Provozierendes Zuschauen "We're in the boredom killing business." Das Fernsehen hat die Schrankwand verlassen und sich all the way to the bottom begeben. Man hat Rollen daruntergesetzt, was die innerh”usliche Mobilit”t maximiert. Der sp”t-mediale Empf”nger hat sich dazugelegt, auf die Couch, das Bett, die chaise longue oder den Boden, mit einem Kissen und Kuscheltier. Die Video-Ergonomie hat den Stuhl als Thron, auf dem einmal der moderne F¸rst sein Medienglacis ¸berschaute, beiseite gestellt, und erforscht fortan die horizontale Rezeption. Das k–nigliche Szepter verwandelte sich in eine remote control, mit der die Kan”le w”hrend des Empfangs hereingelassen oder weggewinkt werden k–nnen. Das innere Erleben des Halbschlafs vor dem Bildschirm wird in Abst”nden durch Aufsuchen des K¸hlschranks, des Klos oder des Telefons unterbrochen. "Wo ist der Aschenbecher?" Ist das nun der post- humane Zustand, ¸ber den so viel geschrieben wird, oder ist der lediglich 'dem Anderen' beschieden? Die durchgesackte conditio video l”þt die Bilder nie unmittelbar zur Wahrnehmung durch. Fernsehen wird durch Programmzeitschriften sowie Familienverh”ltnisse vermittelt. Das Vor-der-Glotze-H”ngen, das informierte Schauen, der Rhythmus der Serien, die totale Abh”ngigkeit von couch potatoes und das faszinierte Starren nach den Schwankungen der Lichtst”rke sind St¸ck f¸r St¸ck Legenden aus einer verflossenen Fernseh-Ÿra. Heute sprechen wir vom gefilterten Sehen: ein psycho-chemisches Vergr–þerungsglas ist zwischen das offene Auge und die strahlende Kiste geschoben. Der Zuschauer ist nicht l”nger verletzbar, nackt und unschuldig, sondern manipuliert die Bilder selbst und bezieht sie nach Belieben in seine eigenen Sport- und Spielpraktiken ein. Die Bilderherrschaft von fr¸her, die ¸ber die knetbaren, homogenen Massen gebot, ist selbst ein tr”ger Bilderbrei geworden, der zur ungehinderten Bearbeitung bereit liegt. Die Internalisierungsstrecke ist umgedreht und die Bilder erhalten nun das theoretische Raster vom relaxten Subjekt aufgesetzt. Der Videok¸nstler muþ ganz sch–n was an Gewalt- und Panik”sthetik aufbieten, um das zu durchbrechen. Die audiovisuellen Medien haben nicht zur erwarteten Reiz¸berflutung gef¸hrt, sondern zu einem ¸berlegenen state of mind. Zwischen dem klassischen Sender und Empf”nger ist ein Raum entstanden, in dem das Bewuþtsein sich zeitweilig bis zur totalen Kontrolle ¸ber jeden Input ausbreiten kann. Der beste Qualit”tsmesser von Videoclips und allen abgeleiteten Genres ist das Haschisch und seine Designervarianten. Auch Abendtee, Milchkaffee, Malzbier, Cola, ein Gl”schen Wein, Erdbeertrip oder XTC sorgen f¸r unvermutete Dimensionen und einmalige Verbindungen im Sehgenuþ. Jeder kann f¸nfzehn Minuten lang ein genialer Medientheoretiker sein. Die unertr”gliche Aktualit”t ist reduziert auf archetypische Proportionen. Es ist beruhigend, die Poesie der historischen Konstanten zu empfinden, wenn man nichts besseres zu tun hat. Das Anschauen mentaler Bilder anderer Leute ist zeitweise Entertainment, das ergibt sich aus dem Reichtum der historischen Ideologien. Aber dies ist mehr als nur Ungebundenheit, es ist Schauen in die J¸ngersche Schicksalszeit. Mit den Drogen in der Hand sinken wir hinab zu den Grundrissen des kollektiven Unterbewuþtseins. Einmal beyond interpretation sitzen wir mitten im mille plateaux, und das alles an