This World Has Lost Its Glory 1. Die Katastrophen aber sind kein Dauerzustand. Im Mai 1945 reist Klaus Mann, 'a famous son of a famous father', als Sonderkorrespondent im Gefolge der amerikanischen Truppen nach Deutschland. Er kommt auf die Idee, Richard Strauss aufzusuchen, den er noch aus der Zeit vor Beginn seines Exils 1933 kannte - der 81j”hrige Komponist empf”ngt ihn ohne die Spur eines Wiedererkennens im bl¸henden Garten seiner Villa ('F¸nfzehn Opern, dazu die Lieder, die symphonischen St¸cke und andere Kleinigkeiten, es gen¸gt: Mein Oeuvre ist abgeschlossen.'). Ja, die Nazi-Diktatur war auch f¸r ihn in vielerlei Hinsicht l”stig gewesen. Wie kurz zuvor die Sache mit den Ausgebombten: Man habe Obdachlose bei ihm einquartieren wollen. 'Man stelle sich das vor!' ruft der Meister aus Deutschland, noch immer stocksauer, 'Fremde - hier in meinem Heim!' 'Beruhige dich doch, Papa' schreitet seine Schwiegertochter ein. Es ist doch nie dazu gekommen? 'Gewiþ, weil der Krieg zu Ende ging!' Aber wenn es nach Hitler gegangen w”re, an den er noch pers–nlich einen Brief geschrieben hatte, h”tte auch er 'ein Opfer bringen m¸ssen'. Und einen schlechten Musikgeschmack hatte der F¸hrer! Es gab doch noch mehr in der Welt als nur Richard Wagner! Und dann all die Schwierigkeiten, weil er 1933 einen Text von Stefan Zweig vertont hatte. Konnte er denn wissen, da es Rassengesetze geben w¸rden! Je daran gedacht, Deutschland zu verlassen? fragt Mann beil”ufig. Verlassen? 'Ich hatte hier doch meine Eink¸nfte - und betr”chtliche dazu. Und schlieþlich gibt es hier etwa 80 Opernh”user.' 'Gab' sagt Mann. 'Mindestens 80!' sagt Strauss. Wenn es weniger Lebensmittel gegeben h”tte, aber nein - immer gut gegessen im Dritten Reich! 'Bis jetzt hat man sich immer noch irgendwie durchgewurschtelt.' Aber h”tten wir nicht unter der Protektion von Musikliebhaber Baldur von Schirach, Reichsstatthalter der 'Ostmark' (Wien), gestanden - dann h”tte es noch was gesetzt. Denn meine Schwiegertochter ist, unter uns gesagt, 'rassisch nicht einwandfrei.' 'Ich kann wohl behaupten, da sie die einzige freie J¸din in Groþdeutschland war!' 'Aber Pappi - so frei war ich nun auch wieder nicht!' f”hrt die Schwiegertochter auf. 'Du vergiþt, was ich mitgemacht habe. Durfte ich zum Beispiel jagen? Nein! Sie haben mir sogar eine Zeitlang verboten zu reiten...' Guten Tag, Herr und Frau Strauss. Nein, vielen Dank, kein signiertes Foto. - Wie schafft man so etwas? Was muþ man innerlich mit sich anstellen, um solche Aussagen machen zu k–nnen, w”hrend sozusagen die Gr”ber in den L¸ften noch ¸ber dem Fr¸hlingsgarten hinwegschweben. - 'da liegt man nicht eng'. Welche Leere ist das - was fehlt hier? 2 Alles soll erfaþt werden. Es gibt eine Erz”hlform, die die paradigmatische genannt wird. Anders als in der Erz”hlung, in der von Szene zu Szene eine Handlung entfaltet, eine Entwicklung oder ein Geschehen beschrieben wird, ist ein paradigmatisches Werk aus Szenen aufgebaut, in denen von Mal zu Mal die vollst”ndige Erz”hlung zusammengefaþt ist. Keine Ursachen und sp”tere Folgen, keine Psychologie sondern Strategie: 'jede einzelne Szene steht f¸r die Totalit”t des sinnlichen und argumentativen Exzesses, der sich einer folgerichtigen Erz”hlung entzieht' - sagt Monika Treut. Und f”hrt anhand von Justine und Juliette von de Sade fort: im paradigmatischen Schreiben ist der Mythos zerst–rt, es gibt keine 'Chronik' mehr, kein Chronos, die Erz”hlform 'stellt nur ein stets wieder durchbrochenes und verworfenes Mittel dar, um beschreibbare Anl”sse f¸r die endlosen Wiederholungen zu finden, in denen die "Moral" de Sades ausgedr¸ckt werden kann'. Wer versucht, ein derartiges