JENSEITS DES ÷FFENTLICHEN BILDSCHIRMES Kennzeichnend f¸r das Filmpublikum ist, daþ es eine geschlos- sene Masse ist. Der Grundriþ des Kinos begrenzt die M–glich- keit des Publikums, anzuschwellen. Nur wer sich eine Ein- trittskarte verschafft, hat Zugang zu der Gruppe der Auserko- renen. Die Dunkelheit dizipliniert das Individuum dazu, seine Anwesendheit unsichtbar zu machen. Das Geschehen findet auf der Leinwand statt und geh–rt nicht in die Dunkelheit des Saa- les. Das gibt der Masse ihre Richtung. Sogar bei Freiluftvor- stellungen ist die Assoziation von Film und geschlossenem Raum so stark, daþ die Zuschauer sich von einer imagin”ren Archi- tektur umgeben f¸hlen. Der Saal produziert das Publikum, und der Film ist das Ereignis, das der Masse ihre Entladung ver- schafft. Der Verpfichtung, eine reine Masse zu bleiben, entkommt der P–bel, der nur billiges Vergn¸gen sucht, wenn er, in den Mo- menten der Entladung, ¸ber unsoziales Verhalten eine realexi- stierende Masse bildet. Dieses Verhalten beinhaltet Geschrei, lautstarken Popcornkonsum, physische Kontakte, rollende Fla- schen, und um sich greifende Ger¸che von Schweiþ und ausgezo- genen Schuhen. Ger”usch, das den Inhalt des Filmes ¸berstimmt. Die kinematographische und journalistische Rezeption distan- ziert sich von diesem zweckwidrigen Gebrauch des Films als Massenproduzent und fordert die Abwesendheit des Andern und des Saales. Sie propagiert die innerliche Erfahrung und will 'Deutung', sie konsumiert das Massenmedium als w”re es ein Buch. Die Kinematographie verdankt ihre Existenz der Ablehnung filmtypischer Eigenschaften. Ihr Modell ist das des Einzelnen und seines Eigenfilms. Der Kinematograph lebt von der Sugge- stion, der letzte Zuschauer zu sein, ein Ðberlebender des Tods des Filmes. Das korrespondiert mit der einzigartigen Gewohn- heit des Liebhabers, sitzenzubleiben bis zum Abspann, bis die Lichter eingeschaltet werden. Das Fernsehen hat sich in der gem¸tlichen Umgebung des Wohn- und Schlafzimmers eingenistet. Die Ratenarchitektur des Priva- ten kreierte die M–glichkeit, die weiþe Leinwand in Mobiliar zu verwandeln, das jede Massenbildung ausschloþ. Der einsame Konsum des Bildschirms wurde aber erst ertr”glich, als die Zuschauer zu Hause sich sicher sein konnten, daþ viele Schick- salsgenossen am Apparat angeschlossen waren. Der Benutzer sollte davon ¸berzeugt sein, daþ in dem televisionellen Raum eine Masse anwesend war, mit der man im Prinzip kommunizieren k–nnte. Als Zuschauer wuþte man sich Teil dieser imagin”ren Masse, solange man den Dritten mitdenken konnte, mit dem man am n”chsten Tag die Programme rezensieren w¸rde. Kam heraus, daþ man der Einzige war, der zugeschaut hatte, kam man in den Verdacht, nicht dazu zu geh–ren, oder einen dermaþen aus- erlesenen Geschmack zu haben, daþ man ¸berhaupt kein Wort mehr wechseln k–nne. Der Privatschirm lebte dank des –ffentli- chen Raums auþerhalb des Hauses, der die Existenz der Mitzu- schauer garantierte. Der Inhalt, egal welcher Sendung, war dem Verm–gen des Mediums, die imagin”re Masse produzieren zu k–n- nen, untergeordnet. Der einzig informative Aspekt des Fernse- hens war und ist, daþ die Teilnehmergruppe st”ndig w”chst, und in entscheidenden Momenten die ganze Weltbev–lkerung umfaþt. Den –ffentlichen Bildschirm kennen wir von SF-Filmen. In 'Bla- de Runner' und 'Bis ans Ende der Welt' erscheint er noch wie ein billboard mit bewegten Bildern auf der Fassade eines Wol- kenkratzers. In 'Blade Runner' fliegt auch