Virtuelles Schreiben "Jeder ist ein Designer." Johan Sjerpstra 1. Designer Medien Um eine Zeitschrift zu machen braucht man ein Format und ein Design. Danach l”þt man einfach die Textspalten von Freiwilligen und free lancers auff¸llen, die meinen, sie h”tten etwas mitzuteilen. Die Kombination von Gestaltung, Marketing und Vertrieb bestimmt den Erfolg eines Blattes. Der Brottext tut nichts zur Sache. Ohne Inhalt verkommt das Konzeptmagazin jedoch zu Gestaltungshochglanz, nur f¸r Professionals interessant. Die groþe Gefahr f¸r die Designer-Revue ist, daþ der potentielle K”ufer the works als Fachblatt betrachtet. Der Look der Leere erkl”rt dem Leser, daþ es ihm freisteht, den Inhalt zu ignorieren und ihn dennoch zu genieþen. Wird er gelesen, dann ist die Buchstabenfolge purer Zufall und die pikanten Zitate, treffenden Beobachtungen und faszinierenden Assoziationen eine h¸bsche Zugabe. Design soll unbestimmt sein und muþ sich zugleich von anderen Aufmachungen unterscheiden. Sobald das Gesamtbild zu stark ist, wird es als Lifestyle aufgefaþt und verwandelt Design in Mode. Als nutzlose Ware muþ Design im Modellstadium stecken bleiben, um den Hype zu verhindern. Dazu muþ es sich fortw”hrend erneuern, indem es in die Software der Maschine investiert. Wenn man ein Programm versteht, kann man es abschaffen. Das Buch profilierte sich Jahrhunderte lang durch seinen Inhalt. Die Designerbibeln der kreativen M–nche waren auch schon nicht dazu bestimmt, gelesen zu werden. Kirchenlatein hatte einen h¸bschen Schriftyp, aber es waren die Bildchen, die ankamen ("Gingen die Evangelisten Nebenverdiensten nach?") Das male couple Gutenberg- Luther bereitete diesem plaisir du texte ein Ende. Erst im Zeitalter der Designermedien, in dem die W–rter wieder als random ASCII gesch”tzt werden, ist der autorengebundene Inhalt erneut ¸berfl¸ssig geworden. Der Status des ver–ffentlichten Buches und das Prestige seines Autors verlieren jeden Glanz, wenn man weiþ, daþ Titel innerhalb von sechs Wochen laufen m¸ssen, und aus den Regalen verschwinden, wenn sie nach drei Monaten noch nichts eingebracht haben. Ein Buch vertikal in den B¸cherschrank zu stellen, bedeutet, seinen Tod zu erkl”ren. Das Basismaterial Buch ist in die H”nde des Schaufenstergestalters gefallen. Sobald das Buchobjekt sich nicht mehr als Ware pr”sentiert und das Gesamtkunstwerk des Buchhandels meidet, verliert es seine Szene und es beginnt einen unvorhersehbaren Streifzug. Die Suche nach einem Buchtitel nimmt sportliche Z¸ge an, und es fertigzulesen fordert eine unmoderne Hingabe, die nur noch hinter einer Batterie von Antwortapparaten, Faxen und abgestellten T¸rklingeln aufzubringen w”re. Hat das Designerbuch Stil, Thema, Autor und Markt einmal abgesch¸ttelt, bekommt es den Glanz des Wundersamen. Design spekuliert auf die Existenz des Unbekannten, welches es im Moment des Entwerfens entdeckt, es will nicht in die Tiefe gehen, sondern entkommen. 2. Security Through Obscurity Das Computernetz befreit den Autor von seinem Herausgeber. Ungehindert von Lebenslauf oder Oeuvre kann ein schreiblustiger Autor Buch nach Buch direkt ins Netz werfen. Wenn das Meisterwerk nach zehn Tagen aus dem Netzwerk gel–scht ist, deponiert man es zugunsten der virtuellen Gemeinschaft auf der eigenen ftp-site, im World Wide Web oder BBS. Der Autor kann sein Buch vor einem garantierten Untergang im Papiermarkt retten. Das einzige, was an der Kollektion verkn¸pfter files z”hlt, sind die tags. Das tag 'Weltfremdheit' oder 'Disziplinar-Forschung' aktiviert andere Suchprogramme als 'sicher schreiben' oder 'Ferdinand Kriwet'. Elektronische Abonnententen bekommen t”glich das update der vollst”ndigen Literatur ¸ber ihre Thematiken vorgelegt und ziehen daraus Konsequenzen. Dekonstruktionssoftware