einem Werktagabend, Video sei Dank. Wir sollten die Dialektik von sehr alten und neuen Medien nicht untersch”tzen. Die technischen Bilder, ¸ber die Flusser spricht, sch–pfen aus einem enormen aber begrenzten Universum: man sieht nie etwas Neues. Der Charme der Medienkunst besteht darin, daþ man nach den Aufschreibesystemen selbst schaut: Wahrnehmung unter Drogen besteht aus Ðbungen in der Perzeption von Metastrukturen. So wie Hillarys Erz”hlung ¸ber die Erstbesteigung des Mount Everest fesselnde Lekture bleibt, selbst wenn wir im Basiscamp 1 ganz einfach Hubschrauber- Scherpas mieten k–nnen, um uns zum Gipfel zu bringen, so haben auch Videokunst und Computeranimation einen bleibenden Wert. Alle Experimente werden fr¸her oder sp”ter in ein abendf¸llendes Epos eingef¸gt, welches nicht per Definition kaputtgezappt werden muþ. Die Gewohnheit, anstelle des Testbildes die ganze Nacht die Ansicht eines Aquariums zu senden (nach der Zuschauer w¸tend anrufen, wenn ein Korallenfischlein verkehrt herum an der Oberfl”che treibt), oder eine Tour hinten auf dem M¸llwagen, eine Fahrt ¸ber Berliner oder Amsterdamer Wasserwege, oder eine S-Bahn-Fahrt in eine Richtung auf autorepeat zu stellen, beruft sich auf die Normalit”t stiftenden Merkmale des Nullmediums. Der Charme, im Wohnzimmer mittels Ðberwachungskameras mitzusehen, die sonst nur auf das Publikum gerichtet sind, scheint genug zu bieten. Die Frage, warum das nicht interessant sein soll, ist nicht mehr zu beantworten. Die Normalit”t erscheint in der Kritik unter zwei Aspekten: ein pazifizierender (das verdummende Fernsehen) und ein aufhetzender (der Massenm–rder, der nachahmt, was er aus der Glotze gelernt hat). Das Fernsehen habe einen Einfluþ, wovon die zwei Extreme - Gelassenheit und blinde Mordwut - sich gegenseitig ausschlieþen, und gleichzeitig zwei Seiten des selben Publikumbewuþtseins vergegenw”rtigen. Aber die Normalit”t befindet sich immer auþerhalb des Subjekts, welches sich mittels des Rausches Zugang dazu verschafft. F¸r den Benutzer ist die Welt alles, was der Fall ist; mehr ist nicht n–tig. Das gebotene Material wird als das genommen, was es ist, und die gesteigerte Urteilskraft (durch Freude) ist nicht am kritischen Kommentar interessiert, welcher die Diskussion startet, sondern an einer Analyse des medialen Inputs, welche in einem maximalen Auf-der-Hand-Liegen kulminiert, das jegliche Polemik erblassen l”þt. Das Ger¸st der Ekstase steht auf einem biologischen Fundament und ist keine Folge einer kognitiv-rationalen Einsicht in das Allt”gliche: Schauen ist keine mathematische Formel, sondern ein chemischer Prozeþ. Ob nun grobe Gewalt oder ein fideles Quiz serviert wird, der ¸berlegene Blick von der Zuhausefront ist vor allem an den Reaktionen seiner Wahrnehmung interessiert, nicht am Duell der Zeichen auf dem Bildschirm. Alle Bilder sind abstrakt und werden konkret durch die Spannung zwischen dem Ideeninhalt, der im hypertransparenten Denkrahmen des Zuschauers vollkommen klar bleibt, und der Saftbildung, die trotz allem manchmal im K–rper in Gang kommt. Normalit”t kann nur in den Dr¸sen produziert werden, alles andere ist gek¸nstelte Ðbertreibung. Virtual reality pr”sentiert sich heutzutage als das Methadon f¸r die Medienjunkies. Nach dem Entzug muþ den cleanen Synapsen eine ansehnliche Alternative geboten werden. Nun erweist sich erst, was der Vorteil von