K÷NIG THEWELEIT "Laþ die Toten doch ein biþchen singen. Und laþ den T”ter bit- te seine Klappe halten. " Armando F¸r Klaus Theweleit ist das Word 'Medien' zu schwach. Die ein- schneidenden, umgestaltenden, programmierenden Seiten der neu- en Techniken w¸rde er lieber mit dem Begriff 'Umwandler', oder 'Verwandler' benennen. McLuhans These 'the medium is the mes- sage' wird von Theweleit erweitert mit 'Verwandlung ist das Produkt dieser message'. Anders als McLuhan ist Theweleit nicht dazu bereit, von dem Medium heraus zu denken, sondern hegt er die Subjekt-Position. Er ist besessen von dem Gesche- hen in den Werkst”tten der neuen Medien:wie kann der Medien- arbeiter seinen K–rper an die technischen Ger”te anschlieþen, damit sein Medium produktiv wird?Theweleit ist nicht so sehr an der Frage, was Medien bei den Empf”ngern anstiften interes- siert, sondern vielmehr an dem R”tsel, wie sie zum Senden kom- men. Die Frage der Medien ist f¸r ihn die Frage nach deren Be- n¸tzung. Bei ihm f”ngt die Sendung des Lebens nicht immer von vorne an, sondern ist ein Wachstumsprozeþ. Theweleit konsta- tiert, daþ Produzenten die Umwandlung durch die Medien benut- zen, um immer wieder den gleichen Zyklus zu durchlaufen. Sein Einsatz ist, die Medien als Wachstumsmittel zu benutzen, die die extension menschlicher Erfahrung f–rdern. Theweleit liest McLuhan auf seine eigene Art. Jedes neue Medi- um isoliert aus dem Ganzen der menschlichen Erfahrung eine Funktion und vergr–þert sie. Diese Amputation erschlieþt ein neues Feld der Wahrnehmumg und M–glichkeiten zur Metamorphose, ruft aber, wegen ihrer Kraft, gleichzeitig einen Rausch her- vor. Das Mediensubjekt wird von der grenzenlosen Potenz der neuen Apparate dermaþen fasziniert, daþ der Rest der Welt aus seinem Blickfeld verschwindet. In diesem 'geschlossenen System' nimmt der Benutzer die 'Position Nascissus' ein und verwechselt die neuen medialen M–glichkeiten mit sich selbst. Den Rausch, der damit hervorgerufen wird, benennt Theweleit als den 'Pol - narc', ein Begriff, in dem Narziþmus und Narcotica zusammen- kommen. "Un-streitig scheint mir, daþ, von der Seite technisc- her Medien, die ver”ndernd in die K–rper greifen, der Weg ei- nes Wachsens/einer Verwandlung oder Blockierung der Person in jedem Fall den Pol Rausch/Berauschung/Narkose ber¸hrt. Es ist keine Wahl oder eine Marotte derer, die mit dem Herste- llung k¸nstlicher Wirklichkeiten befaþt sind, daþ sie unabl”s- sigen Pol Rausch/Drogen streifen." Der Rausch ist ein unver- meidliches Nebenprodukt, mit riskanten und fr–hlichen Seiten. Neue Medien k–nnen ein Sucht verursachen, in der der Mediast endlos den gleichen Rauschzyklus durchlaufen will. Dieses Ri- siko m¸sse man, meint Theweleit, hinnehmen, weil nur ¸ber Me- dien menschliches Wachstum m–glich sei. F¸r Theweleit ist Wachstum die Voraussetzung, um eine eigene Geschichte machen zu k–nnen, statt immer wieder die Grausamkeiten der Geschichte zu wiederholen. Durch seine mediale Brille sieht er Wachstum nicht als nat¸rliche Gegebenheit:"Menschen mit einer eigenen Geschichte k–nnen nur Menschen aus k¸nstlichen/k¸nstlerischen Wirklichkeiten sein. " Zehn Jahre nach den tausend Seiten der 'M”nnerphantasien', ver–ffentlicht Theweleit 1988 den ersten Teil seines magnum opus, 'Buch der K–nige'. Dieses Werk wird sich aus vier Teilen mit insgesammt 3200 Seiten zusammensetzen. 