Die Autobahn im R¸ckspiegel Es war einmal, vor langer Zeit, in den wilden Jahren der Theorie, eine neue Zeitschrift namens "Tumult", die selbstbewuþt mit dem Untertitel "Zeitschrift f¸r Verkehrswissenschaft" prahlte. Nat¸rlich wurde die gew”hlte Verkehrsmetapher nicht n”her erkl”rt. Das war ja genau der Zweck, als Reaktion auf die ideologische Dogmatik der Zeit nach '68, die Fenster weit zu –ffnen und gut durchzul¸ften. "Tumult" sollte die deutsche Version des Pariser Theorieorgans "Traverses" werden. Ganz auf einer Linie mit Deleuze & Guattaris Rhizomen und den Theweleitschen Str–men stand der Begriff Verkehr f¸r eine Zirkulation von Ideen und Theorien, die gerade in Gang gekommen war. Selbstverst”ndlich enthielt er auch einen Verweis auf die ebenso neue Wissenschaft von Paul Virilio, die Dromologie oder Lehre von der Geschwindigkeit, die ebenfalls durch den Merve- Verlag in Deutschland eingef¸hrt wurde. Vielleicht dachte das Publikum bei Verkehrswissenschaft auch an die Roadmovies von Wenders, an Godards "Weekend", Jack Kerouacs "On the Road" und Kraftwerk... "Vor uns liegt ein weites Tal, die Sonne scheint mit Glitzerstrahl, die Fahrbahn ist ein graues Band, weiþe Streifen, gr¸ner Rand. Wir fahr'n, fahr'n, fahr'n auf der Autobahn." Das Wesentlichste war, daþ diese Wissenschaft ein nicht n”her definiertes Gebiet bildete, welches jeder nach Belieben f¸llen konnte. Man konnte es notfalls auch als einen freiz¸gigen Sammelbegriff f¸r "die zweite Kultur" betrachten, f¸r verschiedene gesellschaftliche Bewegungen, wie den Geschlechtsverkehr, den Geld- und Warenverkehr, die zirkulierenden Bilder in Film und Fernsehen. Wollte diese Wissenschaft die Semiotik auf eine h–here Ebene bringen? Dem Verkehr schwebte jedenfalls eine freie Bewegung ohne direktes Ziel oder direkten Endpunkt vor, weg aus den festgerosteten Disziplinen: Denken ohne Hindernisse. "Traverse: Seitenstraþe, Querverbindung, die k¸rzer ist als der Hauptweg oder die an einen Ort f¸hrt, zu dem der Hauptweg nicht f¸hrt." (Tumult 1) Der Charme dieses Verkehrsdenkens liegt darin, daþ es die Subjektivit”t als letzte Erkl”rung verwirft und das Objekt - in diesem Fall das Verkehrssystem - als Ausgangspunkt nimmt. Nach einigen Ausgaben verkaufte Merve die Zeitschrift. Von der Verkehrswissenschaft hat man nichts mehr geh–rt. War die Sammelbezeichnung zu hoch gegriffen, das Verlangen nach purem Verkehr ersch–pft? Die Kunst- und Kulturmanager, Kritiker und Akademiker konnten jedenfalls nichts damit anfangen. Sie trieben Begriffe wie 'Postmoderne' und 'das neue franz–sische Denken' fleiþig voran. Was die Verkehrswissenschaft angeht sind wir wieder am Anfang. Der Begriff wird genau wie zuvor mit Verkehrsfragen, dem Planen von Wegen und –ffentlichem Transport, kurzum einer sozialtechnischen Verwaltungswissenschaft assoziiert, ¸ber die nur wenige etwas wissen. Die Verkehrswissenschaft ist nun lediglich ein pragmatisches Sammelsurium aus St”dtebau, Kybernetik, Verwaltungswissenschaft, Psychologie und Statistik, geteilt in ein b¸rokratisches und ein engagiertes Lager. Niemand wartet mehr auf eine tumult–se Verkehrstheorie. Der gesellschaftliche Verkehr ist so schon groþ genug, man kann 'es' kaum noch verkraften. Der Verkehr im engeren Sinn wird immer schlimmer und allein bei dem Wort f”ngt man schon an zu seufzen und zu ”chzen. Eine potentiell allumfassende Theorie kommt heutzutage schnell etwas zu freischwebend, amateurhaft, ja sogar arrogant an. Und Verkehr als solchen findet man zu undifferenziert und unverbindlich. Ðberdies gibt es so etwas wie Systemtheorie, f¸r Menschen, die so etwas brauchen. Das freie Drauflosphantasieren ¸ber den Verkehr hat dem pers–nlichen und gesellschaftliches Management von getrennten Verkehrsstr–men Platz gemacht. Die Verkehrsm¸digkeit in der Theorie ist deutlich am k”rglichen Analyseniveau des selbstverst”ndlichsten Verkehrs zu sehen, dem ¸ber Land. Nun, da der 'Verfall' des –ffentlichen Raumes rundherum zugegeben und beklagt wird und die Straþe ausschlieþlich von Vandalen, Dieben und Obdachlosen plus der n–tigen Polizei, Straþenkehrern und Ðberwachungsdiensten bev–lkert scheint, zieht auch die Theorie sich zur¸ck und gibt sich mit dem Studium der Kunst, Literatur und andersgearteter Daten zufrieden, oder spiegelt sich im Bildschirm. Was geschieht denn letzten Endes noch auf der Straþe? Der –ffentliche Raum ist entweder