erkl”rt, welche grammatischen, rhetorischen und edukativen Tricks einen Text trotz seines Pol-Kul-Sex-Inhalts ertr”glich machen. Die Qualit”t der Weltliteratur steigt dementsprechend. Wenn man die Schreibaktivit”ten gefeierter Schriftsteller live im Netz verfolgen kann, ist die Frage, wie diese es tun, auch schnell beantwortet. Der Gedanke, daþ fr¸here Generationen ihre B¸cher mit unausl–schbarer Tinte schrieben, ist schwindelerregend. Daher entwickelt man versuchsweise Programme, die schon w”hrend des Schreibens textkritisch editieren und st¸ndlich Dutzende Versionen an die Festplatten aus Platin schicken, die in den nationalen Atombunkern das Kulturgut festhalten. Um seinem Text das Besondere zu geben, mit dem Literatur sich vom Rest des Geschriebenen auszeichnet, f¸hrt der Schriftsteller seine personality in den Kampf, die einzigartige Kombination aus einem Genpaket, einem cross-over von Kulturen, ein paar biographischen Heldentaten und einer Vorbildung, wie bei einer Camilla Paglia, einer Donna Tart, einer Elisabeth Bronfen, einer Jung Chang. Der Text, der sich daf¸r entscheidet, im Netzwerk anstatt auf dem B¸chertisch zu erscheinen, will kein Wort zuviel enthalten. Der Schreibgenuþ bestand fr¸her aus der Anh”ufung von stilistischen Ornamenten um den Erz”hlfaden herum. Jetzt betrachtet das der literarische Rechner als Rauschen, welches den Autor von seinem statement abh”lt. Der elektronische Leser l”þt zuvor seine ganze Leseware durch einen stylewasher scannen, wodurch der hinzugef¸gte Wert weggefiltert wird. Es gibt z.B. ein Killfile, das Quellen und Beispiele von vor 1989 (oder 2012) l–scht, den 'quotation eraser', der alles zwischen Anf¸hrungszeichen l–scht, den Befehl 'skip interdisciplines', damit nur das Spezialgebiet, an dem man interessiert ist, ¸brig bleibt, 'create summary', das einen Text nach eigenen W¸nschen zusammenfaþt, und 'show method', das die selbstreferentiellen Fragmente pr”sentiert und alle Ðbungen heraussiebt. Die textual cleansing shareware verschafft uns wieder Zugang zu Mega-Oevres wie denen von Goethe, Simenon, Dilthey, Marx, Konsalik, Vestdijk, Balzak, Heidegger, Voltaire, D'Annunzio und Agatha Christie. Dem Schuldgef¸hl Althussers, daþ er Hegel und Kant nicht ganz gelesen hatte, ist hiermit technisch aus der Welt geholfen. Der Mensch hat einen biologischen Drang zum Aneinanderreihen von W–rtern, bevor er auf den ersten harten Satz st–þt. Das Schreiben, das sich w”hrend der Textproduktion der Selektionsprogramme bedient, beh”lt am Ende des Tages drei essentielle S”tze ¸brig, die nicht klein zu kriegen sind. Am n”chsten Tag geht die Textherstellung mit diesen S”tzen weiter. Weniger radikal sind helpfiles, die Schreibfehler entfernen, Platit¸den verhindern und schlechte journalistische Gewohnheiten anzeigen. Das Selektionsprogramm entfernt alle S”tze mit Konstruktionen wie "Der bedeutende Denker..." oder "bemerkte zurecht" oder Kursivschrift, die dazu dient, schlappe S”tze aufzup”ppeln. Der Kompakttext hat von sich aus die Dichte einer Zusammenfassung, die Qualit”t von Poesie, er verdeckt unzureichende Fremdsprachenkenntnisse, unterdr¸ckt jeden Hang zur Deutung, eliminiert H–flichkeiten und ersetzt die dahinpl”tschernde Argumentation durch das Funkeln des keyword. Es geht darum, daþ die Erkenntnis so komplex und treffend formuliert wird, daþ sie nicht durch Software von anderen geknackt werden kann. Writing on Computer darf nie zu einer Schluþfolgerung f¸hren, ansonsten kann man den vorherigen Gedankengang weglassen. Die S”tze wollen nicht l”nger eine Verbindung mit Vorg”ngern und Nachfolgern eingehen. Die Klebstoff- W–rter 'weil, daher, denn, ebenso, und, aber' sind gestrichen. Nach jedem Satz kann im Prinzip jeder andere Satz