gänzlich anderes Feld hineinbewegen, etwa die kommerzielle Kunstwelt, ins Design, die Popkultur oder die Clubszene. Aus all diesen Gründen bleibt die Szene klein und stagniert trotz des phänomenalen globalen Wachstums neuer Medien. Diese Szene ist also nicht gerade das, was sich junge, kreative Bastler erwarten. Eine wachsende Zahl junger Künstler, die mit Technlogie arbeiten, meidet den krankenden Sektor tunlichst und sucht sich ihren eigenen Weg, mittels des etablierten Kunstmarkts, ‘taktischem’ Medienaktivismus oder der Gründung kleiner Unternehmen. Gleichzeitig gibt es Maler, Bildhauer und Modedesigner, die Computer als primäres Gestaltungswerkzeug nutzen, die ‘neuen Medien’ jedoch explizit in ihren Präsentationen außen vor lassen.

Anstatt die heroische Position des Avantgardekünstlers einzunehmen, haben sich viele Akteure des Feldes dazu entschlossen, in Wolken von Bildern, Texten und URLs ‘davonzutreiben’. Es ist ein gewisses Wohlgefühl damit verbunden, in den Netzen herumzuhängen und nicht mit den Zwangslagen der Welt konfrontiert zu sein. Die Wichtigkeit des Vagen kann nicht unterschätzt werden. Der verschwommene Hintergrundcharakter vieler Arbeiten muss anerkannt und ernst genommen werden. In der gegenwätigen Situation der Irrelevanz ist es in der Tat schwierig, ein signifikantes Werk zu schaffen, das eine Wirkung haben wird. Die digitale Ästhetik hat eine hypermoderne, formalistische Herangehensweise geprägt, ihr fehlt der übliche kritische Rigorismus zeitgenössischer Kunst. Ernsthafte internationale Kuratoren können es sich nicht leisten, halbfertige ‘Kirmes’-Installationen in Ausstellungen aufzunehmen, die kritischer Inhalte und ansprechender Ästhetik entbehren. Auch Marketing und Professionalisierung können dieses grundlegende Misstrauen nicht überwinden.

Es ist ein Leichtes, an diesem Punkt in eine Depression zu verfallen. Manche gehen mit dieser Situation um, indem sie sie als existenziell verstehen und mit ihrer Arbeit fortfahren, gleichgültig, was Kunstkritiker, der Markt oder die Angestellten von Kunst fördernden Institutionen dazu zu sagen haben. Die elegante, selbstreferentielle Haltung, die eigenen Medien zu ‘souveränen Medien’ zu erklären, ist hie und da zu beobachten. (9) Wichtiger in diesem Zusammenhang ist aber die weitgehend anerkannte Unmöglichkeit, Avantgarde-Bewegungen zu bilden. Das Arbeiten mit Computern, dem Internet und ähnlichen Technologien hätte eine eigentümliche romantische, agnostische oder nihilistische Ästhetik erschaffen können, eine Palette von Stilen und Schulen, die sich um bestimmte Ideen und politische Programme gruppieren. Das ist nicht geschehen, und wir alle wissen, warum es keine Wiederholung der historischen Avantgarde geben kann und wird. Pop Art und Postmodernismus haben erfolgreich jeden Versuch in diese Richtung sabotiert. Ist das erleichternd, traurig, oder macht es wütend? Die isolierte Situation ‘innovativer’ Kunst kann nicht diskutiert werden, ohne die ‘Trauerphase’ nach dem Tod der Avantgarde in Betracht zu ziehen. Es stellt sich demnach weiterhin die Frage: Wenn die Kunst entweder ein Perpetuum mobile oder ein modisches Spektakel ist, warum sollte man dann überhaupt experimentieren? Aktuelle Untersuchungen zum Verhältnis von Kunst und Wissenschaft, wie sie von Roy Ascott und Jill Scott vorangetrieben werden, könnten im Licht des vom Pariser IRCAM betriebenen Programms der ‘Verwissenschaftlichung der Kunst’ betrachtet werden. IRCAM ist das größte Institut seiner Art, das sich der Erforschung elektronischer Musik widmet. Es wurde 1977 vom Avantgardekomponisten Pierre Boulez gegründet und wird vom französischen Staat finanziert. Das Ziel IRCAMs ist es, Musik, Wissenschaft und Technologie zusammenzubringen. Das Zentrum ist vor allem für seine Stipendien für Komponisten bekannt. In ihrer Studie über IRCAM beschreibt Georgina Born, wie die musikalische Avantgarde Schritt für Schritt von der Wissenschaft legitimiert und in Folge finanziell gefördert wurde. Sie etablierte sich, aber auf ganz andere Weise als die modernistische Avantgarde in der bildenden Kunst, der es gelang, einen Markt für ihre Werke hervorzubringen. Die visuellen Techniken der Modernisten seien von allgemeineren kulturellen Praktiken und dem öffentlichen Bewusstsein aufgesogen worden, schreibt Born. “Im Gegensatz dazu ist die musikalische Avantgarde daran gescheitert, Erfolg in einer breiteren Öffentlichkeit zu haben oder zu einer kulturellen Währung zu werden: Sie ist eine elitäre Form der Hochkultur geblieben. Weil sie dabei nicht länger marginal oder kritisch gegenüber der herrschenden Ordnung blieb, hat sie nicht nur ihre ursprüngliche Raison d’être verloren, sondern muss ihre gegenwärtige Situation der offiziellen Förderung angesichts einer fehlenden breiten Öffentlichkeit ständig legitimieren.” In ebendiese Situation hat sich die elektronische Kunst manövriert, inklusive einer “avantgardistischen Geschichtsauffassung, in der die Gegenwart verleumdet wird mit dem Versprechen auf Größeres, das kommen wird”. (10) Die relative Isolation, in der IRCAM operiert, hat ihren Grund nicht in schlechter Organisation oder gar Mismanagement. Auch bei den Organisationen für neue Medienkunst ist das nicht der Fall. Born beschreibt IRCAM als “effizientes Schiff”, eine “zuverlässige Maschinerie” mit Abteilungen für Marketing und Erziehung. “IRCAM bleibt das, was es immer war: eine hierarchische, inzwischen immer effizienter arbeitende, bürokratische Institution.” (11) Was hier jedoch debattiert werden soll, ist nicht die Frage der Professionalität, sondern grundlegende Kategorien und Annahmen.

Wenn die neue Medienkunst ihre Betonung auf das Experimentelle, auf die Zusammenarbeit mit Ingenieuren, Biologen und auf innovative Schnittstellen legt, warum gibt sie nicht einfach die tragische Allianz mit der Kunst auf, um sich stattdessen in die Welt des IT-Business und der Computerwissenschaft zu integrieren? Nur Außenseiter können die elektronische Kunst der Komplizenschaft mit dem ‘kapitalistischen System’ bezichtigen. Die traurige Realität ist vielmehr, dass sich die Künstler nicht allzusehr von gewöhnlichen Computernutzern unterscheiden, es sei denn, sie gehören der kleinen, gefeierten Gruppe von High-End-Künstlern an. Für die Mehrzahl der Künstler ist der Zugang zu Technologie auf die Apparate beschränkt, die auch der großen Masse der Konsumenten zur Verfügung stehen. Oft sind das Geld für neuere Maschinen oder Ressourcen, um strategisch wichtige Kenntnisse zu erwerben, nicht da. Diese Strategie ist darüber hinaus ohnehin erschöpfend, da der letzte Schrei die Mülltechnologie von morgen ist. Der Ausweg besteht darin, entweder Werke von fortdauernder ästhetischer Qualität zu schaffen, oder die neuesten Geräte zu benutzen, sie aber mit starkem Material quasi außer Kraft zu setzen.

Ein Ausweg könnte darin bestehen, den ‘Demodesign’-Status von künstlerischen Arbeiten zu akzeptieren. Doch die meisten Unternehmen verfügen über ihre eigenen Netzwerke, um das Demodesign zu besorgen, und nehmen ‘Kunst’ darüber hinaus nicht ernst – wenn sie diese überhaupt erst wahrnehmen. Das ist die Tragödie der neuen Medienkunst. Diejenigen, die die neuen Medien auf den Kopf stellen und eine ästhetische Gegen-Agenda formulieren, finden in den gegenwärtigen Produktionsprozessen kaum ihren Platz. Abgesehen von diesen institutionellen, disziplinären und ökonomischen Realitäten bestehen sehr viele Künstler aber auch auf ihrem Weg in ein formalistisches Nirvana. Ist das ein symptomatisches Fehlen jeder Vorstellungskraft oder zeigt sich hier vielmehr eine Überidentifikation mit der exotischen Künstler-Identität?

