FERNSEHEN IM REALITŸTSPARK ROMANIA "Rum”nen haben eine spezielle, emotionelle Beziehung zum Fern- sehen. In welchem Land tritt man im Hungerstreik, um ein unab- h”ngiges Fernsehen zu erzwingen?"Es spricht Stefana Steriade, eine der wenigen Untersucherinnen des rum”nischen Zuschauer- verhaltens. Die emotionalen Szenen in einem rum”nischen Fern- sehstudio Ende Dezember '89, w”hrend der sogenannten 'Rum”ni- schen Fernsehrevolution', bringt sie in Verbindung mit dem groþen Engagement der Zuschauer mit dem Medium Fernsehen. "Die Identifikation mit den Hauptcharakteren westlicher Serien war in den siebziger Jahren, als das Fernsehen eine liberale Phase erlebte, auþerordentlich groþ. Zu den Sendezeiten konnte man niemand anrufen, die Straþen waren verlassen. Man konnte ein- kaufen, weil es nirgendwo Schlangen gab. Kojak, Columbo und Dallas fanden viel Anklang. Die Passion war dermaþen groþ, daþ eine Verwechslung von Realit”t und Fiktion entstand. In einer Serie verliebten Bruder und Schwester sich ineinander. In dem Moment bekam das Fernsehen Zuschauerbriefe, die darum baten, die n”chste Folge umzuschreiben, damit die beiden nicht mehr von einer Familie waren. Die Gespr”che ¸ber Fuþball und Fami- liendramen beeintr”chtigten die Arbeit am Montag. Das Fernse- hen war fester Bestandteil des t”glichen Lebens, obwohl die Zeitungen nie dar¸ber schrieben. Die Rum”nen klatschten auch ohne Boulevardpresse. " Anfang der achtziger Jahre rief Ceaucescu den Import westli- cher Serien zu einem Halt, um Devisen zu sparen und reduzierte die Sendezeit auf zwei Stunden. "Er verstand nicht, daþ diese Maþnahme sich gegen ihn kehren w¸rde. Die Rum”nen besuchten von da an nicht –fter Freunde, sondern bauten gr–þere Anten- nen, um bulgarisches, ungarisches und russisches Fernsehen empfangen zu k–nnen. Die Einschaltquoten des rum”nischen Fern- sehens sanken dermaþen, daþ das Institut, das das Zuschauer- verhalten untersuchte, geschlossen werden muþte, weil die Er- gebnisse dem Regime nicht genehm waren. Die Sendungen ver- schwanden buchst”blich ins Nichts, es war ein Fernsehen ohne Zuschauer und die Produzenten wuþten das nur allzu gut. Sie arbeiteten f¸r einen Mensch und nicht f¸r ein real-existieren- des Publikum. Es war ”uþerst komisch f¸r ein Massenmedium, Sender ohne Empf”nger zu sein. " "Im Fr¸hling, als die Fenster ge–ffnet waren, machte ich Spa- zierg”nge und h–rte russisch und bulgarisch aus den Wohnzim- mern schmettern. Auf einmal h–rte ich das rum”nische Fernse- hen. Ein Bekannter kam aus dem Haus heraus und erkl”rte zur Entschuldigung, seine Mutter schalte immer das Ger”t ein, ohne zuzuschauen. Um dennoch Zuschauer zu gewinnen, sendete das rum”nische Fernsehen alte Erfolgsfilme aus dem Westen. Nur der Titel wurde angek¸ndigt, nicht Herkunftsland oder Regisseur. Wenn diese Angaben fehlten, wuþte man also, daþ es sich um einen westlichen Film handelte. Ich nenne das konspirative Werbung. In Kinos passierte das ebenso. " Die Verschw–rungstheorien, die kurz nach Dezember '89 auf- tauchten, ¸ber Neokommunisten, die durch einen Staatsstreich die Macht an sich ziehen wollten, werden von Steriade zur¸ck- gewiesen. Die Suggestion, die Revolution von Dezember '89 sei ein Pseudostaatsstreich gewesen, nach welchem alles beim alten blieb, trifft laut Steriade f¸r das Fernsehen nicht zu. "An- fangs gab es einen Kanal von einer Person f¸r niemand. W”hrend der Tage der Revolution war das Fernsehen von jedem f¸r jeden. Und nachher war das Fernsehen von bestimmten Personen f¸r ein bestimmtes Publikum. Es ist die Frage, inwiefern die Fernseh- produzenten selbst in die Verschw–rung involviert waren. Viele der Geschichten ¸ber Verschw–rungen sind selber Fiktion. Es gibt keinen einzigen Rum”ne, der die Situation genau analy- siert hat. Man ist zusehr mit debattieren besch”ftigt. " Die Theorie, das Fernsehen liefere nur imagin”re und ideolo- gische Konstruktionen, sei selektiv und zeige die subjektive Perpektive des Produzenten, ist in