SCHREIBEN IN DEN MEDIEN "Das Archiv! Meine volle Teilnahme findet es nicht. Ein A. ist etwas Philologisches u. Verstaubtes, keiner interessiert sich daf¸r, selbst das Nietzsche-A., wer kennt es, wer war je da, wem gab es Eindr¸cke?" Gottfried Benn Schreiben ¸ber Medien l–st die Frage aus, woher die Schrift die Anmaþung nimmt, f¸r anderen Medien sprechen zu k–nnen. Die Sprache erscheint als Metamedium, das alle kommenden und ge- henden Medien umfaþt. In der westlichen Kultur des Textes wird ein Ph”nomen erst als verstanden betrachtet, wenn es als ein abgeschlossenes Ganzes angesehen werden kann. Die Theorie habe die bemerkenswerte Gabe, die Audio und Video fehlt, die Ge- heimnisse, die die Welt der Ph”nomen vorantreibt, entziffern zu k–nnen. Wo das Wort immer noch behauptet, die Problemstel- lung der Welt sei ausgeschrieben, geht das Symbol schon l”ngst davon aus, sie sei ein geometrisch darstellbarer masterplan. Die Harmonie der Sph”ren war einmal eine Musiksendung. Verk¸ndigung, Theater, Film, TV, Sport und Konzert vereinen ihr Publikum zu einem kollektiven Zeremoniell. Der solit”re Akt des Lesens dagegen schafft eine Distanz zu der geteilten Erfahrung des Rezeptionsrituals, das dem Leser den Eindruck vermittelt, er sei der Einzige, der diese mediale Sendung emp- f”ngt. Die Stille, die immanent am Lesen in der Einsamkeit ist, schafft den imagin”ren Raum, in dem die Sprache ¸ber dem direkten Get–se der Massenmedien zu schweben scheint. Die Idee der Ordnung, die der Sprache ihren Reiz verleiht, ist ein me- dialer Effekt, der prompt zerst–rt wird wenn jemand ¸ber der Schulter mitliest. Erkenntnis ist gleichermaþen das Ger”usche bei einer technischen Schaltung sowie eine authentische In- formationsquelle, die nur bei Primaten erscheint. Die Schrift nimmt dabei keine einzigartige Position ein. Medien bilden ein geschlossenes System, aus dem hin und wieder ein Funke in die kosmische Leere ¸berspringt. In der Landschaft der Medien sind wir nie mehr als Reisende, die hartn”ckig nach Orientierungs- punkten suchen. Das Schreiben ¸ber Medien muþ sich im Netzwerk der Medien an- siedeln. Auch wer sich mit einer heroischen Geste auþerhalb situieren m–chte und die Allmacht der Medien verneint, bleibt einer unter vielen Mediengestalten. Dieser puritanische, hand- werkliche Ehrgeiz resultiert genauso in einem Endprodukt, das aufgenommen wird im Universalen Medienarchiv. Die konsequente Reaktion hierauf ist die Vernichtung des gesamten oeuvre, was auþer Legendenbildung auch einen Haufen M¸ll ergibt, in dem noch viele Generationen schm–kern k–nnen. Dieses halbherzige Verfahren, das f¸r nur eine kurze Zeitspanne alle Kontakte zur Normalit”t abbricht, um in einer k¸nstlichen W¸ste das eigene Medium in Extase zu versetzen, tr”umt davon, nach der R¸ckkehr ¸ber alle Ausdrucksformen zu triumphieren. Dieses totalit”re Verfahren mancher Medienst”mme bringt f¸r die Auþenwelt nie mehr als ein geniales Buch, einen netten Film oder einen sch–- nen Abend. Wie eindimensional ein Talent sich auch pr”sentie- ren mag, in der Mediensph”re ist die einzigartige Ware sofort qualifiziert nach Genre, Periode oder Entwicklung. Der alien, der die Geschichte streift und in ihr seine Exkremente ab- wirft, mag eine real-existierende Gestalt sein, letztendlich ist er moderner K¸nstler, der im Bilde des state of his art ist und nach ihm vorgeht. Der Mediatext besch”ftigt sich nicht mit den