eine drohende, unsichere Leere voller Verkehrsstaus und auftauchenden Gefahren, oder ein (zeitweiliges) touristisches Ambiente f¸r programmierte Erlebnisse. Die Straþe muþ nicht mehr erobert werden, es geht nur darum, daþ andere, wie z.B. Neonazis, keinen Besitz von ihr ergreifen. Passanten und anderes Straþenvolk bilden eine potentielle Gefahr. Die ideale Straþe ist die der totalen Kontrolle ¸ber die Leere, ein reines Medium, das ungest–rt durchkreuzt werden kann. In den nostalgischen Wunschvorstellungen von einer R¸ckkehr der Gemeinschaft kommt die R¸ckeroberung der Straþe gar nicht vor. Die heutigen Pl”doyers f¸r eine kollektive Wiederbelebung diesen oder jenen Wertes (Familie, Nachbarschaft, Ethnizit”t, Region etc.) stellen das Identit”tserlebnis in eine gesch¸tzte Umgebung. Das soziale Leben auf der Straþe soll nicht stimuliert, sondern noch weiter ausged¸nnt werden, damit kriminelle Elemente unmittelbar sichtbar werden. Die Vorstellung von der lebenswerten Nachbarschaft aus den siebziger Jahren hat einer permanenten S”uberungsaktion Platz gemacht, die alles auf der Straþe in Bewegung halten will, am liebsten ger”uschlos und –kologisch vertretbar. Durch das Ausbleiben einer allgemeinen Verkehrstheorie ist auch das Nachdenken ¸ber das Medium Autobahn in den achtziger Jahren nicht viel weiter gekommen. Man neigt dazu, den Verkehr der Straþe zu historisieren, wie Wolfgang Sachs es in seinem Buch 'Die Liebe zum Automobil' tut. Indem von der motorisierten Kutsche bis zur schalldichten, stromlinienf–rmigen Limousine mit einer linearen Entwicklung argumentiert wird, stagniert in der Gegenwart so manche Analyse und schl”gt in einen Klagegesang um. Das Zelebrieren dieser Krise geht mit einer Nostalgie nach den sorglosen Jahren des Wiederaufbaus einher, "in der das Fahren noch Spaþ machte." Das Auto spricht die Phantasie nicht mehr an und kann in Museumsvitrinen beigesetzt werden. Diese Ðberzeugung, welche die Mitautomobilisten zum Umdenken anspornen will, ist vom Buþetun besessen. "Wir Deutschen haben m¸hevoll gelernt, uns zu sch”men angesichts der Folgen zweier von uns verschuldeter Weltkriege. Wir werden noch lernen m¸ssen, uns zu sch”men angesichts jener Entmenschung, die mit dem Automobilismus ¸ber uns gekommen ist." (Die Zeit) Die Verkehrsliteratur w¸rde am liebsten eine akute Krisenatmosph”re schaffen, weiþ aber nicht wie. Die apokalyptischen Visionen von noch mehr Autos und Straþen sind ausgelaugt, da wir uns schon lange inmitten des Kollaps zu befinden scheinen. Weil die automobile Modernit”t dennoch einfach weiter funktioniert und ungebremst weiterw”chst, werden die Verkehrskritiker ratlos. Der Untergang des Autolandes l”þt auf sich warten. Unterdessen arbeiten Obrigkeit und Industrie an verkehrsberuhigten Innenst”dten, recyclebaren Autos, Parkleitsystemen und der "intelligenten Straþe", auf welcher der Autoverkehr durch Datenverkehr gesteuert wird. Es kommt jedoch nicht zu einer "Ausstiegsdebatte" wie bei der Kernenergie - alle gut gemeinten Vorschl”ge scheinen in eine "Verbesserung der Autotechnik durch Technik" (Otto Ullrich) zu m¸nden. Die Autokritiker kennen den Mechanismus inzwischen. Helmut Holzapfel: "Die Warnung vor dem 'Verkehrsinfarkt' liegt im Interesse der auf noch breitere Straþen hoffenden Industrie." In einer Situation, in der Vorschl”ge sowohl f¸r kleine als auch groþe L–sungen die "freie Fahrt in den Abgrund" nicht wirklich beeinflussen, drehen sich die soziologischen Studien und Protestaufrufe im Kreis und verwandeln sich in ein diskursives Ritual, das, wie die Staumeldung, mit unbeirrbarer Regelm”þigkeit in den Nachrichtenmedien gebracht wird. Unter den Verkehrskritikern herrscht die landl”ufige Meinung, daþ "das Suchtproblem Auto nicht von Verkehrspolitikern und Technikern gel–st werden kann." Die Autosucht, mit dem Symptom des Staus, wird freilich, wie jede andere Sucht auch, verurteilt, aber die dahinterliegende Krankheit wird nicht erkannt, so die Behauptung der taz-Doktoren B–rmann und Sonnabend. Was wir nicht einsehen wollen ist "unsere Ohnmacht, unsere Schw”che und Minderwertigkeit, unseren Verlust der Kontrolle." Was ¸brigbleibt ist ein "Gef¸hl der Apathie, die selbst Kennzeichen der Suchterkrankung ist." Wenn nichts mehr hilft, muþ der Automobilist eben in Therapie. "Der Autofahrer von heute gr”mt sich und qu”lt sich, ist von Selbstzweifeln befallen