Rum”nien nicht gerade all- gemein akzeptiert. Die Identifikation mit dem Medium geht so weit, daþ dem Medium eine auþergew–hnliche Macht zugeschrieben wird. Das resultiert in einem fast paranoiden Argwohn, jede Nachricht seit Dezember '89 m¸sse wohl manipuliert sein. Die st”ndigen Verdrehungen, die man meint wahrzunehmen zu k–nnen, f¸hren dazu, daþ alles als Film, Fiktion, Theater abgetan wird:ein Kasperletheater, daþ dazu dient, das rum”nische Volk zu ver”ppeln. Passion und Widerwille grenzen aneinander. Steriade:"Die fr¸- here Passion f¸r TV und die 'Telerevolution' f¸hrten dazu, daþ ein Teil der Bev–lkerung meint, das Fernsehen habe wirklich die Macht. Wenn sie unzufrieden sind, ziehen sie zum Fernseh- studio, um da vor der T¸r zu demonstrieren. Und umgekehrt:Sie denken, die Macht kontrolliere das Fernsehen. Letzteres stimmt tats”chlich. Das Fernsehen versucht vor allem, nicht objektiv zu sein. Es zeigt ein kindisches Verhalten. Wenn es die Regie- rung kritisiert meldet es vorher:Achtung, Sie h–ren jetzt eine abweichende Meinung. '" Timothy Garton Ash, Augenzeuge der tschechischen sanften Revo- lution, bemerkt, inmitten des Straþengew¸hls:"The importance of television can hardly be overstated." Laut Ash spielte das Papierdokument w”hrend der Revolution von '89 gar keine Rolle mehr:"In these events much of great importance was not written down at all, either because the business was conducted on the telephone, or because words or pictures came by television. " F¸r alle L”nder in Mittel- und Osteuropa gilt, daþ sie ihren eigenen Aufstand im Fernsehen vorbeiziehen sahen. Das wird, nach Ash, auch das Schicksal der Geschichtschreiber sein:"Fu- ture historians of these events will surely have to spend as much time in television archives as in libraries. " Der oft vermutete, mediengene Charakter des Sturzes des Kommu- nismus, davon ist auch Timothy Garton Ash ¸berzeugt, liegt vor allem in den dramatischen und symbolischen videostills, die nachher aus den Ereignissen von '89 destilliert worden sind. Die Mauerkletterer und Mauerspechte in Zeitlupe fassen die ganze Geschichte zusammen zu einem r¸hrenden Bild, auch als Postkarte, Poster, Teller oder Trinkbecher zu haben. Von der ÷ffnung der Mauer aber, in Ost-Berlin, gibt es keine Bilder. Was wir zu sehen bekamen, war der Empfang der ersten, ersch¸t- terten esucher des Westens. Wie bei den ersten Demonstrationen in Leipzig fanden die entscheidenden Momente in Berlin - auþerhalb Reichweite der Medien statt. Das Fernsehen schaltete erst ein, als die Kettenreaktion schon l”ngst am Laufen war. Die einzige Kameraperspektive war die des westlichen Auþensei- ters. Die Archive der kommunistischen Fernsehanstalten beste- hen vor allem aus vielsagenden Nicht-Bildern. Auch sie trottelten hinter den Ereignissen her. Was bleibt, sind die Aufnahmefetzen von Film-und Videoamateuren, die zu der Zeit noch unter der Regie der Geheimdienste standen. Der ehemalige Ostblock muþte noch ohne camcorder auskommen. Streng gesehen waren die Revolutionen in Osteuropa keine me- diengenen events. Mediengene events sind regisierte Inszenie- rungen, die sich an die Kamera wenden und von Anfang bis zum Ende mit den imagin”ren Massen, die anderswo mitschauen, rech- nen. Die Ereignisse von '89 aber verfolgten einen eigenen Weg. Sie hatten eine erstaunliche Eigendynamik und der Erfolg war nicht von der medialen Aufmerksamkeit, die sie in dem Moment hatten, abh”ngig. Die westlichen Fernsehteams kamen immer zu sp”t. Nach der Mauer–ffnung am 9. November '89 verpaþten die networks auch die entscheidenden Tage in Prag. Sie kehrten nach Berlin zur¸ck, um da, am 22. Dezember '89, die offizielle ÷ffnung des Brandenburger Tors mal richtig live ausstrahlen zu k–nnen. Wochenlang zelteten sie da, in Erwartung des histori- schen Moments, aber die stalinistischen Kader schafften es, das Datum immer wieder zu verschieben. Endlich war es dann soweit. Die live Sendung wurde von der Mitteilung, es sei schon