heimlichen Ab- sichten, die sich hinter Informations¸bertragung verstecken. Medien sind keine Tr”ger von kulturellen oder ideologischen Werten. Sie transportieren keine Botschaften von A nach B, sondern bilden eine eigene, parallele Welt, die die klassische Realit”t nie streift. Medien betrachten die Welt als Rohstoff f¸r ihre eigenen Projekte und interessieren sich weiter nicht. Das Schreiben in den Medien sucht die interne Logik nicht in dem Material das bearbeitet wird, sondern in den Strategien die verfolgt werden, um zur Extase zu kommen. Medien sind zu einer fortw”hrenden Entwicklung gezwungen, denn jeder Weg, der zum Rausch f¸hrt, kann nur einmal verfolgt werden. Dann ist die Technik ¸berholt. Medien verlassen nie die Testphase zum Heranreifen. Jedes Medium muþ immer wieder seine eigene Dyna- mik finden, um sich selbst zu einem neuen Endpunkt zu f¸hren. Der Weg, der bis jetzt von unterschiedlichen Medien beschrit- ten worden ist, ist Subjekt der textuell-materialistischen Me- dientheorie. Die Art und Weise wie die Medien Material aus der Wirklichkeit saugen ist Thema der Kommunikationswissenschaften, w”hrend cultural studies die Seite des Betrachters w”hlen. Der Media- text dagegen vegiþt die Dialektik und sucht, weil er sich als Teil der Medien versteht, die Extase. Wie die Medien, kann Me- diatext nie eine definitive Erkenntnis, die in einer Disserta- tion oder Magnum Opus festgelegt werden kann, ergeben. Er ist eingesperrt im experimentellen Stadium und legt verantwortungslos aber methodisch los. Der Mediatext sucht Wege, Denkmodelle, taktische Man–ver und Zauberformeln, um sich selbst weiter zu schreiben, bis zur Ersch–pfung. Der Mediatext beschreibt keine Wirklichkeit oder Ideen auþer- halb des Textes. Sein Material sind die Medien an sich - nicht die Apparate oder Programme, sondern deren M–glichkeiten. In der Elektrosph”re gibt es eine Vielfalt an potentiellen Medien und Mediengestalten. Deren derzeitige oder k¸nftige Existenz ist unsicher, dennoch durchaus austestbar. Die Erkenntnisse, die Mediatext ¸ber sie einbringt, sind unverantwortlich vorei- lig. Mediatext spekuliert mit Chance, Gefahr, Traum und Alptraum. Er fordert potentielle Medien heraus, real zu wer- den, allen voran Mediatext selbst. Er provoziert die Sprache, diese Gestalten anzunehmen. Potentielle Medien existieren nur als Option, aber, einmal beschrieben, begegnet man ihnen ¸berall. Liquide Theorie zielt nicht auf ein Textganzes, das von Kapi- tel zu Kapitel w”chst. Mediatext strickt nicht rhizomatisch weiter an schizoiden Str–mungen und besch”ftigt sich ebensowe- nig damit, die Differenzen noch weiter auszudehnen. Er fixiert sich darauf, die verschwommensten Konturen so scharf wie m–g- lich wiederzugeben. Sein hinreiþender Wille zum Text wendet auf alle vorbeifliegenden Begriffe und Infos systematisch Willk¸r an. Eine Selektion von Subjekten muþ von ihm nicht gemacht werden, die Zauberformeln saugen sich an Mediatext fest und l–sen sich erst, nachdem sie auskristallisiert sind. Ðberblick ¸ber die Medien ist grunds”tzlich unrealisierbar. Mediatext bietet dem Revier der potentiellen Medien die Gele- genheit, auf die Ebene der Sprache zu downloaden, das scrol- lende Mega-Data-Angebot zu kondensieren in einem begrenzten, aber f¸r uns verst”ndlichen Format des compact text. Erzeugen, manipulieren und festlegen sind nicht mehr einander folgende Stadien in Umgang mit