BILLBOARDSTUDIEN Das billboard ist ein stark veraltetes Medium. Die forcierte Benutzung der amerikanischen Terminologie als Ersatz f¸r etwa die Litfaþs”ule, will Handel und Gewerbe einen Platz in dem Megatrend, in den industrielle Produktion zugunsten der zu distribuierenden Markenartikel verschwindet, zuweisen. Die Ware ist sign, die Arbeit design geworden. Der Begriff bill- board situiert die Auþenwerbung jenseits Canettis Endpunkt der Geschichte, worin die Phase des Warenkrebs ¸berging in die zeitlose Dimension der Posthistorie. In dieser Nachgeschichte gibt es nur noch Zeichen, die in medialen Netzwerken wuchern. Das kingsize Werbephoto appelliert an jugendlichen Elan des Nachkriegs, amerikanischen way-of-life, der in den Staaten selbst schon l”ngst zu einer leeren Routine und face-lift Ter- ror entartet ist. W”hrend in den US of A die Schilder schon verschwinden will Europa mit der Stationierung eigener Werbe- schilder nochmal bezeugen, daþ es in die Modernit”t eingetre- ten ist und daþ der Wiederaufbau des Kontinents bis zum Ural jetzt erst recht begonnen werden kann. Das billboard, als angehaltenes Bild, ist ein Atavismus der Renaissance. Es simuliert Vitalit”t, indem es von den Prinzi- pien der perspektivischen Illusion, die das Auge als Aktions- zentrum hat, schmarotzt. Indem er Anzeigen aus dem Warendekor herausl–ste, machte der Ironiker Andy Warhol Anfang der sech- ziger Jahre aus Werbung, die ihre Sinngebung der Ðbertragung konsumptiver Botschaften entlieh, zweidimensionale Objekte, die keinen fixierten Betrachtungsstandpunkt brauchten. Das war erst Moderne Kunst. Die heutigen Werbeprodukte machen eine ”hnliche Bewegung, nur in umgekehrter Richtung. Unsere Bildta- fel pr”sentiert sich, dreiþig Jahre nach Warhol, als unsinni- ge, losgel–ste message, tut das aber, um die Passanten erneut als Konsumenten anzusprechen. Das Warhol-Prinzip der Wiederho- lung, das er der Werbung abgeguckt hat, wird pervertiert, in- dem ¸berall in der Stadt die gleichen Zeichen aufgeh”ngt wer- den, die im Nu ein eigenes System inszenieren. Die Verst”nd- lichkeit dieser Zeichenstrecken ist keine Folge ihres informa- tiven Werts, aber des Verm–gens des designs, als Lifestyle- spiegel f¸r die Stadt und ihre Benutzer zu fungieren. Billbo- ards k–nnen nur dank einer dritten Dimension, die entsteht, wenn einen Blick aufgefangen wird und Teil eines sinngebenden Identit”tsdekor ist, existieren. Dadurch, daþ stilisierte Wer- bung sich da fixiert, wo der k¸nftige Kunde geboren wird, wird sie nie moderne Kunst werden. Von jeher ist das Schild Teil des –ffentlichen Bildes, das seine Effektivit”t der Tr”gheit der passierenden Massen ent- leiht. Sein eigenliches Umfeld ist die Stadt. Da leistet es schon sein langem gute Dienste als Proklamation, Befehl zur Mobilisation, Wandzeitung, Aush”ngeschild, politisches Plakat, Ank¸ngigung oder Werbebotschaft. Straþe und Platz an dem es sich befindet, bilden den Raum des Politischen (wer die Straþe erobert, erobert den Staat). Da sind die Pl”tze, an denen die Bev–lkerung sich kenntlich machte und Ereignisse anstiftete, von Place de la Bastille bis zum Platz des himmlischen Frie- dens. Dieses coming-out paart sich mit dem unlesbar machen von Zeichen der Macht. Sie werden beschmiert, zerrissen, ver- brannt, umgezogen oder kommentiert. N”chtliche Kleber kleben eigene, wilde Plakate an verbotene Stellen, Schmierer schmieren ihre Texte auf jungfr”uliche W”n- de, die Subversion tobt und besudelt die politische Reinheit: 