DER ARTIST UND SEINE MEDIEN "Die Propheten der Antike waren die Fernsehger”te ihrer Zeit: sie waren beauftragt mit einer harten Botschaft:scharf um- rissen und eindringlich. " Boelie van Leeuwen Jetzt, wo am Ende des 21. Jhts der Kampf zwischen Kunst und Technik seine Bedeutung verloren hat, k–nnen wir in aller Ruhe inventarisieren, womit die Weltbev–lkerung sich, ¸ber Genera- tionen hinweg, besch”ftigt hat. Im R¸ckblick auf die techni- schen Medien, die auþerhalb des Selbst installiert waren, se- hen wir den K¸nstler, bis vor kurzem, noch ¸ber seine Bezie- hung zu den Objekten gr¸beln. Er sch–pfte aus dem Reservoir der ¸berlieferten Mythen, um die vagen Konturen seines Pro- blems klar gestalten zu k–nnen. Mit dem Entfallen der Trennung von Objekt und Subjekt in den letzten Jahrzehnten, haben wir das Privileg bekommen, die mythische Vergangenheit besuchen zu k–nnen und unseren Vorfahren die Bilder, an denen sie weiter- arbeiten, zu ¸bergeben. Wenn wir die konventionelle Periodisierung beibehalten, sind, zum Ausklang des 20. Jhts, die impressionistischen Medien zu charakterisieren als ein Gef¸ge von 'Apparaten' mit einem Ge- heimnis. Sie entliehen ihre Glaubw¸rdigkeit der Gegebenheit, daþ die Medienbenutzer nicht selbst eingeschaltet waren, son- dern innerhalb ihres Sensoriums ein Anderer geschaut, geh–rt und gesprochen hat. In jenen Tagen war das die aktuelle Form des "Je est un autre." Der elektronisch gesteuerte Entfrem- dungseffekt bestimmte das, was sich aus dem eigenen Inneren des K¸nstlers heraus in seinem Kunstwerk auskristallisieren w¸rde. Das Unbehagen in den Medien ergab sich aus dem st–ren- den Gef¸hl, daþ immer etwas Fremdes der Motor der eigenen Au- thentizit”t war. Die Medien verf¸gten ¸ber ein unersch–pfli- ches Reservoir an Weltinformationen. Das verhinderte eine Be- kanntschaft mit den Quellen des Imagin”ren:das Bilderreich des pers–nlichen Unbewuþten verkam, wie von alleine, zu einem en- tropischen Status der Itemfetzen. In diesem ewigw”hrenden Tag der Aktualit”t fehlte es der Kunst an einer eigenen Aufgabe. Mangels Schutz sah sich der K¸nstler zu einer maximalen zur Schaustellung auf dem Medienmarkt gezwungen, um mittels Ðber- belichtung den Schatten eines Geheimnisses hervorrufen zu k–n- nen. Um 2000 wurden zwei Strategien entwickelt, die zum expressio- nistischen Stadium der Medien f¸hren w¸rden. Einerseits sehen wir die Flucht in die Materie. Innerhalb des Rahmens der da- mals popul”ren anti-medialen Massenbewegung, die dabei war, zur Realit”t ¸berzulaufen, stilisierte der engagierte K¸nstler den Umgang mit seinem Material zu einem Solidarit”tskult. Er ging 'zur¸ck zum Wesentlichen, zum Ewiggegenw”rtigen'. Die Substanz, die in dieser Kultur angebetet wurde, profilierte der K¸nstler als Reaktion auf das Virtuelle, allzu Virtuelle des Weltbewuþtseins. Die k¸nstlerische Schule des Materiellen Ordens verstand ihre gesellschaftliche Verantwortlichkeit als das Lebendighalten der Erinnerung an die Natur. Dieser –kolo- gische Realismus pflanzte in einen hartn”ckigen Versuch, nach k¸nftiger Ewigkeit zu ringen, seine Monumente zwischen die m”- chtigen Ruinen der Modernit”t. Er verkaufte seine Kunst als letzte Chance, die Menschheit vor den Medien zu retten, kon- spirierte