'M”nnerphantasien' ist synonym mit dem Abschied eines rigiden Marxismus geworden, weil da der Faschismus als das Unverm–gen der M”nner, mit dem eigenen K–rper umzugehen, erkl”rt wird. Die 'Buch der K–nige'- Tetralogie wird der Abschied von einer ”hnlich rigiden Auffas- sung, die Literatur als autonome Kunst betrachtet, weil sie diese als das Unverm–gen der Schriftsteller, mit der eigenen Geschichte umzugehen, erkl”rt. Mit 1222 Seiten und 600 Illustrationen ist das 'Buch der K–ni- ge' eine Gattung an sich. Es ist ein "zweiter Versuch, im Schreiben ungebetener Biographien zu schreiben, Kriminalroman, Fallbericht. Mehr zur erz”hlenden Psychoanalyse des Nicht-zu Ende-Geborenen:Narziþ, die R”usche, das Rauschen. " Hauptper- son ist Orpheus "in Landsberg, Berlin(West und Ost), Mantua, Florenz, am Polarkreis, in Amerika, In Prag. In 1945, 1607, 1283, 1901, 1968. Mit seinen Lyren:Text, Musik, Oper, Radio, Film und Gem”lde. Dazwischen f¸gt Erz”hlungsmischer Theweleit 312 Seiten ein ¸ber "Schwierigkeiten der Geschichte", eine Aneinanderreihung von Inspirationsquellen, eingegangener Post, Begegnungen, kurioser B¸cher, Erinnerungen, Auto-Psychoanaly- se, Platten(The Kinks)und Fernsehrezensionen, Comicalbums, Fuþballmeistern und seiner Mutter. Mit Frau und Kind zu Besuch bei Alice Miller in Z¸rich, wird das 'Brave Kind' durchgenom- men. Der New Yorker Psychohistoriker Lloyd deMause wird, w”h- rend dem lunch ¸ber die Zyklen der fantasy-wars befragt. Veli- kovski wird nachgeschlagen wegen kosmischer Katastrophen, der Z¸richer Schriftsteller p. m. wegen des Weltsystems 'bolo bolo'. Es nimmt kein Ende. "Reduzieren ist nicht die Aufgabe des Ge- schichtsdetektivs. Im Gegenteil, hinzuf¸gen. Es kann nicht ge- nug Versionen geben. ". Theweleit schafft es, der Kunst wieder einen Platz in der Gesellschaft zu geben, ohne daþ ihr die Au- tonomie genommen wird. Er benutzt die unterschiedlichsten Tex- te, l”þt ihnen aber in ihren Wert. Deshalb ist sein Buch ein selbst”ndiges Quellenlabyrinth, das nicht als fl¸chtiges Buch des Zeitgeists gelesen werden kann. Anders als in 'M”nnerpha- ntasien', weigert sich Theweleit, eine schl¸ssige Theorie aus seinen Quellen zu destillieren, sondern kreiert ein Spannungs- feld zwischen dem, was er 'Pole' nennt:"Ich m–chte m–glichst wenig ausschlieþen und das geht ¸ber Pole. Pole lassen sich addieren, sie lassen sich untereinander verkabeln, und man wird sehen, wo es Kurzschluþ funkt und wo sich etwas verbindet zu wom–glich einem Pol-Netz, in dem man sich etwas einfangen l”þt von den Str–men und Wellen, die wirklich unterwegs sind im Netz des Wirklichen:die es, genauer, physikalisch gespro- chen, ausmachen. " Keine dialektische oder deduktive Methode also:die Str–me, die Theweleit in 'M”nnerphantasien' in den M”nnerk–rpern entdeckt hat, findet er hier in der Welt, inklusive seiner direkten Umgebung zur¸ck und er wendet diesen Befund konsequent auf das eigene Schreiben an. Die Geschichten und Begriffe tauchen auf, ballen sich, fangen an zu knistern, gehen Verbindungen ein und bekommen f¸r den Leser eine solche Intensit”t, daþ sie, nach dem Schock der Erkennung, eine ”hnliche Erfahrung wie die der 'realen Geschichte', ergeben. Theweleit zog die Konsequenzen auch auf praktischem Niveau:er schrieb das Buch auf einem spe- ziell f¸r ihn hergestellten Schreibtisch, auf dem er einen un- unterbrochenen, einige Dutzend Meter langen Text durch seine Schreibmachine str–men lassen konnte (ausf¸hlich beschrieben auf Seite 1125). Nach