wieder ein Regime gefallen, unterbrochen. Seit Tagen schwirrten Berichte ¸ber einen Aufstand im rum”nischen Timi- soara herum, der blutig niedergeschlagen wurde. Aber die Bil- der fehlten und Information gab es kaum. Bis pl–tzlich footage des rum”nischen Fernsehens, das auf einmal Zentrale einer wahrhaften Revolution geworden war, hereinkam. F¸r die herbeigeeilten westlichen Journalisten war es anfangs kaum m–glich, an ernsthafte Berichterstattung zu denken. Dazu war die Situation zu verwirrend und zu gef”hrlich. Ðbersicht- liche items mit einem distanzierten Kommentar konnten nicht hergestellt werden. So wurde der Westen Zeuge dessen, was die Rum”nen selbst auf dem Bildschirm zu sehen bekamen. Mehr schlecht als recht wurden wir an gewaltt”tige, heroische und r”tselhafte Ereignisse angekoppelt. Die dunklen Tage vor Weih- nachten zeigten ein faszinierendes live Programm, mit dem das Land Rum”nien noch lange assoziiert werden wird. Bestimmend f¸r die Qualit”t dieser Sendungen war, daþ nicht auf journalistische Art und Weise berichtet wurde und daþ die Zuschauer inmitten der Ereignisse Platz hatten. Es schien, als w¸rden die schreienden Revoluzzer sich unmittelbar an uns wen- den. Sie schauten direkt in die Kameras. F¸r kurze Zeit gab es keine vermittelnde Instanz, die die Akteure vorstellte und be- fragte. Die theatralische Auff¸hrung mag im nachhinein impro- visiert, unwahr oder konspirativ genannt worden sein, die my- steri–se Kraft des direkten Ansprechens der Zuschauer ist ge- blieben. Hier wurde nicht gesendet, sondern bis auf's Messer gek”mpft. Das Faszinierende ist die fremde, uneigentliche Be- nutzung von Funk und Fernsehen. Medien m¸ssen inszenieren, sie sind nicht f¸r unmittelbare Kommunikation gemeint. Wenn das passiert, entsteht eine Realit”t, die sich auþerhalb der Kon- ventionen der Informationsdemokratie zu befinden scheint. Des- halb ist die rum”nische Fernsehrevolution nicht einfach so aus dem, an sich schwachen, medialen Erinnerungsverm–gen verschwunden und wurde zu einem testcase f¸r die Medientheo- rie:was passiert, wenn ein Fernsehstudio sich pl–tzlich in eine Kommandozentrale verwandelt? In den Analysen der Rolle des Fernsehens w”hrend 'der Dezember Ereignisse' bekam die Verschw–rungsthese im Verlauf von 1990 eine immer wichtigere Rolle zugewiesen. Auch bei Medientheore- tikern hat die urspr¸ngliche Verwunderung Argwohn Platz ge- macht. 1991 wurde dann als Illustration daf¸r, daþ wir unseren Augen nicht l”nger glauben k–nnen, 'der Fall Rum”nien' in ei- nem Atemzug mit dem Golfkrieg genannt. Das Spektakel, der uns das live-Fernsehen auftischte, stellt sich im nachhinein als l¸gnerische Machenschaft heraus. Im Fall Rum”niens bekamen wir Opfer zu sehen, die es w”hrend der Revolution gar nicht gab und w”hrend des Golfkriegs bekamen wir gar keine Opfer zu se- hen. Hinter der k¸nstlichen 'Medienrealit”t' versteckt sich, meinen viele, durchaus eine Wahrheit, die von unbekannten M”chten vor uns (den Zuschauern) verheimlicht werden. Das Engagement des ersten Moments ist ebenso real wie die Manipulation der Be- richterstattung, die es im nachhinein erwiesenermaþen gegeben hat. Die rum”nische Kunsthistorikerin Magda C’rneci hat, trotz ihres Miþtrauens den (neuen)Machtsinhabern gegen¸ber, die Eu- phorie vor dem Bildschirm nicht vergessen. Sie schrieb M”rz '90:"Television became again, for a short while, what it was in its very beginning:a sophisticated medium for genuine and simultaneous communication of a community. " Ihrer Meinung nach war das Fernsehen kurzfristig wieder ein pures, unschuldiges Medium, das der "elementary human need to communicate and participate immediately, together with the others, in the drama of the world" diente. Sich auf Heidegger berziehend, meint sie:"One had the chance to remember that the real essense of television is not simply technical, as it may seem, but of a humanistic nature. "W”hrend den ungewissen De- zembertage gab es "thousands of men and women who