Wenn der digitale Formalismus, der weder vom Museum und vom Markt, noch von der Industrie anerkannt wird, eine Sackgasse ist, warum wechseln Künstler dann nicht auf die ‘Content-Seite’ über und beginnen mit dem Erfinden von Narrativen? Zwar versuchen viele neue Medienkünstler eben dies, haben aber keinerlei Verbindung zu den Vertriebskanälen des Mainstreams für TV- und Filmproduktionen und zum Buchmarkt. Aus diesem Grund erreichen viele CD-Roms und DVDs ihr Zielpublikum erst gar nicht. Es wird auch nicht als prioritär angesehen, eigene Distributionskanäle, etwa über Museumsshops, zu organisieren. Ein weiterer Grund für das Zaudern, sich zu fügen, ist der Wunsch, Schnittstellen, Software und sogar Betriebssysteme zu verändern. Zurecht (oder vielleicht auch nicht?) fühlen sich einige neue Medienkünstler unwohl bei dem Gedanken, Mainstreamprodukte wie Windows XP zu benutzen. Die Kritik richtet sich in diesem Kontext auf die grundlegenden Strukturen, nicht auf die oberflächliche Ebene der medialen Repräsentation. Es sind die Architektur des Internets und die offenen Standards des Webs, die unsere Surferfahrung prägen, nicht diese oder jene ‘coole’ Website.

Etwas zu vermarkten, das sich nicht als Produkt versteht und bewusst in einem Testmodus verbleiben will, hat sich als beinahe unmöglich erwiesen. Inhalte ins Netz zu stellen ist ein Ausweg, der seltsamerweise unter neuen Medienkünstlern aber nicht besonders populär ist. Das Internet wird von einigen als primitives Werkzeug betrachtet, das solchermaßen einem kleinen Zirkel von ‘Netzkünstlern’ und Diskursführern überlassen bleibt, die es vorziehen, formalistische Experimente zu betreiben, die hin und wieder mit subversiven politischen Aktionen kombiniert werden, wie sie etwa von Gruppen wie www.rtmark.com initiiert werden. Neue Medienkunst ist (zurecht) nicht an traditioneller Politik interessiert, muss ihre ureigene Phase der Political Correctness aber erst erreichen. Obwohl es eine substantielle Zahl weiblicher Kuratoren und Administratoren gibt, hat dies nicht zu einer generell größeren Offenheit geführt. Die Verbindungen zu sozialen Bewegungen sind schwach, und ein Bewusstein von selbst grundlegenden postkolonialen Fragestellungen fehlt häufig. Diese Beobachtung gilt nicht für jede einzelne Arbeit, wohl aber, wenn man sich die Programme von Festivals und Konferenzen ansieht. Die Szene ist größtenteils ‘weiß’ und setzt sich aus Personen zusammen, die aus Nord-, West und Mitteleuropa, aus den USA, Kanada, Australien und Japan stammen – also aus Gegenden, in denen die digitalen Technologien am weitesten entwickelt und in das soziale Feld eingebettet sind.

Ein weiterer Grund für die angebliche ‘Leere’ der neuen Medienkunst könnte am Fehlen einer genügend großen Zahl von einflussreichen Kuratoren und Kritikern festgemacht werden. Oft sind es stattdessen Techniker und IT-Manager, die auf entscheidende Weise die Regie einzelner Arbeiten übernehmen. Wegen des Fehlens von Schulen, oder gar eines Kanons, sehen Ausstellungen oft wie Jahrmärkte aus. Was hier gezeigt wird, hat vor allem den Faktor des Neuen gemein. Ausstellungskonzepte basieren oft auf Zufällen oder fassen sich sehr generell, wobei die Budgets aber auch zu klein sind, um den Anspruch der großen Überblicksschau einlösen zu können. Es steht kein üppiges System von Referenzen oder auch nur eine gemeinsame Sprache zur Verfügung (obwohl dies theoretisch längst der Fall sein könnte). Stattdessen herrscht die romantische Vorstellung, dass die Künstler stets damit beschäftigt seien, die Sprache der neuen Medien ‘zu erfinden’. Nur selten sind anspielungsreiche und spielerische Arbeiten zu sehen, die sich auf andere Arbeiten beziehen. Wenn Arbeiten in Ausstellungen klassifiziert werden, dann unter sehr generellen Kategorien wie dem Genre oder schlicht unter der Rubrik des Mediums, in dem sie produziert wurden. Vom ‘Kuratieren der neuen Medienkunst’ wird erst seit kurzem überhaupt gesprochen. (12)

Das Leben ist für Künstler im allgemeinen ein mühseliger Kampf, und dies gilt insbesondere für diejenigen unter ihnen, die sich absichtlich zwischen den Disziplinen positionieren, oder über sie hinweg gehen. Statt Neugierde zu provozieren und Unterstützung zu erfahren, findet sich die ursprüngliche Medienkunstszene in einem harten Wettbewerb zwischen wissenschaftlichen Disziplinen, Medien- und Kunstformen wieder. Oft liegen diesem Wettbewerb Kämpfe um schwindende Ressourcen zugrunde, es herrscht ein allgemeines Klima des Neids und der Ignoranz. Es gibt keine Übereinstimmung oder gar Harmonie mit den darstellenden Künsten. Trotz aller Ideologie sind Multi- und Interdisziplinarität tatsächlich heute an einem bisher unerreichten Tiefpunkt angelangt. Künstler können es sich nicht leisten, Ausflüge zu konkurrierenden Formen des Ausdrucks zu machen. Es scheint, als müssten Theaterleute auf das Fernsehen herabsehen, während Videokünstler sich oft als Snobs erweisen, wenn es um neue Medien geht: Es gibt nichts, was so drittklassig ist wie das Internet.

Statt mit Biologen, Neurowissenschaftlern oder Astronomen zu debattieren, wäre es sinnvoller, mit einem benachbarten Feld zu beginnen und sich mit dem Verhältnis zwischen Computerwissenschaft und neuer Medienkunst zu beschäftigen. Es ist bekannt, dass selbst Programmierer wenig Interesse zeigen an experimentellen Schnittstellen oder an Bildbearbeitung um der Kunst, gar der Netzkunst willen. Der Spieledesigner Chris Crawford hat sich mit den ‘zwei Kulturen’ in seinem im Jahr 2004 erschienenen Buch ‘Interactive Storytelling’ beschäftigt und fragt sich dort: Warum können Programmierer und Spieledesigner nicht mit den Künstlern kommunizieren, die sich mit neuen Medien beschäftigen?  Crawford gesteht: “In seiner eigenen Blase gefangener Intellektualismus entsteht, wenn eine Gruppe so mit sich selbst beschäftigt ist, dass sie jeden Kontakt mit dem intellektuellen Universum verliert und sich in ihrem eigenen, sich selbst bestätigenden Universum verliert. Ich muss gestehen, dass ich keine der Diskussionen über interaktives Geschichtenerzählen oder über Spiele verstehe, die von den Künstlern geführt werden. Trotz bester Zeugnisse in Design und Theorie verstehe ich nicht, worüber diese Leute reden. Es ist nicht etwa einer von ihnen, der mich verwirrt, es ist der ganze Haufen. Die Arbeiten der Medientheoretiker beeindrucken mich mit ihrer Gelehrsamkeit und Klugheit, aber sie geben mir nichts, was ich festhalten könnte.” (13)

Crawford muss den Künstlern zugestehen, dass sie die Kluft wenigstens durch Kontakte zu überbrücken suchen, konstatiert aber dennoch das Scheitern eines konstruktiven Austauschs. “Künstler haben Konferenzen über interaktive Unterhaltungsformen und Spiele organisiert, zu denen immer Repräsentanten der Techie/Spiele-Gemeinde eingeladen wurden. (Es ist bezeichnend, dass sich die Techies nie mit einer Einladung an Künstler revanchiert haben, sondern lediglich zu den Initiativen der Kunstleute eingewilligt haben. Diese Konferenzen beginnen immer mit der ehrlich gemeinten Forderung, dass die Universität und die Industrie Hand in Hand arbeiten müssten. Dann ist ein Techie an der Reihe und stellt seine Forderungen an die Universität: Sie müsse Studenten in 3D-Programmen, im Programmieren selbst und in der Animation ausbilden. Es folgt ein Akademiker und hält einen Vortrag über die Semiotik der Mario Brothers. Er wird abgelöst von einem Techie, der über die Produktionstechniken in der Spieleindustrie spricht. Ihm folgt ein Theoretiker, der die Modalitäten des Mimetischen in Text-Adventures analysiert. So geht es weiter, indem beide Seiten glücklich aneinander vorbeireden, wobei keine der beiden Seiten auch nur das geringste Interesse an oder Verständnis von der Arbeit der jeweils anderen Seite zeigt.” (14)

