Mit der Balkan-Platte in den Fukuyama-Graben 1. Die frohe Botschaft, laut CNN, Krieg sei fortan ein Realtime Videospiel, wurde L¸gen gestraft. Ohne Countdown, mit Aussicht auf Pr”zisionsbombardierungen, fehlt die Spannung. Der Krieg im ehemaligen Jugoslawien wird als Grande Bouffe ohne Digestif serviert, eine Reihe Mini-Items, von denen einem nach und nach ¸bel wird. Da die Klimax ausbleibt und die definitive Lifesendung auf sich warten l”þt, gibt es in der Zwangsbeziehung zwischen Medien und Krieg lediglich den Ausweg isolierter F”lle, die aufgebauscht werden, um einen Durchbruch zu erzwingen. Die darauf folgende Trag–die oder Barbarei muþ dann noch h”rter pr”sentiert werden, um den Miþerfolg vom letzten Mal vergessen zu machen. Wenn es aber an agierenden Barbaren und triumphierenden Helden fehlt, m¸ssen wir uns damit behelfen, dem idealtypischen Opfer nachzujagen, mit dem wir uns identifizieren k–nnen: wir sind alle Verlierer. Die groþe Frage nach dem Fall der Mauer war, in welcher Form sich der Osten bei uns einf¸gen w¸rde: als Kostg”nger im europ”ischen Haus, als mittelloser –konomischer Fl¸chtling, oder als zerr¸ttete wilde Horde. Aber f¸r wen genau war das die groþe Frage? Der Osten ist immer noch eine unbestimmte Zone unter einem Grauschleier von Braunkohlequalm, voller unheimlicher Geschichten ¸ber Kosaken, Gulags, Pusztas, Kombinate, Wohnkasernen, Pelzm¸tzen, Paradeboulevards, Zugpferde und lauwarme Kartoffelsuppe. Die Angst vor dem Osten, wollte man uns glauben machen, sei vorbei. Aber die Abschreckung machte nicht der g”ngigen Beziehung zum Fernen und Exotischen Platz, der Kombination n”mlich von Abneigung und Anziehung. Der Osten ist zu nahe, um exotisch zu sein, und zu jung, um futuristische Visionen darauf loszulassen. Tschernobyl, Stalingrad, der R¸ckzug ¸ber die Beresina und Attila der Hunne sind noch frisch im Ged”chtnis. Im desolaten Osten stand die Zeit still, noch immer kann der Feldzug in Schlamm, Eis und versengter Erde steckenbleiben. Die russische Mafia, die polnischen Autodiebe, tschechische Gigolos und serbische Gangster laufen frei herum: Menschenhandel, Drogen, Waffen, Erpressung, Viehschmuggel und Prostitution sind ihr Gesch”ft. Eine sorglose Kolonisation von uninformierten Schuldlosen ist nicht drin, die freie Marktwirtschaft scheint Viren, Stagnation, Staus und Verelendung hervorzubringen. Das durch den christlichen Gedanken eingegebene schlechte Gewissen, daþ man seine Feine lieben soll, nachdem man sie geschlagen hat, wird folgendermaþen beschwichtigt: schlieþt die Grenzen, haltet sie auf Abstand und eþt EG-Schweinefleisch. Marshallhilfe ist fein, vorausgesetzt ein Ozean liegt dazwischen. Unserer Geschichtslektion zufolge muþ man sich im Osten eintr”chtig, opferbereit und in guter Harmonie ans groþe Werk machen, unter fachkundiger Leitung der Europ”ischen Gemeinschaft, des Internationalen W”hrungsfonds und der NATO. Die Wiederaufbauphantasie kann Umweltkatastrophen, Menschenstr–me, Neokommunismus und bankrotte Industriezweige gerade noch bew”ltigen, steigt jedoch aus, wenn eine Nation den k¸rzesten Weg zu ihrem eigenen Untergang w”hlt. Der kommunistische K¸hlschrank taut auf und die verderbliche Ware beginnt unglaublich zu verfaulen: alle unverdauten Triebe aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg stecken den Kopf hervor. Wir sind es gew–hnt, die Vergangenheit als ein Szenario f¸r gute Filme zu betrachten, als Quellenmaterial, das nach Belieben aufgeschlagen, revidiert und p”dagogisch eingesetzt werden kann. So gehen zivilisierte Menschen mit ihrer Vergangenheit um. Im Osten wiederholen sie die Vergangenheit noch einmal, komplett mit verlorenem glorreichen Erbe und verkannten Helden. Unter dem Motto: "Eine grandiose Zukunft liegt hinter uns" und je weiter hinter uns, desto besser. Der Krieg in Ex-Jugoslawien ist f¸r den Westen eine symbolisch-therapeutische Szene mit humanit”ren Statisten und damit zugleich eine Geburtswehe des Vereinigten Europa, das ja definitiv mit dem Spuk des europ”ischen B¸rgerkrieges abrechnen wird. Die Zuschauer sollen mit einiger Regelm”þigkeit eine vertretbare Dosis Trauma wiedererleben. Die Konzentrationslager, die ethnische S”uberung, die systematische Vergewaltigung, Sarajevo als Ghetto, die ermordete Unschuld von Irma und die R¸ckkehr von Anne Frank sind ebensolche Pflichtsitzungen. Und daþ die Spieler auf dem Set mit etwas ganz anderem besch”ftigt sind, ist ihr Problem. Sie sind nur Instrumente in den H”nden der medialen Therapie, die auf die Beschw–rung alter Wunden in unserem Gewissen gerichtet ist. Indem wir uns mit der ermordeten Unschuld auf dem Schlachtfeld identifizieren, erobern wir unsere eigene moralische Reinheit. Darum schicken wir unsere Kamerateams, unsere Blauhelme und darum schimpfen wir auf unsere Neo-Chamberlains. Nat¸rlich gibt es keinen Masterplan, keine zentrale Regie, denn die Akteure spielen in total verschiedenen Filmen. Nicht der Krieg im ehemaligen Jugoslawien ist unser Problem, sondern das Gewissen, an das er appelliert. Die L–sing liegt daher auch nicht in der milit”risch-humanit”ren Intervention, sondern darin, unsere therapeutische Verarbeitung ihrer Gegenwart in unserer Vergangenheit zu einem guten Ende zu f¸hren. Die alte linke Losung "Ihr Kampf, unser Kampf" suggerierte, daþ wir mit ihnen und f¸r sie mitk”mpfen konnten. Nun gibt es das Rezept, daþ jedes Volk Recht auf seinen eigenen Krieg hat: der Vorschlag lautet, daþ jeder jeden Krieg f¸r eigene Ziele f¸hren kann, darf, ja muþ... Der gewissenhafte Zuschauer schaut weiter zu, bis er ungest–rt seine Nachtruhe genieþen kann. "Wir haben es gewuþt." 2. Weil dem Krieg der ultimative Charakter fehlt und die Berichterstattung nicht in einer Klimax mit dazugeh–riger Entladung kulminieren kann, schmort die Information weiter. Wenn ein Spannungsbogen fehlt, wird die geforderte Betroffenheit mit einer minimalen Dosis, mit einer kleinen Welle moralischer Entr¸stung zu festgesetzten Zeiten aufrechterhalten. Das Angebot ist auþergew–hnlich abwechslungreich, um dem Medienbenutzer Raum zum eigenen Erleben zu bieten. So gab es die Teilnahme Sarajevos am Europ”ischen Schlagerfestival ("Sarajevo, can I have your votes, please?"), die abendf¸llende Fernsehsendung, ein MTV-Special, die Nahrungsmittelverteilung in Belgrad, zwei Videos ¸ber die einst¸rzende Br¸cke von Mostar, die Kontrollen auf der Donau, den vergessenen Sandschack, eine Skala an Sachverst”ndigen, vom feinf¸hligen General bis zum humanit”ren Haudegen, einen im verlassenen Vukovar aufgenommenen Spielfilm, die Rolle der Medien, Sammelaktionen, in einem Tag eine Schule wiederaufbauen, nach Sarajevo faxen, pop & war, Fl¸chtlingsz¸ge und die Debatten: ¸ber milit”rische Intervention, die Glaubensfrage, den Boykott, das Embargo und die Erkenntnis. Nach einer Vorstellungsrunde, in der sich die Spieler bekannt machen und ihren Platz auf dem Feld einnehmen konnten, ist nach der Befreiung Sarajevos eine Phase der Gew–hnung eingetreten. Jeder weiþ nun, um was es geht, es sind keine k¸nstlichen H–hepunkte mehr n–tig und die Berichterstattung wird Teil der low-intensity-Therapie. Die Hoffnung der Medien basiert auf einer Proliferation der Brandherde. Die festgerosteten Kameras und die begrenzten Ÿrzte m¸ssen wieder in Bewegung kommen, es ist Zeit f¸r Reportagen ¸ber Auswirkungen auf die Umwelt, ”sthetische Verarbeitung von gesammeltem Material, Tribunale , standardisierte Verfahren und burn-out workshops f¸r humanit”re Brigadisten, diplomatische Missionare und andere Anw”rter auf Nobelpreise. Dieser Krieg muþ einen Namen haben. Wir sind noch auf Suche nach dem richtigen Stichwort f¸r die Europ”ische Enzyklop”die des 20.Jahrhunderts. Alle Benennungen, alle Definitionen des Balkankrieges berufen sich auf die eine oder andere lokale oder internationale Verschw–rung. Jede Partei ist davon ¸berzeugt, Recht zu haben, aber keine hat es. Daher k–nnen alle Parteien die anderen als irrational bezeichnen.: "Sie verstehen uns nicht, sie handeln gegen ihr eigenes Interesse, indem sie gegen uns sind, bringen sie sich ihrem eigenen Untergang n”her. Wie kann das sein?" Kurzum, es seien Kr”fte am Werk, die in d¸steren Regionen zu lokalisieren sind. Es begann damit, daþ der Westen einen B¸rgerkrieg sah, wo es Slovenen und Kroaten um ihre nationale Befreiung ging, w”hrend das jugoslawische Milit”r und Serbien die Integrit”t von Groþ- Jugoslawien bewahren wollten. Der IWF, die Weltbank und andere Gl”ubiger wollten zuerst mit dem zahlungsunf”higen Jugoslawien abrechnen, wonach es ruhig zerfallen durfe. Ein sauberes, pragmatischen Unternehmen: es ist ziemlich zeitraubend, Schulden von f¸nf bis zehn Ministaaten zu sanieren. Nun, da Serbien die Staatsschuld Jugoslawiens