AKTUELLE MEDIEN "Real time means less than three seconds, so that anything gi- ving news within five goes under the umbrella of historical information." Reuter Information an sich strahlt eine solche Verf¸gbarkeit aus, daþ sie nur noch abstoþend wirkt. Als Dasein in optima forma ist es gerade etwas mehr, als das Leben ertragen kann. Daten k–n- nen nie akzeptiert werden als das, was sie sind. Sie m¸ssen von fortgeschrittenen Techniken zum Klingen gebracht und be- arbeitet werden. Technologisches updating von Wiedergabeappa- ratur ist st”ndig notwendig, sonst w¸rden die Daten entwischen und im Vegetieren ihr hartn”ckiges Schweigen zur¸ckfinden. Verschleiþ und Erosion sind wichtige Themen in der Welt der Aufnahme- und Wiedergabeindustrie. Daten auf Magnetb”ndern oder CD verschwinden blitzschnell hinter ein beruhigendes Ge- r”usch und sind innerhalb von wenigen Jahren nicht mehr lesbar f¸r Deutung, H–rgenuþ oder andere Formen der Verharmlosung. Erst nachdem die Daten durch die smooth-generators zum Leben gekommen sind, k–nnen sie Vergn¸gen stiften. Keine Entspannung ohne Anspannung. Fernsprechschauen und Filmblechh–ren sind nicht l”nger Unterhaltung, sondern zeigt eine wahre Obsession. Zu der Zeit, in der Nachrichten noch mit einem Segelschiff gesendet wurden, wurde ihnen die M–glichkeit gestattet, zu Berichterstattung auszureifen. Indem die Daten veralteten, verwandelten sie sich in Nachricht. Nur in Gesellschaft von Meinungen und Kommentaren entkamen die Mitteilungen der ver- nichtenden Bemerkung:"Was habe ich damit zu tun." Durch Konso- lidierung und Konzentration der eingetroffenen gemischten Nachrichten konnte die Redaktion t”glich die Suggestion eines zusammenh”ngenden Weltbilds erwecken. Das substanzielle Kleid, in der die ephemere Sensation angeboten wurde, machte es dem B¸rger m–glich, die Nachrichten als Programmteil des t”gli- chen Lebens aufzunehmen. Sie konnten allgemeine Aufmerksamkeit erregen, indem sie als regulierter Einbruch im Ritual des Daseins auftraten. Die Nachrichten kamen von drauþen und verursachten Reaktionen, die sich als Gespr”chsstoff durch die V–lkergemeinschaft verbrei- teten und da den notwendigen Zusammenhang bewirkten. Durch die Beschleuniging der Speditionsbranche kam das Aktua- lit”tsprinzip auf. Die absolute Zeit bestimmte immer mehr die Wichtigkeit des Ereignisses. Die Zeitspanne, in der eine Nach- richt noch als Thema des Tages auftreten konnte wurde immer knapper. Ein Beispiel:Am 23. Januar 1766 berichtete die Am- sterdamsche Courant, der D”nische K–nig sei ensthaft krank. Am 28. Januar bringt sie die Nachricht, Kopenhagen sei "in Trau- er versetzt, weil der beliebte Monarch vom Tode weggerafft worden ist", obwohl er in Wirklichkeit schon am 14. Januar gestorben war. Der Moment, in dem der F¸rst starb, dauerte also zwei Wochen. In der Telematik ist dieses Regime des In- tervalls vernichtend geschlagen worden und wird das Erz”hlen ¸ber anderswo eine never-ending-story. Man liefert Geschichten nicht mehr in Portionen, sondern in einem fortw”hrenden Strom, der sich an der –rtlichen Zeit orientiert. Nachrichten kommen nicht mehr zu dir, sondern sind immer da. Sie haben keinen festen Platz innerhalb den t”glichen Verplfichtungen, sondern k–nnen zu jeder Zeit hereingeholt werden. Die eigensinnige Tageseinteilung wurde bis vor kurzem von den programmierten Medien eingegrenzt. Indem sie Infos selektier- ten, ansammelten und ausschm¸ckten, kreierten sie eine Nach- richtenaura, so daþ die rituelle Einnahme von allerhand Wis- senswertem ¸ber