MEDIEN DES TODES;TOD DER MEDIEN "Ermordet mal ein V–lkchen." Kamagurka I. Als Leben und Tod noch auf der Grundlage der Gleichberechti- gung verkehrten, war jeder Mansch Medium und waren die Medien jenseits des Erfahrungshorizonts. Der Kontakt mit Vorfahren und Nachwuchs fand unter Anwesendheit aller statt. Die Sippe war vollz”hlig, Telekommunikation mit Abwesenden war nicht notwendig. Erst als die Toten gegangen sind entstand ein pri- m”res Bed¸rfnis nach Medien, die die Verbindung mit den Ver- schwundenen instand halten konnten:ohne unmittelbaren Kontakt mit dem Ursprung verliert man die Lebenskraft. Rituale sind Medien, synthetische Kan”le, durch welche die Le- benden sterben k–nnen, um das Leben von den Verstorbenen, die ihr Leben nicht mehr brauchen, zur¸ckzubekommen. Ohne eine derartige Verbindung r”chen die Toten sich, indem sie unkon- trollierbare Qu”lgeister schicken, die nicht vom Ritual be- schw–rt werden k–nnen. Sie sind keine Traum-, sondern Trauma- botschafter. Indem man mit einem pr”zisen Zeremoniell aus To- ten Vorfahren kreierte, kam man nachtr”glichen Ðberraschungen zuvor. Rituale waren Bombenfeten, wo zwischen T¸r und Angel nette Kontakte zur Vergangenheit gekn¸pft wurden. W”hrend der ausgiebigen Freþ-und Sauforgien der Totenwache kam man nicht dazu, den notwendigen Mehrwert zu produzieren, aber man hatte nach einigen Wochen die Trauer verarbeitet. Als die Verbindung zum Geist des Toten nicht mehr unmittelbar zustande kam, besch”ftigte man sich mit dem toten K–rper. Nach dem Einsegnen wird der K–rper eine individuelle Leiche, deren Bild in der Erinnerung oder als Oval am Wandschrank noch ein wenig nachgl¸ht. K–rper ist Bild geworden und taucht so- fort als H”retiker oder Lichtbild wieder auf. Der christliche Tote ist ein Einzelg”nger, der als Lebensraum das innerliche Kino der Verwandschaft zugewiesen bekommt. Die Verbindung zum Ursprung ist abgebrochen. In den Massenmedien verliert der Tote auch diesen letzten Lebensraum. Nirgendwo wird soviel gestorben als auf dem eigenen Bildschirm. Die gezeigten Lei- chen bleiben aber anonym:sie sind nur die Toten der Mensch- heit. Diese universelle Gemeinschaft kommt nicht ohne sie aus. Ohne Bilder des Todes durchschaut keiner, daþ er Ðberlebender ist. Wenn das Bewuþtsein, ein Ðberlebender zu sein, sich ver- ringert, k–nnte die magische Kraft der live-Reportage verloren gehen. II. Der Golfkrieg unterschied sich von seinem Vorg”nger Vietnam durch die abwesenden Bilder. Die Toten wurden den Medien von den Milit”rs vorenthalten. Statt dessen muþten die betroffenen Zuschauer das Ganze dramatisieren mit dem R”tselspiel:"Ist das ein videogame oder ein Bombardement?". Als die irakischen Sol- daten endlich auf dem Bildschirm erschienen, entlarvten sie sich als doofe Schweine, die Schwarzkopf applaudierten. Die brennende Frage des Todes blieb unbefriedigt. Sogar die ster- benden V–gel der ÷lk¸ste waren Archivbilder. Was blieb, waren authentische Werbestreifen der Waffenindustrie und in Werbe- streifen gibt es nun mal keine Toten. Der Krieg war nicht ge- gen den Irak oder Saddam gerichtet, sondern war eine positive Geste der Neuen Weltordnung gegen¸ber. Eine Geste, in der es nur Mitspieler des