folgen. Das R”tsel des Textes besteht darin, daþ darin durchaus ein Satzzusammenhang existiert. Der Text will der Vorstellung zuvorkommen und beschleunigt bis ins Widersinnige. Er braucht die Logik der Maschinensprache nicht. Einmal pro Tausend liest man etwas Neues, tauchen unglaubliche Zusammenh”nge auf (zwischen Kamera und Fischauge, was sind Hindi- Telefonapparate?) und geht die Phantasie durch. Komprimierter Text ist pr”zise und d¸ster. Er suggeriert eine dahinterliegende Denkwelt, die offensichtlich nicht mehr erw”hnt werden muþ. Der Netztext wird konkret, w”hrend die Leser auf ein Abstraktionsniveau kommen, das sie normalerweise nicht erreichen. Da es ¸berall im Text EXIT-Balken gibt, ist der Tourismus in der Abstraktion recht ertr”glich. 3. Schreiben ohne Tr”ger Von Altersher fiel Schreiben mit dem Speichern auf Tontafel, S”ule, Pergamentrolle, Papier oder Festplatte zusammen. Virtuelles Schreiben bedeutet: Sprache produzieren, die nur im Arbeitsspeicher existiert. Online-Text macht aus der Schrift ein instabiles Medium. Es gibt keinen Nobelpreis f¸r das beste Telefongespr”ch. Wenn man den H–rer auflegt, ist alle Genialit”t oder Menschenliebe endg¸ltig Vergangenheit. Worum es den Hethitern, Azteken, Mayas und anderen vergangenen Kulturen all die Jahrhunderte ging, wird f¸r uns ein ewiges R”tsel bleiben. Im Netz bewirkt die Schrift einmalige Ereignisse. Wenn der Text dieselbe Verg”nglichkeit erh”lt wie das gesprochene Wort, ist er nicht l”nger Beweismaterial. Er muþ keine Kultur aufzeichnen oder verbreiten, er ist selbst eine. Kontextfreies Schreiben will keine Geschichten weiter erz”hlen oder weitergeben und hat kein Interesse daran, in ein mythologisches Stadium zu verfallen. Es praktiziert die jetzt-und-nie-wieder-Kommunikation und sch”rft das punktuelle Bewuþtsein. Nicht abgelenkt durch K–rpersprache oder eine st–rende Umgebung zeigt sich, daþ die Sprache unsere Absichten korrekt wiedergibt. "When you narrow the bandwidth, you focus the message." Der real existierende Cyberspace ist ein text-based environment, nicht als Folge einer kulturellen Entscheidung, sondern einer technischen Begrenzung, mit der man seit 1900 leben muþ. Der fl¸chtige Computext ist die ironische R¸ckkehr der Schrift, nachdem das Wort im Zusammenhang der Bildkultur f¸r tot erkl”rt worden war. Es ist dem Schriftst¸ck gelungen, sich zu erneuern, dadurch daþ es ein neues Massenmedium gefunden hat. Alle verkauften B¸cher k–nnen noch einmal als CD-Rom auf dem Markt gebracht werden. Der Buchhandel kann ¸berleben, ebenso wie die Bibliothek, inklusive Datenbank. Die melancholischen K”mpfer f¸r den Erhalt der Schrift m¸ssen fordern, daþ die gesamte Menschheit so schnell wie m–glich online geht. Alphabetisierung ist identisch mit dem Schreibenlernen auf einer Tastatur. Der demokratische Weltkomplott, der das Konvergieren und Synergieren von Schrift- und Massenkultur verhindern will, hat Sega und Nintendo den Auftrag gegeben, nichtliterarische, visuelle Interfaces herzustellen, f¸r die keine Sprachbeherrschung notwendig ist. Text for some, images for all. Die Geschwindigkeit, mit der der Internetzionale sich seit Anfang der neunziger Jahre ausbreitet, beweist, wie stark die Textkultur noch ist. Virtuelles Schreiben ist die Antwort der Schrift auf die Designermedien, weil es keine Form sucht, um sich zu materialisieren, denn diese ist zu zeitgebunden. Die primitive Exthetik des heutigen Textes online hat die Gestaltung hinter sich gelassen. Die Verg”nglichkeit von real time Medien hat keine Botschaft an die Stylisten und Konservatoren. W”hrend die Schrift in der papiernen Welt durch das Design in die Ecke gedr”ngt wurde, hat sie im elektronischen Universum einen neuen Raum geschaffen, um ¸berall hin zu k–nnen.