die Welt erneut einen kollektiven Charakter bekam. Die Nachrichtensendungen wurden zur Plattform f¸r die lokalen Nationalit”ten. Das Zeitdiktat, das die Programmeure der Bev–lkerung ¸ber Fernsehzeitschriften auferlegten, vermit- telte das angenehme Gef¸hl, selbst gew”hlt zu haben, wenn man das Ger”t einschaltete. Die Annahme der programmatischen Me- dien war, daþ der Konsument Subjekt war und also die Programm- gestalter folgen w¸rden in die Sinngebung einer Darstellung. Als die Daten dem Diktat entkommen konnten und der Fernseher zum M–bel wurde ”hnlich dem Fimilienphoto auf dem Wandschrank, erschienen die aktuellen Medien auf der B¸hne. Aktuelle Medien erscheinen als Eingriff in das Programm. "The test of any newsorganisation is the breaking story. " (CNN) Die fatale Aktualit”t des Verkehrs (Staumeldung, Geisterfah- rer) wird als Zwangsmittel zur Dauereinschaltung eigesetzt - sogar wenn man zuhause ist. Das Leben selbst wird als Verkehrsstrom, der ununterbrochen flieþen muþ, interpretiert. Das Verm–gen der Aktualit”t, eine Rangordnung der Wichtigkeit zu suggerieren, wobei vordr”ngeln gestattet ist, hatte die unerwartete Folge, daþ der Medienbenutzer als Subjekt fragmentierte:seine Auswahlm–glichkeit brach, wo es die aktu- ellen Medien betraf, zusammen. Die Gleichwertigkeit von Nach- richten und Entertainment wurde wiederhergestellt, indem die Aktualit”t auf einer eigenen Frequenz geparkt wurde. In erster Instanz konnten die Nachrichten noch in das Programm einbre- chen, bekamen aber schon rasch einen eigenen Kanal zum Einbre- chen. Damit wurde aber zugleich die Pr”tention aufgegeben, die aktuellen Medien h”tten einen universellen Anspruch auf die Gruppe zwischen 8 und 88. Jede Minderheit bekam ihre eigene Message. Die Idee des zu erobernden Marktsegments wurde damit Teil des Medialen und die freiz¸gige Programmproliferation konnte anfangen. Das Geheimnis der aktuellen Medien ist, sich derart als 'Media Aparte' zu profilieren, daþ alle programmatischen Medien kurz- fristig abgeschaltet oder zu einem kleinen Seitenfenster ver- wiesen werden. Das Jetzt-oder-nie der Aktualit”t l”þt sich nicht mit einer dauerhaften Zuschauerbindung kombinieren. Der hitzk–pfige Charakter der spontanen Nachrichtenregung er- weist sich, nachdem man ein paar Tage zugeschaut hat, zum Er- staunen aller, als konstruierter Showcharakter par excellence. Wer lieber Hintergr¸nde haben m–chte lese besser ein Buch oder plaudere ein wenig mit den Nachbarn. Aktualit”t und Nachrich- ten schlieþen sich gegenseitig aus. Sobald die aktuellen Me- dien live Pressekonferenzen ausstrahlen, die im nachhinein von Journalisten zu Artikeln geknetet werden m¸ssen, ist das In- tervall, innerhalb dessen etwas Nachricht werden k–nnte, ver- nichtet. Wir sehen, wie die Journalisten den Saal verlassen, um dasjenige, was wir gerade gesehen haben, telephonisch wei- terzugeben. Wir haben die Bilder des Camcorderzeugen schon auf Videoband aufgenommen, noch bevor professionelle Kamaras zur Stelle sind. Wenn wir Nobelpreisgewinnern zuschauen k–nnen beim Schreiben des preisgekr–nten Romans, ¸ber das Filmnetz mitschauen k–nnen bei Hollywoodaufnahmen eines Films, der Monate sp”ter erst herausgebracht wird, wenn Telephongespr”che wichtiger Staats- m”nner direkt ¸ber die Kan”le zu verfolgen sind, wenn wir Stu- dioaufnahmen eines weltber¸hmten Musikers live ¸ber Funk mit- verfolgen k–nnen und wenn wir nur noch Reportagen sehen ¸ber die Art und Weise wie 'features' ihr Material sammeln, dann kommt das Endprodukt erst so weit nach der