REMEMBER BAUDRILLARD "Hinter Faszination und Wort befinden sich noch gen¸gend Unklarheiten und existentielle Abgr¸nde, um die Tiefsinnigsten zu befriedigen. " G. Benn 1972 beginnt Jean Baudrillard sein 'Requiem f¸r die Medien' mit der Konstatierung:"Es gibt keine Medientheorie". Und er f”hrt fort:will man die Medien verstehen, muþ man sich von der Idee losl–sen, Medien br”chten Kommunikation zustande. Es ist keine Rede von einem Austausch zwischen Sender und Empf”nger, es wird nur gesendet. Um Medien verstehen zu k–nnen, m¸þten sie erst vernichtet werden. Ein paar Jahre sp”ter, ersetzt Baudrillard in einer albernen Laune den Begriff 'produire 'durch 'seduire'. Indem er an- schlieþend senden und verf¸hren kombiniert, hat er die Bau- steine f¸r eine Medientheorie in der Hand, die sich vom Freu- domarxismus gel–st hat. Medien wollen nicht die Sehns¸chte und Bed¸rfnisse der Empf”nger befriedigen. Ebensowenig produzieren sie solche subjektiven Sehns¸chte und Bed¸rfnisse nach einem rationalen Plan. Dem impact der Medien verdanken sie das sub- lime Verm–gen zur Einbahnstraþe. Je fremder die gesendeten Zeichen, desto st”rker ist ihre Verf¸hrungskraft und desto fataler sind die Folgen f¸r das Publikumsbewuþtsein. Als Bau- drillard sich dessen bewuþt wurde, machte er einen radikalen Schritt. Er lieþ das Subjekt in seiner Entfremdung und Unge- wiþheit zur¸ck und lief ¸ber zur Seite des 'widerw”rtigen, fremden' Objekts mit seiner schicksalhaften Verf¸hrungs- kraft'. 'Das Subjekt kann nur verlangen, nur das Objekt kann verf¸hren'. In seinem definitiven Essay 'Die fatalen Strategien' von 1983, gibt Baudrillard Aufschluþ ¸ber die r”tselhafte Intelligenz des Objekts. Sich beziehend auf den Freudomarxismus, stellt er die Frau und die Masse als klassische Beispiele des Objekts dar. "Die Massen sind keineswegs ein Objekt der Unterdr¸ckung und der Manipulation. Sie m¸ssen nicht befreit werden und k–n- nen es nicht. Ihre ganze transpolitische Macht besteht in ih- rer Existenz als reines Objekt, besteht darin, ihr Schweigen, ihr Nichtvorhandensein von Begehren jedem politischen Gel¸st, das sie zum Sprechen bringen will, entgegenzusetzen. Heute und auch in Zukunft gibt es groþe Schwierigkeiten, die Medien und die Informationssph”re nach den traditionellen Kategorien der Subjektphilosophie zu untersuchen:Wille, R”presentation, Selbstbestimmung, Freiheit, Wissen und Begehren. Es ist augen- scheinlich, daþ diese Begriffe hier eindeutig widerlegt werden und daþ das Subjekt seiner Souver”nit”t hier vollkommen ent- fremdet wird. Zwischen der Sph”re der Information und dem mo- ralischen Gesetz, welches uns forw”hrend beherrscht und uns sagt:Du sollst wissen, was Dein Wille und Dein Begehren ist, besteht eine prinzipielle Verzerrung. Es gen¸gt, die Idee, - eine durch die Medien entfremdete Masse umzukehren und nach- zugehen, inwieweit das ganze Medienuniversum und vielleicht sogar das ganze technische Universum das Resultat einer gehei- men Strategie der angeblich entfremdeten Massen, einer gehei- men Form der Willensverweigerung, einer anderen, souver”nen Phlilosophie des Un-Willens, einer Art Antimetaphysik sind, deren Geheimnis ist, daþ die Massen(oder der Mensch) im Grunde wissen, daþ sie nichts ¸ber sich selber und ¸ber die Welt zu sagen haben, daþ es nichts gibt, was sie wollen, wissen und begehren. " Der 'Inhalt der Medien' muþ als Konsequenz dieser radikalen Unt”tigkeit der Medienmasse revidiert werden:"Die Ph”nomene Masse und Information stehen in einem proportionalen Verh”lt- nis zueinander:die Masse hat keine Meinung und die Information informiert sie nicht:Auf monstr–se Art ern”hren sie sich ge- genseitig - die Umlaufgeschwindigkeit der Information vergr–- þert das Gewicht der Masse und