Spieles 'Frage und Angebot' gab, Feinde gab's nicht. Die Rache der aktuellen Medien an den Milit”rs war furchtbar. Die Kurden in den Berglagern waren die Opfer. W”hrend von den internationalen Hilfstrupps noch weit und breit nichts zu se- hen war, f¸llten die Medien schon das aktuelle Totendefizit auf und schickten furchtbare Bilder um die Welt. Damit das - Ðberlebensbewuþtsein der Menschheit zu Kr”ften kommen konnte, entz¸ndete man ein paar Bomben im kollektiven Unterbewuþtsein. Die schoenden Bilder von toten S”uglingen und sterbenden alten Frauen symbolisierten die Vernichtung von Vorfahren und Nachwuchs. Nachdem die Toten nicht im Krieg erscheinen durf- ten, kehrten sie woanders zur¸ck als unkontrollierbare Zer- st–rer der New Order. Im Kriege h”tte der Tod in den Medien einen zweckm”þigen Rahmen gehabt, aber die Hunderttausende von Desert Storm blieben unsichtbar. Jetzt tauchten sie woanders auf und man sah sie, eins nach dem anderen sterben, in einer Katastrophe ohne Namen oder Zweck. Der live Effekt entleiht seine Kraft nicht der Unmittelbarkeit, sondern den fatalen Folgen. III. Die Aktualit”t hat die Struktur des mittelalterlichen Todes. Die Zeit des Items ist die einer Sanduhr. Diese entlehnt ihre Spannung der Gegebenheit, daþ die Endlichkeit von vorneherein feststeht. Jedes Subjekt hat seine eigene Schicksalszeit. Der Abspann 'Charles Jacobs live in Riad' ist das letzte Sand- k–rnchen, dann wird die Sanduhr wieder gedreht f¸r die n”chste Nachricht. Der Schnitt ist die Sense der Regie, die einen pl–tzlichen Bruch verursacht in einen m–glichen, endlosen Da- tenstrom. Die Sense schneidet Fragmente aus der Realit”t und pr”sentiert sie als Wirklichkeit. Im Herbst der Medien wird der Totentanz aufgef¸hrt, wenn das Spektakel seine makabere Phase und in einer Orgie von katastrophalen Momenten die Gren- ze der Ersch–pfung erreicht. Wie und wann ist noch unbekannt, aber sicher ist, daþ nach der Mediend”mmerung das Bild f¸r immer gel–scht sein wird. Vielleicht brennen die Medien noch Jahre lang, wenn die Krieger von einem Ort zu dem n”chsten ziehen. Das weltunfassende Datennetzwerk f”llt auseinander und die Sippen bekommen ihre eigene Zeit rundum das Feuer, wo Vor- fahren, Nachwelt und die noch Lebenden einander erstaunt wie- derfinden. Aber die Zeit, in der die Medien sterben, hat gerade begonnen. Solange sie noch Tote zeigen k–nnen, sind sie noch nicht ge- storben. Und wenn sie keine Toten zeigen k–nnen, f¸hrt das zu ihrer katastrophalen R¸ckkehr an anderer Stelle. Die neuesten Technologien wollen unvemeidlich den Tod des Andern auch phy- sisch erfahrbar machen. Erste Ÿuþerung davon sind reality-tv in Krankenh”usern und Polizeiwachen, Geschwindigkeitsportarten wie base-jump, skysurf und Heliski. Aber umso n”her uns die Medien an den Tod heranf¸hren, desto n”her kommt auch der Tod der Medien. Das Sterben wird kein Vatermord oder selbstm–rde- richer Akt, sondern eine Katastrophe, ¸ber die die Medien sel- ber nicht mehr berichten k–nnen. Heute studieren wir die Ri- tuale, die daf¸r sorgen sollen, daþ die Medien nicht nur ster- ben, sondern auch zu unseren Vorfahren werden. Nur so k–nnen wir der R¸ckkehr der Medien als Qu”lgeister vorbeugen.