Aktualit”t, daþ es nur noch als M¸ll betrachtet werden kann. Wer macht sich noch die M¸he eine CD zu kaufen, wenn wir schon monatelang die Auf- nahmen des neuen Songs mitverfolgen konnten und ausgiebig in allen Variationen diskutiert haben. Das Publikum sieht sich st”ndig in die Position eines Journalisten gedr”ngt und der Zuschauer muþ fortw”hrend umschalten, damit er seine Reportage rechtzeitig fertigstellen kann. So wird die Rezeptionszeit ak- tiv ausgenutzt. M¸ll war schon immer reines Objekt. Das unsinnige Bed¸rfnis, gesammelte Daten in einem Endprodukt (das h¸bsch gestaltet werden kann) zu konsolidieren, f¸hrt zur erfreulichen Konse- quenz, daþ immer mehr M¸ll angesammelt wird. Niemand braucht die Programmhefte zu lesen, denn jeder weiþ, mit welchen Pro- grammen sie geschm¸ckt sind. Aber dasjenige, das seine Bedeu- tung verliert, gewinnt erneut sein Geheimnis. Ðberfl¸ssige Medien haben ihr Schweigen wiederhergestellt. Es ist die Natur der Daten, daþ sie die Vermutung erregen, nicht alleine zu sein. Sie werden immer in Gruppen vorgefunden. Daten k–nnten selbstst”ndig operieren, aber nicht rezipiert werden. Jede der Daten ist eine und hat einen eigensinnigen Charakter. Daten k–nnen nicht einfach so angesprochen werden, erst muþ man wis- sen welche Sprache sie sprechen. Datenschauen heiþt, Objekte aus ihnen machen:M¸ll. Aktuelle Medien sind Medien in-progress. Sie sind nicht im Stande, fix und fertige Produkte abzuliefern, sondern krebsen in rohem Material herum. Die Avantgarde der harten Info son- diert zur Zeit die n”chste Phase, in der akzeptiert ist, daþ Endprodukte ¸berfl¸ssig sind. Sie testet obsessiv die Daten- staubsauger, die in ihren Labors entwickelt worden sind. Das Sammeln, Anziehen, Auflesen, Abzapfen, Ausschneiden, Kopieren, Kategorisieren, Lagern, Neugruppieren und vor allem Aufbewahren von Daten ist deren Lebensaufgabe. Genau wie die souver”nen Medien brauchen sie kein Publikum, um sich auszutoben. Sie sind aber allm”h- lich baþ erstaunt wegen der Unersch–pflichkeit ihrer Daten- quellen. Wie in den traditionellen Computergesellschaften bie- ten sie das Ritual dar, in dem der Daten¸berfluþ, den die Ge- sellschaft produziert, ausgesperrt wird. Diese antropologische Herangehensweise der archaischen Auss–hnung verneint, daþ die ganze Gesellschaft mit dem M¸llproblem k”mpft:die Gefahr, daþ die Datenmenge die Grenze der kritische Masse ¸berschreitet und explodiert ist groþ. Eine Handvoll Magier mit Datenstaub- saugern kann wenig ausrichten gegen die Drohung der Entz¸ndung der entscheidenden Datentr”ger:Abfall wird Vorfall. Auch die Miniaturisierung der Datenlagerung ist keine L–sung f¸r das drohende overload, sondern eher ein Beitrag zu ihrer Vergr–þerung. Die zipped-Nanodaten bleiben Objekte, die zu- r¸ckschlagen. Ÿhnlich wie materieller M¸ll, k–nnen Daten nicht vernichtet, sondern nur umgelagert werden. Die –kologische Antwort m¸þte 'Datenvorbeugung' heiþen. ("Vorbeugen ist besser als lagern"). Diese Beschw–rungsformel aber f¸hrt unvermeidbar zu medienfreien Zonen wie Archipel Gulag und einer p”dagogi- schen Zensur, die zum Beispiel datenintensive Zeitr”ume aus der Geschichte l–schen wird. Diese L–sungen sind denkbar und damit ¸berholt. Nur die Strategie des Datenrecycling, die In- formation als D¸nger f¸r neue Ereignisse und Ph”nomene kom- postieren m–chte, wonach diese anschlieþend wieder als Daten im Karussell der mythischen Geschichtsauffassung mitdrehen k–nnen, bietet eine m–gliche Aussicht, den immanenten Daten- zuwachs effektiv eingrenzen zu k–nnen.