Das Zeitalter der guten Absichten Mit dem Fall der Mauer sind alle Bedrohungen aus der Welt verschwunden. Nicht nur der Kommunismus hat sich als ungefährlich erwiesen, auch Kernenergie, AIDS, Umweltverschmutzung und die Dritte Welt sind nicht halb so schlimm. Wenn sich die Regierungschefs nur dahinterklemmen und die Wirtschaft ihren Teil dazu beisteuert, ist jedes Problem lösbar. Die Bevölkerungen sind mit ihren Mentalitäten ganz klar dafür. Die Bewußtseinsveränderung schien ein Erfolg gewesen zu sein und liegt weit hinter uns. Wenn etwas in der Natur oder in der Menschheit schiefgeht, steht die Organisation parat, um professionelle Hilfe zu bieten. Die Medien stehen allem, was geschieht, prinzipiell sympatisch gegenüber. In einer Welt ohne Gegensätze ist das Böse homöopathisch geworden und ist der Rest des guten Willens. Die dunklen Wolken der achtziger Jahre mögen dann zwar verschwunden sein, aber es trat keine strahlende Luft eines beseelten Kapitalismus an seine Stelle. Das Klima schien wechselnd wolkig mit einer mittleren Temperatur. Die Wissenschaft davon, wie man selbst Ereignisse zustandebringt, ist in Vergessenheit geraten seit sie zu Evenements geworden sind, die man nur noch besuchen kann. Wie ist es in einer Welt ohne signifier? Im Gelobten Land der Leere läßt sich gut leben. Die simulacra verweisen noch auf eine verflüchtigte Wirklichkeit, die niemals regiert haben soll. Reality rules. Aber da auch die simulacra unwirklich geworden sind und ihren geheimen Charme verloren haben, erhalten wir eine Aussicht auf die Tiefebenen der Nichtssagendheit, mit einigen Gipfeln an Geistlosigkeit hier und da. Nach der Frage von Kant und Foucault ³Was ist Aufklärung?² lautet die Frage nun ³Was ist Verwirrtheit?² Die tägliche Rationalität hat sich als unerträglich erwiesen und nun gilt es, nach einem philosophisch-gesellschaftlichen Programm zu suchen, welches dem menschlichen Unvermögen wieder Platz einräumt. Das Versagen als ontologisches Prinzip, das mißglückte Leben als Ideal und Ausgangspunkt, Chaos als Sinngebung, Kritik der Effizienz und Performanz, Trauma als Identität, gemütlich glauben, fraktale Freundschaften, fuzzy logic als operationales Prinzip, Undeutlichkeitals Überdeterminante: alles Begriffe, die keiner näheren Auslegung bedürfen, weil sie die neue Normalität definieren. New Age ist noch eine Ideologie. Die gute Absicht arbeitet dagegen nicht mit formulierbaren Ideen, sondern mit Andeutungen, Suggestion, praktischen Tips, help files, Bildunterschriften, body language, Gebrauchsanweisungen, freien Assoziationen, Logos, Pictogrammen, Interfaces. Die Menschheit ist damit beschäftigt, voran zu kommen, und wird unterstützt von Beratern, Organisations-Spezialisten, Interdisziplinären, Fusionsbegleitern, help desks, Telefonauskünften, Folders. Das ist Lebenshilfe auf eine höhere sozial-ökonomischen Ebene gehoben, ³Service² genannt, und resultiert in längeren Wartezeiten plus überflüssigem Design. Das Unerträgliche daran ist das ³Wir-Gefühl², das für ³uns² gesorgt wird und das unseren Lebensproblemen mit ihrer Software geholfen werden kann. Die Gute Absicht wirkt nicht aufgrund von Prinzipien der Verführung oder des Betrugs, sondern aufgrund der Meldepflicht und der Auslegung. Es muß nichts an einen verkauft werden, denn man ist schon Kunde. Die Gute Absicht ist post-spektakulär. Man hat zwar Umstände, aber man bekommt dafür auch etwas zurück. Fragen werden nie beantwortet, auch wenn man massenhaft mit Information eingedeckt wird. Auf dem Weg zum Guten bittet man um Verständnis für die Tatsache, daß wir kollektiv im Sumpf stecken bleiben. Es klappt nie so ganz. Das Mißlingen wird wegen seines konzeptuellen Prozeßcharakters gepriesen. In dieser Zeitenwende hilft der überzeugende Diskurs nicht mehr. Bilwets Bewegungslehre aus den achtziger Jahren beinhaltet noch eine Analyse, ein schlüssiges theoretisches Gerüst, welches unter eine Sammlung realer Ereignisse gelegt wird. Das Medien-Archiv erzählt keine Geschichten, sondern bietet radikale Konzepte, um das aufkommende Medien-Regime zu deregulieren und Raum zu schaffen für eigene mediale Eskapaden. Da der kurze Sommer der Medien hinter uns liegt und die post-mediale Welt auf sich warten läßt, ist Analyse und Spekulation überflüssig, denn es stehen keine Ereignisse und keine Möglichkeitsräume zur Verfügung. Im nackten Angesicht der Guten Absicht kann man nur noch kotzen. Ein alter Widerwille gegen die Existenz der Welt nimmt zu. In der elektronischen Einsamkeit herrscht ein Existenzialismus, bestürzt über das Heroische des Persönlichen und seinen absurden Leidenschaften. Er ist nicht subjektiv, einfach weil IKEA selbst post-human ist. Er übersteigt das Ich und seine/ihre Erlebniswelt. Bilwet bietet keine Brille an, sondern beschreibt eher eine objektive ambiance. Es geht hier um eine schlaffe Virtualität, ein Materialismus der halbweichen Stoffe. Abneigung bietet keine Perspektive, sondern ist ein Vorstadium der Wut. Sie erzählt nicht von alternativen Praktiken, sondern von einer Modalität, um das Ende des Milleniums mit heiler Haut zu überstehen. Laßt alle Hoffnung fahren, die Ihr hier eintretet.