ein dickleibiges Raumschiff ¸ber die Stadt, auf das ein riesiger Schirm befes- tigt worden ist. Die Beachtung der Schirme ist aber gleich Null , sie produzieren keine Massen. In '1984' sind, konform zu Orwell's Buch, ¸berall Teleschirme installiert worden und ist die Bev–lkerung gezwungen, auf die Werbebotschaften des big brothers zu reagieren. Das verweist auf die Angst der In- tellektuellen aus der Introduktionsphase des Fernsehens, das neue Medium k–nne eine totalisierende und egalisierende Wir- kung haben. Die Orwellstadt ist mit der Aufl–sung des –ffent- lichen Raums als diziplinierender Faktor abgeschrieben und vom –ffentlichen Schirm ersetzt worden. Die realexistierende Masse ist eingesperrt in eine von Bildschimen ersetzte Architektur, in der sie st”ndig mit Unwahrheiten, denen kein Entkommen ist, ¸berladen wird. Orwells Annahme war, der –ffentliche Raum k–n- ne vom Fernsehen ¸bernommen werden, das damit den imagin”ren Raum der individuellen Gef¸hle und Phantasien ausl–schen w¸r- de. In 'The Running Man'sind Guerillak”mpfer dabei, den –ffentli- chen Schirm zu erobern, um das Volk mittels alternativer In- formationsbeschaffung zu befreien. In den Hochh”usern, zwischen denen der Reichtum in Kommunikationsnetze str–mt, wird die abgeschriebene Bev–lkerung mittels manipulierter Nac- hrichten und Showprogramme, die mit dem Tod spielen, still- gehalten. Diese marginalisierte Masse, die Unterklasse der 4. Welt, wird andauernd zur Entladung gebracht, indem sie mittels Wetten in dem einzigen Spektakel, das ihr gestattet ist, par- tizipiert:der Bildschirm. Immanent ist die Idee, der –ffentli- che Schirm k–nne eine reale Masse zu passivem Verhalten zwin- gen, diesmal nicht durch Unterdr¸ckung der Gef¸hle, sondern deren maximalisierte Erregung. Den Alptr”umen des klassischen science-fiction entstammt die Angst, der –ffentliche Schirm habe auf die Zuschauer eine ”hn- lich diziplinierende Wirkung wie sie der Film laut Kinemato- graphen haben sollte. Der –ffentliche Schirm ist aber vor al- lem eine Vergr–þerung des Fernsehbildes, er m¸þte also eher imagin”re als reale Masseneffekte produzieren. Er tut aber weder das eine noch das andere. Das zeigte die live-Sendung des Konzerts von David Bowie und Tin Machine am 24. Juni 1989 in Paradiso, Amsterdam. In f¸nfhundert Meter Entfernung, am Museumplein, war ein –ffentlicher Schirm von vier mal f¸nf Meter installiert und ¸ber Zeitungs- und Luftwerbung hatte der Sponsor NescafÈ eine 30. 000-k–pfige Masse zusammengetrom- melt. Die Konzertaufzeichnung war nur auf dem Platz zu sehen. Die Abwesenden wurden von dem Video-Ereignis ausgesperrt, denn es gab keine weitere Ausstrahlung. Das Programm begann mit einem Werbefilm, der auch im echten Fernsehen zu sehen ist. Die Show selbst war so schnell und professionell montiert, daþ sie von einem normalen Videoclip nicht zu unterscheiden war. Die Wahrnehmung, daþ man eine Pop- sendung anschaute, verbreitete sich unter der Masse. Nur die dazugeh–rende h”usliche Intimit”t fehlte. Die wurde auch nicht von einer Illusion der Architektur, wie bei einer Freiluft- filmvorf¸hrung, kompensiert, weil die Masse einen offenen Cha- rakter hatte:jeder durfte, ohne zu zahlen, auf den Platz. Die Hoffnung, die einbrechende Dunkelheit k–nne dem Platz die Gestalt eines Kinos verleihen, erf¸llte sich nicht. Eine unan- genehme Entdeckung hatte sich beim Publikum breit gemacht:die imagin”re Masse, von der man bei Fernsehkonsum immer annimmt, sie sei auch zugeschaltet, war auf