ALTE MEDIEN Alte Medien sind wieder da!Die Authentiker meinen die Werkzeu- ge, mit denen der Geist mal wieder aus der Materie hervorgeru- fen werden k–nne, wiedergefunden zu haben:das subtile Grau, das aus dem Bleistift flieþt, das Relief, das von ÷lfarbe her- vorgezaubert wird, die Magie des zerfallenden Nitratfilmes, die ewig- w”hrende Aussagekraft der Weltliteratur, die alten Symbole, die eine so ¸berraschende Aktualit”t haben, die Ÿs- thetik eines Telephons aus Bakalit, die Geschmeidigkeit nat¸r- licher Textilien, die definitive Poesie der Schreibmachine, das Bleiglasfenster mit seinem magischen Lichtspiel. Diese Techniken w¸rden uns von dem wahren Leben des Menschen erz”hlen und uns die Leere zeigen, die in der modernen Medien- welt herrscht. Das alte Werkzeug w¸rde uns den Weg zur¸ck in den Kosmos, in dem es noch keine industriellen Medien gab und der Satz noch das Sagen hatte, zeigen. In dieser Goldenen Ÿra bevor das Bewuþtsein von Bildermatsch und Dudelfunk aus dem Radio zerfressen war und die Leute beim Aufwachen noch eine Beziehung zur Kultur kn¸pfen konnten, schaute eine reine Re- zeption in eine Welt voller klaren Formen und war der akusti- sche Raum gef¸llt mit Gesang und Gezwitscher der V–gel. Sicherlich lohnt es sich, es nochmal aufzunehmen. Die Botschaft hatte zu dieser Urzeit noch reichlich Platz, um ein Geheimnis statt einer Interpretation verstezu k–nnen. Man hatte zwar keinen Kontakt zu den G–ttern, der war seit Homer abgebrochen, aber zu dem Glauben in das seelige Genie konnte man sich noch bekennen als eine Sehnsucht nach den ”ltesten Medien. Auþerdem konnte das Wunder, der Geist vereine sich mit der Materie zu der absoluten Kunst, noch geschehen. Verkennung durch Zeitgenossen war keine Folge einer gescheiterten Strate- gie oder malafider Agenten, die mit der Knete abhauten, son- dern Merkmal des Genies. Es war noch m–glich, nicht verstanden statt uninteressant gefunden zu werden. Zur Zeit leben 100. 000 K¸nstler auf Manhattan. Soviele gab es damals nicht auf der ganzen Welt. Damals gab es das Handwerk, Meister und Lehr- ling, beknackte F¸rsten, die einfach so die Dukaten herum- streuten, Bisch–fe, die jede Woche ein neues Opus verlangten. Bl¸henden Kulturen erm–glichten Meisterwerke und dank der Mei- sterwerke bl¸hte die Kultur. Wer w¸rde nicht gern diese Raum- Zeitkoordinaten in seine Zeitmachine eingeben? Der Vorwurf der authentischen K¸nstler an die Einwegkultur ist, daþ jede Zivilisation die Kultur bekommt, die sie ver- dient. Die K¸nstler, die das ausnutzen, werden gefeiert als aufge- kl”rte Geister. Authentiker, mit dem Verm–gen des ironischen Durchblicks in die Tiefgr¸ndigkeit der eigenen Zeit, verwan- deln das kulturelle Unbehagen in handwerkliche Banalit”t und bekommen daf¸r Riesenbetr”ge von den Spekulanten. Andere set- zen ihre authentische Neubewertung von veralteten Techniken als Verkaufstrick ein. Ihre ¸berzeugende Pr”sentation zeigt sich als willkommene Abwechslung im Kabinett der postmodernen Rarit”ten, das dank der Ðberinterpretation existiert. Die meist unzu-g”nglichen Regionen des Erhabenen sind demokrati- siert, aber unsere K¸nstler schaffen es, einen erhabenen Rest zu reaktivieren. Die dekonstruierten Fragmente werden bei ih- nen zerschmettert und enth¸llen eine Landschaft voller wahr- haftiger Bilder. Das franz–sische Denken ¸ber Sprache, Zei- chen, Simulationen und fraktierte Macht f¸hrt letztendlich zum Konservieren vergessen und verlorener Seinsbestimmungen wie Wahrheit und Werk. Alte Medien sind sich ihrer Reinheit nicht bewuþt. They are here to stay. Einmal Medien, immer Medien. Instrumente des Ba- rocks haben nichts gegen Wachsrolle oder CD. Authentische Aus- f¸hrer w¸rden konsequent sein, wenn sie ihr historisches Tim- bre nur noch im alten Medium des Salons zu Geh–r bringen w¸r- den und uns davon ¸berzeugen w¸rden, daþ das Viola da Gamba und das Hammerklavier in Anwesenheit von Mikrophonen verstim- men w¸rden. Selbst wenn man das mediale Attentat auf die In- strumente wissenschaftlich beweisen k–nnte und diese Erkennt- nis in einen wirklich authentischen Klang transponieren w¸rde, auch dann w¸rde das Wesentliche nicht in das medial gepr”gte Ohr durchdringen. Auch authentisch ausgef¸hrte Kunst existiert nicht ohne Aufnahme und Reproduktion. Der Wille zur Distanzie- rung von Medien fehlt in den Kreisen der Alten-Musik. Der mo- derne Konzertsaal kennt keine Eintrittspolitik (im Gegensatz zur Besetzerkneipe, wo Aufnahmeger”te verboten sind). Deswegen fehlt die pr”mediale Atmosph”re. Weil die Authentiker die alte Aura mit den modernsten Mitteln reproduzieren, enden sie von alleine in der Ecke der Folklore. Das ist die Endstation jeder Kultur, der Lagerplatz