Buch chronologisch zu lesen, bemerkt recht schnell, daþ kein Durchkommen ist - es ist kein teleologischer Prozess erkennbar, der auf Vollendung gerichtet ist, es gibt nur das endlose Abspulen von stets denselben Vorstellungen. Nacherz”hlen ist nicht drin, zusammenfassen unm–glich, es gibt keine essentiellen Seiten zum besseren Verst”ndnis des Ganzen. Alles ist alles - und immer too much, Schwafelei, endloses Geschw”tz: die Aufhebung der Zeit durch eine Erz”hlweise, die wie die Zeiger einer Uhr, immer wieder zum Ausgangspunkt zur¸ckkehrt, welcher ebenso willk¸rlich ist. Seltsame B¸cher sind das, und immer von enormem Umfang. Merkw¸rdigerweise geh–hren die Memoiren der Filmemacherin Leni Riefenstahl zu genau diesem Typ von Prosa. 3. Den liebe ich, der Unm–gliches begehrt. Leni Riefenstahl war gl¸cklich in den dreiþiger Jahren. Sie selbst hat das seinerzeit mit einer Anzahl netter B¸cher dokumentiert. Treffend zeigte es sich gleich in ihrem Debut, Kampf in Schnee und Eis, von 1933, der von den ersten Jahren ihrer Filmkarriere handelte. Und dann gab es da noch eine ganze Geschichte: T”nzerin, Knieverletzung, was nun, sieht einen Film ¸ber Bergsport und denkt: das will ich auch!, lernt Bergsteigen (mit bloþen F¸ssen), wird Schauspielerin unter der Regie des Mannes, der den Film gemacht hatte, der sie so f¸r die Berge begeistert hatte - und herrliche Abenteuer als Schauspielerin folgen, in Filmen mit den Titeln Der heilige Berg, Die weiþe H–lle vom Piz Pal¸, St¸rme ¸ber dem Montblanc, Der weiþe Rausch (sie schleppten Ende der zwanziger Jahre die kolossalen Kameras von damals ¸ber Bergspitzen, Gletscherspalten und unter Lawinen, f¸r Filme, deren Bilder nun beinahe buchst”blich verblaþt sind), lernt nebenbei das Filmhandwerk und deb¸tiert dann mit einem eigenen low-budget-Projekt: Das blaue Licht - fantastisch, den Film dort in Ticino im italienischen Tirol zu machen, mit den spr–den dort ans”ssigen Bauern mit ihren guten Gesichtern, arbeitet dann an einer deutsch-amerikanischen Riesenproduktion mit, SOS Eisberg, in Gr–nland soll gedreht werden, und hat dort, nach einer langen Schiffsreise, das ultimative Naturerlebnis. Einsamer nie als im August - Erf¸llungsstunde: so sch–n, so groþartig ist es sonst nirgends auf der Erde. Durch einen Sturz von einem kenternden Eisberg ins Polarmeer erkrankt, muþ sie schlieþlich in die zivilisierte Welt zur¸ckgeflogen werden, voller Heimweh nach ihren Eskimofreunden, bei denen, so endet ihr Buch, es noch etwas gibt, das wir hier verloren haben: 'die Zeit, und damit unser eigentliches Leben'. 1934 folgt ein zweites Buch, Hinter den Kulissen des Reichtagsfilms - auch hier derselbe Frohsinn. Die Geschichte dreht sich um die Organisation ihres dritten Films. (Vorher hatte sie, sofort nach der R¸ckkehr und Genesung vom Eisbergfilm, den Reichsparteitag 1933 der NSDAP in einem kurzen Film aufgenommen.) Nun hat ihr Hitler pers–nlich erneut den Auftrag zu einer 'k¸nstlerischen Gestaltung des N¸rnberger Reichsparteitages durch den Film' gegeben. Was ist k¸nstlerische Gestaltung - die Kernfrage des Buches. Folgendes, sagt Regisseurin Riefenstahl: keine Chronik machen! Was tats”chlich zwischen dem 5. und 10. September 1934 auf den Parteitagen geschieht ist unerheblich - 'Eine Chronik m¸þte die N¸rnberger Ereignisse durch ihren Abklatsch, durch ihre fotografische Treue erm¸dend und ern¸chternd aneinanderreihen.' Es geht darum, dem heroischen Stil und dem innerlichen Rhythmus des Geschehens auf die Spur zu kommen. Die Methode, die sie dazu anwendet, ist, zun”chst alles aufzuzeichnen - und dann wird es geschehen: 'Ganz von selbst sch”lt sich aus der inneren Anschauung der Aufgabe der Begriff von der "k¸nstlerischen Gestaltung".' 