und hilflos dem nagenden schlechten Gewissen ausgeliefert." Die L–sung liegt, folgt man den genannten Autoren, im altbew”hrten Gemeinschaftssinn. Das Individuum wird aufgerufen, vor allem "verantwortungsvoll am Ganzen mitzuwirken." Die Ver”nderung des Straþenlebens setzte in den dreiþiger Jahren ein. Nachdem die Straþe von politischen Gegnern ges”ubert war, kamen die Nazis mit ihren Pl”nen f¸r die Reichsautobahnen. Der Propagandafilm "Strassen ohne Hindernisse" von 1934 beginnt mit einer Aufz”hlung: die Straþendecke ist voller L–cher, es laufen G”nse ¸ber die Straþe und das holprige Kopfsteinpflaster, chaotische Beschilderung, spielende Kinder und chronische Straþenaufbr¸che sorgen daf¸r, daþ der wachsende Autoverkehr zum Stillstand kommt und schlieþlich auf dem Autofriedhof landet. Man zeigte eine unverhohlene Abneigung gegen die un¸bersichtliche Dichte und das Gewimmel auf den Straþen deutscher Metropolen. Einer der K¸nstler, die sp”ter in die Kategorie "Entartete Kunst" eingeordnet wurden, Max Beckmann, stellte das Straþengew¸hl kurz nach dem ersten Weltkrieg in seiner Serie Zeichnungen "Die H–lle" dar. Blatt 2 mit dem Titel "Die Straþe" wird kunsthistorisch folgendermaþen charakterisiert: "Das Blickfeld ist fast g”nzlich angef¸llt mit K–pfen und Gliedmaþen von Menschen, die sich vorn, in die Gegenrichtung und zu den Seiten bewegen und wenden. Ihre Bewegung erscheint ziel- und sinnlos, da sich begehbarer Raum zwischen ihnen nicht auftut: ein tumult–ses Geschehen, an dem Vertreter der verschiedenartigsten Gesellschaftgruppen teilnehmen, bei dem nahezu jeder f¸r sich bleibt und dessen Aberwitz sich in der faktischen Immobilit”t offenbart." Das gesellschaftliche Chaos wird hier als menschlicher Stau interpretiert. Motorisierte Fahrzeuge sind weder auf Platz noch Straþe zu erkennen, sie kommen nicht durch. Nur rechts unten im Bild steht eine Invalidenkarre. Walter Oswald schreibt 1937 im Nazi-Verkehrsfachblatt "Die Straþe": "Verkehrsadern, die beiderseits durch Zivilisationsm¸ll aller Art - marktschreierische Schilderwerbung, h”þliche Z”une, menschenfeindliche hohe Mauern oder Hausbauverbrechen gehirnkranker Architekten - von dem wirklichen deutschen Lebensraum abgetrennt sind, eignen sich nicht zum neuen Fahrterlebnis der Heimatraumfreude." Dem stellt er die harmonische Naturlandschaft gegen¸ber, mit der sich die St”dter aus ihren Autofenstern heraus bekannt machen. Nachdem man mit der ¸bervollen Straþe der Weimarer Republik, die man als Schauplatz politischer und –konomischer K”mpfe betrachtete, abgerechnet hat, kommen die Nazis mit einem leeren und sauberen Archetypus. "Die Straþe ist Anfang, ist Beginn; sie ist Gedanke, Begriff und Sinn. Die Straþe ist Ursprung, ist tr”chtige Saat, ist erster Baustein gewaltiger Tat." Aber die Motorisierung des Volkes blieb unter den Nazis vor allem ein Versprechen, ein erzieherisches Phantasma und M”rchen, das f¸r milit”risch-–konomische Ziele ideologisch eingesetzt wurde. Die Autobahnen hatten vor allem zum Ziel, die Bewegung aus der Stadt herauszubekommen. "Seit der Macht¸bernahme durch die Nazis wurde dem deutschen Proletariat Sport und Transport geboten," so Virilio. "Je mehr Massen unterwegs sind, umso weniger ergibt sich die Notwendigkeit zu groþen Repressionen; um die Straþe zu entleeren gen¸gt es, allen die Straþe zu versprechen." Der Auszug aus der Stadt ins weite Land sollte eine nationale Einheit herstellen, die durch ein Spinnennetz von Autobahnen verk–rpert wurde, eingezeichnet auf zahllosen Karten. Rudolf Hess 1934: "Richtig gezogene Verkehrswege sind feste Ringe, die das Volk und seinen ihm von Natur und Vorsehung gegebenen Raum binden zu unl–sbarer Einheit." Und so wurde mit der Reichsautobahn als Medium und den Kraft-durch-Freude-Wagen als Fahrzeug ein programmierter Nationaltourismus von oben befohlen. Die deutsche Volksmeinung ¸ber die Zeit des Nationalsozialismus, die man in Kneipen und auf der Straþe zu h–ren bekommt, l”uft zusammengenommen darauf hinaus, daþ "was Hitler mit den Juden machte, nicht gut war", aber "er hat jedoch die Autobahnen gebaut." Auschwitz hat den Deutschen bloþ Unannehmlichkeiten verursacht. Daþ Hitler daran nicht gedacht hat, werden ihm die Deutschen nie vergeben. Aber von den Autobahnen hat man wenigstens noch was. Es ist f¸r sie das einzige greifbare, positive Ergebnis einer Zeit, die man erfolgreich