Renato Poggioli erinnert uns daran, dass Avantgarde-Bewegungen immer schon ein Interesse an Wissenschaft und Technologie hatten. Was diese Künstler erforschten, so Poggioli 1962, war “die terra incognita des Unbewussten, das Unerforschte der Seele”. (15) Sie spielen mit technischen Elementen, um ungehörte und ungesehene Inhalte “aufzuwecken”. Diese Invasion erobert Gebiete, in denen Technik im Sinne bloßer Fertigkeiten keine Daseinsberechtigung hat. Poggioli bemerkt, dass das Avantgarde-Denken “besonders empfänglich für den Mythos der Wissenschaft” sei, und listet zahlreiche Werktitel auf, die wissenschaftliche Metaphern benutzen. Was elektronische Künstler am Ende des 20. Jahrhunderts davon unterscheidet, ist ein Fehlen von Überlegenheit. Ihr “Szientifizismus”, wie Poggioli das Phänomen bezeichnet, entsteht vielmehr aus einem Gefühl der Nachrangigkeit: Die Wissenschaft ist den gemeinen Leuten Dekaden, wenn nicht Jahrhunderte voraus, und wir, Künstler inbegriffen, werden niemals im Stande sein, ihr komplexes Wissen vollkommen zu begreifen. Aus diesem Minderwertigkeitskomplex entsteht der Wunsch nach ‘Zusammenarbeit’, das es dem Künstler ermöglichen soll, wenigstens zu erahnen, was uns bevorsteht. Vielleicht werden Wissenschaftler und Programmierer anfangen, den Künstlern zuzuhören, wenn diese das Bewusstsein ihrer Überlegenheit wiedergewinnen, das darin besteht, ‘Wissen’ zu besitzen, das weit über den gewöhnlichen interdisziplinären Austausch hinausgeht. Den Zusammenbruch der Kommunikation zwischen den Kulturen der Geisteswissenschaft und der Naturwissenschaft, den C.P. Snow 1959 beschrieben hat, ist noch nicht in sein Gegenteil verkehrt worden, sollte aber eher als asymmetrisch beschrieben werden. (16) Im Verlauf der letzten Dekaden wurde ein Fortrschritt erreicht, der insbesondere dem Wissenschaftsjournalismus zu verdanken ist, der die Kunst, die Geisteswissenschaften und überhaupt die Öffentlichkeit immer ausführlicher über die jeweils neuesten Forschungsergebnisse und ihre ethischen Folgen informiert. Wir können nicht länger behaupten, wie Snow es tat, dass Künstler und Geisteswissenschaftler Ignoranz gegenüber der Naturwissenschaft an den Tag legten. Die von John Brockmann beschriebene “Dritte Kultur” von Wissenschaftlern, die sich an die Öffentlichkeit wenden, ist ein real existierendes Medienphänomen. (17) Hingegen scheint es heute ein fehlendes Interesse auf Seiten des Naturwissenschaftler und Ingenieure für die Kunst zu geben, vielleicht weniger auf einer persönlichen als auf einer institutionellen Ebene. Dieses Problem kann nur durch eine Umschichtung von finanziellen Ressourcen gelöst werden. Wir brauchen nicht noch genauere Infornmationen oder größere kritische Aufmerksamkeit, gefragt ist vielmehr eine grundsätzliche Veränderung. Der Vorschlag, dass gut gemeinte ‘Zusammenarbeit’ ausreichen würde, hat sich als machtlose Geste erwiesen.

Verschwörungen der zeitgenössischen Kunst
“Kunst ist, womit du durchkommst.” (Andy Warhol) Es war Jean Baudrillard, der 1996 schrieb, es gebe keinen vernünftigen Grund, warum die zeitgenössische Kunst weiter existieren sollte. Wie Baudrillards Herausgeber Sylvère Lothringer bemerkt hat, erschien diese Denunzierung der Kunst wie eine Ohrfeige. War dieser französische Denker der Simulation nicht immer auf der Seite des Neuen und Coolen gewesen? Der Markt für zeitgenössische Kunst boomt, wo also liegt das Problem? (18)

In seinem Text über die “Verschwörung der Kunst” behauptet Baudrillard, dass Sichtbarkeit und Ruhm, nicht Inhalte, zum Motor der Neuen Kunstordnung geworden seien. Die Kunst habe sich in soviele Richtungen ausgedehnt, dass wir sie nicht länger von der Gesellschaft unterscheiden können. Sie unterscheidet sich von nichts mehr. Wie es auf dem Klappentext von Baudrillards Buch zusammenfassend heißt, habe die Kunst einen transästethischen Zustand erreicht, indem sich von ästhetischer Nichtigkeit zur kommerziellen Ekstase aufgeschaukelt habe. Baudrillards Behauptung, dass die Kunst ihre Sehnsucht nach der Illusion verloren habe, lässt sich zweifellos auch auf die neuen Medien ausdehnen. Die ‘Suspendierung der Subjektivität’ scheint schwer zu leugnen. Laut Baudrillard handeln Galerien heute vor allem mit Nebenprodukten der Kunst, dort herrsche ein “Management der Reste” vor. Man könne hier alles tun, was laut Baudrillard zu einer “virtuellen Realität” führe. Diese virtuelle Realität stellt “das Ende der Kunst” dar. Sie “ähnelt eher einer technologischen Aktivität. Das scheint die Ausrichtung vieler Künstler geworden zu sein”. (19) An dieser Stelle können wir aus der Nähe betrachten, wie realitätsfremd Pariser Intellektuelle geworden sind. Die Künstler, die mit VR arbeiten, lassen sich nicht nur an einer Hand abzählen, darüber hinaus werden solche Arbeiten kaum ausgestellt, oder gar in New Yorker Galerien verkauft, wie Baudrillard behauptet.

Das Problem ist nicht die Allgegenwärtigkeit technologischer Kunst, sondern ihre Marginalität. Um virtuelle Realität zu sehen, muss man nicht Galerien, sondern hochspezialisierte Krankenhäuser oder universitäre Forschungslabors besuchen. Was in meiner Beobachtung aber tatsächlich bemerkenswert an der neuen Medienkunst ist, bezeugt Baudrillard auch für die zeitgenössische Kunst, nämlich ihre selbstreferentielle Autonomie, die von jeder echten Ökonomie des Wertes abgelöst ist. Für Baudrillard ist die Kunst eine “fantastische Wucherung” geworden. Der Kunstmarkt “wird gemäß der Regeln seiner eigenen Spiele geformt, deren Verschwinden unbemerkt bleiben würde”. Baudrillard macht Duchamp dafür verantwortlich, der einen Prozess der  “Readymadehaftigkeit, eine Transästhetisierung von allem” in Gang gesetzt habe, “weshalb von keiner Illusion mehr gesprochen werden kann”. Während das System der zeitgenössischen Kunst an dem Glauben festhält, dass es für seine Kunstobjekte einen Markt gibt, haben die neuen Medienkünstler jede Hoffnung aufgegeben, an der Wertkette teilzuhaben. Positiver formuliert: Ihre Experimente sind unbezahlbar. Für Baudrillard transzendiert die zeitgenössische Kunst sich nicht mehr selbst in die Vergangenheit oder die Zukunft. Ihre einzige Realität ist ihr Betrieb in Echtzeit und ihre “Konfusion mit dieser Realität”. Es ist fraglich, ob die neue Medienkunst eine ähnliche Obsession mit der Echtzeit hat. Sie hat diese Obsession, wenn sie von Interaktion als Echtzeit-Manipulation träumt oder sich auf Telepräsenz und Überwachung in Echtzeit konzentriert. Das ist aber nicht der Fall bei all jenen Arbeiten, die die ‘Echtzeit-Realität’ in Netzwerken oder im Rundfunk studieren. Tatsächlich schaffen viele Arbeiten der neuen Medienkunst künstliche Umwelten, die vor der Realität, wie wir sie kennen, zurückweichen. Baudrillard propagiert eine ‘taktische Indifferenz’: Es gibt zuviel Kunst. Das mag auch für die neue Medienkunst stimmen, wenn wir uns die hunderten, wenn nicht tausenden von Einsendungen für eine ihrerseits stetig wachsende Menge an Programm-Kategorien auf Festivals wie Ars Electronica, Viper oder ISEA ansehen. Baudrillard setzt sich hier für Formen und Grenzen ein. “Mehr ist nicht besser.” Das mag sein, aber wir können die Uhr nicht zurückdrehen. Kunst ist keine privilegierte Aktivität mehr und wir müssen mit dieser ‘Fettleibigkeit’ leben, also mit der Unmöglichkeit, ihre Ausdehnung zu bestimmen.

In einer ähnlichen Publikation, die in derselben, von Sylvère Lothringer herausgegebenen Reihe erschienen ist, sinnt Paul Virilio über den “Zufall der Kunst” nach. Wie Baudrillard stellt auch Virilio den Begriff des Zeitgenössischen in der Kunst in Frage: “Sie ist zeitgenössisch insofern als sie nicht modern, oder antik, oder futuristisch, sondern dem Moment geschuldet ist. Sie kann aber im Schrumpfungsprozess des Augenblicklichen nur verschwinden.” Das Verfallsdatum kann in Picosekunden gemessen werden. In diesem Zusammenhang bezeichnet Virilio überraschenderweise Stelarc als “Futuristen”, und unterstellt damit, dass solche Körperkunst über das Zeitgenössische hinausweise. Virilio kann sich nicht vorstellen, wie das Scheitern der bildenden Kunst überwunden werden könnte, weil eine Rückkehr zu den körperlichen Künsten lediglich zu noch mehr Spektakel und mehr Virtualität führe. Anders als in den postmodernen Strategien der 80er, die mit Begeisterung von der Sinnlichkeit der Wahrnehmung sprachen, wird der Körper nun nicht mehr als Element einer Gegenstrategie betrachtet, der die unerträgliche Leichtigkeit des virtualisierten Seins kompensieren soll. Virilio hält die abstrakte Kunst nicht für abstrakt, sondern für eine Kunst des Rückzugs. Es ist unvermeidlich, sagt Virilio, dass das Figurative zerstört wird als Antwort auf die Systeme der organisierten Gewalt, zu denen auch die Künstler selbst gehören.