'Besessen hinter den wirklichen Ereignissen her; es darf kein "halt" und kein "unm–glich" geben. Alles Geschehen muþ blitzschnell intuitiv erfaþt werden.' Was f¸r eine power! Was f¸r ein Schneid! Wie unbek¸mmert selbstsicher sie in diesen Tagen war! Auch das bekomme ich hin: die Zeit, und damit unser eigentliches Leben, als Material zu nutzen, um k¸nstlich einen Rhythmus, einen Stil heraufzubeschw–ren, wodurch der Film als eine Art Energiezentrale f¸r die 'innere Bereitschaft' fungieren kann, wodurch alle 'Zweifel, alle Bedenken, alle Hemmnisse' ¸berwunden werden k–nnen. (Man kann alle Bedenken und Hemmnisse nur ¸ber Bord werfen, wenn man innerlich dazu bereit ist.) Der k¸nstlerische Film zeigt das Unzeigbare, das was die Ereignisse vollst”ndig macht, und steigert es kumulativ zu einer Klimax: Hitlers Schluþrede an die versammelten Parteimitglieder in der Kongresshalle. Da geschieht es: 'Die Menschen sind im Innersten gepackt' - so Leni (tiefer als das Innere: das Innerste). Ihr drittes Buch, Sch–nheit im Olympischen Kampf von 1938, enth”lt Standfotos aus ihrem Film ¸ber die olympischen Spiele. Nun ist alles noch etwas groþartiger und mitreiþender. W”hrend der Spiele von 1936 in Berlin war Leni Riefenstahl faktisch die einzige gewesen, die Bilder machen durfte: sie konnte jedem - auch den ausl”ndischen Kameram”nnern und Fotografen - verbieten, irgendwo Aufnahmen zu machen, wenn ihr das nicht paþte (und das tat sie dann auch in groþem Stil, was ihr ordentlich unter die Nase gerieben wurde, als sie im November 1938 die USA besuchte). Sie selbst nahm mit ihrem Team soviele Bilder auf, daþ sie 18 Monate brauchte, um einen Film daraus zu destillieren. Aber wie sie es genoþ! Wie sicher sie wuþte, daþ sie hier einen H–hepunkt erreichte! Es existieren eine Anzahl Publicityfotos von Leni selbst, aufgenommen w”hrend der Spiele. Auf einem davon steht ein L”ufer, der sich nach irgendeinem Sieg verschnauft, umringt von einen Halbkreis von Kameram”nnern und Fotografen. Auf dem Boden sitzt Leni (die einzige ohne Kamera). Sie sitzt mit den Beinen seitw”rts nach hinten und st¸tzt sich auf ihre H”nde, ihr Kopf (mit einem gestreiften Haarband) reckt sich dem vorn¸bergebeugten L”ufer entgegen. Strahlend sieht sie ihn an, mit einem riesigen Lachen, man sieht Z”hne blinken. Glorreiche Tage! Nicht einer der Kameraleute lacht, sie zeigen einfach professionelles Engagement. Nur Leni strahlt eine ja!-nur zu!-Fr–hlichkeit aus. Frauenlachen - M”nnerwelt! Immer die einzige Frau gewesen! Man nehme das Foto: 'Adolf Hitler und Leni Riefenstahl begr¸þen das deutsche olympische Team'. In einem kleinen Saal, mit einer Palme im Hintergrund und Gobelins an der Wand, stehen dicht gedr”ngt etwa hundert braungebrannte M”nner in dunklen Anz¸gen zur Mitte gebeugt, wo eine Runde um einen Tisch sitzt, mit halbleergetrunkenen Biergl”sern darauf. Jemand in der rechten vorderen Ecke hat gerade eine Frage gestellt und hinten lachen M”nner. Riefenstahl sehen wir rechts auf einem Stuhl (helles Kleid, gestreiftes Haarband auf ihrem Schoþ) mit einer Hand gegen ihre rechte Wange, dem Fragesteller lauschend und zu ihm aufschauend. Hinter ihr sitzt Hitler und starrt Leni mit groþen Augen an: Bewunderung, Verbl¸ffung? Wie kriegt das Frauchen das nur hin? Er hat gl”nzende schwarze Schuhe an, eine dunkle Hose und eine helle Uniformjacke (das einzige weiþe Jackett im Raum). Um seinen Arm tr”gt er ein dunkles Band mit so einem Hakendingens drauf. Einige M”nner haben sich so weit vorn¸ber gebeugt, daþ sie ¸ber Riefenstahl h”ngen.