Video war: es bot eine Distanz zum Bild, in der der Zuschauer kreativ loslegen konnte. VR versucht die dreidimensionale Erg”nzung des zweidimensionalen Bildes durch die Drogen mit dem Versprechen eines sich allseitig ausbreitenden Bilderreiches, welches einen guten Rausch verspricht, zu schlagen. Aber auf den Pseudomenues der VR gibt es bitter wenig zu w”hlen. Sie bietet keinen Trip zum Herz der Maschine, sondern eine Puzzlereise durch die Programme, einen interaktiven Urlaub f¸r den ÷kob¸rger, der die Wandertour durchs K¸nstliche verantwortungsvoller findet, als die Zerst–rung der letzten Reste von Natur. Off the road im Cyberspace geh–rt nicht zu den M–glichkeiten: seine eigenen Programme kann man dem pr”sentierten Vergn¸gen nicht aufzwingen. Wie weit man auch immer in der VR reist, man verl”þt nie die Bibliothek. Das Ðbersteigen des Bilderbergs, den der videonome Endverbraucher erreicht hatte, ist dem Cybernaut aus den Datenhandschuhen geschlagen. Jetzt werden die smart drugs entwickelt, mit welchen auch dort, in der VR, die verbl¸ffendsten Synthesen hergestellt werden k–nnen. Nun, da deutlich wird, daþ VR das Niveau der Spielhallen nicht ¸bersteigen wird, versucht man den versprochenen Eintritt ins Bild mit dem erh”ltlichen Zubeh–r der Telekom n”her zu bringen. Um die angeschlossene Menschheit wieder f¸r die Konstruktion des Fernsehbildes zu interessieren, entwickelt die Industrie nun das interaktive TV, dessen wichtigster Motor Homeshopping ist. Die nat¸rliche Neigung des einsamen Menschen mit Objekten zu reden, wird durch jede Firma angesprochen, der es gelungen ist, Zugang zu irgendeinem Kabelnetz einzukaufen. Man sieht den Haarfestiger in der Glotze, via Telefon bestellt und mit Transportdiensten zur Haust¸r gefahren. Das Objekt antwortet, indem es dem Interaktivist Frachtwagen voll von flotten Kleidern, elektronischen Gadgets und Sexfilmen an die Haust¸r liefert. Die p”dagogische Bestimmung des Teleshopping ist es, dem Zuschauer klar zu machen, was es bedeutet, das Fernsehen anzuschalten: die Wohnung verlassen. Das telefonische Bewuþtsein muþ auf das Medium TV ¸bertragen werden. Auch der Impulskauf in einem Gesch”ft ist eine relativ individuelle Tat. Die Homeshopping-Industrie hofft, den Empfangsrausch aus dem Zeitalter des Pre-Pay-TV in den Konsumrausch des 'nach-der-Kaufkraft-Schauens' auf den bidirektionalen Kan”len umzusetzen. Woran das Interaktivit”tsdenken zugrunde geht, ist noch nicht 100% klar: die Gefahr, daþ die erweiterten Zuschauer zu keinem Entschluþ kommen, oder die Phasen des Ein- und Ausweihens der Multimedia insgesamt ¸berspringen oder die Wahl der Kan”le ihren knowbots zu ¸berlassen, in die sie ihre Eigenschaften eingetippt haben oder ausschlieþlich die Durchschnittskan”le sehen oder einfach was anderes tun... Dr¸ck-Selbst-TV ist der Test der alten Pr”misse, daþ das Subjekt vor dem Bildschirm zum Wollen, Denken, Beschlieþen und Handeln bereit ist. Es ist ein sicheres Gef¸hl, ab und zu in zeitweilig autonomen Herden verkehren zu k–nnen und sich ein wenig vom t”glichen Zwang zu einzigartiger Kreativit”t zu erholen. Bet”ubungsmittel geben Einsicht in die Natur der Macht der Medien. Sie erzeugen keine neuen inneren Bilder, sondern bieten Herrschaft ¸ber das vollst”ndige alte externe Imagepaket. Drogen f¸hren nicht zu Rezeptionsreduzierung, - ver”nderung oder -pr”vention, sondern verschieben