Laut Virilio soll die Kunst aufhören, sich zu camouflieren und sich endlich als “Kriegsopfer” begreifen. “Zeitgenössische Kunst wurde zum Opfer eines Kriegs durch den Surrealismus, den Expressionismus, den Wiener Aktionismus und den Terrorismus von heute.” Die militärischen Ursprünge der neuen Medien, etwa die Entstehung des Internet aus DARPA, sind Gegenstand jedes Curriculums und längst Allgemeinwissen geworden. In diesem Sinne ist Virilios Begriff längst berücksichtigt. Ist aber das Verständnis der Geschichte des 20. Jahrhunderts der Schlüssel, um die Pattsituation zu überwinden und die gegenwärtige Isolation der Künste zu durchbrechen? Wenn die Rehabilitation des Bildes nicht die richtige Antwort auf die Frage ist, die von der ‘Dekomposition’ gestellt wird, wie lautet die Antwort dann? Wie kann Kunst identifiziert werden, wenn man sie ihres sozioökonomischen Kontexts entledigt, wenn sie nicht mehr in der Galerie und im museal-industriellen Komplex produziert und ausgestellt wird? Professionelle Kritiker und Kuratoren sind zunehmend nicht mehr in der Lage, ihre Arbeitsweise zu legitimieren, Kunstwerke und Praktiken von einem Kontext in den anderen zu transportieren. “Wir lassen das Bild hinter uns – inklusive des konzeptionellen Bildes von Warhol und Duchamp – zugunsten von Optik”, sagt Virilio. Warum aber soll man den angenommenen Primat des Visuellen nicht gänzlich fallen lassen? Warum soll nur von Optik die Rede sein? Neue Medien bestehen nicht nur aus neuen Arrangements zwischen Text, Sound und Bild, sie werden zunehmend minituriatisiert und drahtlos, kurz: für das Auge unsichtbar. Sphärisch, wie Peter Sloterdijk sagen würde.

Entstehungen
Was der neuen Medienkunst für meinen Geschmack fehlt, ist ein Gefühl von Überlegenheit, Souveränität, Entschlossenheit und Zielgerichtetheit. Man kann die unangebrachte Haltung ‘digitaler Minderwertigkeit’ auf beinahe jedem Cyber-Ereignis beobachten. Die politisch naive Pose des Technokunst-Bastlers hat sich nicht bezahlt gemacht. Weder die Wissenschaft noch die Kunst haben ihren Goodwill-Projekten große Beachtung geschenkt. Künstler, Kritiker und Kuratoren haben sich der Technologie und insbesondere den ‘Life Sciences’ dienstbar gemacht und sind erfolglos geblieben mit dem Versuch, um die Aufmerksamkeit der ‘echten’ Biotechnologen zu betteln. Diese ideologische Haltung ist aus einer Ignoranz entstanden, die sich nur schwer erklären lässt. Wir sprechen hier über eine Mentalität, die nahezu unsichtbar ist. Die kultischen Praktiken, die sich zwischen herrschender Wissenschaft und ihren Dienern abspielen, finden in den Hinterzimmern von Universitäten und Kunstinstitutionen ab, stets mit freundlicher Unterstützung von ehrlich interessierten Konzernbourgeois; die Vorstandsmitglieder, Professoren, Wissenschaftsjournalisten, die die kulturelle Agenda bestimmen. Dabei soll hier nicht von einer Form der Feier des Technologischen die Rede sein.

Die Konzerne interessieren sich nicht für elektronische Kunst, weil sie letztendlich zu abstrakt und unfokussiert ist und außerdem über zuwenig Sexappeal verfügt. Sie ist nicht ‘speziell’ genug im Sinne Warwicks und sollte in der Tat mehr Interesse von Wissenschafts- und Technologiemuseen erfahren. Man sollte diesen Fehler nicht machen. Neue Medienkunst dient nicht nur Konzerninteressen. Es hat keinen Ausverkauf gegeben, schon aus dem einfachen Grund, dass die Konzerne keinerlei ökonomisches Interesse an ihr haben. Wenn es nur so einfach wäre. Die Anschuldigung, die neue Medienkunst würde Technologie ‘feiern’, ist eine Banalität, die nur von schlecht informierten Außenstehenden vorgebracht wird. Das Interesse an den Life Sciences wiederum kann leicht als (verborgenes) Begehren verkauft werden, teilzuhaben am übermenschlichen Triumph der Logos in der Wissenschaft, eine Behauptung, der ich mich nicht anschließen will. Wissenschaftler wiederum blicken voller Verachtung auf die Vaudeville-Schnittstellen und die gewollte Verrücktheit der Technokunst der Amateure herab. Nicht, dass sie sich negativ äußern würden, doch ihr mildes Lächeln spricht von einer Lichtjahre breiten kulturellen Kluft. Hier findet eine erlesene Nicht-Kommunikation statt. Stetig wachsende Märkte für übers Netz verbreitete Inhalte, mobile Geräte und digitale Konsumgüter erschweren die Wahrnehmung der tatsächlichen Verzweiflung. Statt also, um das noch einmal zu betonen, nach einer positiveren Haltung gegenüber der Zukunft zu rufen, könnte die verführerische Strategie des ‘Werdens’ darin bestehen, den Computer von Etiketten wie ‘neu’ und ‘digital’ zu befreien und poly-perverse Netze mit einer noch brutaleren Intensität zu etablieren.

Zur Verteidigung der neuen Medienkunst muss festgehalten werden, dass es hier eine Passion für Komplexität auf der Ebene der Bilder gibt. Sieht man sich die Arbeiten an, die üblicherweise auf Biennalen, in Museen, Galerien und Ausstellungen zu sehen sind, zeigt sich, dass die Hälfte Videos sind, wobei keines dieser Videos auf experimentelle oder selbstreflexive Weise von der Materialität des Mediums als solcher handelt. Zeitgenössische Videos zeigen uns schockierende, einmalige Bilder. Es ist eine Kunst, die den Dokumentarstil nutzt, um sich – mit langen Einstellungen, kaum geschnitten und ohne Spezialeffekte – selbst als kompromisslos zu präsentieren. Neue Medienkunst ist sich im besten Fall nicht nur über die Spezifika der Technologien bewusst, die sie nutzt, sondern erforscht die ihnen zugrunde liegende Architektur. Die Videos der zeitgenössischen Kunst sind hingegen techno-naiv und manchmal sogar schlimmer: ihre ständig wackelnde Kamera behauptet mehr Realismus, eine erhabene Überlegenheit über die Künstlichkeit der neuen Medienkunst. In den Augen der Allgemeinheit wiederum sieht das amateurhaft und sinnlos aus verglichen mit der glatten Unterhaltung, die aus dem Kabel oder von der DVD kommt.

Vernetzte soziale Räume
Als Ausweg aus der Krise hat Eric Kluitenberg auf der Mailingliste Spectre eine neuartige Form der Institution vorgeschlagen, die “eine Brücke schlagen soll zwischen diesen Kulturen, die tief im digitalen Raum verwurzelt sind, zu einem breiteren Publikum, das entweder zuhause am Rechner sitzt oder nicht so tief ins Digitale eingetaucht ist, es aber dennoch faszinierend findet”. Kluitenberg weist auf eine tiefer liegende Krise der Präsentationsformate hin: “Konventionelle Formate wie die Ausstellung, die Theaterproduktion und das Konzert scheinen alle ein wenig zu unvollständig oder unadäquat zu sein, um den Geist der neuen Medienkulturen einzufangen. Internet-Terminals an öffentlichen Orten aufzustellen ist völlig ungeeignet, es ist besser, sich das zuhause über eine DSL-Verbindung oder über Modem anzusehen. Auch Workshops, Seminare und Vorträge sind schön und gut, aber die können wir bereits jetzt abhalten.” Kluitenberg stellt die Frage, ob die neue Institution nicht notwendigerweise ein Ort sein muss, an dem Erfahrungen angeboten werden, die das Publikum vermutlich auch zuhause haben kann. “Aber würde das diesen Ort nicht zu sehr von teurer High Tech abhängig machen? Oder sollte er umgekehrt ‘nur’ ein Treffpunkt mit den nötigen grundlegenden Geräten und Einrichtungen sein? Was aber würde ihn dann zu einem besonderen Ort machen?” (20) Das sind die strategischen Fragen, die sich ergeben, wenn man über die einfache Frage hinausgeht: “Aber ist es Kunst?” Shulea Chang denkt über ein “Mesh Network Relay System” nach. Diese Relays, schlägt Andreas Broeckmann vor, sollten von mittelgroßen Institutionen verwaltet werden, die mit eher flüssigen Strukturen arbeiten, aber auch an molare Institutionen andocken können.