- Sie fraþen ihr aus der Hand! Das gesamte deutsche Team fraþ ihr aus der Hand! F¸nf lange Jahre lang! 4. In der Bergwelt war ich gl¸cklich. Als Leni Riefenstahl 1982 ihre Memoiren zu schreiben beginnt, hat sie ein Problem. Wie macht man das? Wie beschreibt man, daþ man die die sch–nste Zeit seines Lebens genau in jener Periode verbrachte, die als einer der scheuþlichsten sick jokes of history in die Annalen einging? Daþ man genau jene M”nner um den kleinen Finger wickelte, die seither allgemein als Massenm–rder, Kriegsverbrecher oder als all zu normale Halbidioten gelten? Daþ man seine Kreativit”t auf den f¸r einen pers–nlich h–chsten Punkt gesteigert hat, mit Hilfe eines Materials, das jeder (inklusive derjenigen, die es produzierten) im Nachhinein f¸r den absoluten Tiefpunkt des Jahrhunderts h”lt. Daþ man sein Leben in Dingen verwirklicht hat, die heute, milde gesagt, als vollkommen l”cherlich beurteilt werden? Vierzig Jahre lang (denn 1942 hatte auch Leni ziemliche Hemmungen und Bedenken bekommen - Grund f¸r sie, ihren folgenden und letzten Film ¸ber eine Oper zu machen, der so sehr an ihre Bergfilme vor 1933 anschloþ, daþ es absolut nichts mit dem Zeitraum dazwischen zu tun haben konnte - und selbst das gelang nicht, denn die Zigeunerjungen-mit-Tr”ne-im-Auge, die sie f¸r ihr Tiefland brauchte, waren damals nur noch an Orten zu finden, an die wir bis heute bei den jeweiligen Denkm”lern mit Grauen zur¸ckdenken) - vierzig Jahre lang hat sie diese Fragen in ihrem Inneren gedreht und gewendet. Leere. Was in Riefenstahls albernen Filmen auff”llt, und was schon in den Antworten von Richard Strauss auffiel, und was in den Memoiren beinahe unertr”glich wird, ist eine bestimmte Art atemberaubender Abwesenheit. Etwas, was anderswo vollkommen selbstverst”ndlich und unauff”llig existiert, fehlt hier mit einem Mal. Eine innere Resonanz, eine Art Bewegtheit, eine Anwesenheit - der kosmische Hintergrund vibriert nicht mit. Strauss ist nicht einfach ein biþchen gewissenlos, sein 'v–llig ruchloser, v–llig amoralischer Egoismus' scheint nie davon geh–rt zu haben, daþ es so etwas wie –ffentliche Verantwortung und private Verantwortlichkeit gibt. Nat¸rlich gab es eine Zeit, in der auch Strauss ¸ber normales gesellschaftliches Verhalten im Bilde war, aber es ist ihm gelungen, diese Zeit vollkommen abzusch¸tteln: aktiv, von Anfang bis Ende, gewissenhaft, ist es ihm gelungen, Minute f¸r Minute aus seinem Ged”chtnis wegzudenken, aber auf die Dauer mit stets geringerer Anstrengung, und schlieþlich, ohne daþ es ihm je bewuþt war, 'restlos' wegzufegen - bis nur noch er selbst ¸brigblieb. Mein Oeuvre ist fertig und der Rest k¸mmert mich einen feuchten Dreck. Ich will mich nicht mehr ”ndern. Mich gibt's. Das Leben (ob es nun Nazis, Alliierte oder die Geschichte selbst betrifft) wird schon f¸r den Fortschritt sorgen - bei mir muþ das nicht mehr sein. Um diese Zeit ist Entwicklungsfremdheit auch Riefenstahls Tiefe geworden: sie ist k¸nftig endg¸ltig so, wie sie um 1932 gewesen sein muþ. Auch sie ist (vermutlich ab 1938, der Zeit der Amerikareise) jemand geworden, der 'ist', der daraus seine 'Moral' macht: das bin ich und weiter kann mir niemand etwas anhaben! Und das dann vierzig Jahre durchhalten, w”hrend immer wieder, endlos und unerm¸dlich behauptet und bewiesen wird, daþ man etwas anderes ist (ein L¸gner, ein Nazipropagandist, eine geile Fotze, ein Krimineller, ein Mitl”ufer, eine Schlampe) und daþ man jetzt endlich einmal Verantwortung zeigen soll (bloþ mal sagen: 'Damals habe ich das nicht durchschaut, aber in der Tat, wenn ich darauf zur¸ckschaue, muþ ich konstatieren, daþ Triumpf des Willens und Olympia zum Teil f¸r Propagandazwecke gemacht und benutzt wurden.' Eine solche Aussage w¸rde