NORMALE MEDIEN Auf die Dauer wird alles interessant, das ist das Schicksal der normalen Medien. Der einzig verbliebene Text der Mayakul- tur k–nnte tiefste Geheimnisse enth¸llen, k–nnte aber auch ein Werbeprospekt eines Kaufhauses gewesen sein. Er wird aber den- noch nicht weniger faszinierend. Das Bezeichnende der normalen Medien ist, daŝ sie w”hrend ihrer Erscheinungszeit nicht als kulturelle Ÿuŝerung gelesen werden k–nnen. Erst als chronolo- gische Kollektion oder als Studienobjekt f¸r die Wissenschaft der normal history bekommen sie das besondere, das ein gefun- dener Brief oder das Tischgespr”ch nebenan schon haben. Erst durch die Entfremdung wird die Phantasie zur Hermeneutik des Alltags gereizt. Wenn normale Medien ihrer vertrauten Umgebung ausgesetzt wer- den lassen sie -in ihrer Selbstverst”ndlichkeit- kein Meta- niveau zu. Sie stehen derart in ihrem eigenen Zeit-Raumverh”- ltnis, daŝ es unm–glich ist, sie auf Distanz zu betrachten, was eine antroposophische Perpektive oder auch der banale Spaŝ, braucht. Sie sind der Knochen, aus dem das Skelett ei- nes Dinosauriers hergeleitet wird oder die Sequenz, die die Rekonstruktion eines Films m–glich macht. Solange sie im All- tag untergetaucht sind ist deren Informationsbereich minimal. Als paradigmatischer Splitter betrachtet enth¸llen sie die ganze Landschaft, in der sie einmal figurierten. Unzeitgem”ŝe normale Medien sind nur als undenkbar zu denken. Normale Medien brauchen keine Werbung. Sie werden ungefragt ausgeh”ndigt in einer Auflage, die Vermeidung unm–glich macht. Die Verschwendung hat schon stattgefunden. Direct mail hat sein Ziel erreicht, wenn drei Prozent reagieren. Normale Me- dienfirmen miŝbrauchen die Pflicht, Post empfangen zu m¸ssen. Was wir alles vorfinden:Beschreibungen von vermiŝten Katzen, Ank¸ndigungen von Feten bei den Nachbarn, Scientologywerbung f¸r den neuesten Hubbart, eine Einladung zu der Neuer–ffnung von Metzgerei Brinkman, M–belkataloge, anst”ndige Studentin sucht Zimmer, Salsakurs, w–chentliche Angebote des Super- markts, Men¸s von Chinesen und Pizzerien(auch auŝer Haus), die Nachbarschaftszeitung, pers–nliche Briefe'an die Bewohner die- ses Hauses', politische flyer und kulturelle teaser. Eine ”hn- liche Kategorie zeigt sich in dem aktuellen Ambiente in Form von Kontakt-und Todesanzeigen, anderen Familienberichten oder Briefen an die Redaktion. Telefonbuch und Gelbe Seiten freuen sich ebenfalls ¸ber regelm”ŝigen Kontakt mit der Bev–lkerung. Ungebetene Medien scheren sich nicht darum, daŝ moderne Konsu- menten ihr eigenes Medienpaket zusammenstellen. Das klassische Modell der Einbahnstraŝe, worin Empf”nger B die von A ver- schickte Nachricht gezwungenermaŝen empfangen muŝte, ist als undemokratisch zur Seite geschoben worden. Das 'w”hlt eure eigene message' macht aus dem Empfang einen Akt des Wollens. Media for the millions segeln quer durch die- se bewuŝte Selektion und sind insofern souver”n, daŝ sie nicht an Marktpenetration und geistiger Inkorporation interessiert sind. Am wohlsten f¸hlen sie sich zwischen den alten Zeitungen im Flur, in der Straŝe, auf dem M¸lleimer. Die formale Gestaltung normaler Medien braucht eine gewisse Inkubationszeit, um design werden zu k–nnen. Ihre Aufmachung klauen sie nicht bei k¸hnen Avantgardisten, ebensowenig beru- fen sie sich auf Nostalgie. Unbeabsichtigt schaffen sie einen Kurzschluŝ im Spannungsfeld von Volks-und Massenkultur. Ihr Problem ist es, aufzufallen ohne interessant zu werden. Sie d¸rfen nie auf den ersten Blick zur message f¸r nur ein Markt- segment heruntergestuft werden. Sie vermischen das amateurhaf- te Pfuschen eines Liedtextes f¸r Jubil”en und Hochzeiten mit der professionellen Ausstrahlung des quizmasters und revuear- tist. Desktoppublishing, handycamcorder und autozoom sorgen daf¸r, daŝ beide Niveaus gerade nicht erreicht werden. Sie zeigen eine gepflegt Normalit”t, die jedem Platz bietet. Jede Geringsch”tzung prallt ab. Durchschnittsmedien kann man f”l- schen, jedoch nicht parodieren. Briefe an Senat oder lokale Industrie sind fester Bestandteil der Waffen der Spaŝguerilla, aber der satirische Versandhauskatalog l”ŝt auf sich warten. Inhaltlich kann man von normalen Medien nichts erwarten. Sie haben die geniale Analyse McLuhans, daŝ der Inhalt der Medien aus vorherigen Medien besteht, zu ihrem redaktionellen Programm gemacht. Es sind gedruckte Schaufenster, visualisier- te Radioprogramme, f¸r die Leinwand bearbeitete Mythen, digi- talisierte Ausrufer, telephonischer Nachbarschnack, motori- sierte billboards. Wo souver”ne Medien Verfremdungseffekte er- reichen wenn sie Filme ¸ber Funk ausstrahlen, B¸cher (pro Sei- te) verfilmen, H–rspiele im Fernsehen zeigen, oder Text im cyberspace verarbeiten ist Radioschauen im Fernsehen schon eine stinknormale Sache geworden. Man denke an Talkshow, Rate- spiele oder Tagesschau. Die toleranten Medien sind grunds”tz- lich nicht konservativ, weil sie immer am vorhergehenden wei- terstricken. Sie wollen nicht zu Gott, Familie und Vaterland zur¸ckkehren sondern bieten eine neue Geborgenheit. Mailing f¸r Pferdewurst erregt keine Aggression bei Vegetariern. Ras- sistische Pamphlete dagegen entlarven sich selbst sofort, in- dem sie stolz Vorkriegstypographie und eine nazistische Farb- palette benutzen. Normale Medien erregen nur Ÿrger wegen der gewaltigen Mengenund der Sicherheit, daŝ der Fluŝ nie aufh–rt. Herrschende Bilder k–nnen gescratched, gestilled, gesampled, aber nicht gecamped werden. Die Distribution normaler Medien findet auŝerhalb des Reiches des Kitsches statt. Die Steige- rung der Banalit”t kann nur mit Hilfe von Bildern, die ihre Zeit schon hinter sich haben, stattfinden. Die ironische Be- nutzung von laptops oder anderen mobilen Immaterialien ist noch nicht signalisiert worden. Man kann aber schon loslegen mit soliden G¸tern, die der Konsumgesellschaft ihren Charme verlieh. Normale Medien waren den Liebhabern des Banalen schon immer einen Schritt voraus. Ihre Leere ist so zeitlich gebun- den, daŝ sogar der k¸nstlerische Vortrupp, der Dauerhaftigkeit anstrebt, sie radikal ¸bersieht. Erst als gesunkenes Kultur- gut werden die Maxima Normalia Diskurstr”ger und damit geeig- net f¸r k¸nstlerisches recycling.