MEDIEN IN DER NEUEN WELTORDNUNG Zum Ausklang des 20. Jahrhunderts hat die Erde einen sechsten Kontinent dazu bekommen, der die f¸nf klassischen Kontinente umfaşt und in seinen Schatten stellt. Die Kommunikationsmittel haben eine autonome Sph”re kreiert, die ¸berall auf dem Plane- ten wahrnehmbar ist und dennoch nirgendwo in Kontakt steht zu den regionalen Zivilisationen, in die die Weltbev–lkerung im- mer noch organisiert ist. Die unaufhaltsame Faszination f¸r die Mediensph”re wird kreiert durch ihr Verm–gen, erkennbare Sachen derart wiederzugeben, daş sie absolut fremd erscheinen. Der Genuş, ohne Konsequenz Freud und Leid anderer Leute zu teilen, ruft eine Euphorie hervor, die solange dauert wie man eingeschaltet ist. Sobald man den Medien den R¸cken zugewendet hat taucht das Bewuştsein der lokalen Verpfichtungen und Ver- gn¸gen wieder auf, ohne auch nur ein Bruchteil ver”ndert zu sein. Gerade nachdem man kontom”şige Schluşfolgerungen aus der Hochwasserkatastrophe in Bangladesh gezogen hat kann man furchtbar w¸tend werden wegen der undichten Waschmaschine des Nachbarn. Das mondiale Bewuştsein, das die Medien hervorrufen, verl”şt nie seine mediale Umgebung. Die Ahnung der Existenz der Welt besetzt ihre eigene Ebene im kollektiven Unterbewuştsein. Die archetypischen Bilder, die von der Aktualit”t generiert wer- den, wollen nicht in das zivile Denkraster hinein. Mitleid mit dem hungernden Afrika l”şt sich m¸helos kombinieren mit Unver- st”ndnis f¸r eigene Landsleute. Die Voraussage, Medien w¸rden eine Mentalit”ts”nderung herbeif¸hren, hat sich als wahr her- ausgestellt. Medien lehren uns, daş wir unser Verhalten nicht nach der unmittelbaren Umgebung richten m¸ssen, sondern vom Informationsangebot lenken lassen k–nnen. Das p”dagogische Programm der Medien zielt nur darauf, den Be- nutzer in die Regeln des Immatriellen einzuf¸hren und zu zei- gen, wie man selber Teil der weltumfassenden, virtuellen Wirklichkeit sein kann. Der potlatch eines Fernsehquiz' zeigt, daş der Zuschauer f¸r seine aufmerksame Teilnahme groşz¸gig belohnt werden kann. Diese Kurzweil lehrt einen ungezwungenen Stil zum Vermarkten des eigenen Ichs. Die flotte Pr”sentation der eigenen Identit”t ist ein Verhaltenscode, der soweit von der Ungelenkheit am Arbeitsplatz und im Bett entfernt ist, daş es unterhaltsam ist, es sich anzuschauen. Wo High Tech das alte Fortschrittsdenken zu unerahnten H–hen f¸hrt orientiert sich die lokale Bev–lkerung neu an einem Zi- vilisationsmodell bzw. Kulturideal, das jeden Fortschritt ignoriert. Die heutige Abwendung von Rebellion und Extremismus ist keine Folge einer reaktion”ren Verschw–rung, die b¸rgerli- che Werte aufzwingen will, sondern ein Sieg der Emanzipations- und Befreiungsbewegungen. Heute wird eine normale Existenz als universelles Menschenrecht definiert, das nicht pl–tzlich von auşen gest–rt werden darf. Das Aufr”umen kleinkarierter Vorurteile soziale Identit”ten der Arbeit und Sexualit”t be- treffend hat zu einer Entwaffnung der Gesellschaftskritiker gef¸hrt. Wenn Homosexuelle die Ehe begr¸şen, Feministinnen die Mutterschaft anpreisen und das 'vielerlei Gewerbe, wenig Erbe' deine Flexibilit”t auf dem Arbeitsmarkt zeigen soll, ist die reizende Perspektive einer Entdeckungsreise in experimentelle Gesellschaftsformen undenkbar geworden. Jeder Lebensstil, der in der medialen Sph”re seine Intentionen erkl”rt, vermittelt dem demokratischen B¸rgertum eine wertvolle Bereicherung. Die multikulturelle Gesellschaft br¸stet sich mit ihrer Tole- ranz gegen¸ber ausgesprochenen Identit”ten, wie seltsam die auch sein m–gen. Der Penner hat dasselbe Existenzrecht wie der ethnische Metzger und der lesbische Pornograph. In der lesbaren Gesellschaft gibt es kein verf¸hrerisches Auşenvor mehr. Das Andere, das nicht ¸ber klare Identifikationspapiere verf¸gt, wird dazu gezwungen, entweder zu integrieren oder verbannt zu werden. Wer sich weigert, sich sozial zu emanzipieren oder zu befreien, kann nur mit milit”- rischen oder kolonialistischen Mitteln in die posthistorischen Schranken gewiesen werden. Parlamentarische Demokratie und freie Marktwirtschaft sind