verdr”ngt hat, die jedoch st”ndig zur¸ckkehrt. Dieser dumme Nazismus dudelt immer weiter. Die Kritiker und das Ausland k–nnen n–rgeln wie sie wollen, die Deutschen haben immerhin noch ihre Autos und Autobahnen. Ein Ventil, das ihnen niemand nehmen kann und wo sie ungehindert, sei es auch nur f¸r den Moment, die Sau rauslassen k–nnen. Eine der ersten Analysen der kunsthistorischen Aspekte der Reichsautobahnen, geschrieben 1974 anl”þlich der Ausstellung "Kunst im 3.Reich - Dokumente der Unterwerfung" von Christina Uslular-Thiele, beginnt mit einer ”hnlichen Feststellung: "Geblieben ist uns die Erinnerung, daþ es Hitler war, der diese Autobahnen bauen lieþ. So wie Ernst Sch–nleben und all die anderen nationalsozialistischen Berichterstatter es verlangten: 'Die Aufgabe der Reichsautobahn besteht darin, Straþe Adolf Hitlers zu werden. Sie sind das erste Werk der Technik, das seinen Namen tr”gt. Ihm Ehre zu machen, nicht nur f¸r heute, sondern auf Generationen hinaus, das ist die h–here Aufgabe der Reichsautobahn', so ist uns die Autobahn geblieben als eine der wenigen 'guten' Taten des NS-Regimes." Gute Nazis, schlechte Nazis. Hitlers Autobahn scheint tief im kollektiven Unterbewuþtsein verankert; ihre sexuelle Verkehrsmetapher und volkseigene Ÿsthetik haben eine ungeahnte, schlummernde Kontinuit”t. W”hrend man bei Bildern, Texten und Verhalten die faschistischen Konnotationen schon aus einem Kilometer Entfernung zu erkennen meint, ist das bei den Autobahnen nicht der Fall. Es ist in Deutschland eine feste Gewohnheit, Denkm”ler zu beschmieren, aber der erste Anschlag auf eine v–lkische Autobahnbr¸cke steht noch aus. Die Autobahn ist von Hitler, aber dadurch nicht an und f¸r sich schlecht. Ðber das mythologische, auþerhistorische Wesen der Autobahn besteht der stillschweigende Konsens, n”mlich daþ es nicht existiert. Das sorgf”ltig angelegte Bossenwerk, die Durchblicke auf die Berglandschaft und die "Harmonie der Linienf¸hrung" sind unschuldig. Es scheint von einer antifaschistischen Gesinnung zu zeugen, die Geschichtsf”lschung korrigieren zu m¸ssen, daþ nicht die Nazis die Autobahn erfunden haben, sondern daþ die Pl”ne aus der Weimarer Zeit stammen und von der Industrie kommen. Ein fr¸her Autobahnlobbyist, einer der "ehrenwerten und anerkannten Demokraten" Kurt Kaftan, klagt anno 1955 in seinem "Kampf um die Autobahnen" dar¸ber, daþ die Autobahnen nicht nur in Deutschland, sondern auch von den Totalsiegerm”chten "vielfach mit dem Nationalsozialismus und seinen politischen Fakten identifiziert und allein als Mittel der Hitlerschen Eroberungsstrategie angesehen wurden, deren restierender Wert als Torso f¸r das geschlagene zerst–rte Deutschland nur noch problematisch sein kann." Doch kann er es nicht lassen, voller Stolz zu erw”hnen, daþ die "viel gel”sterten deutschen Autobahnen sicher das Einzige bleiben werden, was das 'Tausendj”hrige Reich' um tausend Jahre ¸berleben wird." Oder, wie Hitler beim 'ersten Spatenstich' sagte: "Wir werden daf¸r sorgen, daþ das Werk sich nicht mehr trennt von denen, die es geschaffen haben." Und das ist ihm gr¸ndlich gelungen, aller gutgemeinten Geschichtsberichtigung zum Trotz. In der Faschismustheorie spielen die Reichsautobahnen eine untergeordnete Rolle. Die "Straþen des F¸hrers" werden h–chstens als ein Besch”ftigungsprojekt betrachtet, eine diktatorische Planungsmaschinerie, die lautlos zum Bau von Betonbunkern am Westwall und an der atlantischen K¸ste ¸berging. Im Mercedes Benz-Buch der Hamburger Stiftung f¸r Sozialgeschichte stellt Karl-Heinz Roth die Autobahnen in den Rahmen der Motorisierung. Doch dieser Begriff ist bei ihm frei von jeder ideologischen Bedeutung. Nirgends in dieser Studie kommen die psychosexuellen oder ”sthetisch-politischen Aspekte des Autos zur Sprache. Die Motorisierung ist bei Roth kein dynamischer gesellschaftlicher Prozeþ, sondern auf eine nahezu statische Essenz reduziert: den Bau von Motoren. Das nationale Kapital auf den gemeinsamen Nenner der Motorisierung zu bringen geschah laut Roth unter dem Vorzeichen der Kriegsvorbereitungen. "Das Ziel war klar formuliert, mit Hilfe der Motorisierung der Wirtschaft den Durchbruch zur breiten Heeresmotorisierung zu erzwingen." Die Karosserie, die um den Motor gebaut wurde, zivil wie milit”risch, konnte jeden Moment ver”ndert werden, was auch geschah. "Der R¸stungsanteil der gesamten Produktion