die Regie zum Zuschauer. Das ist schwer hinzunehmen f¸r die Medienmenschen, die sich ins Herz des rund um technische Bilder geformten Machtdispositivs gestellt wuþten, aber es steigert die Lebensfreude der schweigenden Minderheiten betr”chtlich. Was den Intellektuellen bleibt, die gerade ihren Alkoholismus ¸berwunden haben, ist der Dekonstruktionssport. Dieses mentale Fitnesstraining ist die aktuelle Umgangsform mit dem Medium Video: das Scannen der Kan”le nach Fasch-, Rass- und Sexismus und ihrem entsprechenden Gehalt von political correctness. Auch die Mediendesigner sind sich dessen wohlbewuþt und legen Fallen aus f¸r jede denkbare kulturkritische Brille. Viele Vertreter der Theorieklasse sind schon zur anderen Seite des Bildes ¸bergelaufen und sch–pfen groþe Genugtuung aus dem Mahlstrom der Interpretationen, die sie heraufbeschw–ren und beeinflussen. Heutige Bildergeschichten bieten schon selbst so viel Dekonstruktion, daþ die kritische Sichtweise mit ihren eigenen Mitteln demontiert wird. Reichianische Str–mungen, die Massenkultur la Eco, Freudsche Klassik, eine New-Age-Heilung durch Verflieþen ins nat¸rliche Bild, fundamentalistische Selektionspraktiken: all diese Brillen scheinen zum Synergieren von all dem Programmangebot beizutragen, bis hin zum Edu- und Infotainment. Video wird nicht l”nger gesehen als etwas, das mitgeschleppt werden muþ, sondern ist von Anfang bis Ende ein plazierbares und zeitgebundenes Kulturprodukt. "Was hat Hollywood sich diesen Sommer ausgedacht? Und welche dauernden Werte hat der europ”ische Film nun wieder in petto?" Interessant an einem Video ist der Produktionsprozess und die Finanzierungskommissionen, nicht die letztendliche visuelle Erfahrung. Das Einzige was z”hlt, ist die Ÿsthetik der Produktionsbedingungen. Die Einsicht, daþ alles Ausdruck des Zeitgeistes ist, ist die befriedigendste Form des Historizismus. "Ein fundiertes Video aus dem Clintonzeitalter. Sch–nes Neunziger-Jahre-Engagement." Reality TV definiert sich noch in Bezug auf die klassische numbness der Medienbenutzer: das rohe Bild soll den verw–hnten Zuschauern einen Schlag versetzen, mit dem sie gut und gerne einmal traktieren werden d¸rfen. Diese Strategie ist darauf gerichtet, das schwache Bildangebot mit roher Energie aufzuladen. Die unvermeidliche Antwort ist, daþ der Konsument noch einmal zugreift. Reality ist lediglich ein Marketingtrick. Spannender ist der cold turkey des drogenlosen Sehens. Schwitzend und zitternd die Montage durchstehen, dem Medium ohne dope geradewegs ins Auge sehend, quer durch die Produktionsverh”ltnisse hin. Wer auf eine R¸ckkehr der traditionellen Langeweile spekuliert, kann konstatieren, daþ das Bild sich schon so an das Rauschlevel der Massen angepaþt hat, daþ man ihm nicht mehr ohne physische Intensivierung folgen kann. Der Entzug will den zweiten Untergang des Abendlandes mitmachen, indem er schaut, ohne sich manipulieren zu lassen, und ohne mit den Bildern zu machen, was er will. Das existentielle Videomoment taucht auf, wenn der Zuschauer und sein Video unabh”ngig von jeglicher Machtstruktur zusammengeschaltet werden. Jede Metaphysik des Bildes, jede Suprastruktur und h–here Gewalt verschwindet und der Zuschauer ohne Eigenschaften sieht nur noch Bildzeilen vorbeikommen. In der materiellen Erscheinung des Bildes lachen die Pixels uns zu. Die technÈ ist ein Freund f¸rs Leben.