Institutionen wie das ZKM, ICC und AEC haben ehrgeizige Programme gestartet: Die Produktion von Medienkunstwerken soll in ihren Medienlaboren unterstützt, Ausstellungen kuratiert, Festivals und Konferenzen organisiert, Kataloge dazu herausgegeben und nicht zuletzt sollen ihre Sammlungen erweitert und konserviert werden. Diese Aufgaben haben sich als zu groß erwiesen. Tim Druckrey schrieb dazu auf Spectre: “Das ZKM, das eine Dekade lang ein mächtiger Produzent gewesen ist, hat beispielsweise die Unterstützung von Produktionen zugunsten bombastischer Ausstellungen größtenteils aufgegeben. Diese weithin wahrgenommenen Austellungen werben für sich eher mit dem Anspruch des Enzyklopädischen statt des Erforschenden und unterminieren dabei die eigene isolierte Gemeinde zugunsten einer breiteren Öffentlichkeit bei ebenso breiten Budgets. Das ist das Schicksal – und die Krise – der Megainstitution.” (21)

Es müssen neue Kanäle für den Dialog geöffnet werden. Einer von ihnen ist die Kunstgeschichte. Judith Rodenbeck hat in ihrem Bericht über die Banff Refresh!-Konferenz über die Geschichte der neuen Medienkunst geschrieben und eine gestörte Beziehung zur Kunstgeschichte bemerkt, die sich angeblich zu sehr auf eine Linie mit der Malerei gegeben hat. Die technische Inkompetenz der Kunstkritiker, so lautet der Vorwurf, mache es ihnen nahezu unmöglich, Arbeiten aus dem Bereich der neuen Medienkunst zu bewerten. Rodenbeck weist diesen Vorwurf zurück. “Kunstgeschichte und neue Medien berufen sich auf Walter Benjamin, und, mit allen Vor- und Nachteilen, auf Rudolf Arnheim; Neue-Medien-Leute täten gut daran, Panofsky und Warburg zu lesen, so wie ich und einige meiner Kollegen Wiener und Kittler lesen. Die Kunstgeschichte mag noch nicht in der Lage sein, sich mit neuen Medien auseinander zu setzen, vielleicht wissen die neuen Medien aber nicht, wie sie mit der Kunstgeschichte umgehen sollen.” (22)

Ob technologiebasierte Kunst eine relative Autonomie behaupten soll, um Forschung betreiben zu können, bleibt offen für weitere Diskussionen. Kunstwerke sollten nicht ausschließlich bezüglich ihres Status’ als Waren beurteilt werden oder ihrer Fähigkeiten, zu entfremden, aufzuklären, zu verändern und zu erziehen. Der Schweizerische Medientheoretiker Giacco Schiesser hält Kunst für eine Methode, die den prozessualen Charakter kreativer Akte betont. Was Künstler erforschen, so Schiesser, ist der absichtsvolle Eigensinn der neuen Medien. (23)  Offensichtlich ist solch radikale, grundlegende Forschung ein riskantes Unternehmen mit unvorhersehbaren Ergebnissen. Die Kunstwerke, die aus solchen Versuchen entstehen, scheitern  oft daran, die ursprüngliche Neugier des Künstlers zu kommunizieren. Wir sehen Resultate, ohne die Fragen zu kennen, durch die sie entstanden sind. Hier wird neue Medienkunst autistisch. Oft ist es nicht die Qualität des Selbstreferentiellen, die verstört, weil die Tradition der Disziplin selbst eher schwach ist. Anders als die Literatur oder der Film leidet neue Medienkunst nicht gerade an einem Überfluss an Referenzen. Was stört, sind die unabgeschlossenen Bemühungen der Dekonstruktion und die gescheiterten Versuche, eine neue mediale Grammatik zu formulieren – nicht grandiose utopische Gesten.

Von der Perspektive der Förderung aus betrachtet könnte es strategisch richtig sein, eine Fusion oder Übernahme auszuhandlen und im richtigen Moment einen Deal abzuschließen, bevor alle Kunst als technologisch wahrgenommen wird und es nicht mehr möglich ist, zwischen digitaler und nicht-digitaler Kunst zu unterscheiden. Giacco Schiesser diskutiert einen Ansatzpunkt für solche Verhandlungen: “Ist der Eigensinn eines neuen Mediums ein Stückweit erkannt, erprobt und entwickelt, wirken die neuen künstlerischen Verfahrensweisen und Möglichkeiten auf die alten Medien zurück. So wirkten zum Beispiel etwa Fotografie und Film schon bald nach ihrer Entstehung, und in  jüngerer Zeit die Neuen Medien stark auf die Literatur zurück.” (24) Hier könnte der Verhandlungsspielraum der neuen Medien lokalisiert werden.

Um das Schicksal der neuen Medien und ihre Beziehung zum System der zeitgenössischen Kunst zu klären, bedient sich der Melbourner Kunsttheoretiker Charles Green der Concorde-Analogie. Er zitiert Francis Spufford, der bemerkt hat, dass “der wahre Fehler der Concorde kein technologischer, sondern ein sozialer war. Das ganze Projekt basierte auf einer falschen sozialen Prognose. Diejenigen, die ihre Entwicklung in Auftrag gaben, nahmen an, dass der Flugverkehr auch nach 1962 den Reichen vorbehalten bleiben würde… doch zur selben Zeit, als Großbritannien und France Überschallgeschwindigkeit für den nächsten logischen Schritt im Flugwesen hielten, setzte einer der Chefs von Boeing die Entwicklung eines langsameren Flugzeugs durch, das aber vierhundert Passagiere transportieren konnte.” (25) Green erscheinen die neuen Medien bereits als “überholter disziplinärer Begriff”. Die intellektuelle Wertstellung mittels eines künstlerischen Szientismus sei ein problematischer Schritt gewesen, sagt Green, den er ursprünglich Roy Ascott zuschreibt. Ascott ist nicht nur einflussreich in den Zirkeln um die Festivals und Institutionen ISEA, V2 und Ars Electronica, sondern hat wesentlich dazu beigetragen, dass einer Reihe von neuen Medienkünstlern durch das britische Universitätssystem  für praktische Arbeiten PhDs verliehen wurden. Diese Anbindung an die Wissenschaft hält Charles Green für willkürlich. “Die daraus resultierende Abkehr von künstlerischen Genealogien ist der Grund für die schwankende, zwischen Scheu und Amnesie oszillierende Beziehung, die die Kunstwelt mit der neuen Medienkunst hat.” Die strategische Entscheidung Ascotts, die neue Medienkunst aus dem Kontext von Galerien und Museum zu lösen und an die Universität und die Forschung anzubinden, hat sich für einige Generationen von Künstlern als abträglich erwiesen. Noch einmal Charles Green: “Weil neue Medien sich nur teilweise selbst als Kunst betrachten, haben ihre Bewohner einen irgendwie rührenden und definitiv naiven Glauben entweder an die Kunst oder an ihre Unwichtigkeit.”

Gemäß der Concorde-Analogie hat die neue Medienkunst ihre Karte auf eine enge Allianz mit Wissenschaftlern und Ingenieuren gesetzt. Der Fehler besteht in der Vision, den Künstler als Entwickler in einer Laborsituation zu denken, und den Plan zu entwickeln, ein ganzes Kunstgenre, einschließlich seiner Institutionen, Festivals, Ausstellungen und Bildungsprogramme an dieser Wissenschaftsreferenz zu orientieren. Was dabei übersehen wurde,  war die hohe Geschwindigkeit, mit der Computer die Gesellschaft durchdringen und alle Kunstformen beeinflussen würden. Eben diese Demokratisierung der Computernutzung hat die neue Medienkunst schließlich als eigene Kategorie überflüssig werden lassen. Hier ist auch eine ‘Versöhnung’ mit Gebrauchselektronik nötig. Viele haben darauf hingewiesen, dass der Zugang zu Geräten zumindest in Wohlstandsgesellschaften immer unproblematischer wird. Während die Preise fielen, erhöhten sich die Kapazitäten der Rechner ständig. Dieser Umstand lässt es fragwürdig erscheinen, ob besondere Einrichtungen für neue Medien in Kunstschulen und Museen geschaffen und weiter unterhalten werden sollen. Was nötig bleiben wird, ist eine spezifische Ausbildung und technischer Support bei der Konzeption und Herstellung von vernetzten Arbeiten, Videos und Installationen. Das aber gehört zu einer Diskussion im Kontext der ‘freien Kooperation’, da die meisten zeitgenössischen Arbeiten in Teams produziert werden. Das Ideal des Genies, der Myriaden von Programmiersprachen und Betriebssystemen beherrscht, ist eine Idee der Vergangenheit.