really pray- ed in front of TV-screens. "Das Fernsehen schmiedete das Volk zu einem "fully awaken network" zusammen, ein "collective per- sonage" mit einem "unanimous state of mind. " Die Annahme, die der Grund f¸r die Angst und Begeisterung der rum”nischen Fernsehzuschauer war, war, daþ von ihren Augen eine Diktatur gest¸rzt wurde. C’rneci spricht nicht von einem undurchsichtigen Staatsstreich oder einer Palastrevolution, sondern von einem wahrhaften "fight for liberation. "Die hart- n”ckigen Theoretiker der Verschw–rung k–nnen nur versteckte Kontinuit”ten aufsp¸ren und ¸bergehen einfach, daþ es am 22. Dezember tats”chlich einen riesigen Bruch gab. C’rneci hat, trotz aller Zweifel, die eigene, lokale Fernseherfahrung nicht verdr”ngt und war so ehrlich, sie zu notieren. Es ist immer ein riskantes Vorgehen, der Naivit”t des Moments ihren Wert zu lassen. Es bringt dem Autor schon schnell den Vorwurf ein, selbst naiv zu sein und sich auf irrationale Weise mitschlep- pen zu lassen. Dennoch kann eine unschuldige Beschreibung der Faszination f¸r Fernsehbilder uns einen guten Einblick in das geben, was die Fernsehmacht nun genau ausmacht. Medientheorie ist eine (Hyper)Realistische Vorgehensweise, die die Lust des Zuschauens von Millionen von Menschen als Apriori hat und nicht die Wahrheit, die sich hinter dem Schirm befinden w¸rde, sucht. C’rneci betrachtet das Fernsehen als Waffe im Kampf gegen eine Diktatur und nicht als Instrument der zivilen Kommunikation, die von der Macht miþbraucht wurde. "From any passive, manipu- lated tool the television turned into an active weapon against aggression. Wie eine "parallel force to the army", die die Seite des Volkes gew”hlt hat, mobilisierte das Fernsehen alle ben–tigte Energie, um den Diktator, seine kommunistische Par- tei und die Securitate zu verjagen. Der Sieg ¸ber die alten Machtinhaber wurde nicht ohne Kampf erreicht und das Ereignis h”tte auch anders ausgehen k–nnen. C’rneci m–chte die Spannung jener Tagen nicht als unwichtig abtun und glaubt, daþ der ge- nerierte, mediale Wille den Lauf der Ereignisse durchaus be- einfluþt hat. "By the epidemies of hope, heroism and responsi- bility, the television determined the 'fate' of the revolu- tion. " Auch fragt sie sich, ob das "TV rÈsumÈ" keine pure Fiktion ge- wesen ist. In erster Instanz beantwortet sie die Frage vernei- nend:"The franc and spontaneous, even technically poor broad- casting can certify for the authenticity of the TV-show. The inherent fiction of any edited broadcasting was overwhelmed by the urgency and the force of the facts coming in with a ter- rible speed. "Aber drei Monate nach der Revolution entwickelte sich etwas Merkw¸rdiges:"A strange process begins to develop under our own eyes:from the video and TV documents of the Re- volution days, a fiction of those very days begins to grow. " C’rneci sieht das als unvermeidliche Gegebenheit, an die jedes historische Ereignis glauben muþ. "The audio-visual documents do not stop a revolution to become rapidly a fiction. Even re- volutions become rapidly mere pictures. Television has become the main manager of our imagination. It is not difficult to observe the dangerous aspect of this extraordinary power". Daþ die Einbildungskraft manipuliert werden kann, ist f¸r sie noch kein Grund, die positiven Aspekte unter den Teppich zu keh- ren. "Sometimes television makes possible a real, authentic social participation. "Das Fernsehger”t steht nicht jeden Tag auf dem Fensterbrett, um andere zu informieren. Gegen¸ber der Betonung von Spontaneit”t und Participation steht die Analyse der milit”rischen Logik von Medientechnolo- gie. Peter Weibel hat diese am klarsten formuliert in seinem Aufsatz 'Medien als Maske:Videokratie', den er im Sommer '90 f¸r den Merwe-Verlag verfaþt hat. Laut Weibel spielen sich in der Ÿra der visuellen Massenmedien die Revolutionen nicht mehr auf dem Niveau des Bewuþtseins ab, sondern auf dem des Sehens. Es geht nicht mehr darum, wer