Daten, sondern finden alle zeitgleich statt. Konservieren passiert nicht mehr hinterher, im Dienste der Geschichte, sondern ist ein technisches aprio- ri. Das Medien-Archiv wird nicht in die Welt nach den Medien ge–ffnet, obwohl es darauf antizipiert. Das Archiv will keine Ode der Verg”nglichkeit und ihrer Spuren sein und auch keine Proteste dagegen ausl–sen. Der Bau einer Autobahn saugt Ver- kehr an, der vorher nicht unterwegs war. Das Einschalten eines Mediums ruft Daten auf, die vorher noch nicht registriert wa- ren. Die Einrichtung eines Medien-Archivs zieht files nach sich, die sonst nie zusammengestellt w”ren. Sammeln erzeugt genauso wie erzeugen zu sammeln zwingt:Zeitgleichheit l”uft in zwei Richtungen. Das ÷ffnen eines Archivs reicht, um es mit neuem Material vollaufen zu lassen. Keine Besch”ftigung ist so dankbar wie das Schreiben f¸r die Schublade des Schreibtisches. Passives Speichern reicht nicht, die Daten sollen so schnell und effektiv wie m–glich aufrufbar sein. Kann man den Zugang zu dem eigenen Archiv noch relativ einfach optimalisieren, fangen die Scherereien erst richtig an beim Besuch eines unbekannten Datenlagers. Umgekehrt bildet diese Unzug”nglichkeit eine notwendige Voraussetzung f¸r eine er- staunliche Entdeg. Dauerhaftigkeit ist das Kennzeichen jedes Versuchs, zu lagern. Das Medien-Archiv wird das Alexan- dria der Moderne sein und ebenfalls in Rauch aufgehen. Ist der B¸cherschrank einmal umgekippt, mag das eine kleine Katastro- phe f¸r den Autor sein, aber ein groþer Schritt f¸r den Leser. Umso gr–þer das Kauderwelsch vom Autor aus gesehen wird, desto klarer wird es f¸r sein Publikum. Das Medien-Archiv ist offen f¸r alle nicht-vermuteten Querverbindungen und l”dt herzlich ein zum falsch interpretieren. Es zielt nicht auf das defini- tive aha-Erlebnis, sondern rechnet mit der Metamorphose des eigenen Inhalts. Ein Buch lesen=Ein Buch vernichten. Bilwet Media-Archiv ist Computer Aided Theory (CAT) aus der Ÿra des wordprocessen (WP 4.2). Kennzeichnend f¸r die Wortper- fektion ist der leere Bildschirm, ein elektronischer Tabula Rasa, worauf nur die Koordinaten der werdenden Theorie bekannt sind (Dok S Rg Pos). Die sanfte Seite hat das DinA4denken aus der Schreibmachinen”ra -bis zum unteren Rand des Blattes und nicht weiter- noch nicht verdr”ngt, und die ”rmliche Benutzung der Rechenkapazit”t versetzt den Computer in einem schwebenden Zustand:Der PC processed gar nichts, der blue zone des LCD-Schirmes stehen alle M–glichkeiten offen. Men¸s an der oberen Bildkante, sideklicks, windows neben oder auch hinter dem Text, oder auch nur Nebenschirme fehlten oder wurden nicht benutzt. CAT ist v–llig flach. Es gibt keine versteckten codes, keine Noten oder Register. Die gr–þte literarische Er- werbung auf der Tastatur ist die delete-Taste. Wie nie zuvor bietet der Computer die M–glichkeit, einen Text zu verdichten. Das ist seine Aufgabe beim Archivieren der Medien. Compact Hermeneutics erscheint als komprimierte file, die den Leser beim Aufrufen des Buches unzipped zu einem Totaltext, der sich auf einmal reich an schiefgezogenen Nuancen zeigt. Das theoretische Signal ist ¸berfl¸ssigen Tiefgangs entledigt. Auch wenn 70% der Argumentation weggelassen wird, erscheint die Darlegung noch sonnenklar. Schleichwerbung f¸r andere Mar- kenautoren wird nicht gemacht. Das sublimative Unbehagen, das den diagonal geschriebenen Text, trotz allem, irgendwie