Der Künstler und Erfinder der “Neuroästhetik” (26), Warren Neidich, betont die Antihaltung der ersten Generation von Medienkünstlern, die den Kunstmarkt anfangs ignorierten. “Als Fluxus und frühe Klang- und Videokunst anfingen, gab es kein Geld in dieser Szene. Diese Künstler waren gegen das Establishment und tendierten bewusst zu diesen Ausdrucksformen, um Widerstand gegen das zu leisten, was sie als Establishment empfanden. Diejenigen, die Kunst und Wissenschaft miteinander verbinden, und die Gruppen, die sich mit neuen Technologien beschäftigen, kommen aus der entgegengesetzten Richtung. Ihre Enttäuschung ist kaum verwunderlich.” Für Warren Neidich muss Kunst eine Form des Widerstands sein. Technologie ist nur ein weiteres Werkzeug, kein Ziel an sich. Neidich: “Modernistische Künstler haben aus vielen Gründen Technologien benutzt. Erstens, weil neue Technologien die Möglichkeit eröffnet haben, die Morphologie und Produktionsmethoden von Kunstwerken zu verändern. Norman Bryson schreibt, es sei die Erfindung numerierter Bleistifte mit verschiedenen Härtegraden gewesen, die es Ingres erlaubte, auf seine Weise zu zeichnen. Die Rückwirkung neuer Technologien auf künstlerische Diskurse destabilisierten die dynamischen Verbindungen zu den faktographischen Beziehungen der ästhetischen Form. ‘Nude descending a staircase’ und die Arbeiten der Futuristen sind ein Beispiel dafür.” Für Neidich haben sich die neuen Medienkünstler an den Möglichkeiten der neuen Technologien berauscht. “Vielleicht sollten Künstler Technologie nicht zur eigentlichen Ursache für die Erstellung einer Arbeit fetischisieren. Selbst wenn die Apparatur ein wesentlicher Gesichtspunkt ihrer Arbeit war, wie bei den frühen Experimentalfilmen der Sechziger von Stan Brakhage oder Jean Luc Godard, geschah dies im Kontext eines Verlangens, die sozialen, politischen, ökonomischen und psychologischen Beziehungen ihrer Zeit auszudrücken, in die diese Technologien eingebettet waren.”

Digitale Kultur wird dann für Neidich interessant, wenn Kunst Technologie versteckt, statt sie zu betonen, und sich auf das Gespräch konzentriert, das sie mit ihrer kulturellen Umgebung führt. Dazu kann für Neidig auch die Wissenschaftskultur zählen. Aber dann, so warnt er, müsse Wissenschaft als Readymade in den White Cube importiert werden, in jene Black Box, in der sie sodann als Neues in Beziehung auf die Geschichte ästhetischer Fragestellungen und der Kunstgeschichte erscheint. “Wer sich als Künstler bezeichnet, muss die Sprache eines Künstlers sprechen. Zu viele, die mit neuen Medien arbeiten, haben das vergessen. Da draußen ist ein ständiges Gespräch im Gang, das Künstlern untereinander und mit der kulturellen Öffentlichkeit führen. Derzeit handelt dieses Gespräch zum Beispiel vom Handgemachten. Wie können neue Medien zu einem Objekt sprechen, das manuell geschaffen worden ist? Damit die neue Medienkunst überleben kann und für die Kunstwelt interessant wird, muss sie der Frage Beachtung schenken, welches Thema gerade verhandelt wird und wie sie an dieser Konversation teilnehmen kann. Ich spreche hier nicht vom Kunstmarkt, der eine Obsession digitaler Künstler zu sein scheint, weil sie von ihm auf gewisse Weise ausgeschlossen sind. Der Grund liegt nicht in digitaler oder in medialer Praxis, sondern in der Tatsache, dass diese nicht die Anliegen anspricht, für die sich Künstler interessieren, die mit anderen Medien arbeiten. Obwohl Malerei und figürliche Darstellung derzeit heiß sind, sind die Echos dieses Trends auch in der Bildhauerei, in Installationen, in der Fotografie, in Videos und tatsächlich auch in digitaler Kunst zu spüren. Viele digitale Künstler sind sich dessen natürlich bewusst.”

Nötig ist einer Erneuerung der Geringschätzung für ‘digitale Kunst’. Warren Neidich: “Bis vor kurzem haben Künstler zwischen ‘hochkultureller’ Kunst und kommerzieller Kunst unterschieden. Digitale Kunst, nicht Medienkunst, war von Anfang an eine Art kommerzieller Kunst. Wenn man sich die ‘kreativen Industrien’ ansieht, in denen viele Künstler arbeiten, die zum Bereich ‘Kunst und Wissenschaft’ zählen oder sich durch die Arbeit mit neuen Technologien definieren, wird deutlich, dass das eine der natürliche Ausleger des anderen ist. Neue Medienkünstler können nicht beides haben. Sie können nicht einerseits behaupten, die Welt sei eine Assemblage globaler Ströme und transdisziplinärer Praktiken, und sich andererseits ganz ahistorisch auf sich selbst als die einzig rechtmäßigen Autoren zurückziehen. Denn als solche nehmen sie die modernistische Trope des Medienspezifischen in Anspruch. Hier gibt es also einen Widerspruch.” Tatsächlich wäre es interessant, die neue Medienkunst als kunsthandwerkliche Bewegung zu redefinieren. Das Problem eines solchen Ansatzes besteht darin, dass die neue Medienkunst bis dato für die meisten ihrer Protagonisten ein finanzielles Fiasko gewesen ist.

Das Coole Obskure überwinden
“Alles verändert sich, außer den neuen Medien.” (Nach Paul Valery). Bevor wir die nächste Technokunstwelle in Gang setzen wie zum Beispiel ‘locative media’ müssen wir eine Möglichkeit finden, das ‘coole Obskure’ zu vermeiden. Auf den ersten Blick scheinen das Coole und das Obskure im Gegensatz zueinander zu stehen. Das Coole ist da draußen, auf der Straße, während sich das Enigmatische versteckt, sorgfältig darauf achtend, sich nicht zu sehr zu exponieren. Virilios Ausstiegsprogramm ist sein Museum der Zufälle, das mit negativen Monumenten wie Auschwitz und Hiroshima, aber auch Tschernobyl und dem World Trade Center gefüllt ist. Seine Strategie ist radikal verschieden vom Versuch, Akzeptanz für die neue Medienkunst zu schaffen, damit diese endlich in die Tempel der Hochkultur aufgenommen wird. Zufälle wirken jedoch auch innerhalb des Schemas der zeitgenössischen Kunst, das die Kunst sprengen muss. Die Stärke der neuen Medienkunst ist ihr Wille, nachzuforschen, ihre Neugier, die über die Konvention hinausgeht, Konventionen brechen zu müssen. Freie Software könnte sich als Inspirationsquelle erweisen, das sie die Unzufriedenheit über und den Antagonismus gegenüber Monopolen wie demjenigen Microsofts hinter sich lässt. Gebastelt wird hier nur mäßig, insofern nicht behauptet wird, damit Neues zu erschaffen. Die Bastelei muss sich auch nicht auf das Lösen von Problemen konzentrieren, wie Judith Donath vom MIT feststellt. (27) Die Erkenntnis, dass neue Medien oftmals mehr Probleme erzeugen, als sie zu lösen behaupten, ist weithin akzeptiert. Es gibt einfach zuviele Bugs. ‘Unfertig’ ist geradezu die Definition der Ästhetik digitaler Medien, wie Peter Lunenfeld bereits festgestellt hat. (28)

Im Zeitalter der historischen Avantgarde war Obskurität ein Werkzeug der Bewegung, um ihren Widerstand gegenüber der Öffentlichkeit auszudrücken. Wichtiger als der ‘gemeine Mann’ und seine Feindschaft der neuen Kunst gegenüber ist der taktische Gebrauch von Idiomen, um sich von vorherigen Generationen zu unterscheiden. Laut Renato Poggioli ruft uns diese Tendenz die Theorie des jungen Nietzsche in Erinnerung, die besagt, die Metapher sei dem Verlangen einer Gruppe von jungen Leuten geschuldet, die sich durch eine Art Geheimsprache abgrenzen wollte. “Ihre Sprache müsste sich dem Idiom der Prosa entgegenstellen, weil ebendiese das Kommunikationsmittel der alten Generation war.” (29) Mit Ausnahme einiger weniger Aktivisten der Kommunikationsguerilla hat die neue Medienkunst einen solchen Trieb vermissen lassen. Ihre Obskurität war vorgegeben, sie erwuchs aus ihrem tragischen Schicksal und war also absichtslos. Der hermetische Charakter vieler Arbeiten verbirgt keine geheimen Botschaften, die nur von nachfolgenden Generationen oder anderen Zivilisationen enthüllt werden können. Ihre Experimente wollen oft zuviel erreichen, schlagen gleichzeitig mehrere Schlachten mit dem Fernsehen und der Malerei, mit Popkultur und Politik, während sie sich außerdem noch mit Fragen des Schnittstellendesigns, mit Netzwerkarchitekturen, der Macht des Code und so weiter auseinandersetzen. Dieser beinahe inhärente Trieb, das multimediale Gesamtkunstwerk zu schaffen, hat das narrative Element auf Eis gelegt und es den Künstlern schwer gemacht, Klarheit zu erreichen. Das Resultat sind gut aussehende Arbeiten, deren Vielzahl von Absichten unglücklicherweise aber obskur bleibt.