akzeptiert werden, auch wenn nachgewiesen ist, daþ Riefenstahl 1938 schon wuþte, daþ ihr olympischer Film politisch vielleicht nicht ganz einwandfrei war; auf ihrer Promotiontour in die USA nahm sie drei Versionen des Films mit: die l”ngste f¸r widerliche Deutsche in den States, voll von Hitler und steifen Armen, und den k¸rzesten f¸r the general public - ohne Haken sozusagen, nur frischer und fr–hlicher Faschismus und auþerdem Sport). Nach 1945 hat Leni Riefenstahl Jahrzehnte lang Prozesse gef¸hrt, gegen alles und jeden, der eine etwas andere Version ihrer Lebensgeschichte als ihre eigene vertrat, denn sie wollte noch weiterkommen, anders als bei Strauss war ihr Oeuvre noch nicht komplett (sie wollte Penthesilea von Heinrich von Kleist verfilmen), aber das ginge nur, wenn sie 1933-45 nie erlebt h”tte und ihr Leben (immer wieder immer wieder) von vorne anfangen k–nnte. (Aus der Verfilmung wurde nichts). 1955 zog es sie nach Afrika, wo sie ihr Naturerlebnis vom Ende der zwanziger Jahre noch einmal wiederholte (die Berge waren von Massentouristen ¸berlaufen) und wieder sp”ter, im Alter von 72 Jahren, warf sie ihr h–chstpers–nliches Naturerlebnis-fern-der- Zivilisation ins replay ein, indem sie Tiefseetauchen lernte (ihre Afrikaner trugen damals schon Unterhosen und lieþen sich nur noch gegen cash fotografieren). Das bin ich - dieser K–rper bin ich, und auch das darf sich nie ”ndern, immer zu h–chster Leistung f”hig. Ihr K–rper hat vergessen, wie er alt werden muþ (aktiv vergessen: mit Frischzellentherapie wurde er jung gehalten). Man schafft es nur, zu 'sein' (eine Identit”t konsequent durchzuhalten), wenn man eine Strategie ausarbeitet, einen m–glichst detaillierten Lebensplan organisiert, in dem bis in die kleinsten Einzelheiten die M–glichkeit, daþ man etwas anderes sein k–nnte, als man ist, auf jede Weise liquidiert wurde, weil es niemals bestanden hat. Nie ein Aufstoþen, nie etwas Merkw¸rdiges, das einfach hereingeschneit kommt - hier, in meinem Heim -, alles ist Abbildung der eigenen Vorstellung von dem, wie es immer aussehen soll. - Und genau das ist Authentizit”t. 5. O wie vereinfacht sich das Leben! Faschismus heiþt: alles ist sauber, alles muþ sauber sein, nichts darf einfach so geschehen. Es gibt nur Auþenseite. Wenn man selbst etwas tut, das nicht sauber ist, muþ man es so schmutzig tun, daþ niemand sich je vorstellen kann, daþ es wirklich passiert ist, denn jeder kann sich ja nur Dinge vorstellen, die sauber sind - halte die Dinge unwirklich, lautet das Motto der Faschisten. Im Inneren hat man mit nichts Probleme. Ende der zwanziger Jahre ergreift Leni Riefenstahl, obwohl sie eigentlich nie die groþe Stadt verlassen hat, unvermittelt eine Passion f¸r das Hochgebirge. Merkw¸rdig? Dann sieht sie eben einen Film und wird von der Sch–nheit des Berggipfels ergriffen - der Film war ein groþer Publikumserfolg - wenn jeder es sch–n findet, darf ich das doch auch? Dann ist sie Feuer und Flamme f¸r die Nazis - aber nicht nachdem Hitler pers–nlich ihr den Befehl dazu gegeben hat (mit ganz Deutschland tat er das! Warum sollte ich dann nicht -). Irgendwann in den f¸nfziger Jahren packt sie das 'Afrikafieber' - hoho, nun, das kam durch ein Buch von Hemingway (Nobelpreis). Dann folgen die Nuba - Fotoalbum! Die Tiefsee - Bildband! (Hohe Auflage!) Sobald auch nur irgendetwas geschieht, das auf eine eigene innere Bewegung deuten k–nnte, beruft Leni sich auf Massenerfolge (Massenmensch). Und die groþen Lieben ihres Lebens? Die M”nner? Leni Riefenstahls Memoiren bestehen aus Erinnerungen einer aktiv Vergeþlichen. Daþ sie nicht ¸ber die Vorgeschichte und die ”sthetischen Prinzipien hinter Triumpf des Willens