nicht die Werte des Freien Westen, sondern Bedingungen, die jeder selbst realisieren muş, um nicht von der Neuen Weltordnung bedroht zu werden. Diese Werte bilden ein formales System, das, hinter den Kulissen, von ei- ner politischen und wirtschaftlichen Elite regiert werden darf, vorausgesetzt, sie ignoriert nicht die eigenen nationa- len Grenzen und die Spielregeln der Weltwirtschaft. Der Natio- nalstaat ist die Grundlage f¸r eine vollwertige Teilnahme an der Weltordnung. Der wachsende Nationalismus ist aber eine falschverstandene Interpretation, und l”şt sich von Ğberresten der lokalen Geschichte mitschleppen. Hat man deshalb den Zug beim Erobern von M”rkten verpaşt, orientiert man sich schnell auf dem Eroberungsmarkt. Die Implosion kommunistischer Regime und Dritter Welt-Diktaturen soll ordentlich, innerhalb der Grenzen der Neuen Weltordnung, vonstatten gehen. Denn wir sind nur Zuschauer. Ğber die Medien m–chten wir schon ¸ber die Um- w”lzungen informiert bleiben, nur, erwarte nicht, daş wir ei- nen Finger krumm machen. Umsomehr mediale Aufmerksamkeit f¸r den Ostblock oder Nahen- Osten, desto gr–şer die mentale Bet”ubung und desto kleiner die Chance, daş wir auf die Straşe gehen. Die hohen Einschalt- quoten bei live-¸bertragenen Konflikten sind ein Zeichen der Faszination am Verm–gen moderner Kommunikationstechniken und nicht eines Engagements, das im Bewuştsein der 'Internationa- len Solidarit”t'wurzelt. Letztendlich bilden alljene Befreiun- gsbewegungen eine Bedrohung f¸r unsere Situation. Sowohl die Fl¸chtlinge als auch die billigen Produkte sind eine Gefahr f¸r Arbeit und Wohlstand des individuellen B¸rgers. Das einzi- ge politische Element, worauf das b¸rgerliche Bewuştsein noch angesprochen werden kann, ist von defensiver Art:Erhaltung von sozialer Sicherheit, Umwelt und multikultureller Gesellschaft. Jedes andere Aktionsthema hat einen unbeabsichtigten, maso- chistischen Zug, der beim kalkulierenden B¸rger nicht ankommt. Jede radikale Argumentationsloipe, die man spurt, endet in Gu- lag oder Auschwitz. Das Wissen um die Existenz zweier paralleler Welten, die der Medien und die Klassische, lehrt, daş alles, was aus der loka- len Umgebung in der High Techsph”re landet, schon entsch”rft ist. Andererseits ist klar, daş jede positive Aktion auf der Ebene der Alltagsrealit”t nur zu einem Unwillen zur Ver”nderung f¸hrt. Toleranz und Gleichg¸ltigkeit sind zwei Ÿuşerungen der Neigung, die Auşenwelt in der Bewuştseinsebene, in der Tole- ranz an Erkenntnis gekn¸pft wird, nicht zuzulassen. Informa- tion ist keine Waffe mehr, sondern ein Arsenal, in dem wir permanent verkehren. Wer sich damit nicht abfinden m–chte, hat drei M–glichkeiten: in, gegen, oder auşerhalb der Medien. Wenn wir die erste M–g- lichkeit der Medienrealit”t begehen ist es mit dem Ziel, die Medien von innen auszuh–hlen, indem man sie mit einer explosi- ven Thematik aufl”dt. Der bevormundende Gedanke, b¸rgerliche Medien m¸şten mit Gegeninformation korrigiert werden, ist ge- lassen worden. Die mediagene Aktion entledigt sich jedes gut- gemeinten Inhalts oder jeder Argumentation und arbeitet mit Semiowaffen, die reine Zeichen abfeuern. Auch wenn alle Inten- tionen der Aktionen zerpfl¸ckt, verstellt, oder ausgelassen werden rufen sie dermaşen starke Bilder hervor, daş sie nichts von ihren Aussagen verlieren. 'Unsere Ideen k–nnt ihr abrei- şen, unsere Bilder nicht. ' Diese Guerilla geht von der Voraussetzung aus, der m¸ndige B¸rger glaube eh nicht, was die Medien auskotzen und freue sich klammheimlich ¸ber jede gezeigte Destruktion. Auch nega- tive Bilder sind Bilder. Sie dr”ngen sich den Medien als Thema auf, damit sie eine gr–ştm–gliche Verbreitung bekommen. Ihre Attacke auf das public-relation Dogma, das jeden tats”chlichen Eingriff in die klassische Wirklichkeit versperrt, wenden die Medien gegen sich selbst und kreieren damit Raum f¸r einen au- tonomen Mişbrauch der Medien und eine eigenwillige Herausfor- derung an ihr Wirklichkeitspotential. Eine radikale Variante dieser Strategie ist die Praxis der souver”nen Medien. Sie be- trachten Medien nicht mehr als Kan”le, die