der Daimler-Benz AG hatte 1939 zwei Drittel erreicht." Das Autobahnnetz wurde nur zum Teil verwirklicht. Inmitten der Bauaktivit”ten, nachdem gut 3000 Kilometer fertiggestellt waren, warf man pl–tzlich alles hin, um an anderer Stelle in Europa alles kurz und klein zu schlagen. Was ¸brigblieb waren Ruinen und ein unfertiges Straþennetz, an dem bis heute, mit den Nazi-Bauzeichnungen in der Hand, weiter gebaut wird (wie in der Umgebung von Halle). Mit dadurch ist das Reichsautobahnprojekt de facto ein Miþerfolg. Hartmut Bitomsky, der 1985 hier¸ber eine Filmdokumentation f¸r den WDR III machte, faþt es b¸ndig zusammen: "Arbeit muþ nicht unbedingt einen Nutzen haben, aber die Leute m¸ssen mit irgendwas besch”ftigt werden." N¸chtern z”hlt er auf: "Der wirtschaftliche Nutzen war vergleichsweise gering. Der Effekt auf die Arbeitslosigkeit eher marginal. Die verkehrstechnische Bedeutung war ziemlich bescheiden: es fuhr kaum jemand auf der Autobahn - wer hatte schon ein Auto?" Und vor allem: "Die milit”rische Funktion der Autobahn war unerheblich. Die Wehrmacht konnte mit der Autobahn nichts anfangen." Bitomsky wird davon fast depressiv. "Immense Kosten, enorme Arbeit, gewaltige Anstrengungen: einfach verschwendet? Man str”ubt sich gegen solch einen Gedanken. So ein umfassendes wirtschaftliches Unternehmen kann nicht einfach sinnlos sein." Doch genau das ist es. Bitomsky ist der Erste, der das Fiasko der Reichsautobahn so knapp und klar formuliert. Obwohl dieselben Strecken nun eine t”gliche Realit”t f¸r Millionen Deutsche sind, ist im heutigen Fahrerlebnis von der ganzen aufgeblasenen Naziideologie nichts mehr zu sp¸ren. Bitomsky: "Die gesamte Anlage der Autobahnen muþte umgemodelt, erweitert oder abgebaut werden, um endlich einem Verkehrssystem Platz zu schaffen, an dem keine Ÿsthetik existiert - auch nicht die Ÿsthetik der Macht." W”hrend Historiker und Politiker emsig ¸ber den Wert des Reichsparteitagsgel”ndes in N¸rnberg, die Frage, ob Photos von Hitler ausgestellt werden d¸rfen, oder den Entwurf f¸r eine Berliner Holocaustgedenkst”tte diskutieren, rasen die Autos stur und eilig weiter ¸ber die "Kathedralen der Neuzeit", als ob sie von nichts w¸þten. Die Autobahn ist nun genau nicht das geworden, was die Nazis wollten, n”mlich ein Kulturdenkmal. Bitomsky und andere haben Anfang der achtziger Jahre im Rahmen der damals popul”ren "Spurensicherung" und "Geschichte des Alltags" viele Archive durchw¸hlt, Zeitschriften und B¸cher gelesen, mit ehemaligen Arbeitern gesprochen, Ruinen besucht und Propagandafilme angesehen. Bitomsky: "Die Autobahn wurde nicht nur als ein ”sthetisches Bauwerk geplant, sie wurde auch von Anfang an zum k¸nstlerischen Gegenstand gemacht." Hier handelt es sich um Sammelbildchen, Briefmarken, Ausstellungen, Spielfilme etc. "Ein eigenes Genre hat sich gebildet, eine Autobahnkunst, vergleichbar mit den Wolkenkratzern oder den groþst”dtischen Boulevards, die sich ebenfalls quer durch die K¸nste als ”sthetische Objekte fortgezeugt haben. Die Autobahn war das gr–þte deutsche Bauwerk, ein langes St¸ck Architektur ohne viel Zierrat und Ornament. Die Photos, B¸cher und Gedichte hielten als ihre Fassade her." Eine Ðbersicht dar¸ber gibt das Buch "Reichsautobahn - Analysen zur Ÿsthetik eines unbew”ltigten Mythos" von Rainer Sommer (Hrg.), 1982, das die Architektur von Autobahnbr¸cken, Tankstellen und Rastst”tten, das Genre der "Autobahnmalerei", die Ÿsthetik der Photographie und die Denkm”ler an der Autobahn behandelt. Auþerdem wurde eine Photoserie von Ruinen aufgenommen, den "letzten Zeugen die zur Zeit unter Planierraupen und einreiþenden Baggern verschwinden." Das Buch enth”lt die Warnung, daþ "eine Auseinandersetzung mit der Ÿsthetik der Reichsautobahn nicht als Suche nach der L–sung der heute anstehenden Probleme miþverstanden werden darf." Die gepriesene Sch–nheit des Autowanderns muþ dem heutigen Automobilist, der bei Autobahnen zuerst an Staus, Baustellen, Tempolimit, irritierende Mitverkehrsteilnehmer, die zu schnell oder zu langsam fahren, Massenkarambolagen, Urlaubsverkehr, die vielen Laster und, nicht zu vergessen, die Umweltverschmutzung denkt, merkw¸rdig vorkommen. Bitomsky: "Was die Nazis erfunden haben, war die Ÿsthetik der Autobahn. Zahllos sind die Vergleiche, welche die Autobahn mit historischen Bauwerken maþen: gr–þer als die chinesische Mauer, beeindruckender als