“Künstler, die mit neuen Technologien arbeiten, erfinden oft aus Notwendigkeit Neues. Es ist kaum unsere wichtigste Motivation, es passiert einfach”, schreibt Michael Naimark in seinem Rockefeller Report über neue Medienkunst und Nachhaltigkeit. “Wir befinden uns an einem Wendepunkt. Wir haben eine klare Vorstellung davon, was nicht funktioniert, aber wenig Ahnung davon, was funktioniert.” Naimark schließt daraus, dass Patente keine realistische Einkommensquelle für Kunstlabore sind, und favorisiert daher eine ankreuzbare Option auf amerikanischen Steuerformularen: “Ich unterstütze / unterstütze keine merkwürdige und schwierige Kunst.” Bislang haben die Dotcom-Millionäre, die den Weg der Philanthropie gegangen sind, kein Interesse an zeitgenössischer, geschweige denn technologischer Kunst gezeigt. Kunst sollte eine Kultur befördern, die den Wert von Debatten kennt, sagt Naimark. Die Werkzeuge, die wir schaffen, könnten die Welt radikal umformen. Aber sie tun es nicht. Beschäftigt man sich mit der Rolle, die Künstler in Hunderten von so genannten Web 2.0-Anwendungen gespielt haben, so stellt man fest, dass ihr Beitrag minimal war. Künstler, die teure und proprietäre VR-Installationen entwickelt haben, die einzig für das Museum gebaut wurden, haben in der Tat keinerlei Rolle gespielt in der lebhaften Diskussion darüber, wie Mobiltelefone und das Internet die Gesellschaft verändern.

Der Papst ist nicht länger der Patron der Kunst. Es gibt keinen Bedarf für kathedralengroße immersive Umgebungen mehr. Die Gesellschaft ist auf der Höhe der Technoutopie – jetzt ist es für die Künstler an der Zeit, sich neu zu orientieren. Die neue Medienkunst muss sich heute mit der Miniaturisierung real existierender Geräte bis zu einem Punkt der Unsichtbarkeit auseinandersetzen. Dieser Umstand platziert die Frage der Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine, die so viele virtuelle Künstler umgetrieben hat, in einen neuen Kontext – weg vom immer noch schweren, ‘maschinistischen’ Aspekt und seinen (post-)industriellen Referenzen, hin zu einem genaueren Verständnis des ‘Manuellen’ (also auf die Hand bezogenen). Softwarekunst ist ein anderer Ausweg. Virtuelle Realität als visuelles Gesamtkunstwerk hat sich als idealer geschlossener Kreislauf für Theoretiker und Kunsthistoriker erwiesen. Sie haben alle Indizien entdeckt, die dort von den Erfindern versteckt worden waren. Inzwischen sind alle Referenzen von Lascaux bis Richard Wagner gefunden worden. Die Informationstechnologie hat sich in eine andere Richtung entwickelt. Ausgehend von den außergewöhnlich ‘heiligen’, barocken 3D-Installationen hat sie sich auf gewöhnliche, ‘säkulare’ Mobilität zubewegt – und Computer in den Alltag integriert. Wir sind von den Wunderkammern ausgehend, die einst Aristokraten und später den bürgerlichen Klassen gehörten, bei Jan-Steen-Szenerien des 21. Jahrhunderts angelangt: die Emails checken, während man den Abwasch macht, iPod hören, während man Fahrrad fährt, SMS verschicken, während man mit der U-Bahn unterwegs ist. Wir werden Zeugen einer radikalen und rapiden Demystifizierung von Technologie, die zu einer neuen Form der Intimität führt, die sich dadurch auszeichnet, dass Menschen aus allen Schichten gelernt haben, mit Geräten umzugehen, die nicht länger fremde Objekte sind. Die Herausforderung besteht jetzt darin, zwischen Ermächtigung und Kontrolle zu navigieren, weil neue Medien, das ist deutlich, beides ermöglichen.

Was überwunden werden muss, ist die Kultur des unabgeschlossenen Experiments. Was einige als Feier der Freiheit des Ausdrucks und der Autonomie der Kunst sehen, beurteilen andere als die Unreife und Inkompetenz eines maroden Sektors. Fehlen der neuen Medienkunst rigorose Arbeiten? Oft ist es die Multiplikation verschiedener Experimente innerhalb einer Arbeit, die ihr Resultat als schlecht konzipiert erscheinen lassen. Das führt zu einer wachsenden Ungeduld der Rezipienten, die zum Schluss kommen, dass die ‘Suche nach einer Form’ nicht ewig dauern kann. Es gibt eine wachsende Intoleranz dem Unfertigen gegenüber. In einer reichen und dichten visuellen Kultur ist es selten, neue Bilder zu sehen und von unerwarteten Klängen überrascht zu werden. Hin und wieder kann der Technologiesektor mit einer noch nicht gesehenen neuen Eigenschaft aufwarten, aber Power User gewöhnen sich an das Ungehörte innerhalb von Wochen, wenn nicht Stunden. Es wäre daher eine Herausforderung für die neue Medienkunst, Arbeiten bis an ihre Grenzen zu treiben. Jemand muss sie aus der Betaphase herausholen, in der sie stecken geblieben sind, und den Künstler dazu ermutigen, die Arbeit weiter zu entwickeln. Oft geht es dabei nur darum, der Erzählung und ihrer Bedeutung einen letzten Schliff zu geben  (auch wenn es sich beim Inhalt selbst um Technologie handelt). Gebraucht wird radikale Klarheit in Bezug auf die Balance zwischen Form und Inhalt. Ein solcher ‘Trend’ würde nicht notwendigerweise Kommerzialisierung und Kooptierung bedeuten. Wir brauchen also nicht weniger ‘Laborkunst’, sondern ganz einfach bessere Ergebnisse. Digitale Arbeiten sind niemals fertig, und während manche dies als Vorteil betrachten, lehnen andere die Kultur der vorzeitigen Veröffentlichung ab.

Was Fred Camper über den Avantgardefilm sagte, gilt auch für die neue Medienkunst. “Ein Avantagardefilm spricht jeden Zuschauer als einzigartiges Individuum an, wendet sich an ihn in der Isolation der Masse, lädt ihn ein, den Film gemäß seiner eigenen, besonderen Wahrnehmung zu betrachten.” (30) Ein solche Haltung ist für Camper das Ergebnis der “individuierenden Techniken, die den Akt der Wahrnehmung eines Films zum Teil seiner Erfahrung machen”. Der Künstler, der auf einer vielbefahrenen Straße fährt, aber den Anspruch erhebt, sein Medium neu zu erfinden, muss in Betracht ziehen, was passiert, wenn Experimente sein Publikum weiterhin überzeugen. Sich auf immer neue Plattformen und Gadgets zu stürzen, nährt nur den Verdacht eskapistischen Verhaltens. Camper rät: “Es ist hoffnungslos selbstzerstörerisch, etwas Großes schaffen zu wollen, wenn man einen Film macht. Man kann oft ein großes Ziel erreichen, indem man in den kleinstmöglichen Begriffen denkt.”

Man könnte behaupten, dass sich neue Medien an den höchsten und stärksten Formen des Ausdrucks ausrichten sollten. Statt nach drinnen zu horchen, wird ein älterer Bruder, eine ältere Schwester gebraucht. Solche Referenzpunkte müssen identifiziert werden, und sie sind nicht in jeder Situation und in jedem Genre dieselben. Das zumindest ist klar: Es ist nicht per Definition die bildende Kunst. Im niederländischen Kontext etwa wären dies Architektur und Design. In Australien wären es der Film und die Cultural Studies. In London wären es Musik und bildende Kunst, in Berlin die Techno-Club-Szene. Das Theater mit seiner reichen Tradition und seiner soliden Infrastruktur wäre ein weiterer Kontext, in dem Experimente mit neuen Medien gedeihen können. Digitale Technologien haben eine enorme Aufnahme in der Mode erfahren, ein Trend, der bis jetzt von den neuen Medien ignoriert worden ist. Nach einer ängstlichen Dekade hat die Fotografie im Großen und Ganzen den polarisierenden Gegensatz zwischen der analog-chemischen Prozedur und der digitalen Bilderzeugung aufgegeben. Inzwischen ist es auch weithin anerkannt, wie nützlich Schallplatten aus Vinyl und Plattenspieler sind – zum einen wegen der ‘flachen’ und ‘scheppernden’ Klangqualität der CD, zum anderen wegen des fehlenden zufälligen Zugriffs auf die Oberflächen von CDs, den Platten garantieren, ganz abgesehen von der Allgegenwart von MP3-Dateien.