'Die Straþen waren zu allen Zeiten Blutbahnen des Volkslebens- '(Eberhard Freiherr von K¸nþberg) Die Polizei hat von Anfang an zur Aufgabe, den Zeichenverkehr zu kontrollieren und die –ffentliche Zeichenordnung zu handhaben. Als die Verwaltung des Sozialstaats und die Repression der Vandalen in den sieb- ziger Jahren nicht die beabsichtigte Zeichenruhe garantieren konnten, privatisierte man das Amsterdamer Straþenbild. Wo Polizei war, kamen Klebe GmbHs. Die t”gliche, von polizei”hn- lichen Kommandos ausgef¸hrten clean-and-run-Aktionen auf ver- glaste billboards, nach dem Motto 'pr”ventive Instandhaltung', verlagerte die Taktik von Kriminalisierung auf die Eliminie- rung der volkst¸mlichen Lebenszeichen. In dieser Zivilisation- soffensive wird die 'Propaganda der Ausbeuter' jetzt benutzt als 'Straþenmobiliar', damit das saubere Haus der Volksgemein- schaft vom Schmutz befreit wird. Das Mobiliar wird S”uberungs- installation, damit der Stadtm¸ll f¸r tot erkl”rt werden kann. Der Widerstand gegen die S”uberung der Straþe wird gebrochen von einem overkill an Schildern, die sofort nach Zerst–rung vom logistischen Management erneuert werden. Diese Phase der Akzeptanz dem billboard gegen¸ber endet mit einem ”sthetischen Referat ¸ber dessen Anerkennung. Anfangs waren die Schilder Sofa und Nierentisch in der st”dtischen Wohnung. Jetzt sollen wir die Plakate der Art-Direktoren auf einmal bewundern als Bilder, die eine wiedererkennbare Intimit”t eines 'Rohrenden Hirsches' ausstrahlen. Ein Bildersturm beiþt sich hier seine Z”hne aus. Das Einzige, das diese Schilder nicht m–gen, ist die Gleichg¸ltigkeit der Passanten. Heute befindet sich das –ffentliche Bild im Fernseher und sind alle Bilder auþerhalb folkloristische Relikte. Auch die Stadt ist etwas von damals. Das 'nat¸rliche Transportbed¸rfnis' hat sich vom klassischen Transport von Menschen und G¸tern auf die Transmission von Daten in den elektronischen Weltnetzwerken verlegt. Die Folge ist, daþ sich der gesellschaftliche Reich- tum nicht mehr in der Stadt sammelt, sondern in den byzantini- schen Neubauten in den edge cities, wo Daten- Straþen- und Luftverkehr problemlos aufeinander angeschlossen sind. Der Verlust ihrer wirtschaftlichen Realit”t zwang die Stadt, sich als Freizeitpark neu zu definieren, wodurch die Tou- ristenindustrie zum Ende des 20. Jh die gr–þte der Welt gewor- den ist. Die Innenstadt wird in Eiltempo in eine museale Umge- bung ver”ndert, damit der Glanz der lokalen Geschichte nicht verloren geht. Zugleich werden moderne Einrichtungen instal- liert. Die Stadt wird besucht, damit das Gehalt in Erfahrung umgesetzt werden kann. Diese Entladung der Kaufkraft ist Grund, die Billboards im st”dtischen Dekor aufzunehemen. Das soll man aber dosieren. Der kritische Punkt, an dem die Wer- bung mit dem nostalgieproduzierenden Charakter des Platzes interferiert, darf nicht ¸berschritten werden. Die Schilder sind 'in Mode gekommen' und 'werden gesehen und eingesetzt als Instrument, um die gew¸nschte st”dtische Identit”t auszustrah- len'. Untersuchungen haben gezeigt, daþ Maastrichter B¸rger sich an 'gut gepflegter' Auþenwerbung st–ren und im Vergleich dazu die Rotterdamer 'sie einfach nicht so richtig beachten'. Solange Billboards nicht den planetarischen Datenbahnen ent- lang installiert werden k–nnen wird den Werbemachern ('Wir wollen keine belgischen Zust”nde, mit vielen Schildern neben- einander') diese raffinierte Verwirrung der Umfrageergebnisse durch die Holl”ndische Bev–lkerung