zum gr–þten Teil f¸r einen Spottpreis aufgekauft hat, ist das Problem nicht mehr aktuell. Die Anerkennung Sloveniens, Kroatiens und Bosnien-Herzegowinas bewies aus serbischer Perspektive, daþ der revanchistische Komplott von Vatikan, Deutschland und Exil-Ustaschis in zweiter Instanz die Oberhand gewinnt. Die Argumentation l”uft etwa so, daþ nach zwei miþgl¸ckten Versuchen, Serbien zu vernichten (Erster und Zweiter Weltkrieg), jetzt der Weg frei ist f¸r ein papistisch-germanisches Groþeuropa. Gerade rechtzeitig begriffen die USA, wo ihre Chance lag. Die drohende Stabilisierung des Balkans muþte rechtzeitig verhindert werden und darum zog der Krieg nach Bosnien. Das unabh”ngige Bosnien w¸rde Amerika zufolge die islamische Arbeit erledigen: das Christentum ausrotten, um mit den Orthodoxen in Kosovo und Bosnien-Herzegowina, dann in Serbien, Mazedonien, Griechenland, Armenien, Ukraine und Ruþland zu beginnen. Diese Vorstellung m¸ssen wir im Kontext des amerikanischen Bestrebens sehen, die ÷konomische Groþmacht Europa durch Destabilisation auszuschalten. Europa will nicht begreifen, sondern wird von Amerika und dem islamischen Fundamentalismus in die Zange genommen. Und die orthodoxen Slaven bezahlen die Rechnung, wie immer. Die Verschw–rungstheorien werden nat¸rlich in der Region am intensivsten erlebt. Die Opfer sind selbst am besten dazu imstande, Komplotte so weit wie m–glich auþerhalb des eigenen Bereichs zu projizieren. Und in der Region sind ausschlieþlich Opfer zu finden. Jeder weiþ sich im Zentrum der Welt, in dem alle F”den zusammenlaufen, auf das alle Kameras gerichtet sind, wo Geschichte geschrieben wird, wo die Zukunft der Zivilisation auf dem Spiel steht. "Think global, act local", das aufgekl”rte Rezept der grenz¸berschreitenden Netzwerkaktivisten, wird vorbildlich angewandt, um Stimmen, Meinungen, Fonds und andere support ware einzukaufen. Der Eifer, mit dem Informationszentren, Balkanforen und Internetzwerke vorgehen, wird in nicht geringem Maþe von der nagenden Angst gespeist, daþ die Welt sie bald einfach wieder vergessen wird. Ist es m–glich, angesichts der um sich greifenden Verschw–rungen noch eine aufgekl”rte, befriedigende Erkl”rung zu formulieren? Eine Antwort, mit der die unbefriedigende ad hoc-Berichterstattung ¸berwunden werden kann und mit der wir weiter kommen? Was bedeutet es f¸r uns selbst, unsere eigene Zivilisation? Wir m¸ssen, koste es was es wolle, der ethnisch-religi–sen Betrachtungsweise entgehen, denn die ist selbstverst”ndlich rassistisch. Sehen wir den Balkan unabh”ngig von nationalistischen Interessen, erscheint er als ein Laboratorium f¸r Transformationsprozesse. Die technokratische Herangehensweise an den Krieg sucht nach einem ¸bergreifenden Diskurs, der Krieg und Elend in Europa thematisierbar und handhabbar macht. Professionell hat man den ethnischen, religi–sen und kulturellen Begriffsapparet in Gang gesetzt. Es kann nicht kompliziert genug sein, um soviele Variablen wie nur m–glich zu testen, alle windows ge–ffnet. Die Resultate werden von der Weltpolitik aufgenommen, um von einer wohlgen”hrten Datenbank aus die Herausforderungen des dritten Jahrtausend anzugehen: Ruþland, China. Hierbei geht es nat¸rlich auch um das Testen von Kommunikationsverbindungen der supranationalen Einrichtungen, die beschleunigte Restrukturierung des milit”rischen Apparats zu einer humanit”r-pazifistischen Rettungsflotte und die Umformung des westlichen Wohlfahrtstaates. Das multikulturelle Zusammenleben hier und dort wird zum Einsatz des Krieges im ehemaligen Jugoslawien gemacht. Sarajevo ist als Hauptstadt der Postmoderne die Zielscheibe der Toleranz, das Ziel des kosmopolitischen Europas. Es kann nicht genug betont werden, daþ die Moslems dort nicht halb so islamisch sind, wie die Kunden des ethnischen Metzgers in unserem eigenen Migrantenviertel. Eine Moschee, eine Synagoge, eine katholische und eine orthodoxe Kirche auf 300 Quadratmeter, wer will da nicht hin? Der Krieg im Vielv–lkerstaat entspringt dann auch, den Intellektuellen zufolge, nicht der urbanen Zivilisation, sondern ist ein Versuch, sie zu vernichten. Die primitiven Massen auf dem Land, die Kombination von Verwurzeltheit, Aberglaube und autorit”rer Pers–nlichkeit, ergreifen ihre Chance, gratis und umsonst zu pl¸ndern und zu s”ubern. Daþ allm”hlich auch in Sarajevo, Belgrad und