den Soldaten-M”nnern der 'M”nnerphantasien' stehen jetzt die Kunst-M”nner im Mittelpunkt. Sie sind die K–nige des Ti- tels. Theweleit entziffert detailliert die konkreten Umst”nde, durch welche Autoren wie Gottfried Benn, Brecht, Knud Hamsun, Franz Kafka und Ezra Pound ihre Kunstproduktion in Gang brin- gen und halten konnten. Er entdeckte, daþ diese Schriftsteller alle einem bestimmten System folgten, das den klassischen My- thos des Orpheus und Euridike als Vorbild hatte. Nach dem Tode seiner geliebten Euridike steigt der S”nger Orp- heus in die Unterwelt hinab, um sie zur¸ckzufordern. Die von seinem Gesang ber¸hrten G–tter des Hades erlauben ihm das un- ter der Voraussetzung, daþ er sich nicht umschaut, wenn er sie zur¸ckholt. Kurz vor der R¸ckkehr in die Welt schaut er aber um und Euridike verschwindet f¸r immer. Durch diese Erfahrung ver”ndert sich Orpheus in den Dichter, der mit seinen Elegien die ganze Natur zu seinen F¸þen hatte. Er verweigerte sich dem Umgang mit anderen Frauen, um sich v–llig der Kunst zu widmen. Am Ende wurde er von rasenden Menaden zerrissen und in das Meer geworfen, wobei sein Kopf weiter sang. Warum schaute Orpheus sich um? Ðberwaltigt von der Liebe, lau- tet die ¸bliche Antwort. Aber Liebe f¸r wen oder was, fragt Theweleit sich am Anfang seines Buches, wenn er die Lyrik des orpheischen Dichters schlechthin, Gottfried Benn, liest. Und er f”ngt an zu erz”hlen. Im September 1946 beendet Benn das Gedicht 'Orpheus'Tod', das mit dem Vers 'Wie du mich zur¸ck- l”þt liebste'beginnt. Im vorangegangenen Jahr hat seine Frau Herta von Wedemeyer im St”dtchen Neuhaus, wohin Benn sie ge- schickt hatte, um den Russen zu entkommen, Selbstmord began- gen. Benn war als Milit”rarzt in Berlin geblieben. Als er, Monate sp”ter, von Hertas Tod h–rte, beginnt er mit dem Orp- heusgedicht, das er vollendet, als er ein Jahr nach ihrem Tod ihr Grab nochmals besucht. W”hrend der Kriegsjahre hat Benn in Landsberg seine wichtigsten Werke geschrieben:'Roman des Ph”- notyp', 'Statistische Gedichte', 'Ausdruckswelt'. Er betrach- tete diese B¸cher als Grundstein f¸r eine neue deutsche Kul- tur, wie er seinem Freund Oelze schrieb. Nach Hertas Tod be- f¸rchtete er, nie mehr schreiben zu k–nnen. Aber nach 'Orpheus'Tod' kommt seine Produktion wieder im Gange. Die Fra- ge ist:Was wollte Benn durch sein Schreiben verarbeiten, damit er die Stagnation ¸berwinden konnte? 'Orpheus' Tod' ist ein klassisches Beispiel der absoluten Ly- rik, ein H–hepunkt der Moderne. Blendend und nach wiederholtem Lesen immer noch undurchdringlich. Auch Theweleit erkl”rt, immer wieder verzaubert zu werden. Dann f”ngt er an, Benns Briefe an Oelze und anderes biografisches Material zu lesen und findet den Schl¸ssel, um das Gedicht lesen zu k–nnen. Es zeigt sich, daþ Benn die ganze Geschichte mit Herta als seine Erfahrung des Orpheusmythos interpretiert. Herta ist Euridike, die er in die Unterwelt geschickt hat, um nach ihrem Tod, ggf. der Befreiung Deutschlands, als neuer Dichter f¸r das Volk auferstehen zu k–nnen. Die Menaden sind die Prostituierten, die Benn in seiner Sprechstunde f¸r Geschlechtskrankheiten besuchten und ihn in Naturalien bezahlen wollten. Das wies er zur¸ck, um Herta treu zu bleiben. Unterdessen aber schrieb er Oelze Briefe mit einem homosexuellen Unterton, die suggerier- ten, daþ die beiden eine neue Kultur geb”hren sollten. Erst mit der Vollendung des Gedichtes ¸berwindet Benn