zum Beispiel schreibt, wie es der filmbegeisterte Leser erwarten w¸rde, liegt daran, daþ sie es wirklich nicht mehr weiþ. In etwa 300 Kapiteln wird ¸ber 900 Seiten bis zum Zerm¸rben dieselbe Geschichte abgespult: immer wahnsinnig viel gearbeitet, ich (aber die anderen). Immer ¸berall dabei gewesen (aber die anderen). Leni kannte nicht nur Hitler, Mussolini, Speer pers–nlich, um nur einige zu nennen - sie war auch dabei, als sie ihre dramatischsten Beschl¸sse faþten (ein Land zu erobern, einen Pakt zu schlieþen, einen Angriff zu starten). Sie will sowohl alles mitgemacht, als auch nie etwas gewuþt haben. Wozu dienen Memoiren? Ihre strategische Vergeþlichkeit zwang sie, ihre Erinnerungen selbst aufzuschreiben, und das nicht einem Ghostwriter oder Journalisten zu ¸berlassen, denn die w¸rden sich an die falschen Dinge nicht- erinnern. (Daþ sie kaum ¸ber Triumpf des Willens schreibt kommt daher, daþ sie heute leugnet, das Buch von 1934 je geschrieben zu haben.) Margarete Mitscherlich nennt sie wegen dieses W”lzers 'eine von M”nnlichkeitswahn besessene Superverleugnerin'. Tats”chlich versp¸rt man als Leser schon nach zehn Seiten den Drang, Leni begreiflich zu machen, wenn man schon l¸gen will, es so zu tun, daþ es nicht so furchtbar auff”llt. Auf Seite 13 hat sie schon wieder vergessen, was sie auf Seite 12 behauptet hat (inklusive dem was jeder weiþ: D-day findet bei ihr nicht in der Normandie, sondern in D¸nkirchen statt). Man l¸gt aus Respekt vor der Wahrheit; man h”lt es der M¸he wert, diese hinter einem Netz von weitschweifigem Gelaber zu verbergen. Aber Leni verbirgt nichts, es ist nichts mehr ¸brig. Nat¸rlich weiþ auch Leni Riefenstahl, daþ Memoiren den Sinn haben, endlich einmal alles zu sagen, 'die Wahrheit, die nackte Wahrheit!', und die Wahrheit (hat sie irgendwo geh–rt) ist, daþ die Dinge nun einmal nicht so h¸bsch sind, wie jeder sie gerne h”tte. Sich etwas zu konsequent auf diese Einsicht st¸tzend, bezeichnet Leni alle M”nner in ihrem Leben - von ihrem Vater bis zu ihrem Bergfilmregisseur, von Goebbels bis zu allen Afrikanisten - als Dreckskerle, Vergewaltiger, geile R¸pel, Mutters–hnchen, unter der Fuchtel einer Schlampe, Hosenscheiþer, geldgeil, Feiglinge, Fehlschl”ge, Schw”tzer mit einem groþen Maul und einem kleinen Schwanz - nur (leider, leider!) auf eine Art, wie sie es einmal irgendwo gelesen hat, anstatt auf ihre eigene Art. In Riefenstahls Memoiren ist niemand und nichts, was jemand tut, interessant. (Ðbrigens erinnert sie sich durchaus ganz genau, wer je etwas Unfreundliches ¸ber sie gesagt hat, in Interviews, in Memoiren oder in der Klatschbiographie, die ein Glenn B. Infield mit offenem Hosenschlitz ¸ber sie schrieb.) Mit wieviel Durchsetzungsverm–gen Leni auch ihre eigene Vergangenheit abwertet, es gibt doch einen Mann, der 100% gut dabei wegkommt. Ende Februar 1932 geht Leni zuf”llig in eine Sporthalle, in der an diesem Tag gerade etwa 10.000 Menschen versammelt sind, um der Rede eines A. Hitlers zu lauschen. All' die Menschen, was tu' ich hier, ah, dort ist der Redner dieses Abends. The voice spricht in ein Mikro und da t–nt es: 'Volksgenossen! Volksgenossinnen!' Riefenstahl, 1987: 'Merkw¸rdigerweise hatte ich im gleichen Augenblick eine beinahe apokalyptische Vision, die ich nie mehr vergessen konnte', (konnte! Und Sie wissen ja, wie sehr ich mich bem¸ht habe!) 