Zagreb die primtiven Mohren die Oberhand gewinnen ist die Folge des Fl¸chtlingsstroms aus eben diesen l”ndlichen Gebieten. Merkw¸rdig eigentlich, daþ noch niemand bemerkt hat, daþ die unkontrollierten Freikorpse, die wilden Horden, sonnenbebrillte Rambos, die geheimen Machogesellschaften ein Racheman–ver gegen die Frau ausf¸hren. Die Frau, der die Bauernh–fe, der Grund und das Land durch die massenhafte Migration der M”nner in die Stadt oder das Ruhrgebiet in den Schoþ gefallen war. Junge Nationen, auf alten Werten gebaut, werden auch von innen untergraben. Wehe demjenigen, der so seine Bedenken hat. Die Freidenker, der unabh”ngige Journalist, der dissidente Intellektuelle, die feministische Hexe, der wildgewordene K¸nstler, der legalize it- Konsument, der ausgestiegene Essayist, der freche Performer, der gottverlassene Homosexuelle, kurzum die ganze Clique von Menschen, die sich auþerhalb der Gemeinschaft stellen und unter der Maske der Civil Society unbedingt ein individuelles Profil zu haben w¸nschen, und daf¸r auch noch vom Wall Street-Spekulanten Soros gut bezahlt werden, der nicht nur ein Jude, sondern obendrein auch noch Ungar ist: sie sind die Schoþh¸ndchen der engagierten Intelligenzia des Westens, in den Salons und Galerien, auf Konferenzen und Symposien willkommen. Gemeinsam ist ihnen das tiefverwurzelte Miþtrauen der eigenen Bev–lkerung und gegen sie. Und wo die Bev–lkerung von einer v”terlichen Autorit”t zu einer unverbr¸chlichen Kampfgemeinschaft geschmiedet wird, sehen sie sich als Opfer par exellence: des Primitivismus in der Nation und der Paranoia des Staates, der jedes ungeb¸hrliche Wort als Unterminierung seiner souver”nen Autorit”t begreift. 3. Identit”t f¸r jeden. Man nehme eine ruhmreiche Vergangenheit, eine krisenreiche Gegenwart und eine Zukunft voller unerwarteter Segnungen. Aus der Vergangenheit koche man ¸ber einige Jahre eine Ursuppe aus einem K–nig, einem Bischof und einem alten Helden auf einem neuen Sockel, legend”ren Feldz¸gen, vergilbten Karten, gef”lschten Pergamenten und einer gekr”nkten Diaspora. Die Gegenwart ¸bergieþe man mit einer Soþe aus unterdr¸cktem Selbstbewuþtsein, ausgebeuteten Reserven und vereinnahmten Beamten. Hierzu f¸ge man einen Schuþ Sprachverderb, dazu das minderbewertete Erzeugnis des eigenen Bodens (der beste Wein, die besten Dichter, geniale Ingenieure, die besten Basketballer im Ausland). Die zuk¸nftigen Segnungen reinigen wir in einem Bad neuer Straþennamen, Nummernschilder, W–rterb¸cher, Uniformen, Flaggen, Banknoten, Feiertagen, Landkarten, Denkm”ler, Stickers und eingedoster authentischer Frischluft. Die Festigung der nationalen Identit”t geht einher mit einer Skala regressiver Metamorphosen: Kalifornier entdecken, daþ sie Serben sind, Kanadier erfinden ihr Kroatentum neu, Wehrdienstverweigerer werden Verteidigungsminister, Punks Brigadekommandanten, Freidenker knebeln die Presse und Patienten werden schlieþlich echte Propheten. Alles zusammen geben wir in einen Schnellkochtopf und lassen das Ganze h¸bsch explodieren: nichts eignet sich besser zum Brauen einer kollektiven nationalen Identit”t, als ein paar Bomben auf dem Dach. F¸r das Vaterland sterben, den Opa umbetten, das Nationalgericht dem Sohn auf Urlaub zu servieren, und am Sonntag zur Prozession der Lieblingsreliqie oder die Besteigung eines bildbestimmenden Berges. Die Zukunft der Nation ist ihre Unsterblichkeit. Die schnellste Weise, sie zu erreichen ist, f¸r sie zu fallen. W”hlt man die weniger aufregende Marschroute, l”uft man Gefahr, sich grenzenlos zu langweilen. Die Ÿsthetik des nationalen Design ist per Definition antimodern: es geht lediglich um die Regenerierung dessen, was in all den vorausgegangenen Jahrhunderten verlorengegangen ist. Was neu oder erneuernd ist, ist dem nationalen Projekt immer fremd. Es ist die ewige R¸ckkehr von und zu Demselben. So ist die neue kroatische M¸nze den Antifaschisten zufolge eine schandbare R¸ckkehr zu den Symbolen des Ustaschi- Regimes unter Hitler und den echten Volkskennern zufolge eine aufrechte R¸ckkehr zum mittelalterlichen Zahlungsmittel. Der Kuna bedeutete fr¸her und heute 'Marder'. Damit konnte man damals bezahlen, also warum nicht auch jetzt? Ein anderes Beispiel mag das Spruchband bei der UNPROFOR-Kaserne in Zagreb sein, wo Vertriebene eine Mauer der Liebe hochgezogen haben, die den Text tr”gt: "It