die Pyramiden, klassisch wie die Akropolis. Die Autobahn sei, hieþ es, 'nicht die k¸rzeste, sondern die edelste Verbindung zwischen zwei Punkten.'" Solch eine abgehobene Verkehrspoesie mutet heute hilflos nostalgisch und unsachlich an. Goethes trostreiche Worte "Man reist doch nicht, um anzukommen", k–nnen die Misere nicht mehr mildern. Die Autobahn ist h–chstens noch ein funktionelles, notwendiges Ðbel, gegen das die Umgebung mit L”rmschutzw”nden gesch¸tzt werden muþ, nicht besonders sch–n, aber recht verst”ndlich. "Bekannt ist die 'neue Schau der Deutschen Landschaft', die wir auf der Reichsautobahn erleben", so Walter Ostwald 1937. "Erstaunlich ist es, wie sehr man sich in den Kraftfahrer eingef¸hlt hat, der auf der Reichsautobahn sein Fahrzeug guten Gewissens weitgehend vergessen darf und sich in das Schauen vertiefen kann. Reichsautobahnen geben Gelegenheit zur 'dynamischen Schau', die bei hoher Geschwindigkeit einen raschen Wechsel von Bildern zu einer Art von Landschaftakkord zusammenklingen l”þt." Laut Ostwald hat die Straþenbauergesinnung, "die Sch–nheit, Sicherheit und Wirtschaftlichkeit gleichberechtigt wirken l”þt", zu einer h–chsten Form der Fahrfreude gef¸hrt, die man selbst erleben muþ. "Wie der K¸nstler durch die F¸hrung des Straþenzuges, in der Ausf¸hrung jedes einzelnen Bauwerkes, mit liebevoller Betreuung von Pflanzenwelt, Wasser und Fels ein in der Welt wohl einzig dastehendes naturnahes Fahrerlebnis schuf, das muþ man selbst sehen - und in beiden Sinnen des Wortes - erfahren." Das faschistische Ideal einer Synthese zwischen technisch- dynamischer Modernit”t und der statischen Verewigung der Autobahn als Denkmal ist f¸nfzig Jahre sp”ter nirgendwo mehr wiederzufinden. Auto und ÷kologie sind unter keinen Umst”nden mehr in Ðbereinstimmung zu bringen. Jede k¸nstliche Auss–hnung von Natur und Technik kann unmittelbar als billige Inszenierung entlarvt werden. Im taz-Artikel "Reiz des Autos ist perdu" von 1987 stellt Paul Tiefenbach fest, daþ das Auto "im Alltag nicht halten kann was es technisch und in der Werbung verspricht. Durch die Ðbergroþe Zahl blockieren sich die Autos gegenseitig." Auch auf der Autobahn f¸hlt man sich eingeklemmt. Tiefenbach beschreibt das Fahrerlebnis folgendermaþen: "Zwischen Leitplanken eingezw”ngt kann der Fahrer offensichtlich die Richtung nur grob selbst bestimmen. Er kann nicht mal nach Lust und Laune die Fahrt unterbrechen, um etwas interessantes zu betrachten. Sein ganzes Verhalten ist haupts”chlich durch die anderen Autofahrer um ihn herum extrem reglementiert." Weiter zieht Tiefenbach beil”ufig einen Vergleich, welcher die Autobahnp”dagogen der dreiþiger Jahre besonders erstaunt und gekr”nkt haben d¸rfte. "Im Grunde ”hnelt das Autobahnfahren dem Zugfahren, eine gleichm”þig flieþende Bewegung in einer festgelegten Richtung, die von periodischen Stopps unterbrochen wird." So mancher Nazi hatte eine abgrundtiefe Abscheu vor der Eisenbahn, dem Symbol des sozialistischen Fortschritts. "Mit der Eisenbahn h–rte die individuelle Freiheit des Verkehrs auf."(Hitler) Der Bau der Reichautobahnen wurde als ein Triumpf ¸ber den heimatfremden Zug dargestellt: "Der seelische Bruch, den das von England hereingef¸hrte Eisenbahnwesen dem deutschen Lebensgef¸hl gebracht hat, ist heute im Grunds”tzlichen wieder beseitigt." Die Straþe als Zugang zur Stadt wurde im technischen Zeitalter entthront. "Seit der Er–ffnung der Eisenbahnen kam eine immer geringere Zahl von Fremden auf der Straþe in die Stadt." Heute w”re man dar¸ber froh, aber Karl von Loesch sah das anno 1937 in seinem Artikel "Die repr”sentative Aufgabe der Straþe" ganz anders. "Die geschichtlichen Wege ver–deten, sie dienten nur noch dem Nahverkehr. Die Eisenbahn f¸hrte fast alle Fernreisenden heran. Aber wie! Durch die Eingeweide der Stadt. Den Reisenden zeigten sie weit schlimmeres als nur miþgestaltete Vorstadtfassaden. Sie gew”hrte, ja sie erzwang Blicke in verfallene H–fe, auf regellose Brandmauern schlecht geschnittener Grundst¸cke, auf Fabriken und Wohnh–hlen." W”hrend "das rein ingenieursm”þige der Eisenbahnanlage die Landschaft willk¸rlich zerschnitt", versprach die Reichsautobahn das gest–rte Verh”ltnis zwischen dem Blut und seinem Boden wieder herzustellen. In der nazistischen Verkehrstheorie ist das Autowandern eine metaphysische Angelegenheit. Die Fortbewegung durfte nat¸rlich nicht