keineswegs ihr Bewuþtsein. Die ganze Information, die fortw”hrende Aktivit”t der Medien, die massenhaften Botschaften, wollen nur die t–dliche Verseuchung, um die Massen kontrollieren zu k–nnen. Die Energie der Infor- mation, der Medien und der Kommunikation wird heute nur noch dazu benutzt, um dem kalten und gleichg¸ltigen Antik–rper, der schweigenden Masse, die immer verf¸hrerischer wird, einen Satzfetzen, einen Lebensfetzen zu entziehen. " Mit diesen Erkenntnissen hat Baudrillard die Voraussetzungen f¸r seine Medientheorie kreiert. Um das R”tsel der Medien for- mulieren zu k–nnen, muþ man auf die klassische Idee der ge- sellschaflichen Funktion, die das Informieren der Massen bein- halten w¸rde, verzichten. Es soll vermieden werden, daþ die Medientheorie eine geringere Energieform der Medien wird. Sie will deshalb den Medien nicht diese oder jene (subjektive) Absicht zuschreiben, sondern g–nnt ihnen den eigenen Moment, die eigene Verf¸hrung oder fatale Strategie. Die Medienstrate- gie betrachtet Medien als Objekt und startet von da aus ihre Argumentation. Sie fordert die Medien heraus, im Verlauf des theoretischen ExposÈs ihre fatale Stategie operabel zu machen. "So sollten die Dinge betrachtet werden, in Begriffen des Hu- mors". Die Medien antworten nicht, wenn man kritisch an sie herangeht, sie wollen von ihren Theoretikern eine ”hnliche Leichtfertigkeit und Ironie, mit der sie selbst groþ geworden sind. Um zu der Seite des Medienobjekts ¸berlaufen zu k–nnen, muþ der Medientheoretiker vitueller, unsicherer und unwahrscheinlicher werden als die Medien selbst. Hierin steckt, meint Baudrillard 'etwas obskures, unergr¸ndliches', aber eigentlich bedeutet es "einfach eine andere Logik abstecken, andere Strategien entwickeln, der objektiven Ironie freies Spiel geben. Auch das ist eine Herausforderung, die m–glicherweise absurd ist und dasjenige riskiert, das sie be- schreibt - aber es muþ riskiert werden:die Hypothese einer fatalen Strategie muþ selber fatal sein. " "Since the world drives to a delirious state of things, we must drive to a delirious point of view. "Urspr¸nglich zielte Baudrillards Denken darauf, den akademischen Kontext, mit dem er ausgebildet war, hinter sich zu lassen. Er machte das, in- dem er den Aufstand der Zeichen verk¸ndete. Die Wirklichkeit sei verschwunden, weil alles ein Zeichen f¸r etwas anderes geworden sei. Alles sei Politik geworden, ein sozialer Prozeþ, psychosomatisch zu erkl”ren. Die Zeichen entliehen ihren Wert dank ihrer Zirkulation in den Informationsnetzwerken. F¸r die- sen Zustand, benutzte er den Begriff 'Simulation', ein Wort, das sich f¸r ihn als fatales Objekt erwies. Mit dem Begriff konnte Baudrillard alles einordnen. In der Geschichte entdeck- te er drei Stadien:das der Imitation (bis 1880), das der Pro- duktion (bis 1950) und das der Simulation, unseren jetztigen Zustand. In dem letzten Stadium ist der Gegensatz Wahrheit- L¸ge unbrauchbar geworden. Die Simulation ist mehr wahr als die Wahrheit, denn sie ist Modell f¸r und keine Spiegelung der Wahrheit. Wie wahr diese Konstatierung sein mag, sein Publikum kam immer wieder zur¸ck auf die Dialektik der Simulation und der Wahrheit. Buch auf Buch sah Baudrillard sich dazu gezwun- gen, dem schwerh–rigen Publikum zu erkl”ren, daþ es mit der Simulation keine Dialektik mehr gab. Es war seine Strategie, das Wort Simulation so oft zu verwenden, daþ es allen zum kot- zen wurde - und das geschah auch. Nur war in dem Moment der Autor mit dem Begriff zusammengefallen und f¸r ihn galt:'must exit'. Gleiches gilt f¸r die Begriffe:Zeichen, Simulakrum, Faszination, Verf¸hrung, das Obsz–ne, Extase und Implosion. Die Befreiung vom Freudomarxismus f¸hrte unvermeidbar zum Slo- gan:vergeþt Baudrillard. Er