in einem Zusammenhang haben will, wird nicht mit konkreten Anhaltspunkten belohnt. Wer meint, das pattern recognition in Dataland zu beherrschen, macht sich schnell auf die Suche nach dem exclusiven keyword, das neue Universa offenlegt. Aber die- se Zauberformeln k–nnen auch von auþen kommen, sich festsetzen und geladene Theorieteilchen, Faktoiden und Halbzitate saugen sich an. Das Bombardement auf das keyword setzt sich fort, bis der un- vermeidliche overload folgt. Zeit f¸r reset. Die Unidentified Theoretical Objects (UTO's) sind zuf”llige Verdichtungen des theoretischen Feldes. Ihr Wortschatz wird entdeckt auf unbe- wohnten islands in the web von irgendwann gescannten Texten. UTO's sind Kristallkugeln, in denen das vage Licht eines noch nicht existierenden Theorems auftaucht. Das definitive Essay schlieþt die Diskussion, bevor sie ange- fangen hat. Von Anfang an sind alle Argumente jedes Problem- feldes ¸berschaubar und widerlegbar. Diese Gegebenheit bildet den Grund der Bescheidenheit der Theorie, von ihrer Hoffnung, daþ alle existierenden Probleme so bekannt scheinen, weil sie nie mehr sind als extensions des 20. Jahrhunderts. Das'zum Ende denken' nie stattgefundener Debatten impliziert das Ver- sprechen, daþ es jenseits jeder existierenden Problematik ein Hinterland gibt, 'die Welt nach den Medien', wo der eve of de- struction nicht nochmal wiederholt wird, sondern wir weit nach dem IV. Weltkrieg landen. "Mancher tragt Scheue an die Quelle zu gehen." So auch Bilwet. B¸cher von Dritten sind souver”ne Objekte an denen man nichts mehr hinzuf¸gen oder einwenden kann. Quellen sind im Archiv aufgenommen, nicht weil sie ein Gedankengut besprechen, das nach Kritik, Lob ober Kontext fragt, sondern das Verm–gen ha- ben, aus der Medientheorie fictional science zu machen. Es handelt sich um Autoren, die nicht wissen wollen, daþ auf sie zur¸ckgegriffen wird, sondern fordern, daþ weitergemacht wird mit ihren spekulativen Befunden. Das Auseinanderklam¸sern ei- nes Autors bringt nicht mehr als ein pornographisches Bild. Man soll den Text seine Zentrifugalkraft beibehalten lassen, um seinen Leser herauszuschleudern, statt die Energie umzudre- hen und einem leeren Herzen zu zeigen, wo der Autor nackt 'rumsitzt. Man schreibt, weil nachher noch mehr geschrieben wird. Das Medien-Archiv enth”lt alle Daten der Welt. Die Bilwet-Fi- liale ist ”rmlich und winzig;sie faþt nur Instruktionen in Be- zug auf die Machbarkeit der Medien und schl”gt M–glichkeiten vor, sie wieder los zu werden. Sie wurde ohne Vorbedacht von 1988 bis 1992 eingerichtet, dem kurzen Sommer der Medien. Jetzt, wo sich der Herbst ank¸ndigt und der permanente Touris- mus ein Ende nimmt, dr”ngt sich das Medienproblem auf. Sowohl die globale als auch die alternative Medienbenutzung hat sich verfahren in perfektem Professionalismus. Sogar ohne Golfkrieg macht Infotainment keinen Spaþ mehr. Die Realit”ts- effekte werden schneller ¸berholt, als die Technologie neue produzieren kann. Jetzt, wo klar wird, daþ Medien keine Ant- wort haben auf die eigene Weltproblematik, greift man zur¸ck auf pr”mediale Zust”nde und es droht, nach einer Periode be- freienden Abriþes und Zerfalls, eine tr¸bselige Wiederaufbau- phase. Das Archiv dagegen l”uft mit offenen Augen in das Unge- wisse der postmedialen Welt. Nur von dieser Zukunft aus kann es mit Vergn¸gen zur¸ckblicken auf die Medien, ohne Zorn oder Nostalgie.