Etliche Maler haben Laptops und Projektoren in ihren Ateliers, um Bilder vorab komponieren zu können. Der Widerspruch zwischen ‘realen’ Objekten wie der Leinwand, dem Druck oder einer DVD und der künstlichen Natur des Virtuellen ist zu einer Farce geworden – dieses Argument ist tot. Der Sieg des Digitalen und die Ankunft eines ganz eigenen Gefüges postdigitaler Erfordernisse in allen Disziplinen und Lebensbereichen wird, traurigerweise, nicht der neuen Medienkunst gutgeschrieben, einem Etikett, das am besten vergessen werden sollte. Wenn ‘neue Medien’ eine Überlebenschance haben, dann in Gestalt von ‘Material-Bewusstsein”. Denn neue Medienkunst spricht im besten Fall von den zugrundeliegenden Prämissen und Störungen der Netzwerkapparate, die wir Tag und Nacht benutzen. Ohne dieses kritische Bewusstsein treiben wir im kollektiven Unbewussten der Mediensphäre.

[1] Peter Sloterdijk: Im Weltinnenraum des Kapitals, Frankfurt am Main:
Suhrkamp Verlag, S. 18.

[2] Armin Medosch fragt in seiner Besprechung von ISEA 2004, die auf der Ostsee stattfand: “Worum geht es in dieser Medienkunstszene? Eskapismus? Gehen wir überhaupt irgendwo hin, oder treiben wir nur? Sitzt irgendwer noch am Steuer dieses Schiffs? Die wohlbekannten Anschuldigungen wegen der selbstreflexiven Natur der Medienkunstdiskurse, die Klagen über das Ghetto, die komfortable Blase der Medienkunst hören nicht auf. Während man den Zirkus von Station zu Station, von der Transmediale zur Futuresonica zur ISEA weiterziehen sieht, wächst der Verdacht, dass das ‘neu’ in ‘neue Medien’ es uns erlaubt, in einer Form von historischer Amnesie von einem Thema zum nächsten weiterzuspringen. Was kommt nach der Hyperventilierung des Drahtlosen, Generativen, Lokativen? Mir scheint, dass die wirklichen Entwicklungen von sukzessiven kommerziellen und technischen ‘Revolutionen’ diktiert werden und die Medienkunst nur auf diesen Wellen surft.” URL: http://www.metamute.org/?q=en/The-Wireless-Loveboat-ISEA-2004

[3] Ein frühes Fragment dieses Essays erschien online: http://www.media-culture.org.au/0308/10-fragments.html. 2004/2005 habe ich einen ersten Entwurf geschrieben, der in “Empire, Ruines and Networks”, herausgegeben von Scott McQuire und Nikos Papastergiades (Melbourne University Press, 2005), erschien. Ich habe außerdem einen Text über dasselbe Thema benutzt, der sich auf die australische Fibreculture-Debatte konzentrierte. Er ist im baskischen Kunstmagazin Transition (Nr. 57, 2005) unter dem Titel “New Media, Technology and the Arts, Unhappy Marriage or Perfect Synthesis” erschienen. Dank an Ned Rossiter, Trebor Scholz, Andres Raminez Gaviria, Henry Warwick, Anna Munster and Scott McQuire für kritische Kommentare.

[4] Für eine ausgedehnte Debatte über die Vorteile des Begriffs der neuen Medien siehe Lev
Manovich: The Language of New Media, MIT Press, Cambridge (Mass.), 2001, S.
27-61.

[5] http://www.cultureandrecreation.gov.au/articles/newmedia/

[6] Boris Groys: Topologie der Kunst, Hanser Verlag, München, 2003. S. 59 “Je mehr die neue Medienkunst, also die Kunst, die mit bewegten Bildern operiert, Eingang in die Museen findet. Desto mehr verbreitet sich das Gefühl, daß die Institution Museum dadurch in eine Krise gerät.”

[7] Charlie Finch (Artnet) über Chris Kraus’ Buch über die Kunstszene in Los Angeles: Video Green, Semiotexte, Cambridge (Mass.), 2004.

[8] Wikipedia: “Intermedia war ein Konzept, das Mitte der Sechziger vom Fluxus-Künstler Dick Higgins angewandt wurde, um die unbeschreiblichen, oft verwirrenden interdisziplinären Aktivitäten zu beschreiben, die zwischen den Genres entstanden, die in den Sechzigern vorherrschend waren. Die Zonen zwischen Zeichnung und Lyrik, zwischen Malerie und Theater konnten so als intermediär beschrieben werden. Wenn sie vermehrt auftraten, konnten neue Genres zwischen Genres ihre eigenen Bezeichnungen entwickeln, etwa visuelle Poesie oder Performance Kunst.”

[9] Zum Beispiel Eric Kluitenberg: Media Without an Audience, nettime, 19. Oktober 2000. Siehe auch: http://subsol.c3.hu/subsol_2/contributors0/kluitenbergtext.html

[10] Georgina Born: Rationalizing Culture, IRCAM, Boulez and the Institutionalization of the Musical Avant-Garde, Berkeley, University of California Press, 1995, S. 4. Danke an Timothey Druckrey für den Hinweis.

[11] Born, S. 314

[12] Pionierarbeit wurde von Sarah Cook und Beryl Graham mit ihrem CRUMB-Projekt geleistet. URL: http://www.newmedia.sunderland.ac.uk/crumb/phase3/index.html

[13] Chris Crawford: Interactive Storytelling, Berkely, New Riders Press, 2004, S. 73. Dank an Richard de Boer für dieses Zitat.

[14] Crawford, S. 75.

[15] Poggioli, S. 138.

[16] Siehe: C.P. Snow: The Two Cultures, Canto Books, Cambridge, 1993 (1959).

[17] Siehe John Brockmann: The Third Culture New York, Simon & Schuster, 1995 und seine Website http://www.edge.org/

[18] In einer privaten Korrespondenz verweist der Melbourner Kunsttheoretiker Charles Green auf die “Macht des Booms, der in der zeitgenössischen Kunst weiter anhält, besonders in den USA, in Europa und nun auch in China. Kunst folgt dem Geld. Beide sind eher an die Mainstream-Medien als an die neuen Medien angeschlossen. Es gibt viel Geld, und die Kunst passt sich an. Die schiere Größe des Markts der zeitgenössischen Kunst ist kaum zu glauben, wobei es aber keinen Zweifel gibt, dass es früher oder später einen Crash geben wird. Dennoch bedeutet die Größe dieses Sektors, dass die Zahl der Überlebenden groß sein wird.” (April 27. 2006).

[19] Jean Baudrillard: The Conspiracy of Art, Semiotexte, Cambridge (Mass.), 2005, S. 55.

[20] Eric Kluitenberg auf Spectre, 27. August 2005.

[21] Timothey Druckrey auf Spectre, 15. September 2005.

[22] Judith Rodenbeck, auf der iDC-Mailingliste, 5. Oktober 2005.

[23] Interpretation von Giacco Schiessers Essay “Arbeit am und mit
Eigensinn”. URL: http://www.xcult.org/texte/schiesser/eigensinn_d.pdf

[24] Ebenda, S. 10

[25] Dieses und das folgende Zitat aus Charles Green: “The Visual Arts: an Aesthetic of Labyrinthine Form,” in: Innovation in Australian arts, media and design: Fresh Challenges for the Tertiary Sector, herausgegeben von R. Wissler, Flaxton Press, Sydney, 2004.

[26] Siehe: www.artbrain.org. Neidich über seine Arbeit: “Neuroästhetik als Methodologie, die nun von Neurobiopolitik und Post-Phänomenologie handelt, importiert die Neurowissenschaft in die Ästhetik und benutzt sie als Readymade.” Die Zitate stammen aus einer Email-Korrespondenz mit dem Künstler vom 20. Mai 2006.

[27] Zitiert in Michael Naimark: Truth, Beauty, Freedom and Money-Technology-Based Art and the Dynamics of Sustainable. www.artslab.net

[28] Peter Lunenfeld (Hrsg.), The Digital Dialectic, MIT Press, Cambridge (Mass.), 1999, S. 7; zitiert von Frieder Nake: Und wann nun endlich ‘Kunst’ – oder doch lieber nicht, in: Claus Pias (Hrsg.): Zukünfte des Computers, Diaphanes, Zürich-Berlin, 2005, S. 51.

[29] Poggioli, S. 37.

[30] Fred Camper: End of Avant-Garde Film, Millennium Film Journal, Nr. 16/17/18, Herbst/Winter 1986-87, S. 100-101. Die Parallelen zwischen Campers Beschreibung und der Krise der neuen Medien sind deutlich. Camper beschwert sich über Akademismus, er lehnt das Lehren von ‘Avantgarde-’ oder ‘experimentellem Film’ ab. Bessere Möglichkeiten durch Dozentenjobs, Stipendien und Vorträge “wurden nicht von größerer sozialer Wirkung der Arbeiten begleitet”. In den Achtzigern sanken die Zuschauerzahlen drastisch. Arbeiten der neueren Generation “fehlt die authentische Kraft des Originals”, was in meinen Augen für die neue Medienkunst nicht zutrifft. Das Problem besteht nicht im Untergang einer Bewegung, sondern in der freiwilligen Schließung, die die neue Medienkunst davon abgehalten hat, überhaupt zu einer Bewegung zu werden.