aber so, in einem korrupten Komplott mit der Weltre- gierung, gegen die planet”re Bev–lkerung. So rief sie ¸ber sich ein ”hnliches Schicksal hervor, wie es die Volkskunst und der soziale Realismus im totalit”ren 20. Jh getan hatten. Als die Anti-Medialen das Feld r”umen muþten, verschwanden auch diese Skulpturen in den Containern der Kunstgeschichte. Andererseits wollten die souver”nen Medien anfangs des 21. Jhts die Dematerialisierung der Welt. Die Multimedialen labten sich in ihrem transnational network am Rausch, der duch Kurz- schluþ von mannigfaltigen Medien hervorgerufen wurde. Diese Schule schaffte es als erste, eine direkte Schaltung zwischen Medium und Sensorium herzustellen. Beeinfluþt von Drogen, Nietzsche, Burroughs und Pynchon machten sie sich bereit f¸r die Reise der Seele. Das st–rende Gef¸hl, von einem Anderen besucht worden zu sein, der eigentlich nichts mit dir zu schaffen hat und dir seine Welt aufdr”ngt, wurde von ihren Denkern als Ger”usch interpretiert. Die menschliche Subjekti- vit”t zeigte sich als medialer M¸ll, ohne Charme oder Gefahr. Die souver”nen K¸nstler waren Meister im kreieren von k¸nst- lichen Kontinenten. In ihrem ganzen widernat¸rlichen Wider- stand gegen die Welt akzeptierten sie eine Reise durch das Innere, das an neutrale Netzwerken und biosoft angeh”ngt war. Mit den Psychokonsumenten auf den Fersen sperrten sie sich ein in einer medialen Kontemplation, die das Experimentieren au- þerhalb den Labors allm”hlig als ein unerreichbares Ziel er- fuhr. Sie drohten damit, in ihrer geschlossenen Welt zu blei- ben und antworteten mit einer Flucht nach vorn in das re- search. Anfangs betrachteten sie das menschliche Gehirn, in das sie eingezogen waren, als ein Modell, in dem sich die of- fene Architektur ihrer hard- und software spiegeln konnte. Mit ihren neutralen Netzwerken und biochips bahnten sie sich einen Weg durch das Denkverm–gen des Homo Sapiens. Bis sie etwas ersch¸tterndes entdeckten. W”hrend sie unaufhaltsam weiterar- beiteten, deckten sie den menschlichen Geist als zeitlose Ma- trix, die sofort zu bereisen war, auf. Diese machte aber ihre vorherigen Tricks in der virtuellen Realit”t, der cyberspace, dessen Jules Verne William Gibson schon 1985 war, zu einem Kinderspiel. Wenn die Kunst nicht die eigene Ÿra darstellen will, greift sie auf die Klassiker zur¸ck. In den Mythen w¸rden sich ewige Wahrheiten, die man mit den modernsten Mitteln ausbuddeln k–nnte, verste Auch in unserer Zeit sehen wir, daþ dies eine fast unersch–pfliche Quelle von Motiven und Gestalten ergibt. Die Anti-Aktuellen berufen sich schon seit Jahrhunder- ten erfolgreich auf die Aktualit”t der Mythen. Sie glauben, es sei nun mal so, daþ der Mensch zu den unpassensten Gelegenhei- ten Oedipus oder Euridyce imitiert. Diese Ewige Wiederkehr des Gleichen wird von ihnen nuanciert pr”sentiert:wir sollten nicht in einem Kreis denken, sondern in einer Spirale(J¸nger), oder in einer Gyre(Yeats). Indem der K¸nstler die Mythen unbe- k¸mmert benutzt, kann er uns bedenkliche Momente, in denen wir kurz in der Gegenwart anhalten, besorgen. Sogar die Bef¸rwor- ter des Fortschritts benutzen gerne Mythen, um uns vor einem R¸ckfall in sie zu warnen. Die Geschichten sind ja auch aus solch