sein Scham ¸ber den Tod seiner Frau und kann eine Metamorphose eingehen und die Orpheusproblematik hinter sich lassen. Er heiratete anschlieþend schon schnell eine andere Frau. Auþerdem fing er an, neue, mehr entspannte Lyrik zu schreiben. Benn war sich w”hrend der Ereignisse bewuþt, daþ er einen Or- pheus-Zyklus durchlief. Es war ihm schon fr¸her mit zwei ande- ren Frauen passiert. Deshalb nimmt Theweleit ihn als Aus- gangspunkt f¸r seine Betrachtungen ¸ber die Frage, wie 'die Produktion k¸nstlicher Realit”ten'(kurz:Kunst) verl”uft und was die Liebe im Leben eines Schriftstellers genau bedeutet. Theweleit:"Die Produktion k¸nstlicher Realit”t geht nicht al- lein vor sich;zweite sind beteiligt, dritte. Auch die Kunst- Kinder, scheint es, werden produziert von Paaren. M”nner wie Frauen sind Orpheus verbunden in Verh”ltnissen, die teils aussehen wie Liebesverh”ltnisse, wom–glich aber Produk- tionsverh”ltnisse sind. Das zentrale Produktionspaar scheint eins zu sein aus zwei M”nnern. "(Wie Platon und Socrates, Freud und Flieþ, Benn und Oelze, Brecht und Eisler). Um wirklich Kunst machen zu k–nnen, muþ der Dichter sich st”n- dig erneuern. "W¸rde er sich nicht verwandeln, w¸rde er Gefahr laufen zu Erstarren oder eins der halbfertigten Monster zu werden, an die seine Produktion und sein Leben immer grenzen: Homunkuli, Frankensteine, Drakulas, auch Journalisten, Gurus und andere in ihrem Wachstum unterbrochene Gespenster, die er herzustellen oder zu werden f¸rchtet, wenn er den Kontakt ver- liert zu Ver”nderungen im Wirklichen". K¸nstler erneuern sich also ¸ber den Orpheuschen Zyklus. Der Mann benutzt seine Frau, um seine Produktion in Gang zu brin- gen und opfert sie anschlieþend, um einen neuen Zyklus starten zu k–nnen. Von sich aus kann er nicht zu sch–nen Versen kom- men, die Sch–nheit der Kunst entzieht er dem Frauenk–rper. Nur ¸ber sie kann er eine Verbindung mit 'Hades', dem Tod, und 'dem Wilden', der Natur eingehen. Da holt er seinen Stoff. In diesem Zyklus ist der Mann immer der Ðberlebende, wie Canetti ihn beschrieben hat, als Prototyp des 'Herrschers'. Der Mann wird immer zum Ð-Pol(der Ðberlebenspol), wo er aus Scham die vorhergehende Geschichte in ein schwarzes Loch verschwinden l”þt, um weiter gehen zu k–nnen. Aber damit wird es ihm unm–g- lich, etwas davon zu lernen. Der Mann hat also keine andere Wahl, er muþ immer den gleichen Zyklus durchlaufen. 'Entwi', 'wachsen' geht nicht mehr, eintreten in die eigene Ge- schichte ist unm–glich, der 'nicht vollst”ndig Geborene' muþ sich st”ndig neu geb”ren lassen und macht das, indem er jeman- den t–tet. An diesem Punkt angekommen verabschiedet Theweleit sich von seiner Rolle als Detektiv und wird wilder Analytiker. Er will kein Polizist oder Richter sein und vorbeugen, daþ man sagt: "Benn?Ach ja, der ermordete seine Frauen und Theweleit hat ihn enttarnt. "Sein 'male couple' Friedrich Kittler, der gleich- zeitig mit Theweleit in Freiburg studierte, steht ihm dabei zur Seite. Frauen arbeiten als Typistin, Telephonistin, Sekre- t”rin nicht nur mit den Medien, sie werden auch mit den Medien gleichgestellt(Schreibmaschinen die 'Monika' heiþen). Frauen k–nnen auch als Medium benutzt werden. Kittler machte die ¸berraschende Entdeckung, daþ fast alle Schriftsteller in die- sem Jahrhundert sich in Typistinnen und T”nzerinnen verlieb- ten. Theweleit ¸bernimmt diese Perspektive. Der Trieb der K¸nstler, Kontakt mit den Ver”nderungen