Informationen ¸ber Ereignisse durchfunken, sondern als Material, das frei bear- beitet werden kann. Sie wollen nicht in aktuelle Medien ein- dringen, sondern sie hereinholen und sie selbstgemachten Re- geln unterwerfen. Die zweite M–glichkeit ist der Bereich der anti-medialen Bewe- gung. Diese demokratische Bewegung ist davon ¸berzeugt, alle Information sei Desinformation und m–chte die Kategorien der Wahrheit und L¸ge wieder zu Ehren bringen. Sie w¸nscht sich einen radikalen Kurzschluş zwischen den parallelen Welten, um die Einheit des Planeten wiederherzustellen, sei es auch f¸r wenige Minuten. Sie schaltet mit ihren antimedialen Sabotagen f¸r kurze Zeit die 'Media Related Communications' ab, um damit Zeit und Raum f¸r direkte Begegnungen auf lokaler Ebene zu kreieren. Diese Befristeten Autonomen Zonen provozieren das Ereignis, sich hier und jetzt zu entfalten, ausgehend von der Erkenntnis, eine Demokratie lebe von realen Konflikten, die nicht inzeniert sind, sondern spontan, ohne Regie, ausbrechen. Es ist die Frage, ob das Ereignis sich auf die Aktion, die von Medienkritik inspiriert worden ist, einl”şt. Das Abreişen der Tentakeln des Elektronetzes, das Durcheinanderbringen des Te- lefonnetzes, der Geldautomaten, terminals, Kameras und anderen Werkzeugs der normalen Repression, das Einschleusen von Viren und W¸rmern in mainframes und networks bildeten die experimen- telle Phase, die Medien auf Distanz zu halten. Sie waren Aus- druck eines Willens zur Realit”t, ein Relikt aus einem pre- Nietzschens Paradigma des 19. Jahrhundert. Romantik, freilich auf touristischer Basis. Wenn aber unerwartete Ereignisse stattfinden und der Krawall durch die Straşe jagt, ist es f¸r die Horde eine demokratische Notwendigkeit, die ganze Gesell- schaft ¸ber Art und Verlauf des Rabatzes zu informieren. Das zwingt die Antimedialen dazu, sich eine Taktik auszudenken, auf eigenwillige Weise die Medien ¸bernehmen zu k–nnen, damit verstellte Berichterstattung keine Verwirrung stiften kann. Das Dilemma jeder antimedialen Strategie ist, daş Medien sich letztendlich halten m¸ssen, um die Demokratie zu retten. Die antimediale Bewegung k”mpft mit der Frage, wie sie die Me- dien ins Spiel bringen kann, ohne selbst Teil von ihr zu wer- den. Vielleicht hatten Medien nie einen Sender oder Empf”nger. Es ist nicht schwierig, sich ein perfekt funktionierendes Netzwerk vorzustellen, ohne operator oder Benutzer, ohne in- oder output. Bilder erfassen sowieso keinen Inhalt, sie sind einfach da. Wir m¸ssen uns nicht um sie k¸mmern, sie aufladen mit unserer Langeweile oder unserem Interesse. Ihnen ist es egal. Die antimediale Geste ist eine Art, Menschen zu begeg- nen, sie ist nicht auf Medien und deren in-der-Welt-sein ge- richtet, sondern auf uns, den Ğberrest des Menschen. Es ist die Herausforderung, die Welt auşerhalb der Medien zu ordnen. Aber solange noch Signal zu empfangen ist bleibt das eine Quelle der Irritation und Agression. Ultimo Item der Medien ist die anti-mediale Bewegung. Die Me- dien implodieren, wenn sie ¸ber die anti-mediale Bewegung be- richten und diese verschwindet ihrerseits, wenn sie den Medien ausgesetzt ist. Die dritte Option der auşermedialen Handlung geht davon aus, daş positive Aktionsziele letztendlich negativ wirken und das konservative Klima verst”rken. Sofern es m–glich ist, durch die mediale Brille Ziele der auşermedialen Aktionen zu unter- scheiden, sind diese absolut negativ. Extramediale Operationen frustrieren mediale Aufmerksamkeit, weil sie einfach nicht filmbar sind. Sobald Medien erscheinen sind sie wieder ver- schwunden. Was bleibt ist Lachkrampf, das Staunen und die Pa- nik. Sie wollen keine Aufmerksamkeit, denn die eigene Welt reicht. Anders als die antimediale Bewegung wollen sie die Gesellschaft nicht instandsetzen. In ihr sind sie wahrschein- lich schon lange, sicher k–nnen wir da aber nicht sein. Von unserem medialen Blickwinkel aus verkehren sie in einer unsi- cheren Ordnung, die weder meşbar noch kommentierbar ist. Sie wechseln fortdauernd ihre Gestalt, um das Schicksal zu provo- zieren. Vielleicht sind sie das Medium des Ereignisses.