hartem Holz geschnitten, daþ sie einige P¸ffe vetragen k–nnen und ¸berall verwendbar sind. Die Medienepoche eignete sich wie keine andere dazu, die My- then wieder aus der Mottenkiste zu holen und sie zu demokrati- sieren. Nachdem sie Erbteil der Dichter und Maler des 19. Jhts waren, verloren sie im 20. Jh ihre staubige Konnotation als ¸berlieferte Geschichte. Sie wurden in der Erz”hlstruktur des Fernseh- und Computerprogramms als pattern recognition einge- f¸hrt, das anstelle der Datenklassifikation des Gutenbergschen Universums der linearen Rede(McLuhan) kam. Im 21. Jh sind die urspr¸nglichen Geschichten, die einmal der Zement der lokalen Gesellschaften waren, weltweite Kassenschlager geblieben. Sie verschaffen zum Beispiel immer noch Arbeitspl”tze f¸r K¸nst- ler, die nicht an der Problematik der Immaterialit”t interes- siert sind. Gerade die physischen Aspekte der Mythen, die so freim¸tig mit der Gewalt, dem Heiligen und der Bestie umgehen, bilden eine wohltuende R¸ckkehr zum Physischen, von dem wir uns schon verabschiedet hatten. Die Abenteurer, die ausgezogen waren, um das Gehirn von Mensch und computer zu sondieren, hatten kein Interesse an dieser Art von mythischer Unterhaltung. Als sie in die zeitlose Medienma- trix des Geistes einzogen, erwarben sie einen unmittelbaren Zugang zu den komplexen Vorstellungen des Imagin”ren. Dazu brauchten sie keine arch”ologischen Ausgrabungen und ebensowe- nig eine prophetische Begabung. Sie muþten nicht unbedingt Ge- nies oder Auserkorene sein, um face to face der menschlichen Natur und ihren Schregegen¸ber zu stehen. Sie hatten ein- fach die richtigen Ger”te. Das war aber ersch¸tternd genug. Nachdem sie die kognitiven Funktionen des Gehirns betrachtet hatten, drangen sie in die geologischen Ebenen des Sensoriums ein. In diesen ”lteren Ebenen fanden sie die Raster, aus denen Priester, Mystiker, Dichter und Gr¸nder von Weltreichen und Religionen ihre Offenbarung bekommen. Das Merkw¸rdige war, daþ diese heroischen Aufkl”rer immer wieder aus diesem Arsenal sch–pfen, aber nie etwas zur¸ckgeben. Die einzigen, die diese Seher mit ihren Visionen bescheren konnten, waren diejenigen, die Zugang zu diesen Ebenen hatten. Zu ihrem Staunen muþten diese Gehirnraumfahrer, die jenseits cyberspace waren, konsta- tieren, daþ es an ihnen war, diese mentalen Bilder zu kreie- ren. Diese Einladung akzeptierten sie. Nach anderthalb Jahr- hunderten hatte ihre Wissenschaft endlich eine Mission bekom- men. Ihr naturwissenschaftlicher Hintergrund gab ihnen scharf- umgrenzte und harte Botschaften ein. Sie wurden die K¸nstler unserer Gegenwart. Das war aber auch das Ende des Mythos als ewiger Wahrheit und der Dialektik von Kunst und Technik. Die Aufgabe der Kunst ist seitdem, Material zu liefern, mit dem die Vergangenheit beliefert wird. K¸nftig, Ende des 21 Jhts, ist auch das K¸nstlerische der Machbarkeit der Welt ge- widmet. Der K¸nstler produziert Bilder, die ewig zur¸ckkehren werden, bis in die eigene Zeit. Obwohl es einige universelle Vorstellungen gibt, die immer und ¸berall g¸ltig sind, gibt es zahlreiche lokale und regionale Ateliers, die Urimagos f¸r den eigenen Markt liefern, aus denen die Vorm¸tter und -v”ter nach der G–tterd”mmerung wieder neue Mythen filtern.