schwer auf dem Magen lie- gen. Das billboard geh–rt, zu seinem Verdruþ, nicht zu den modernen Technologien, und dichtet sich deswegen dem¸tig keine avant- gardistische, revolution”re Aufgabe an. Die Bekanntgabe, die es aufgeklebt bekommt, ist nicht mehr als spin-off Effekt der Werbekampagnen, die auþerhalb ihm in den wirklichen Medien gef¸hrt werden. Sein Selbstwertgef¸hl muþ aufgem–belt werden, indem man ihm vorspiegelt, mehr 'M–glichkeiten zu haben, als nur die Ausvergr–þerung einer Anzeige'. Es sieht sich mit ei- nem freischwe- benden Zitat befrachtet, ein bis ins Absurde aufgeblasenes Zeichen, das, wie ein HIV-Virus, die von Anderen verursachte Zeichennimmunit”t durchbrechen soll, um anschlie- þend den life-style anzufressen und zu renovieren. Es wird Opfer eines Komplotts, geschmiedet von Marktk¸nstlern und Stadtregenten, die sich selbst plakatieren wollen. Sein Wille zur Banalit”t wird st”ndig unterdr¸ckt, weil es sich dem K¸nstlerischen unterwerfen muþ. Zu fast-art, die in vier Se- kunden rezipiert werden kann, verdonnert, bleibt es nicht- destotrotz eher eine Festung als eine Mittelstreckenrakete, die die Werbestrategen gern aus ihm gemacht h”tten. Das Schild wird konserviert und dressiert, damit sein 'kreatives und ar- tistisches Niveau' erh–ht wird, um so seine Feuerkraft zu ver- gr–þern, obwohl es doch eher das Format eines Dodos als das eines Habichts hat. Seine Plumpheit f¸hlt sich am wohlsten mit einem 'Glas gr¸ne Bohnen DM 1, 29'. Deshalb sucht es Kumpel als Mitverschw–rer, um seine Bl–dheit zum Gipfel zu f¸hren. In einer Kultur, in der alle Objekte eine artistische Sonderbe- handlung bekommen, h”lt es nur gescheiterte K¸nstler dazu f”- hig. Mit der Beschleunigung des gesellschaftlichen Verkehrs wird das billboard dazu gezwungen, sich an die vor¸bergehende Art der Passanten anzupassen. An den Ausfallstraþen bekommt es Geschwindigkeit, indem es unmittelbar neben oder ¸ber dem Ver- kehrsstrom steht und so die Geschwindigkeit umkehrt:es wird selbst zum rasenden Gegenverkehr. Um sichtbar zu bleiben, muþ es sich vergr–þern, wodurch es gleichzeitig als Zeichen an sich anschwellen kann und sich von seinem Informationswert l–sen darf. Sein Ziel ist es, die Aufmerksamkeit abzulenken und auf- zul–sen in den rieselnden Str–men des unbewuþten Geschlechts- verkehrs. Eine weitere Beschleunigung des billboards hat keine Zukunft. Entlang den Autobahnen gibt es nicht umsonst ein Billverbot. Es wird als Geisterfahrer aus einem anderen Kreis gesehen, der katastrophale Massenkarambolagen im Sicherheits- denken verursacht. In der faschistischen Billboardkritik wird es gesehen als Verschmutzung, die die nat¸rliche Beziehung zur Umwelt zerst–rt. Es wird suggeriert, diese Beziehung zur Kul- turnation k–nnte mittels automobiler Blickerfahrung wiederher- gestellt werden. Aber Der Schnellverkehr verwandelt jede Land- schaft, in die er sich hineinbohrt in eine Riesenleinwand, auf der ein Reisefilm gezeigt wird. Das Installieren von billbo- ards entlang der Autobahn w¸rde deswegen eine anti-faschisti- sche Aktion sein. In Holland wird es nie Werbung entlang der Autobahn geben, trotz unserer Widerstandsvergangenheit. H–chstens werden, nach Privatisierung des Ÿthers, akustische billboards in die Staumeldungen aufgenommen. Das vaterl”ndi- sche billboard lebt von der Verlangsamung der Stadt, in der der Wohn-Arbeitsverkehr sich in einen permanenten Stau auskri- stallisiert hat und man die Zeit hat, die –ffentlichen Bilder hinter Glas zu begaffen.