is our duty to go back." Wenn man sich an den nationalen Kan”len mit ihren sich wiederholenden Zeichen satt gesehen hat, dann zappt man wie fr¸her in die groþe Welt. Die kollektiven Traumata und Ekstasen werden dann einfach wieder privater Schlamassel. Eine eigene Identit”t ist auch nicht alles. Commandante Malaria stellte aus Post-Zagreb fest, daþ "ein Kroate in Europa wie ein Pinguin in der Sahara ist. Man kann eher ein Pakistani in Brixton oder ein Vietnamese in Rostock sein, als demn”chst ein Kroate in Br¸ssel. Noch zehn Jahre, und auch die Slovenen werden begreifen, daþ eine kollektive Selbstverbrennung dem Anschluþ an das ehemalige Europa bei weiten vorzuziehen gewesen w”re. ID? No idea!" Die Negation jeglicher Identit”t als permanente Metamorphose ist ein noch nicht eingetragenes Warenzeichen in Mazedonien, wo der Name selbst das Signal f¸r den Untergang ist. Anstatt das Land in Syldavien umzubenennen und im Jahr darauf Nomacedonia, ein japanisches Grafikstudio eine Designerflagge entwerfen zu lassen und Christo aufzufordern, das Land einzupacken, l”þt man sich mit Alexander dem Groþen ein. 4. Der Verdienst des Krieges in den zuk¸nftigen Republiken auf dem Territorium des ehemaligen Jugoslawiens besteht darin, daþ jeder nun wissen kann, daþ Kriege ohne Medien nicht gef¸hrt werden k–nnen. Das Problem ist allerdings, daþ Friede ohne Medien ebenfalls undenkbar ist. Die internationalen Medien haben etwas gut zu machen, weil ihre ex-jugoslawischen Kollegen f¸nf Jahre lang nach Herzenslust die V–lker auf die kollektive Kathartsis hin getrimmt haben. Die Medien lagen in der desert und gingen durch die Mauer, aber vergaþen die Live-Verbindung mit der Gedenkfeier zur Amselfelder Schlacht (1389 n.Chr.). Die Vorstellung, daþ Goebbels in der zweiten Runde nachtr”glich noch geschlagen werden k–nne, durch einen gut gezielten Schuþ, unabh”ngigen Journalismus und objektive Information, l”þt die Herzen so mancher Eurob¸rger schneller schlagen. Es dauerte etwas, aber die Medien fanden schlieþlich in Sarajevo das optimale Setting. Belgrad wollte eben kein Bagdad werden, Slovenien und Slavonien kein Kuweit und Dubrovnik kein Dresden. Aber Sarajevo ”hnelte Beirut und Jerusalem zugleich. Einmal vor Ort konnte das Drama ins Bild gesetzt werden. Brennende Wohnungen, Sniper Alley, das Holiday Inn, der Fluþ, die Br¸cke und ver”nderliche Frontlinien, die brennende Bibliothek, der Berg Igman, das Adlernest einschlieþlich des Skidorfs Pale, der sich –ffnende und schlieþende may-be-Airport, schwelende H¸gel, Samaranch im olympischen Stadion, die belagerten Auþenviertel, das Koseva-Krankenhaus, die haarstr”ubenden Autofahrten, Anstehen f¸r Wasser und Brot. Aber nat¸rlich auch der Keller der heldenhaften Tageszeitung Oslobodenje, die multikulturelle j¸dische Apotheke, der Basar, die Rockoper Hair, der einsame Cellist, gescheiterte Friedensm”rsche, Sonntags Warten auf Godot, der Open Society Fund, die Discos, Bars und Straþencafes, Marihuanafelder, Pitbull-Z¸chtereien, das Filmfestival und die Wahl zur Miss Sarajevo. Noch nie hatten wir eine so intensive und herzzerreiþende Bekanntschaft mit einer beliebigen europ”ischen Stadt erleben d¸rfen. Genug Wiedererkennungspunkte und einschneidende Erlebnisse, um sich die Stadt zu eigen zu machen. Und um den Rest der Region einigermaþen zu vergessen. Doch gingen Monate dahin bis Sarajevo definitv zur Toplocation wurde. Als im Juli 1992 ein Bus heimatloser Wesen beschossen wurde und in Panik umkehrte, schien alles f¸r den Durchbruch in die Global Networks vorhanden zu sein. Aber nat¸rlich waren diese nicht dabei. Daher konnten die Bilder der ausgemergelten Konzentrationslagerinsassen in abgelegenen Gegenden die Ehre der moralischen Entr¸stung einstreichen. Nicht genug f¸r ein Ultimatum, aber doch genug, um einen europ”ischen Krieg daraus zu machen. Friedliebende Exilanten aus Ex-Jugoslawien bauten prompt ein kleines Konzentrationslager auf dem Amsterdamer B–rsenplatz und von Warschau bis Washington konnte man begreifen, was im Gang war: es handelt sich nicht um ein Re-Release des Ersten, sondern des Zweiten Weltkriegs. Sarajevo als Medienph”nomen grub sich erst nach der an Ort und Stelle gesammelten Footage des allt”glichen Todes in die datatrenches ein: die Granate in die Reihe Wartender beim B”cker und auf dem Friedhof. Bewegende Bilder der Barbarei, denen