Von Disko und Diskurs Ann”herungen an die Wolken wolkige schriften! ihr harrtet daþ ich euch schrieb wart in der fremde der sprache Hilmi Yavuz Am Anfang schuf Gott keine Wolken. Sein Geist schwebte ¸ber den Wassern. Gott war Wolke. Dieses Vage, die ¸ber der Feuchtigkeit liegt, war die eine und alle kreative Potenz. Unser Gott wohnt noch immer in den Wolken, zusammen mit seinem Sohn und seiner Frau, den Engeln, toten Babies, geschlachtetem Vieh und gestorbenem kriechenden und wilden Getier, nach ihrer Art. Seit der Verstoþung von Wotan und Donar hat er nun schon 2000 Jahre das Reich f¸r sich. Daher ist Macht unl–slich mit der Wolke verbunden. Das Machtstreben ist eine Form des auf Wolken Schwebens und wird darum auch Theorie genannt. Daran ist nichts Kompliziertes. Es ist jedem gew”hrt, sich der Leere der D¸sternis hinzugeben. Nachdenken ist nicht okkult, faschistisch oder evangelisch reformiert. Sinnieren, bzw. ¸berlegen, bzw. gr¸beln, bzw. br¸ten, bzw. tagtr”umen, bzw. epibrieren entwickelt sich weg von Engagement oder Bezug zur Praxis. Es ist ein Schweben in der Welt, das nicht von dieser Welt ist. Vorausgesetzt sind jedoch ein summender Ofen, ein bequemer Sessel, ein liebender Ehepartner (m/w), eine beruhigende Aussicht und rauschende Bl”tter, die es erm–glichen, ein st–rendes Objekt seinen Gang ¸bers Firmament gehen zu lassen. Das Objekt quillt auf und fliegt in einem ungelenkten Gedankenstrom dahin, um durch eine ebenso imposante wie diffuse Erscheinung ersetzt zu werden. Das Resultat all diesen Sinnierens ist, daþ man weiþ, aus welcher Richtung der Wind weht und daþ erst Sturm und dann wieder sch–nes Wetter im Anzug ist. Diese Nasse-Finger-Technik ist die einzige Weise, einer kostbaren Erkenntnis teilhaftig zu werden. Bei einer Sache wie dem Angeln etwa wird dieses Streben nach Allmacht gesch¸tzt und getarnt. Im Ried stehend starrt der Angler auf einen ungekr”uselten Wasserspiegel, in dem der Himmel auf Erden sichtbar wird. Die Illusion kann nur von einem guten Biþ durchbrochen werden. * Die Aufkl”rung hat es auf die Wolken abgesehen. Auf der Seite des Lichts stehend, hat sie den Kampf gegen die D¸sternis aufgenommen. Dieser Dualismus macht aus den Wolken einen st–renden Faktor, von dem man unter den Laborbedingungen des reinen Denkens abstrahiert. Rationalismus ist ein subtropisches Badeparadies, wo eine behagliche Klarheit unter kontrollierten Bedingungen regiert. So ist man in der Lage, zu sehen und gesehen zu werden. Nicht die Beherrschbarkeit der Natur ist das ausschlaggebende Kriterium, sondern die M–glichkeit, sie im rechten Licht erscheinen zu lassen. Das Ausschalten des verwischenden Hauchs zwischen den Dingen ist die heimliche Absicht des rationalen Diskurses. Ohne den Nebel von Nebenumst”nden, Aberglaube, Niedergeschlagenheiten, Temperamenten, Begegnungen, Konflikten und Sinnenfreuden wird die Rationalit”t eine Tyrannei. Die Despotie wird hinterlistig mit Bildsprache, Nuancierung, Abschweifung, Konkretisierung und Veranschaulichung kaschiert. Die kontrollierte Inszenierung von Vern¸nftigkeit bietet Raum f¸r Assoziationen, Tabus, Vorurteile, Immoralit”t und andere private und soziale Obsessionen. Die Rationalit”t bildet notwendigerweise ihren eigenen Nebel