selbst hatte da schon l”ngst als 'Missionar der schweigenden Mehrheit'aufgeh–rt. Seine Leser durften so tr”ge sein wie sie wollten, er brauchte sie nicht mehr. Es konnte nicht die Rede sein von einem neuen Gleichge- wicht von Simulation und Wirklichkeit, wie es das gutgemeinte Wort 'Medienrealit”t' suggeriert. "Das Universum ist nicht dialektisch - es widmet sich den Extremen, nicht dem Gleichge- wicht. Dem radikalen Antagonismus, nicht der Vers–hnung oder der Synthese". Mir der Publikation der 'Fatalen Strategien' h–rte Baudrillard auf mit dem sich Verabschieden von ¸berhol- ten Denkmodellen und –ffnete er einen neuen Raum f¸r die Theo- rie. Das war der Moment, in dem K¸nstler und Wissenschafts- journalisten sich verabschiedeten. Ðber Baudrillards B¸cher schreiben hieþ ab da, selber neue Theorien formulieren. Zusam- menfassungen und Kritiken sind immer beside the point. Bau- drillard n”hert sich der Herangehensweise von Paul Virilio und f”ngt an, antizipierend und ausweichend zu philosophieren. "Um leben zu k–nnen, d¸rfen Gruppen oder Individuen nie eigenen Besitz, eigenes Interesse, ein eigenes Ideal anstreben. Sie m¸ssen immer etwas anderes anstreben, etwas das daneben liegt, das weiter weg liegt, gegen¸ber, wie die Krieger des japani- schen Kampfsports. "Und das ist auch das Gesetz des Schreibens. "Theorie kann nur heiþen:eine Falle aufstellen in der Hoffnung daþ die Realit”t naiv genug sein wird, darin einfangen zu las- sen. "In 'Transparenz des B–sen'(1990) findet Baudrillard es nicht mehr der Rede wert, die Medien zu analysieren. Die Me- dien geh–rten noch zu 'der Orgie der Befreiung', die seit den sechziger Jahren tobte und die jetzt, Gott sei Dank, vorbei ist. Unterschied er bis jetzt 'eine Trilogie der Werte' - der Gebrauchswert, der Tauschwert und der strukturelle Wert, die alle zu den historischen Stadien der Imitation, Produktion und Simulation geh–ren - f¸gt er jetzt noch ein viertes Niveau hinzu. Der Wert ist in sein fraktuelles Stadium hineingetre- ten, in dem eine Art Epidemie der Werte ausgebrochen ist, eine totale Metastase:alles hat einen Wert bekommen, egal was, der Wert steuert seine maximale Ausdehnung an und man darf davon ausgehen, daþ er demn”chst die Welt verl”þt. Das Ðberbieten des Vorherigen findet in dem statt, was B. die 'extreme Ph”- nomene' nennt, der er das Logo 'trans' aufklebt:Trans”sthe- tik, Transsexualit”t, Transpolitik, Trans–konomie, Transtrans. Jeder Widerstand ist verschwunden, wodurch auf einmal super- leitende Ereignisse stattfinden. Eine medizinische Entdeckung wie AIDS kann im Nu ein weltumfassendes Ph”nomen werden. Baudrillards Strategie ist, nicht l”nger auf den Simulations- charakter der Medien”ra hinzuweisen. Er praktiziert nicht l”n- ger die radikale Negativit”t, sondern sucht die radikale Ande- rsheit. Seine Theorien k–nnen nicht l”nger in soziologischen Jargon, der einzigen Sprache, die Journalisten beherrschen, zur¸ck¸bersetzt werden. "Le Paranoique Šclectique, l'Hypocon- driaque Pharaonique, le Troglodyte CaractÈriel, le Vicieux HÈpatique, le Libidinieux PathÈtique, l'Ambidextre Glossolali- que, L'Exophtalmique Moelleux, le CÈrÈbro-spinal Inverti, le Tetracyclique RecyclÈ" (Cool Memories II). In seinem Ekel ge- gen die Medienkultur setzt Baudrillard auf die geheime Kraft des Fremden, die er fr¸her in dem Objekt lokalisiert hatte. Gegen¸ber dem Prinzip des Klons, die asexuelle und monomati- sche Multiplizierung des Immergleichen, die Merkmal der Infor- mations”ra ist, setzt er das Prinzip des radikalen Exotismus. Die Erde ist dermaþen rund geworden, daþ eine Abreise von Punkt A bedeutet, sich auf dem Weg nach Punkt A zu befinden. Tourismus:Verreisen bedeutet immer, rundum die Welt reisen. War das Andere immer das