'Mir war, als ob sich die Erdoberfl”che vor mir ausbreitete - wie eine Halbkugel, die sich pl–tzlich in der Mitte spaltet und aus der ein ungeheurer Wasserstrahl herausgeschleudert wurde, so gewaltig, daþ er den Himmel ber¸hrte und die Erde ersch¸tterte.' So phallisch dieses Bild auch ist, der 'Wasserstrahl' macht deutlich, daþ Leni hier keinen Orgasmus hat, sondern spontan in ihre Hose pinkelt - genau wie alle anderen Frauen, die es ¸berkam, wenn Hitler eine Rede anfing (die Schluþrede in der Kongresshalle in Triumpf des Willens: in ihrem 'Innersten gepackt': 'die Teppiche triefen' berichtet Veit Harlan im Schatten seiner Memoiren ¸ber diese Zeit). F¸r diese Befreiung von der durch ein Arschloch von Vater eingebleuten Angst vor dem Bettn”ssen wird Leni ein Jahr sp”ter gestraft, als sie sich in Gr–nland nach einem Sturz ins N–rdliche Eismeer eine chronische Blasenentz¸ndung zuzieht, und von da an immer Schmerzen beim Pissen gehabt haben muþ. Aber immer gut befreundet geblieben mit A.H. (aber er hatte mit den falschen Menschen Umgang und man sehe sich an, was aus ihm geworden ist). Sp”ter hatte sie noch einmal eine Vision und noch einmal trifft sie M”nner, die aus ihrer Sicht gut wegkommen. Die Vision hat sie, als ihr ihr sp”terer Ehemann ¸ber den Weg l”uft: 'Das Ungew–hnliche war, daþ ich in diesem Moment, im Bruchteil einer Sekunde, eine Vision hatte, die zweite meines Lebens: Zwei Kometen mit riesigen Schweifen rasten auf mich zu, prallten zusammen und explodierten.' Und diesmal bedeutet es zugleich Sex - ihre erste Nacht: 'Noch nie hatte ich solche Leidenschaft kennengelernt, noch nie wurde ich so geliebt.' (Strafe: er erweist sich als Arschloch, der seinen Schweif in jeden Komet steckt auf den er bumsen kann, um zu explodieren - die Ehe h”lt nicht lange.) Die echten M”nner schlieþlich trifft sie in Afrika: the last of the Nuba, die stets nackten K”mpfer von S¸dsudan - 'Meine schwarzen Freunde' nennt sie sie. Nachdem sie sie f¸nf Jahre nacheinander besucht hat, wird ihr als Ehrenbezeugung oder als Zeichen des Vertrauens zugestanden, an einem Fest teilzunehmen, bei dem Frauen ihren zuk¸nftigen Ehemann w”hlen. Sie beobachtet nachts zwischen den Feuern, wie ein M”dchen so einen Heiratsantrag macht (das M”dchen legt dabei ihr Bein auf seine Schulter). Leni will Fotos machen, 'aber ich wurde von ihren M¸ttern daran gehindert'. Diese tanzen n”mlich taktisch um sie herum. 'Inzwischen hatten zwei andere M”dchen die Beine auf die Schultern der M”nner gelegt. Ich h”tte schreien k–nnen, daþ ich dieses Ritual nicht aufnehmen konnte. Ich riþ mich von den Weibern los und rannte auf die andere Seite der Rabola, wo ein M”dchen vor ihrem Auserw”hlten tanzte.' Als sie ihre Kamera eingestellt hat, sind die M¸tter wieder da und tanzen um sie herum. Leni ersinnt eine List: sie hopst ein biþchen mit, reiþt sich dann aber los, 'um im allerletzten Licht noch einige Aufnahmen zu erwischen'. (Nie wirklich Freunde gewesen.) Ihre letzten Freunde findet sie in der Tiefsee: 'Zuerst faszinierten mich die Fische in ihrer Vielfalt und Farbenpr”chtigkeit.' Faszinierende Fische. Ein Tauchausflug: 'Fische begleiteten mich - aber wenn sie fotografiert werden sollten, hielten sie nicht still. Es gibt Erlebnisse unter Wasser, die man nur einmal hat, und nicht immer ist man in solchen Augenblicken mit der Kamera schuþbereit.' Das ist es: allzeit schuþbereit stehen, um, sobald etwas Einzigartiges geschieht, abzufeuern. Nichts darf sich bewegen. Alles muþ so sein, wie man es haben will. Noch einmal: wozu dienen Memoiren? Wozu sonst - nachdem jeder Versuch miþgl¸ckt ist, einen essentiellen Rhythmus aus dem Ger¸ttel der eigenen Chronik zu sch–pfen - als die Wirklichkeit aufzuheben, indem sie in ihrer Gesamtheit wiederholt wird, einschlieþlich aller Wiederholungen in dieser Wirklichkeit, die den Zweck hatten, sie unwirklich zu machen? Laut Monika Treut haben die kurzen St¸ckchen mit der ewig selben Story bei de Sade zwei Funktionen: zuerst zerst–ren sie den Mythos, daþ so etwas wie eine Chronik, eine epische Abfolge, im Leben existiert; aber auþerdem ist ihr Ziel, 'in eine Ekstase zu f¸hren, um f¸r die "integrale Ungeheuerlichkeit" des Souver”nen Menschen zu zeugen.' Was ist Lenis Ekstase, Lenis Groþartigkeit? Ich bin groþartig, also bin ich - ich bin groþartig, ich bin (tot) ich bin ich bin groþartig ich bin tot ich groþartig bin ich bin ich bin groþartig (tot). Wozu sonst will man seine Existenz beweisen, als um ihr ein Ende zu machen? 