es allerdings noch an Dynamik fehlte: Leichen liegen still und Notfallwagen und Sirenen sind zu universell, um einen Ort zu definieren. Erst mit der Eroberung des Flugplatzes und dem Einfliegen von Hilfsg¸tern und Objektiven entwickelte sich Sarajevo wirklich zu einem Knotenpunkt auf dem Medienglobus. Ein Mitterand begriff das, auch wenn er damit die Wahlen zuhause nicht gewinnen konnte. Die Exkursion von General Morillon nach Srebrenica, wo er sich von Herzen von der hungernden Masse geiþeln lieþ, suggerierte, daþ es Heldentum in Bosnien gab. Aber der Mann muþte das Feld r”umen: im internationalen Verkehr von Unterh”ndlern, Blauhelmen und Friedensmissionen war kein Platz f¸r individuelle Interventionen. Mit Diskussionen ¸ber milit”rische Intervention wurde die debattierende internationale Gemeinschaft abgespeist, w”hrend die Gener”le sich von ihrer friedliebendsten Seite zeigten und die Vermittler an einem Groþ-Serbien, einem verteilten Bosnien-Herzegowina und dem moralischen Bankrott Europas weiterbauten. Monat um Monat drehten sie sich im Kreis und um den heiþen Brei herum, hier und dort umrahmt von demonstrierenden Fanclubs der einen oder anderen Option. Es geschah also nichts. Und zugleich genug, um jeden Drehbuchautor zum Wahnsinn zu treiben. Monatelang standen die Sarajlije f¸r CNN Schlange, bis endlich das Geschenk aus dem Himmel auf dem Schwarzmarkt niederkam: sechzig Tote gingen um die Welt und pl–tzlich liefen die geheimen Terminplanungen von Washington, Paris, New York und London synchron zur Sendung. Das Blutbad f¸hrte zu einem Ultimatum, aber nicht zur pl–tzlichen L–sung. Das coming-out der slavisch-orthodoxen Weltmacht kam wie ein Teufelchen aus der Dose dazwischen. Das rechtzeitige Auftauchen der Russen f¸hrte lediglich zu undeutlichen Bewegungen von schwerem Material in Schlamm und Schnee und selbstverst”ndlich zu neuen Komplikationen in den Beziehungen der Ÿra nach dem Kalten Krieg. Sarajevo war nicht befreit, aber sicherlich entsetzt. Nicht daþ die B¸rger von Sarajevo nun ausgelassen am freien binneneurop”ischen Personenverkehr teilnehmen konnten, aber sie hatten zumindest Aussicht auf eine Nachrichtensendung, in der sie nicht l”nger selbst auftreten muþten. Worum es nat¸rlich ging, war, endlich von Sarajevo weg zu kommen. Es muþte ein Punkt hinter dieses handlungslose Infosoap gesetzt werden. Die Medien stellten der aussichtslosen, regielosen Reihe Non-events eine Reihe regiegef¸hrter Pseudo-events der Aussichtslosigkeit gegen¸ber. Die Fl¸chtlingsstr–me zogen ¸ber die Bildschirme, personifiziert im alten bekopftuchten Weiblein auf einer Handkarre, von ihrem gekr¸mmten Ehemann angeschoben, vor einem pittoresken Hintergrund von Schlammpfaden und beschneiten Bergen. Das kulminierte in Z¸gen voller Schwacher und Kriegsgefangener, die nach lokalen Durchsagen in die verstreuten Auffangzentren in Europa eingeliefert werden. Sie konnten das Fort Europa durch ein spezielles Reisearrangement betreten. Dem schloþ sich der Aufruf an, Fl¸chtlinge zuhause aufzunehmen, aber es stellte sich schnell heraus, daþ die in ihrer Eitelkeit geschmeichelten Zuschauer ihre Gartenh”uschen lediglich fr–hlichen jungen Paaren mit goldigen Kindern –ffneten. Die Fl¸chtlinge selbst gaben wohlweislich der Wiederherstellung ihrer Dorfgemeinschaft in den zugewiesenen Kasernenterrains, Caravans, Baracken, Urlaubsorten und zur Not Zeltlagern in der Fremde den Vorzug. Die Fl¸chtlinge waren daher nicht nur ein l”stiges Problem, als sie erst einmal, ohne exotischen Glamour, vor unserer T¸r standen, sie waren auch noch anspruchsvoll und eigensinnig. Sie setzten nota bene den Krieg auf unserem eigenen Boden fort. Sie marschierten mit Portraits von Milosevic zum internationalen Frauentag, sie schlugen einen albanischen Fahrraddieb zusammen und weigerten sich, ihre Unterk¸nfte mit schwarzen Afrikanern zu teilen. Anstelle von dankbaren armen Tr–pfen wurden uns durchschnittliche wichtigtuerische Europ”er aufgehalst Anstatt dieser grauen Masse sollte der Begriff ethnische S”uberung ein eigenes Gesicht erhalten, mit deutlich unschuldigen Opfern in sicherem Abstand. Die Geschichte, daþ zehntausende Moslemfrauen systematisch vergewaltigt wurden, hatte den gleichen Effekt wie die Konzentrationslager: im gesamten Westen flogen die Sicherungen herraus und der ethnische Krieg wurde greifbar gemacht, indem