verfluchte Teil, jetzt ist es dasje- nige, dem wir nie mehr begegnen, weil wir nur die Abart des Bekannten suchen und nicht mehr dasjenige sehen, das gar nichts mit dem Bekannten zu tun hat. Der radikale Exotismus befindet sich jenseits der Differenzen. Es ist das 'Auþen', das in jeder symbolischen Ordnung, in je- der Kultur zu Gast sein kann, aber nie mit ihr auf gleiche H–he kommen kann. Wenn das Andere von einer Kultur integriert wird, wird es von ihr vernichtet. (B. nennt als Beispiel, wie Japan den Westen absorbiert. )Und gerade aus dem 'Auþen' stammt unser Denken, unsere Einsichten, unsere Verf¸hrungen. Der freie Wille ist etwas aus zweiter Hand, nur das Fremde ist aus erster Hand. Was ist das Fremde eigentlich?Baudrillard faþt das Dogma der Informationsgesellschaft zusammen als:"Warum sollten wir noch miteinander reden, wenn wir genau so gut miteinander kommuni- zieren k–nnen?"Wir sind radikal exotisch geworden, absolute Fremde. Die H–lle wird nicht mehr, wie zu Sartres Zeit, von den Anderen gebildet, sondern von der unvermeidlichen Kommuni- kation mit den Anderen. Jenseits der Kommunikation schauen die Anderen einander an und wird das Geheimnis gel¸ftet, "das, mit dem wir uns selbst entkommen k–nnen". In der Welt nach den Medien wird weiter Denken erm–glicht. Baudrillard beendet 'Transparenz des B–sen' mit:"Der Andere ist jener, der mir erlaubt, mich nicht endloslicht zu wiederholen. " Baudrillards Zuwendung f¸r das radikale Andere ist eine Stra- tegie, um der Aktualit”t wiederstehen zu k–nnen und kein Man–- ver, um der Welt den R¸cken zu kehren. Er interveniert, wenn:die gefrorene Freiheit hinter dem Eisernen Vorhang abtaut, die Gedenkwelle des Fin-de-SiËcle tobt oder wenn Hei- degger durcheinandergeworfen wird. Diese Interventionen kulmi- nieren in der Schm”hschrift 'La guerre du Golfe n'a pas eu lieu'. Wie Paul Virilio erlebte Baudrillard w”hrend Desert Storm sein coming-out in den internationalen Medien, als Mode- philosoph der Simulation und der Virtualit”t. Dieser Erfolg hinderte ihn nicht daran, darauf zu beharren, daþ 'dieser Nicht-Krieg die Fortsetzung der Abwesendheit einer Politik mit anderen Mittel ist'. In diesem virtuellen Krieg ohne Gegner war 'Information wie eine nicht-intelligente Rakete, sie trifft nie das Ziel (und, leider ebenso wenig, ihre anti-Rake- te), sie st¸rzt, egal wo, ab oder verschwindet im Leeren'. Information=Krieg. Je direkter ein Ereignis ausgestrahlt wird, desto mehr wird es in Information verpackt, desto weniger er- reichbar wird es. "Wir schauen einer live Sendung nur noch zu in die Hoffnung, daþ das Ereignis die Information durcheinan- derbringen wird." Hinter der Faszination, die das tr”ge Spektakel hervorrief, witterte der besorgte Baudrillard pl–tzlich die Konturen eines Komplotts. Die hartn”ckige Herausforderung Saddams gen Westen hatte die ganze Unklarheit an sich, die auch das absolute Exo- tische an sich hat. Der Nicht-Golfkrieg zielte darauf, dieses eigenartige Andere vielleicht nicht auszurotten, wenigstens aber zu z”hmen. Das Andere wurde, unter dem Nenner der Demo- kratie, Menschenrechte und planetarem Konsens, dermaþen ge- waltt”tig aus der Welt gejagt, "daþ demn”chst Ordnung herrschen wird, eine Neue Weltordnung, in der nichts mehr pas- sieren wird, es nichts mehr gibt und nichts mehr Einsatz oder Herausforderung bietet". Der letzte, der sich dieser Ordnung widersetzte war wohlgemerkt der Islam, "aber dahinter verstecken sich alle Arten von Kultur, die von dem Westen ab- gelehnt werden. "Niemand weiþ, wer hier gewinnen wird. Aber, formuliert B. seine Hoffnung im M”rz '91, :"Je gr–þer die Hegemonie des weltweiten Konsens wird, desto gr–þer das Risiko - oder das Gl¸ck -, daþ sie pl–tzlich in sich zusammenf”llt. "