von Hintergedanken, Praktiken und Zuf”lligkeiten. Solchermaþen betrachtet ist sie ein konstruiertes Alibi f¸r ein gestattetes Eintauchen in die Wolken. Aufkl”rung ist Schwimmen im Bruststil. ** Um der dr¸ckenden Wolkendecke zu entkommen, h”ngt der Tourist lustlos an sonnen¸berfluteten Str”nden des Mittelmeers. Der Tourist, der die Sonne aufsucht, scheut das Licht derart, daþ er, einmal auf dem sinnen¸bergossenen Strand ausgestreckt, die Augen schlieþt, um unbemerkt zu verbrennen. Doch auch mit geschlossenen Augen ist immer noch der Geruch von Sonnenbrand allgegenw”rtig, wie auch die Wolke aus dem Stimmengewirr der ¸brigen Sinnesanbeter. Verurteilt zur eigenen Innenwelt, sinnt der Badegast auf Lustbefriedigung. Der Aufenthalt am Strand ist ein Zeitvertreib, der dem n”chtlichen Discobesuch vorausgeht. Der Sonnenurlaub dreht sich um das Nachtleben, in dem die flimmernde Atmosph”re sich im Blitz und Donner der Tanzfl”che entl”dt. Durstig machendes Wetter bietet einen f¸r alle Teilnehmer durchsichtigen Vorwand f¸r das Zusichnehmen alkoholischer Getr”nke, auf daþ man forsch und benebelt werde. Der Rausch der Erwartung ist die Wolke, die zwischen den Geschlechtern driftet. Wenn die Vermischung tats”chlich einen H–hepunkt ereicht, ist das ein unerwarteter Zufallstreffer ohne moralische Implikationen; ein Traum wird Wirklichkeit und f¸gt sich zur Komplikation, die ¸blicherweise nur Kater heiþt. Der romantische Nachdurst wird morgens fr¸h mit denselben Mitteln bek”mpft wie Kopfweh, Ðbelkeit und Schw”chegef¸hl. Die Mixtur von Alkohol und Pharmazeutika nimmt man in der Abgeschlossenheit der Standard-Betonh–hlen zu sich, damit man beim Aufziehen der Gardinen das grelle Tageslicht wieder vertragen kann. *** Wird jemals jemand die Frau in den Wolken in seine Arme schlieþen? Die Frau in den Wolken ist ein weiþer Spuk, der in der Phantasie herumgeistert. Sie ist bereit, uns ¸berallhin zu begleiten, aber sie wird niemals ihren Schleier l¸ften. Ihre Zur¸ckhaltung bildet ihre geheime Kraft. Sie ist der Rorschachtest f¸r den Pornographen, die verf¸hrerische Erscheinung am Himmel, welche die Dichter inspiriert. Biegsamer als jeder Schlangenmensch ist sie die Verk–rperung der permanenten Metamorphose. Nie h–ren wir auf, von ihr gefesselt zu sein, denn bevor wir sie uns gut angeschaut haben, ist sie schon wieder eine andere. Das einzige, woraus sie besteht, ist ihre Vermummung. Ihrer modischen Kleidung und auff”lligem Makeup entledigt, spricht sie geradewegs zu unserem Herzen. Ihre k¸hle Haut w”rmt sie an der Sonne, ohne daþ sich je der Teint ver”ndert. An dunklen Tagen erninnern wir uns ihrer auf grobk–rnigen Schwarz-Weiþ-Fotos und undeutlichen Abbildungen in alten Druckwerken. Die Wolken sind das pornographische Medium par exellence. Als die Schulen noch nach Geschlechtern getrennt waren und Mattglas die Aussicht verstellte, konnte der Sch¸ler sich immer noch in Wolken verlieren. Mit dem Lesen lernen wurde auch Pflichtunterricht in Pornoschreiben erteilt. Unter dem Druck des Feminismus hat dieses Tagtr”umen in gesunden und gut beleuchteten Klassenzimmern Unterricht in Benimmregeln und sexueller Aufkl”rung weichen m¸ssen. Leider bleiben auch die sternlosen N”chte unter dem sittsamen Regime der