6. All writing is posthumous. Nie selbst etwas erlebt. Immer auf Jagd nach der Authentizit”t anderer gewesen: echte Bergmenschen, echte M”nner, echte Nazis (nur Hitler: um ihn herum hatte sie w”hrend der Olympiade von 1936 eine Batterie Kameraleute aufgestellt, um 'seine allernat¸rlichsten Posen' zu schieþen), dann: das echte Afrika, echte Schwarze, echte Nuba, echte Fische. Ihr ganzes Leben eine Fotosafarie, um jede Spur von authentischer Erfahrung zu killen. - Aber das ist genau das, was Fotografie und Film ist: die innere Notwendigkeit, die Welt im Bild festzuhalten (ihre Bewegung festzuhalten in bewegten Bildern), das heiþt: die Welt von ihrem Inneren zu befreien - was ist das f¸r eine Leere, was fehlt hier? Nichts kann sich im Bild mehr ver”ndern, alles ist ein f¸r allemal verpflichtet, zu 'sein', allzeit wiederholbar, an den verschiedensten Orten, unter den verschiedensten Umst”nden - ungeachtet der Kultur, ungeachtet der Sprache, ungeachtet der grausigen Vergangenheit; ohne Folgen und ohne Fortsetzung, immer Erinnerung, immer mehr vom Gleichen. - Kein Widerstand gegen die Zeit (denn Fotos zerfallen und Film zerf”llt noch viel schneller, nicht nur chemisch, sondern mehr noch technologisch), sondern Widerstand gegen die Verg”nglichkeit als Ver”nderlichkeit (die Kamera ist die Extension der menschlichen F”higkeit, aktiv zu vergessen). Kein K–rnchen urspr¸ngliches Geschehen darf bleiben: alles geh–rt registriert, alles ins Bild gezwungen, alles ausgeschaltet - und der Preis ist immer Vernichtung des eigenen Zeitbegriffs (in Riefenstahls Memoiren kommt kaum ein Datum vor), Vernichtung der laufenden Metamorphose, Vernichtung des Prozesses. Aber das Ziel ist Authentizit”t auf einer anderen Ebene, Einmaligkeit auf einer Metaebene (Kunst). So wie das Automobil, der Zug und das Flugzeug durch Verbrennung einer fernen Vergangenheit vorw”rts kommen (die geologische Formation, welche heute zu Steinkohle, ÷l komprimiert ist), so ist die Fotografie - das Bild - ein Vorw”rtskommen, welches die ihm unmittelbar vorausgehende Welt verbrennt, wegfegt - Vorw”rtskommen in Richtung der Ebene, auf der das Authentische immer f¸r die massenhafteste Verbreitung vorgesehen ist (Welterfolg). Die Erlebnisse, die ihr Leben ver”nderen, kommen bei Leni immer aus einem Massenprodukt hervor. Genau wie Leni ihr innerstes Erlebnis jedesmal wieder erneuern muþ, um dasselbe zu bleiben (Berge Nazi Nuba Tiefsee), so m¸ssen die Massenmedien st”ndig wieder erneuern (LP tape CD F¸ller typewriter PC Radio TV HD), um dasselbe zu bleiben und weiterhin dasselbe zu zeigen: das Allgegenw”rtige, das Unmittelbare, das Massen- Authentische, die restlose Vernichtung des Einmal-aber-nie-mehr-wieder (aber was folgt, ist keine Massenmetamorphose). Ist es das? Ist das Authentische der Anfangspunkt der Verwandlung? Das Ereignis, das einen authentisch macht, wodurch man nicht mehr jemand zu sein braucht, sondern sich auf den Weg auf die einzig m–gliche Route macht, auf der man metamorphosieren kann - die eigene, die des eigenen K–rpers - die postauthentische Metamorphose - die einzig wirkliche, nur f¸r einen und f¸r einen ganz allein bestimmte T¸r?