der Realit”t zu behalten, zwingt sie dazu, die neuen Medien einzuschalten, weil die die Ver”nderungen initiieren und programmieren. "Ausl–ser bzw. Programmierer der Verwandlung sind technischen Medien. Sie schalten uns, indem sie neue Aufzeichnungsverfahren vormachen, mit dem Realen in anderer Weise zusammen, als die Generationen vorher zusammengeschaltet (oder abgetrennt) gewesen sind". Weil Frauen auf eine besondere Art mit den neuesten Medien verbunden sind, nimmt der Kontakt, den die Autoren mit diesen Medien suchen, immer wieder die Gestalt einer Liebesbeziehung an. In den sechs Kapiteln, die dem ExposÈ ¸ber die Geschichtspro- bleme folgen, beschreibt T. dieses Muster durch die Jahrhun- derte. Dante f¸hrte die Landessprache als Ersatz f¸r das La- tein in die Literatur ein, indem er Beatrice als Medium des, w”hrend des summer of love von 1296 entdeckten, Liebesrausches nahm. Monteverdi durchbrach 1607 die polyphone Kirchenmusik mit dem Duett in der Oper, in dem zum ersten Mal Frauen statt Kastraten sangen. Seine Oper hieþ wohlgemerkt 'L'Orfeo'. In einer ausf¸hrlichen Rekonstruktion zeigt Theweleit, wie Monte- verdi von den adligen Auftragsgebern dazu verpflichtet wurde, die Liebesgeschichte von Mann und Frau, Orpheus und Euridike, umzu”ndern in eine Beziehung zwischen S”nger und K–nig. Nur die Kunst durfte siegen, menschliche Beziehungen sollten scheitern. Das sieht Theweleit als allgemeines Muster:jeder K¸nstler, der eine Beziehung zur Macht hat, wird dazu gezwun- gen, Liebesbeziehungen, die sich der Macht entziehen, schei- tern zu lassen und nur der Kunst Dauerhaftigkeit zu verleihen. Aus unserer Epoche werden Lebensabschnitte von Brecht, Hamsun, Rilke und Kafka behandelt. Ðber die Beziehung von Leben und Werk bei Brecht schreibt er das bitterste Kapitel. Er be- spricht die Episode, die 1941 in Moskau beginnt und in Santa Monica, Kalifornien, endet. Brecht benutzte Margarete Steffin als Typistin und Geliebte, um sie anschlieþend in Moskau ster- bend zu verlassen. Daþ er jedoch ein Gedicht ¸ber ihre Sterbe- szene schreibt, in der sie keuchend als Sternenbild aufer- steht, so daþ Brecht wieder ¸ber und gegen sie sagen kann was er will, geht Theweleit zu weit. Es fehlte Brecht jede Scham. Und "nur wo Scham zur¸ckbleibt, entsteht Geschichte. Die Scham macht es m–glich, daþ man zuwege bekommt, was sich wirklich zwischen Menschen abspielte. " In dem Kafka-Kapitel tritt Theweleit in die Fuþspuren von Ca- nettis 'Der andere Prozeþ' und Kittlers 'Grammophon Film Ty- pewriter'. Das Bombardement der Briefe an Felice Bauer bringt alle Pole zusammen, die Theweleit in den vorangehenden 1000 Seiten aufgeladen hat. Kafka entscheidet sich, sich nach einer zuf”lligen Begegnung in Felice zu verlieben. Sie arbeitete n”mlich bei Deutschlands gr–þtem Hersteller von Diktierger”ten und Parlographen, nachdem sie vorher als Stenotypistin bei einer Schallplattenfirma gearbeitet hatte. Kafkas Faszina- tion f¸r Medienbenutzung m¸ndete in einer endlosen Reihe von Vorschl”gen zur Verbreitung der neuen Registrierger”te. - Gleichzeitig benutzte er sie, um die eigene Kunstproduktion in Gang zu bringen. Er gestaltete Felices K–rper zu einem noch nicht existierenden, aber geahnten oder gewollten Ger”t, um alles registrieren zu k–nnen. Das erkl”rt den riesigen Umfang der Korrespondenz und die Verlobungen, die Kafka immer wieder mit Felice einging, um sein Schreiben, wie auch immer, fort- setzen