einfach funktionell aufgefaþt werden, man erfuhr sie als ein inneres Erlebnis. Aber am Ende des 20.Jahrhunderts hat man dieses mystische Erlebnis doch besser Zuhause oder in einem fernen, exotischen Land. Autofahren wird nicht l”nger als ein abenteuerlicher Ausflug erlebt. Die Abneigung ist groþ: "86 Prozent aller Deutschen sind mit dem zunehmenden Autoverkehr unzufrieden, f¸r 55 Prozent ist der Verkehrsstreþ die gr–þte Umweltplage," so eine Umfrage von 1991. Das Autofahren hinterl”þt bestenfalls ¸berhaupt keinen Eindruck. Tiefenbach: "Berge werden abgetragen und W”lder abgeholzt, nur damit die Fahrbahn flach und gerade wird und m¸helos hohe Geschwindigkeiten erm–glicht. Die Konstrukteure legen ihren ganzen Ehrgeiz in die Entwicklung von Autos, die leise und unmerklich hohes Tempo erm–glichen. Die Folge ist freilich, daþ Autobahnfahren, egal mit welcher Geschwindigkeit und mit welchem Auto, stets monoton und stumpfsinnig ist." Das Auto hat seine Aura verloren. Wir schauen nicht mehr sehns¸chtig auf das Auto als Objekt oder aus dem Auto als Subjekt auf die Umgebung, sondern sitzen in einer Kapsel eingeschlossen und tippen die Koordinaten ein. Das Auto als "das Haus des Seins." In ihren "Anmerkungen zur totalen Automobilmachung" von 1987 bemerkt Gabriele G–ttle: "Das moderne Auto steht da wie aus einem Guþ, unnahbar und abwesend. Sein Funktionsmechanismus ist ganz nach innen versenkt, ebenso wie der Fahrer." Die Werbespots f¸r Autos sind f¸r sie Visionen einer Zukunft nach der Katastrophe und versprechen nicht l”nger Komfort, "sondern die Rettung in ein Geh”use, das den Schutz der zarten Haut und empfindlicher Organe zusichert. Wer sich da hineinfl¸chten kann, scheint vor¸bergehend abgeschirmt gegen jedwede Feindseligkeit." Die Umgebung, die man w”hrend des Fahrens in sich aufnimmt, und der die Nazis so viel Bedeutung beimaþen, existiert schlichtweg nicht mehr. G–ttle: "Das Nahe fliegt drauþen weitgehend ungesehen vorbei. Das Gef¸hl, ein Fremder zu sein, empfindet der durch Fahren beanspruchte Autofahrer in seinem vertrauten Innenraum nicht." Die taz-Essayistin glaubt nicht mehr an verkehrsp”dagogische oder -politische Maþnahmen. "Als ideale und zugleich dynamisch aggressive Monaden, scheinen die automobilen Teilnehmer nicht mehr resozialisierbar zu sein." Die soziale Autorealit”t kommt ihr vor "wie das Rasen des Hamsters im Laufrad. Immer auf dem selben Fleck, im Vollgef¸hl eigener Mobilit”t." Ihre Erz”hlung voller Ÿrgernisse kommt zu einer kulturpessimistischen Schluþfolgerung: "Das moderne Auto ist vielleicht die Apotheose b¸rgerlicher Aufkl”rung, das Model ihrer gescheiterten Ideale." Ist das Wohlwollen aufgebraucht und sind alle alternativen Szenarien ersch–pfend aufgez”hlt und durchgerechnet, wird es Zeit, dem heruntergeschluckten Ÿrger freien Lauf zu lassen. Wenn wir Henryk Broder glauben k–nnen, so sind es weniger die Ausl”nder und Asylsucher, als die eigenen Landsleute, welche der Deutsche haþt. Die unangenehmen Verkehrsteilnehmer sind ein Hindernis. Nachdem Ludger L¸tkehaus im Sommer 1989 aus den USA zur¸ckkehrt, wo er den automobilen Stoizismus genoþ, wird er angesichts der Zust”nde auf deutschen Straþen w¸tend und greift zur Feder, um f¸r die taz ein echtes Pamphlet zu schreiben. "Bloþ keine weiteren Statistiken, keine wohlt”tigen Appelle." Was eine ironische Verkehrsanthropologie h”tte werden k–nnen, m¸ndete in Selbsthaþ, geh¸llt in verbitterte Mentalit”tskritik. "Der Deutsche im Verkehr ist ein asozialer Fetischist, ein Zwangsneurotiker der Geschwindigkeit, ein autorit”rer Anarchist und von abgr¸ndiger Dummheit." Hier gibt es nichts zu lachen, es geht um nichts weniger als eine "Fortf¸hrung des Krieges mit anderen Mitteln." Jenseits konstruktiver Vorschl”ge bekommt L¸tkehaus Wahnvorstellungen von einem Aufstand der automobilen Horden. Das Zivilisationsniveau sackt unter Null; es gibt nur noch "Jagdszenen von Oberholstein bis Niederbayern." Die Mit- Automobilisten betrachtet der Automobilist "prinzipiell als Konkurrenten und Gegner mit denen er nach den Gesetzen des Straþenkampfes ums Dasein verf”hrt. Bestenfalls sind sie l”stige Hindernisse, die er m–glichst schnell aus dem Weg r”umt. Kurz: Manchester-Automobilismus." Die "Waschzw”nge und Reinlichkeitsdressur" weisen auf einen R¸ckfall in ein anales Stadium. "Der Katalysator ist gleichsam zur durchl”ssigen Windel einer analen