einmal real anwesend. Jede m–gliche Verbindung zu den Mitzuschauern war damit blort:das Publikum war als Ganzes am Bildschirm versammelt, man war drauþen, aber es gab kein imagin”res 'Drauþen' abgesehen von dem Schirmgeschehen. Die Platzmasse war eine Gruppe herumschweifender Individuen, die keine Entladung fin- den konnte. W”hrend das Paradisopublikum ausrastete, applaudierte auf dem Platz bald niemand mehr. Die Erfahrungen des Film- und Fernse- hen lagerten sich ¸bereinander und l–schten sich gegenseitig. Bowie und seine Musiker verschwanden einfach von der B¸hne (the artist has left the building), noch bevor die Fete begon- nen hatte, anschlieþend kam der Abspann und die NescafÈwer- bung. Man konnte abhauen. Der –ffentliche Schirm produzierte letztendlich nur das Gef¸hl, beschissen worden zu sein. In dem Museumplein-Fall war der Kontakt zum Ereignis abge- schnitten. Riesenschirme neben der B¸hne, die schon seit Jah- ren f¸r Megakonzerte, politische Versammlungen und Kongresse benutzt werden, behalten ihre unterst¸tzende Funktion, weil das Ereignis selbst sichtbar bleibt, wenn es f¸r das Publikum im Stadion oder im Saal auch mikroskopisch klein ist. Ðber diese Schirme schafft es die geschlossene Masse der Festival- besucher, in Extase zu geraten und sich zu entladen. Die sichtbare Anwesendheit des K¸nstlers auf der B¸hne bildet den imagin”ren Faktor, der die Schirme belebt. Aus eigener Kraft kann ein –ffentlicher Schirm nie ein Ereignis entfachen. Er wird schon schnell Opfer der Gleichg¸ltigkeit. Die Masse aber l”þt sich nicht einfach so das unver”uþerliche Recht auf das Ereignis nehmen. Wenn Fuþballfans das Recht auf Stadionzutritt verweigert wird und sie als Masse dazu gezwun- gen werden, dem Spiel ¸ber –ffentliche Schirme zuzuschauen, verwandeln sie rigoros die Langeweile in positive Energie. Die heilige Scheu vor Bildtechnik ist dabei, ihre Kraft zu ver- lieren. Die klassische, intellektuelle Angst vor der massivi- zierenden Kraft des Fernsehmediums wird pariert von der ebenso klassischen Strategie, mit der die Masse von jeher, trotz al- ler Hindernisse, Raum f¸r Ereignisse kreiert hat:"Gibts noch was zu demolieren..?" Der Genuþ der Erholung verwandelt sich in Konsum der Anlagen. Als erstes erf”hrt das umgebende Mobi- liar eine Behandlung. Anschlieþend sind die realen Mitzuschau- er an der Reihe. Dann erscheint eine Zwille, um die pixel, eins nach dem andern, auszuschalten. Farbbomben erh–hen die Stimmung, und die Fragmentationsbombe schl”gt die ersten Bre- schen. Das ist das Zeichen, die Gitter herunterzureiþen und mit dem Gewicht der Masse den Schirm niederzureiþen. N”chstes Problem ist:kann man Schirme abfackeln?Die knisternden Funken verbreiten sich ¸ber die Wiese und das Volk feiert seine Revo- lution auf den rauchenden Bilderhaufen. Es ist die Frage, ob es soweit kommen wird. Wahrscheinlich gehen die beams in die Luft und projizieren virtuelle 3D-Er- eignisse, die kaum von dem Original zu unterscheiden sind. Aber auch diese Ger”te kann man erforschen und mit geeigneten Mitteln unbrauchbar machen . Die Bewahrer der gelassenen Mas- sen bek”mpfen von jeher das universelle Recht auf Ereignis mit Brot und Spielen. Das hartn”ckige Verm–gen der Meute, R”ume f¸r eigene Spiele zu entern, bleibt Garantie f¸r eine erfolg- reiche Demontage jeder Beherrschungsstrategie. Das Management sitzt letztendlich immer auf den Ruinen. Falls seine Gebilde ¸berleben, weil kein Schwein noch Interesse zeigt, wird es sie selber wohl abreiþen.