er spezifischer als sexuelle Gewalt interpretiert wurde. Aber die TV-Teams, die mit ausreichender Kenntnis einer internationalen Verkehrssprache auf Suche nach Opfern der Vergewaltigung gingen, kamen mit wenig oder nichts zur¸ck. Das Drama versandete in vagen Berichten hochqualifizierter Anzugtr”ger, die wieder als Basis f¸r Konferenzen dienen konnten, wo es sich dann herausstellte, daþ eine vergewaltigte serbische Frau etwas ganz anderes sei als eine kroatische, bosnische oder somalische. Frauensolidarit”t und nationale Zugeh–rigkeit k–nnen einander geh–rig im Weg stehen, wie sich herausstellte, als deutsche Frauen aus Berlin die Sache im kroatischen Zagreb durch eine Konferenz auf ihren nicht-ethnischen Nenner zu bringen versuchten. Die Opfer wollten sich nicht vor der Kamera zu erkennen geben, und mit ihren selbsternannten Vertretern konnten sich die Freundinnen aus der Ferne nicht identifizieren. Es bleibt ein Problem: je dichter man sich den Opfern n”hert, desto weniger kann/will man offensichtlich miteinander zu tun haben. Der Charme eines erreichbaren Krieges, daþ man dort innerhalb eines Tages hin kann, daþ man mit den Menschen dort sprechen kann, daþ man zu einem gemeinsamen Beschluþ kommen kann, erweist sich jedesmal als v–llig wirkungslos. Inzwischen taten sie in Sarajevo ihr Bestes, um mit eigener Kraft die Medien zu besetzen: v–llig autonom organisierten sie literarische Ereignisse, Filmfestivals und Theatervorstellungen mit der message, daþ leben mehr ist als nur ¸berleben. Bernard-Henri Levy, Susan Sontag, Juan Goytisolo waren dabei. Auch Gyorgi Konrad, Alain Finkielkraut und Salman Rushdie trugen von Weitem ihr Scherflein bei. Aber man wartete auf das ultimative Opfer und die ideale Personifikation des Ðberlebens aus dem Ghetto selbst. W”hrend der britische Independent seine journalistische Integrit”t aufs Spiel setzte, indem er eine verbissene und vergebliche Kampagne f¸r eine life-line ¸ber Land als minimale milit”rische Option lancierte, fand schlieþlich Die Sun den richtigen Dreh: es war ein unschuldiges Kind, es lag im Koma, es konnte keine falschen Dinge sagen und wir konnten ihm helfen. Die f¸nfj”hrige Irma Hadzimuratovic war nur ein Name, der sich einfach als "das M”dchen Irma" konsumieren lieþ. Und jeder konnte sich ungestraft an ihr vergreifen: die Leser, die Zuschauer, die Politiker, die Spezialisten. Nachdem Premier Major pers–nlich ein Flugzeug geschickt hatte, um sie zu kidnappen, konnte sich endlich die aufgestaute Energie einen Weg zu den gemeinsamen Kontonummern bahnen. Die Akkumulation von Schuld, Reue und besten Absichten drohte sich soeben noch gegen die eigenen Politiker zu wenden, aber der gekr”nkte Kommentar von Douglas Hurd, daþ "die Presse versucht, die Politik anhand von Zwischenf”llen zu bestimmen", r¸ckte die Beziehung zwischen der interaktiven Massenpartizipation und der fehlerhaften Geheimdiplomatie wieder zurecht. Wer schlieþlich sein Engagement auf meditative konsumptive Weise umzusetzen w¸nschte, wurde mit Zlatka Filipovic, der Reinkarnation von Anne Frank, die das zweifelhafte Vorrecht genoþ, nicht nach Bergen-Belsen geschickt zu werden, sondern in das ovale Empfangszimmer von Onkel Bill, gut bedient. 5. Der Partisanenkrieg des ehemaligen Jugoslawiens gegen die Medien endete unleugbar in einem Sieg. Als die bosnische Regierung dieselbe amerikanische PR-Agentur anheuerte wie zuvor die Kroaten, unterzeichnete sie ihr Todesurteil, nicht weil gleich darauf Kroatien gegen Bosnien zu k”mpfen begann, da kann ein account-manager nichts machen. Sondern weil zwei mal die gleiche Geschichte nun einmal nicht zieht: Kroatien war schon das ultimative Opfer, also muþte Bosnien-Herzegowina eine Nicht-Entit”t sein, welche selbst eine PR-Agentur nicht mehr zu etwas Substanziellem aufbauen konnte. Die strategische Allianz nichtssagender UN-Beschl¸sse und alle sich einen Dreck scherenden serbischen Man–ver speisten die Medien mit leeren Versprechungen ab. Die serbische Taktik, das Schlachtfeld st”ndig vom einen ins andere Tal zu verlagern, verlief parallel zum Wechsel von einander widersprechenden Wortf¸hrern der internationalen Gemeinschaft. Von den Akteuren mit Hauptrollen h”lt sich lediglich Karadzic an die Instruktionen: permanent bereit zu posieren und bizarr genug, um aufzufallen. Milosevic verh”lt sich souver”n wie ein wandelndes