Lust geworden: Mit ihm kann man endlich sauberbleiben und doch weitermachen." Die penetranten Ðberholman–ver, das wilde Beschleunigen, wenn die Ampel auf Gr¸n springt, und das abrupte Bremsen bei Rot, den anderen miþg–nnen, sich einzuf”deln, sind f¸r L¸tkehaus alles "Vor- und Fr¸hformen verkehsbedingter Idiotie" und Anzeichen einer "rapide reduzierten Intelligenz." Die Eroberung der Straþe durch das Auto verlief in Deutschland alles andere als allm”hlich. W”hrend des Nationalsozialismus war die Motorisierung der Massen lediglich ein ”sthetisches und p”dagogisches Programm, das die Autotr”ume mobilisierte, und es wurde aufgegeben, als der milit”risch-–konomische Komplex dieses ab 1938 verlangte. Nachdem ab den f¸nfziger Jahren die Motorisierung allgemein durchgef¸hrt war, suchte man seit den achtziger Jahren wieder nach einer p”dagogischen Idee, diesmal um vom "Autowahn" wegzukommen. Eine gleiche Absicht sehen wir auch im Werk von Paul Virilio. Angefangen mit seiner Studie der Fortifikationen entlang der atlantischen Westk¸ste, entwickelte er in "Geschwindigkeit und Politik" eine Verkehrstheorie, die er mit seinem Hauptwerk "Der negative Horizont" abschloþ. Ðber die Perzeptionslehre gipfelte seine anf”ngliche Dromologie in einer radikalen Medienkritik, die seit dem Golfkrieg einen moralischen Unterton bekam. Die Mobilisierung des Zivilen und Milit”rischen endet bei Virilio in einem "rasenden Stillstand." Paul Virilio hat weder Vorl”ufer noch Nachfolger oder Sch¸ler, die seine Bewegungslehre weiter ausgearbeitet haben. Auch eine Diskursanalyse oder Genealogie von Straþe bzw. Autobahn l”þt noch auf sich warten. Dies entspringt der Ðberzeugung, daþ die dromologische 'Position' auf Dauer unm–glich und unertr”glich sei. Virilio ist es als einem von wenigen gelungen, die Bewegung im –ffentlichen Raum genau nicht von einem festen Standpunkt aus zu beschreiben, sondern die Geschwindigkeit selbst als Ausgangspunkt zu nehmen. Sein Werk ist kein Projekt, sondern ein Projektil. Virilio beschreibt keine Lokalit”ten, sondern eine Bewegung in der Zeit. Daher kann er auch, wenn es darauf ankommt, von Architekten, die zur Erhaltung ihrer Berufspraxis an einer Politik der Gestaltung der Stelle festhalten m¸ssen, nicht au serieux genommen werden. Sie bleiben modern und zeichnen Vektoren, bewegen sich gelegentlich ¸ber diesem oder jenem Vektor, aber werden nicht aus dem Vektor heraus denken. Das allgemeine Verkehrsbewuþtsein ist fixiert und zeigt kulturpessimistische Z¸ge, von der Sorge ¸ber die stagnierende Subjektivit”t eingegeben. W”hrend die Staus eine immer st”rker akzeptierte Erscheinung werden, mit der man nun einmal leben muþ, sprechen die Verkehrsplaner nur noch ¸ber –konomische und –kologische Probleme. Die Wunschproduktion hat sich daher zu der noch freien, vagen Sph”re der Medien verschoben. Man tr”umt von einer leeren und superschnellen "Infobahn" (das amerikanische Synonym f¸r den geplanten Datahighway), auf der man ¸ber die volle Bandbreite hinweg kommunizieren kann, ohne Hindernisse oder Verz–gerung. Die popul”re Kultur kann das Auto nicht mehr zum Vehikel ihrer Phantasien erh–hen. Die Verbindung des Autos mit Sex, wie bei Bruce Springsteen ("Well I got some beer and the highway's free, and I got you and baby you got me") geh–rt in eine ferne Vergangenheit und wird konsequent in einem nostalgischen setting pr”sentiert. Im Musikvideo "Amazing" von Aerosmith findet man noch alle Elemente aus dem automobilen Zeitalter, nur sitzt da jetzt ein Junge mit einem VR-Helm auf dem Kopf und steuert den Joystick. Er f”hrt mit voller Geschwindigkeit durch eine leere Landschaft, ¸ber eine leere W¸stenstraþe, er nimmt ein M”dchen mit, das ihn dann verf¸hrt, und sie kommen, ineinander verschlungen, zu einem ekstatischen Orgasmus. In diesem animierten Jungentraum nutzt der Motor sogar den Luftraum und verweist damit auf die Raumfahrt als neuen imagin”ren Raum. Das setting ist die mittlerweile allzu bekannte wilde, groþe, leere und verlassene LÈvy-Strauss-501-W¸ste, die gut zu der sorglosen F¸nfziger-Jahre-Verbindung von Geschlechts- und Straþenverkehr paþt, mit all ihren verlockenden Gefahren... nur ist es heute ein Virtual Reality-Programm. Benommen nimmt der Junge nach Ablauf der wilden Fahrt seinen VR-Helm ab und zieht seine Datenhandschuhe aus, verz¸ckt von seinem rasenden Stillstandsabenteuer im Cyberspace.