gleichm”þig blauen L¸fte. Darum preise die Sch–nheit der verschleierten Frau, denn M”nner haben es mit den Wolken. **** Die Nuancierung schafft keine Undeutlichkeit, sondern enth¸llt den meterologischen Aspekt der Theorie. Als Entkr”ftung deutlicher Aussagen und klarer Zusammenh”nge pr”sentiert, n”hme die Nuancierung der Theorie die Brille ab. Schwache Relativierungen und schlappe Beispiele l–sen die Theorie nur scheinbar auf. Nur im amorphen Verband des Holismus kann alles angef¸hrt und zugef¸gt werden, ohne daþ es etwas ausmacht. Die Nuance gilt als der gr–þte Feind des Holismus. Sie vermeidet die gewaltt”tige Konfrontation des Widerspruchs oder des Paradox und zeigt keine Ÿhnlichkeit mit Satire und Humor. Nuancierung ist eine vern¸nftige und milde Methode, zu der man nicht nein sagen kann. Sie lockt den Theoretiker in ein G”þchen, der auch noch um ein Eckchen biegen will und dann den Weg zur¸ck nicht mehr finden kann. Die Theorie droht durch die Nuancierung unvermeidlich ihre Richtung und Gestalt in einem meterologischen Malstrom neuer Gedankenbildung zu verlieren. Die Nuancierung f¸hrt eine unvorhersehbare Variable in die Theorie ein, die sich unter keinen Vorbedingungen, Axiomen oder Epistemen beherrschen l”þt. Ein solider Diskurs kann durch eine kleine Nuance eine v–llig unvorhergesehene Wendung nehmen: verdampfen, danach sonnig oder schwarz werden. Solange der Verf¸hrung zum Faseln wiederstanden werden kann, wird die Theorie nie Teil der mystischen Cloud of Unknowing ausmachen. Normale wissenschaftliche Bet”tigung, mit ihren exponentiell ansteigenden Fakten und ihrer Erkenntnisproduktion, wird niemals eine gr–þere Vorhersagbarkeit erreichen, genausowenig wie noch mehr Meteosat-Daten die Wettervorhersage verl”þlicher macht. Die Nuance l”þt den Text dampfen. ***** Wolken sind die Visitenkarte des Wetters. Amateurmeterologen pflegen geschlechtslose Wolkenanstarrer zu sein, die aus den Wolkenformationen eine Wetteraussicht ablesen. Eine Einleitung in die Meterologie widmet daher der Wolkenkunde viel Aufmerksamkeit. Uns wird eingepr”gt, daþ Wolken, eingedenk der dreigeteilten Ideologie von Georges DumÈzil, eine Dreiteilung kennen. In der Wolkenlehre benutzt man eine Einteilung in hoch- , mittel- und tiefliegende Bew–lkung. In der Wolkentaxonomie erkennen wir das gesellschaftliche Schichtenmodell wieder. Das ist eine befremdliche Vorstellung der Dinge, weil Wolken miteinander nicht in gespannten Beziehungen stehen. Die Projektion von Mythologien auf Wolken ist verst”ndlich, weil Wolken den hervorstechendsten Aspekt eines h–chst unvorhersagbaren Ph”nomens bilden: des Wetters. Das Wetter k¸mmert sich nicht um die herrschende Weltordnung. Die Zwei- Welten-Theorie des Wetters einerseits und der menschlichen Wirklichkeit andererseits spiegelt sich in der Tagesschau wieder. Diese unterteilt sich in die Nachrichten und den Wetterbericht. Selten ¸berschneiden sich die beiden. Manchmal ist das Wetter Nachricht, n”mlich wenn das Wetter die geplante Fortsetzung der Realit”t verhindert oder die Realit”t in Gestalt von Schlammstr–men, Wirbelst¸rmen, Sturzregen, Trockenheiten und Sturmfluten zerr¸ttet wird. Der Sturmgipfel von Malta, welcher das Ende des Kalten Krieges einl”uten sollte, war