spricht, sondern darum, was ge- zeigt und was maskiert wird. Was wir laut Weibel zu sehen be- kommen haben war keine Telerevolution, sondern ein Eliten- wechsel, bei dem ein Fernmeldekrieg stattfand. In diesem Kampf waren Fernsehchef und General eine Person. "Selten hat sich ein neues Regime so unverfroren der Massenmedien bedient, um seine milit”risch-politischen Ziele zu verfolgen. Videokratie im Namen der Freiheit. " Wenn wir Weibel glauben, wurde das Fernsehpersonal gewiþ nicht von den Ereignissen ¸berrascht. "Das Fernsehen hat gleichsam als 'live' gefilmt, was es offensichtlich selbst inszeniert und vorbereitet hat. Es gab dem Volk seine Stimme nicht, auch nicht die Stimmverst”rker, sondern benutzte die Stimmen des Volkes, um selbst lauter zu klingen und zu br¸llen. " Weibel regt sich dar¸ber auf, daþ das Fernsehen von der Armee benutzt wurde, um die Aktionen zu koordinieren. Eine Revolu- tion ist f¸r ihn nur dann demokratisch, wenn die Akteure zu Wort kommen, aber nicht selber das Mikrophon zur Hand nehmen. Die Armee war ¸brigens von der Ceaucescu-Sippe in eine Baubri- gade verwandelt worden, die die Drecksarbeit (Pal”ste bauen, ernten) erledigen durfte. Die Securitate, die darauf trainiert war, innere Unruhen niederzuschlagen (und jeden Widerstand pr”ventiv zu unterdr¸cken), hatte ihre traditionellen Aufgaben ¸bernommen. Weibel behauptet implizit, daþ eine wahre Revolution die zivi- le telematische Infrastruktur nicht strategisch nutzen darf. Das –ffentliche Instrumentalisieren der Massenmedien beim Er- obern der Macht findet er widerlich. Sind denn nur subliminale Manipulationen erlaubt?Von der westlichen Optik aus ist es undenkbar, daþ Medien(zeitweilig) auch f¸r andere Zwecke als Information und entertainment benutzt werden k–nnen und –f- fentlich zu Widerstand aufrufen. Das postmoderne, demokrati- sche Bewuþtsein kennt keinen Ausnahmezustand, obwohl die Demo- kratie selbst aus ihm hervorgekommen ist und, f¸r alle F”lle, manches Gesetz auf Lager hat. Es kennt nur das permanente Spektakel. Wenn man anderwo noch weiþ, was im Falle eines Not- zustands zu tun ist, wird das (von Weibel) als paranoide Psy- chose abgetan. Der Begriff 'Revolution', der im Westen schon l”ngst leer ist, soll gegen die Benutzung von Psychpaten be- sch¸tzt werden. So kurz nach der w¸rdigen Gedenkfeier der zweihundertj”hrigen, Franz–sischen Revolution(mit dem grotes- ken Medienspektakel), darf man nicht einfach so herumwursteln. Obwohl das Ende der Geschichte schon l”ngst Fakt ist. Die gan- ze rum”nische Bev–lkerung ist also krank und sollte mal zum Psychiater. Verwirrung, Panik und Pathos sind bei Weibel Sym- ptome eines Teleputsches geworden, der seinen letztendlichen Erfolg den automatischen Reaktionen der Bev–lkerung, die die neuen Auftr”ge ausf¸hrten, um selber ¸berleben zu k–nnen, ent- lieh. Um seine Analyse zu untermauern, benutzt Weibel Lacans Unterscheidung von 'Realem' und 'Realit”t'. W”hrend der 'soge- nannten Telerevolution' hat das Reale (die Dom”ne des Fernse- hens) die Realit”t ¸berschwemmt und verdeckt, so daþ die Be- v–lkerung in einer kollektiven Psychose landete. Die (Fernseh)Stimme, die 'so ist es' sagt, ist f¸r den Psychotiker nicht symbolisch oder imagin”r, sodern real. Derjenige, der behauptet, Fernsehen sei Revolution, sieht keinen Unterschied zwischen dem Realen und der Realit”t und bekommt von Chefarzt Weibel die Diagnose 'psychotisch' verpaþt. Er stellt die west- liche Medientheorie sogar vor die Wahl 'sie sind verr¸ckt, oder wir sind es':"Wenn das Fernsehen die Revolution wirklich gemacht h”tte, dann allerdings w¸rden alle historischen Model- le der Massenmedien nicht mehr stimmen. " Weibel erw”hnt die Faszination der westlichen Zuschauer-oder seine eigene-¸berhaupt nicht. Es war nur die Rede von "geist- losem, panischen Genieþen" der rum”nischen Seite. "Um die Stu- pidit”t der sozialen Prozesse nicht anzunehmen, ergibt sich der Psychotiker der Faszination der Macht und der Macht der