Staatsportr”t, und wenn er etwas sagt, dann ist es immer dasselbe. Izetbegovic spricht kein englisch und Haris Siladzic ist zu sehr der ideale Schwiegersohn des PR-B¸ros. Tudjman will niemand mehr, denn der redet viel zu lange. Abgesehen davon sind die Serben Meister der alten Medien, symbolisiert in der montenegrinischen Gusla, die Urleier in den beh¸tenden H”nden von Dichter Karadzic. Sie k–nnen noch recht lange damit fortfahren, ihre Vergangenheit aufzufrischen, zu Staub zerfallende Skelette ans Licht zu bringen, antike Landkarten abzuzeichnen, glorreiche Niederlagen wiederzuerleben und, nicht zu vergessen, das Leiden zu feiern, das per Definition nicht nach dem H–hepunkt einer Lifesendung strebt, sondern nach der steten Zerm¸rbung des kollektiven Organismus. In einem Krieg ohne Namen kommt der Totenkult am besten zur Geltung. 6. Die k”mpfenden Parteien haben sich auf einen Kampf ohne Ende eingestellt, w”hrend die Medien sich nach einem eindeutigen Ende sehnen. Die Satellitenverbindungen fressen ihre Budgets auf, dabei m¸ssen wir noch zu so viel mehr Krisenherden in der Welt. Es hat sich schon lange als unm–glich erwiesen, Umfragen zu formulieren, die eine Antwort ergeben. Kolumnisten schluþfolgern, daþ W–rter ihre Bedeutung verloren haben. Die Paperbackausgaben, die den Krieg in die richtige historische Perspektive stellten, liegen schon wieder beim Ramsch. Dieser Krieg entzieht sich m¸helos der zeitgen–ssischen Geschichtsschreibung. Aus dem Westen gesehen ist es der Krieg der verschobenen Intervention. Er will nicht in die Mediennormalit”t des Westens einbrechen, und der Westen will nicht in die Kriegsnormalit”t des Balkans intervenieren. Der real bestehende Krieg wird von humanit”ren Truppen gef¸hrt und sie leisten nicht nur Opferhilfe. "Helft dem Krieg durch den Winter". Durch die Versorgung der k”mpfenden Parteien mit variablen Anteilen an humanit”rer Hilfe, verl”ngert man den Krieg. Die Unm–glichkeit, milit”risch gegen die eigenen relief workers einzugreifen, verst”rkt den Eindruck, daþ die UN kein Teil der L–sung, sondern des Problems sind. Die logistischen Offiziere der Ÿrzte ohne Grenzen, UNHCR und des Roten Kreuzes sind zugleich die einzig zuverl”ssigen Informationsquellen. Mehr denn je haben sie eine eigene Rolle auf Gebieten gefordert, auf denen sie von Haus aus nichts zu suchen haben. Eine Krankenschwester gibt einem Kolonel Befehl, eine Blokade wegzur”umen, ein General ruft seinen Minister zur Ordnung und ein Transportbataillon evakuiert den letzten B”r aus dem Zoo. Was rundherum als der Krieg des Wahnsinns und der Barbarei angepriesen wird, wird in unserem Namen vom anst”ndigsten, menschlichsten und barmherzigsten Teil unserer eigenen Nation aufgef¸hrt. Und auch das stieþ auf eine passende Antwort: Pr”sident Ali Itezbegovic ging der Bev–lkerung von Sarjevo beispielhaft mit einem Hungerstreik gegen die humanit”re Hinhaltetaktik voran. 7. "If media is the answer, the question must be fucking stupid." Der Umstand, daþ die Kommunikationssoftware der UN auf den Namen 'Reality' h–rt, deutet an, welche Idee gescheitert ist: daþ nach dem Golfkrieg auch dieser Krieg f¸r die Medien sein w¸rde. Die Medien waren die ganze Zeit hin- und hergerissen. Die Vorstellung, daþ die Wirklichkeit des Krieges aufgrund der Eigengesetzm”þigkeiten und der Notwendigkeit, Zuschauer bleibend zu interessieren, durch die Medien geschaffen werden k–nnte, indem sie den Krieg mit der Wirklichkeit der Zuschauer verbinden. Alle Menschen, die noch so etwas wie Informationsbed¸rfnis meinen haben zu m¸ssen, zogen den einzig m–glichen Schluþ aus der totalen Niederlage der Medien: sie gingen hin, um es mit eigenen Augen zu sehen. Unter dem Motto "wir k–nnen es nicht l–sen, aber wir wollen es auch nicht verpassen" sind die Friedensaktivisten, die Blauhelme, die Journalisten, die Waffenh”ndler, die Hilfstransporte, die Vermittler und die Medienhelfer ¸ber den Balkan ausgestr–mt. Der Glaube an schnelle L–sungen ¸ber groþe Abst”nde hat einer langfristigen Hinwendung zu site-spezifischen Problemen Platz gemacht. Es kann gut sein, daþ die Medien ihren Verlust nicht ertragen und deshalb die Balkan-Platte in den Fukuyama-Graben schieben wollen, aber das braucht die Besucher des Reality-Parks Zuk¸nftiges Jugoslawien nicht davon abzuhalten, pers–nlich zu einem letzten Mahl des Abendlandes anzur¸cken.