ein erfolgreicher Versuch in diese Richtung. Noch weniger oft wagen sich die Nachrichtenredaktionen, Nachrichten als Wetter zu pr”sentieren. Vorl”ufig m¸ssen Sie noch auf internationale Wetterverhandlungen in Genf, eine Livereportage ¸ber das Wetter in Washington (Bef¸rworter und Gegner), die Gedenkfeier f¸r 50 Jahre Unwetter 1940-1945, auch bekannt als die Jahre des Blitzkrieges, und den europ”ischen Wolkenbruch ¸ber Maastricht verzichten. Schade, daþ Sie zur Zeit auch noch ohne den kurzen Block Nachrichten auskommen m¸ssen, in dem Montagen von Satellitenfotos mit der Politiklage der vergangenen 24 Stunden und Politikvorhersagen f¸r die kommenden Tage zu sehen sind. Ein Kompromiss k–nnte sein, daþ Aufmerksamkeit nicht nur den Wasserwolken, sondern auch den Staubwolken des Harmattan und dem unaufh–rlichen Blutregen geschenkt wird. ****** Die Wolke wird akzeptiert, solange sie eine homogene Wolke ist, bestehend aus unschuldigen kleinen Wasser- und Eisteilchen. Sobald mehr darin herumschwebt und -wirbelt als nur Wasserdampf, geht es schief. Rauchwolken sind besorgniserregende Erscheinungen, die bek”mpft werden m¸ssen, mit Umweltgesetzten oder durch Retouchierung des Bildmaterials. Die drohende Wolke ist total tabu, seit sie sich unsichtbar gemacht hat. Transparenter Smog ¸ber der besseren Weltstadt, radioaktive Wolken aus Tschernobyl und unmeþbare Konzentrationen von Nervengas w”hrend Desert Storm fungieren als heraufziehende Bedrohungen. Sie reduzieren Regenwolken zu friedlichen Imagos. Die schmutzige Wolke ist ein –kologisches Problem, das die Wissenschaft in Verlegenheit bringt, denn sie hat M¸he mit allem Durcheinander, Anh”ufungen von undeutlichen Dingen und zuf”lligem Wirrwarr. Das Gewimmel ist eine Beleidigung f¸r die Wissenschaft, weil es jeder Institutionalisierung und Kategorisierung vorausgeht. Eine interdisziplin”re Arbeitsweise versandet, wenn ein Zustand selbst auf politischem Niveau nicht provisorisch gedeutet werden kann. Das Nebeneinanderexistieren von Erscheinungen, ohne daþ von Interferenz oder Gleichgewicht gesprochen wird, wird h–chstens in einem Vorwort oder einer Widmung erw”hnt. Die Reinheit des wissenschaftlichen Textes besteht aus mehr als seiner thematischen, methodologischen und rhetorischen Homogenit”t. Es sitzen keine Grillen in Nietzsches Werk, bei Foucault kocht nie die Milch ¸ber und Habermas kann man nicht anmerken, daþ er sich wieder einmal das Schienbein gestoþen hat. Der Zufall als regulierender Aspekt fehlt: der wissenschaftliche Diskurs ist kahl wie eine weiþget¸nchte protestantische Kirche. Einzelne wagen sich an Illustrationen oder einen wissenschaftlichen Film, aber die tabula rasa bleibt der am meisten gesch”tzte Hintergrund, um davor das eigene Werk zu pr”sentieren. Die wahre Welt, in die wir treten, ist eine der Koexistenzen ohne Kommunikation oder St–rung, eine ¸berraschende Wolke von Ger¸chen, Kl”ngen, Gen¸ssen, Vorkommnissen, Gr–þen und Gedanken. Eine seltsame Anh”ufung, die darum noch kein Rarit”tenkabinett oder keine Wunderkammer ist, eher ein Tr–delladen oder eine M¸llkippe: ein Zusammentreffen von Vorkommnissen, Strukturen und Verh”ltnissen, deren nicht aufzusp¸rende Diversit”t wir bis auf weiteres hinnehmen werden m¸ssen.