Faszination. "Wenn wir mit westlichem Maþstab messen, kommen wir in Rum”nien nicht weiter als das Feststellen eines Krank- heitsbefundes. Nat¸rlich war und ist das rum”nische Fernsehen keine "Stimme der Vernunft" und w”hlte sie faktisch die Seite der neuen Eli- te, die das Medium als Megaphon benutzte, um ihre Macht zu etablieren. Hinter Weibels Psychoanalyse der sozialen Phantas- men versteckt sich jedoch die ¸berfl¸ssige Konstatierung, daþ das rum”nische Fernsehen nicht demokratisch war. Diese versp”- tete Einsicht rief einen Haufen Irritation und Frustration hervor, der erst drei Monate nach der Telerevolution, w”hrend einer Konferenz in Paris, zu Tage kam. Westliche Journalisten f¸hlten sich zutiefst betrogen und miþ- braucht. Die Bilder und Geschichten, die direkt nach Ankunft in Bukarest, unter technisch schwierigen Bedingungen, in die Welt geschickt wurden, stellten sich alle als unwahr heraus. Oder, besser gesagt: die Ger¸chte konnten nicht, wie im Westen ¸blich, im nachhinein best”tigt oder verneint werden. Auch Monate sp”ter noch waren sie geheimnisumwittert. Weder die Au- torit”ten, noch Augenzeugen konnten in die Versuche, die Er- eignisse zu rekonstruieren, Klarheit bringen. Die Ger¸chte ¸ber 64,000 Tote in Timisoara, Massengr”ber, Terroristen aus Nordafrika und Mittlerem Osten, Vergiftung des Trinkwassers in manchen St”dten und wahllos mordende Waisenkinder in den Rei- hen der Securitate, sind bis heute nicht gekl”rt. Sie passen aber ins Psychogramm, das vom totalit”ren Rumenien gemacht werden kann. Die Buschtrommel ist in Rum”nien immer noch eine g”ngige Informationsquelle und war w”hrend des Kommunismus das Gegenst¸ck zur offiziellen Parteisprache. Die Konversation in allt”glichen Mythen kennt einen eigenen, regionalen Stil, eine Grammatik und ein Vokabular und ist in dem Sinne eine normale Form der Kommunikation. Das Qualifizieren einer Geschichte als Ger¸cht funktioniert nur in einer gut organisierten Informationsstruktur. Unoffi- zielles Quellenmaterial ist in den westlichen Medien aufgenom- men worden und verankert in einer groþen Diversit”t an Erkl”- rungen, Angaben, Aussagen, gemacht w”hrend Pressekonferenzen und in anderen Medien. Ger¸chte werden immer mit einer Quelle ausgestattet:sie stammen aus 'wohlinformierten Kreisen', oder wurden 'von der Familie best”tigt'. Obwohl die technische Re- produktion von Ger¸chten nicht ohne Risiken ist, ist es gleichzeitig ein Zeichen fachm”nnischen K–nnens. Es gibt dem Medienkonsumenten die Idee, daþ der Korrespondent sich mit den lokalen Verh”ltnissen auskennt und der offiziellen Darstellung gewissermaþen miþtraut. Wenn das Ger¸cht sich am n”chsten Tag als wahr entpuppt, erh–ht das dementsprechend die Glaubw¸rdig- keit des Korrespondenten. Bis zum 22. Dezember lebte Rum”nien in einer totalen Isolation.Die Journalisten, die in den ersten Tagen ankamen, hatten sich kaum vorbereitet und wuþten so gut wie garnichts ¸ber das Land. Lokale Korrespondenten gab es kaum. Die Osteu- ropaspezialisten, die ¸ber die katastrophale Situation in Ru- m”nien Bescheid wuþten, trafen meist nach Weihnachten ein und konnten w”hrend der entscheidenden Tage zu Hause die k¸mmerli- che Arbeit der Kollegen, die schon vor Ort waren, kommentieren und den live Sendungen des rum”nischen Fernsehens folgen, Bil- dern, die die Zuschauer auch schon gesehen hatten. Dissidenten und Oppositionsgruppen konnten nicht auf ihre Version der Er- eignisse angesprochen werden, da sie (noch) nicht organisiert waren und f¸r Unbekannte schwierig aufzufinden waren(abgesehen von Cornea und T–kes). Vor Ort konnte man zwischen Ger¸cht und Information nicht unterscheiden. Die rum”nischen Medien selbst gaben auch keinen Aufschluþ. Die Technik der freien Informationsbeschaffung war unbekannt und ist das eigentlich immer noch. Die Hunderte freier und unab- h”ngiger Zeitungen, die sofort nach Dezember '89 gegr¸ndet wurden, scheinen keine Ahnung von industriellen Produktions- arten von Information zu