zu k–nnen. Aber Kafka verformt auch den eigenen K–rper. Um mit den moder- nen Medien konkurrieren zu k–nnen, muþ er sich selbst zu einem ”hnlichen, objektiven Registrierger”t wie dem Diktaphon machen. "Orpheus muþ sich selbst zerreiþen, damit er etwas auf Band bekommt. "Die Erwartung des Lesers, daþ auch Kafka immer wie- der einen Orpheuszyklus durchlaufen muþ, erf¸llt sich deshalb nicht. Bei Kafka steigt Orpheus selbst in die Unterwelt hinab, w”hrend Euridike oben bleibt. Kurz nach dem letzten Brief h- eiratet Felice Bauer und bekommt zwei Kinder. Kafka ist zu der Einsicht gekommen, was Schreiben ist und was es sein k–nn- te. Milena JesÈnký schreibt er zum Schluþ:"merkw¸rdiger, ge- heimnisvoller, vielleicht gef”hrlicher, vielleicht erl–sender Trost des Schreibens:das Hinausspringen aus der Totschl”ger- reihe, Tat-Beobachtung." (Eine Einsicht, zu der auch Benn kam). Dann stellt Theweleit seine entg¸ltige Frage:"Ist das die einzige Alternative? Daþ man, k¸nstliche Wirklichkeiten produzierend, speziell: schreibend, opfert oder sich selbst verzehrt?... Oder hat der Opferungszwang mit der Grad der Verbindung zu tun, die ein k¸nstlerisches Medium (Sprache, Musik, Malerei, Film) mit der politischen Macht eingeht oder eingehen muþ, oder glaubt eingehen zu m¸ssen;man kann auch sagen, zu tun hat mit dem Anspruch der eigenen Wirksamkeit in Konkurenz zur politischen Macht?"Von diesen Fragen werden die n”chste Teile handeln. 'Buch der K–nige' schlieþt 1958 ab. Dann schreibt H. D. (Hilda Doolittle), w”hrend einer Psychoanalyse, das Buch 'End to Tor- ment' ¸ber ihre Jugendliebe Ezra Pound. Sie kommt zu der Schluþfolgerung, daþ sie Orpheus Pound's Euridike war. In ih- rem Leben hatte sie schon ein Euridike-Gedicht geschrieben, das mit den Versen :"So you have swept me back, I who could have walked with the live souls above the earth" beginnt. Mit Else Laske-Sch¸ler, fr¸herer Freundin von Benn, ist sie die einzige Frau, die Theweleiterw”hnt als Geliebte von Schrift- stellern, die verstanden haben, was ihre M”nner trieben. Diese Frauen, meint er, konnten schreiben, ohne andere zu opfern, weil sie sich auf der Pol-Ohnmacht behaupten konnten. Deshalb konnten sie 'die eigene Geschichte leben', statt immer wieder metamorphieren zu m¸ssen, um von vorne anfangen zu k–nnen. Theweleit verallgemeinert die Schuldfrage des m”nnlichen Op- ferzwangs. Jeder hat in seiner Kindheit einige Mordanschl”ge seitens der Erzieher, denen das Kind wehrlos ausgeliefert ist, verkraften m¸ssen, (er erz”hlt, wie er seinen ersten Autoun- fall verursacht hat, w”hrend seine schwangere Frau neben ihm saþ). Indem diese Ohnmacht akzeptiert wird, wird vermieden, daþ man immer wieder auf dem Ðberlebungspol, wo man andere vernichten muþ, landet. Aus der Position der Ohnmacht sieht man wie ohnm”chtig alle sind(was geschehen ist, kann nicht ge”ndert werden). Das ist, meint Theweleit, der Anfang einer eigenen Geschichte. Theweleit ist nicht dagegen, andere zu benutzen. Dem Psycho- analytiker Winnicott folgend meint er, daþ der Andere alsvoll- wertiges Objekt benutzt und damit durcheinander gebracht wer- den darf, wenn das nicht zu einem Aufzehren des Anderen f¸hrt, wie es in den Beziehungen Benn/Herta von Wedemeyer und Brecht/ Steffin passierte. Auch das Objekt muþ ¸berleben k–nnen. Or- pheus selbst muþ das nicht. "Wenn ich Gl¸ck hab, ist dies ein Buch zu Orpheus' Tod geworden" beendet er seine unendliche Schreibrolle.