der alten Medien, wovon aus sie ein Co- meback in den neuen Medien feiern k–nnen. Medien suchen von Natur aus Anschluþ bei Artgenossen. Alte Me- dien lassen sich nicht in ein Freiluftmuseum zur¸ckdr”ngen, wo sie als s¸þes Handwerk f¸r einen Moment eine ”hnliche R¸hrung hervorrufen wie der Anblick eines funktionierenden Spinnrads. Alte Medien sind genauso rauschanregend und leer wie das neue Spielzeug. Hohes Alter ist keine Garantie f¸r Weisheit. Eben- sowenig k–nnen wir alten Medien abgestumpftes und dementieren- des Verhalten vorwerfen. Sie zeichnen immer noch auf, sie neh- men wahr mit den Sinnen, zu denen sie verurteilt sind. Alte Medien k–nnen-nach ein wenig Ðben-zwischen den modernen tele- matischen Maschinen gut funktionieren. Der hybride Charakter der Medien kann alles aneinanderkoppeln. In der Posthistorie funktioniert das auch in umgekehrter Richtung. Film zeigte schon immer viel Interesse f¸r die kost¸mierte Vergangenheit. Visconti zwang seine Statisten nicht nur, die Originaluniform zu tragen, sondern auch die dazugeh–rige W”sche. Das w¸rde der alten Art des Bewegens zugute kommen. Wie auch Stanley Kubrick in Barry Lyndon unbedingt bei Kerzenlicht des 18. Jhts drehen wollte und extra daf¸r einen Film entwickeln lieþ. Ebenso zei- gen 'house'-Musiker hartn”ckig die Neigung, bei einer live- show h–ren zu lassen, daþ sie auch richtige Musik machen k–n- nen. Der neueste Trend ist die Verfilmung von Computerspielen. Filmmusik kann den Film in Popularit”t weit ¸bertreffen und Grund zu einer Neudistribution eines geplatzen Films sein. Ein halbwegs 'major picture' wird im nachhinein zu einem Roman verarbeitet. Wegen Riesenerfolg erscheint das video jetzt auch auf CD. Wir warten auf Rilkes 'Neue Gedichte' in Form eines Videospieles. Was steht in 'Das Buch zum cyberspace'? Es ist klar, daþ die Weltliteratur dank den interaktiven CD zug”nglicher geworden ist. Groþe B¸cher waren schon immer in- teraktiv. Nur diejenigen, die diese Literatur nicht zu sch”- tzen wuþten, betrachteten sie als 'CD-ROM'. Diese Read-Only- Memory-Mentalit”t betrachtet die Vergangenheit als abgeschlos- sene Dom”ne, in die man keine Daten eingeben kann. Es wird erst spannend, wenn Medien falsch aneinander angeschlossen werden. Nur der Falschanschluþ l”þt die Funken spr¸hen. Alten Medien soll man als RAM entgegentreten, um dann random zu ex- cessieren. Datenbearbeitung ohne Einsatz von alten Medien ist undenkbar. Sie liefern den Stoff f¸r das Processing. Die Nebenger”te des Computers sind dazu da, das Material, das die alten Medien liefern, aufzusaugen. Es steht noch eine ganze Welt f¸r den Scanner bereit. Erst wenn die Computerwelt sich von ihren Ne- benger”ten emanzipiert hat und die 'central-processing-unit' selbst”ndig arbeiten kann, ”ndert sich der Status der alten Medien. Erst dann kreiert der Computer eine eigensinnige Da- tenwelt, in der das komplette Archiv des Menschen verarbeitet worden ist. Noch muþ die integrierte Schaltung auf einem Fern- sehschirm melden, was er gemacht hat und gibt es die M–glic- hkeit, das Resultat seiner T”tigkeiten auf Papier drucken zu lassen. Erst wenn der Computer sich weigert, zu zeigen, wel- che Datenmanipulationen ausgef¸hrt wurden, ist es ein reines Meta-Medium geworden. Diese M–glichkeit ist Grund der Furcht vor der k¸nstlichen Intelligenz der neutralen Netzwerke. Es ist jedoch fraglich, ob die Lagerwut, die Anlaþ gibt zur Herstellung einer Gigadatenbank, jemals ausgetobt sein wird. Das komplette Archiv war schon Ideal des 18. Jhts. Im 20. Jh. br”uchte man einen Weltkrieg, um die Geschwindigkeit der welt- weiten Dynamik in einem 'laufenden Archiv' anhalten zu k–nnen. Krieg war die ideale Voraussetzung zur Einf¸hrung revolution”- rer Registrationstechniken. Wir m¸ssen aber der milit”rischen Strategie der Lagerung nicht nachfolgen, um den Status Quo handhaben zu k–nnen. Die Archive der alten Medien d¸rfen exi- stieren (und vermodern), ohne Teil des cyberspace zu werden. Eine subtilere M–glichkeit ist, die Medien ihre eigenen Wege gehen zu lassen und multirationelle Kopplungen nach eigener Einsicht machen zu lassen in einem 'personal webwork' der al- ten und neuen Medien, die nicht unbedingt aneinander anschlie- þen, sondern durch Zufall zusammen kommen k–nnen. Der Benutzer als St–rfaktor bricht ab und zu in die perfekt funktionieren- de, autonome Matrix ein. Nur Technokraten tr”umen von einem perfekt integrierten Mediensystem, dem ISDN, als Generator der absoluten Transparenz. Mangelhafte Konversionsm–glichkeiten garantieren, daþ das R”tsel der Technik auch f¸r geniale Cy- bernauten ungel–st bleibt. Nur St–rung gibt denen zu denken. Wenn die Control aufleuchtet bl¸ht der Spaþnavigator erst auf.