haben. Sie sind nicht an internatio- nale Presseagenturen angeschlossen, zuverl”ssige, staatliche Daten und Angaben fehlen oder werden miþtraut, es gibt keine M–glichkeit Fachzeitschriften zu abonnieren und ein eigenes Archiv gibt es meist nicht. Rum”nische Journalisten sind vor - allem begeisterte Meinungsmacher. Zuverl”ssige Forschung ih- rerseits kann man nicht erwarten. Die Medien nehmen die her- umschwirrenden Ger¸chte nicht in einen gr–þeren Zusammenhang auf, nachgepr¸ft oder verneint werden sie schon gar nicht. Sie k–nnen sich m¸helos in einem grauen Kreislauf, in dem mehrere Versionen eines Ereignisses nebeneinander existieren, verbrei- ten. Die Ger¸chte, die w”hrend des Kommunismus auþermedial existierten, machten w”hrend der Telerevolution pl–tzlich Kon- takt mit der real-time Medienschaltung. Sie bildeten einen explosiven cocktail, an dem sich die westlichen Medien ganz gewaltig die Finger verbrannt haben. Die westlichen Journalisten und Medientheoretiker haben sich noch nicht mit der Rolle des Ger¸chts in einer informations- freien Gesellschaft besch”ftigt. Um die eigene Ignoranz zu maskieren, hat man die Ger¸chte schnell mit einer Quelle ver- sehen und sie nachher einer Bande von Verschw–rern, die wis- sentlich Desinformation verbreiteten, um die Rum”nen (aber vor allem die westliche Presse) auf Abwege zu bringen, zugeschrie- ben. So konnte man die eigene Faszination und den Ekel vor den unbekannten und gewaltt”tigen Ereignissen, in deren Mitte man gelandet war, schnell abstreifen. Der exotische Blick auf das Land des Grafen Drakula, das bis vor kurzem noch von PËre Ubu regiert wurde und in dem die Musical 'Les MisÈrables' in der Realit”t stattfindet, ist in jeder Reportage wiederzufinden. Das Bild einer neokommunistischen Mafia paþt perfekt in den westlichen Mythos des Wilden Ostens. Die Unzurechnungsf”- higserkl”rung von Rum”nen hat zur Folge, daþ das Land als ab- geschriebene Region zur Seite geschoben wird und die soziale W¸stenbildung freie Fahrt hat. Eine totalit”re Vergangenheit der Osteurop”er ist f¸r die westliche Aktualit”t kein Grund f¸r mildernde Umst”nde. Bei einem Besuch an dem Hinterhof Eu- ropas wird man seufzend feststellen, daþ von Demokratie noch immer nicht die Rede sein kann und man wird fleiþig weitere wilde Geschichten aufzeichnen. Die Historiker, die die Fern- sehbilder interpretieren wollen, werden nur westlichem Exotis- mus begegnen und sehen, wie die fin-de-siecle Medien sich selbst betrachten, statt Geschichte aufzuzeichnen. F¸r westliche Touristen und Journalisten ist Rum”nien ein schockierender und hallizunierender trip. Die Berichte vermit- teln das Gef¸hl, man besuche einen Realit”tspark, in dem die Geschichte immer noch da ist. Man bestaunt die ”rmlichen Ba- sars mit den drittrangigen Konsumg¸tern aus dem Nahen Osten, pechschwarze Rauchschwaden aus Schornsteinen des 19. Jhts, vernachl”ssigte Kinder, die in Neubauruinen herumstreunen, eine virtuelle ÷konomie, die ohne Absatz, Investitionen oder Privatisierung funktioniert, das katastrophale Gesundheitswe- sen, das farblose Spielgeld, die Bauern, die mit Pferdegespann das Gef¸hl vermitteln, man sei im Mittelalter gelandet. Das muþ wohl ein Film sein. Aber im Gegensatz zu dem phantasypark, der sich nur als Verl”ngerung des vertrauten Medienspektakels pr”sentieren kann, hat man es hier mit einem wahrhaften Reali- t”tseffekt zu tun. Der Besucher wird ¸berw”ltigt von einem vi- suellen overkill, der es unm–glich macht, die existierende Si- tuation n”her zu untersuchen. Rum”nien ist das Land des Subli- men. Das Speichern der Bilder erfordert soviel Platz auf der inneren Festplatte, daþ von Interaktivit”t nicht die Rede sein kann. Die alberne, kommunistische Fernseh-Ÿsthetik der ¸ber- triebenen Aufmerksamkeit f¸r Konferenzen, Reden und Nahaufnah- men von Blumengestecken ist noch immer nicht ganz verschwunden und vergr–þert die Entfremdung. Rum”nien bietet eine ganze Palette von aufregendem Non-Funk- tionalismus und Nicht-Ereignissen. Der Tourismus der neunziger Jahre wird die nicht programmierbaren Ereignisse den ¸bersti- lisierten, ¸berreizten Arrengements, die allzu durchschaubar geworden sind, bevorzugen. Rum”nien ist hervorragend ausge- stattet, um diesen kommenden Trend nutzen zu k–nnen und bietet eine Skala von M–glichkeiten, wie das Konzept des Drakula- lands. Innerhalb des zunehmenden Interesses am katastrophalen Zustand der Welt ist die Faszination f¸r das B–se besonders groþ (Massenm–rder, Massenselbstmord von Sektenmitgliedern). Drakula verk–rpert all diese kulturellen Aspekte und liefert eine bereits existierende Bezugsquelle f¸r Horror als Frei- zeitbesch”ftigung. Dank Hollywoods Mythologie hat das zu einem optimalen, weltbekannten Produkt gef¸hrt. Die Idee hinter Dra- kulaland ist, daþ die Rum”nen jetzt von dem verh”ngnisvollen, historischen B¸ndnis von Kirche und Kaiser profitieren sollten,einerseits Kaiser Flad und andererseits Stokers "got- tesverachtendes, kruzifixf¸rchtendes, blutsaugendes Monster der Nacht." Die Zeit ist reif, um Graf Drakula heimzubringen. Die rum”nische Regierung setzt Francis Ford Coppalas Perpekti- ve der Vermischung von Fakt und Fiktion fort und begr¸þt alle, die auf Drakulas Spuren sind, um Teil des Films zu sein, der vor Ort stattfindet und nicht auf einem set. Wo Coppola seinen Film vollst”ndig in Hollywood gedreht hat und den Mangel am mysteri–sen Transsylvanien mittels meisterhafter high-tech Effekte ersetzt hat, bietet Rum”nien das richtige Leben in Drakulaland, wo der reisende Zuschauer selbst Schauspieler wird. Drakulaland ist eine 3-D Installation, wo der Besucher sich auf das Drakulaparadigma, das er zuhause in sich hinein- gesogen hat, freuen kann. Drakulaland ist ein Brennpunkt der Geschichte des 15. Jhts, der gotisch-romantischen Mythologie des 19.Jhts, der Massenkultur des 20.Jhts und des heutigen Sp”tkommunismus. Die westlichen Medienvertreter, die zu Weihnachten '89 j”h- lings hingeschickt wurden, litten, im Vergleich zu sp”teren Besuchern, hochgradig an dem Realit”tseffekt. Der Kurzschluþ zwischen real-time Informationsgesellschaft und einer paranoi- den, feudal-industriellen Diktatur, die auf Ger¸chte angewie- sen war, resultierte in einer hybriden Monsterproduktion, auf die man sp”ter mit Schrecken zur¸ckschaute. Die Schluþfolge- rung war, daþ es f¸r die westlichen Medien in Ost-Europa keine Ehre zu gewinnen gab. Sich bloþ nicht nochmal in ein Wespen- nest setzen, hat sich wohl mancher Medienproduzent gedacht, als entschieden wurde, dem aufkommenden B¸rgerkrieg im ehema- ligen Jugoslavien keine Aufmerksamkeit zu widmen. Der Golf- krieg lieferte wenigstens eindeutige Freund/Feindbilder. Auch rum”nische Mediasten endeten zum Schluþ bei dem Gedanken, daþ keine Bilder besser sind als schlechte. W”hrend einer Kon- ferenz ¸ber 'Das Bild Rum”niens in den westlichen Medien', (Cluj, Mai '92) folgerten die rum”nischen Journalisten, daþ keine Nachricht eine gute Nachricht sei. Die Berichterstattung im Westen ¸ber Straþengewalt der Bergarbeiter, AIDS-babies, den Zustand der Waisenh”user und Handel mit Adoptivkindern mag vielleicht objektiv sein, behandelt aber nur eine begrenzte Zahl von Themen, die immer wieder zur¸ckkehren. Keine Aufmerk- samkeit w”re besser, als wenn man immer wieder den Schaden ei- nes negativen images wegr”umen m¸þte. Das Land der Vampire sieht hinter den Schreckensmeldungen eine Verschw–rung des Auslands schimmern und kann sich so immer wieder als Opfer betrachten:Fr¸her das des Kommunismus, jetzt das des modernen Westens. Sorin Alexandrescu hat darauf hingewiesen, daþ Horror themen 'Embleme' sind und keine 'paradoxe Komplexit”t' disku- tieren wollen. Aber wer weiþ das schon?Die allwissenden Rum”- nien-Experten produzieren keine Aktualit”t. Sie stehen ebenso wie die Rum”nen im Abseits. Der heutige Stand der Technik legt ein Fatum ¸ber die journalistische Ethik. Den Riþ zwischen live Sendung und keiner Sendung kann man nicht mehr kitten.