WOHNEN IN DEN MEDIEN I. 'In einem Panzer kann man nicht wohnen'. (Hausbesetzergraffi- ti, Amsterdam 1980). In Medien kann man. Es gibt Menschen, die die Aufl–sung des Privaten und des ÷ffentlichen allzu w–rtlich nehmen. Warum sollten verlassene Tr”ger des Imagin”ren nicht zum Wohnzimmer verzaubert werden k–nnen?Nehmen wir das Victoriakino am Amsterdamer Sloterkade, ein monumentales Geb”ude in der Tradition des Sp”tjugendstils, das schon jahrelang leerstand. Zwei Wochen vor der Besetzung war die –ffentliche Funktion des Geb”udes definitiv verloren, als Ro, auf der Suche nach einem Freizeitheim f¸r langweilige Abende, sozusagen als Experiment, die Leinwand an- z¸ndeten. Am Tage der Besetzung gratulierte die Feuerwehr den neuen Bewohnern herzlichst mit dem neuen Schl–þchen, davon ausgehend, daþ der Feuergef”hrlichkeit des Geb”udes jetzt Grenzen gesetzt war. Der riesige Saal war so imponierend, daþ die zehn Besetzer sich dazu entschlossen, erst einmal auf der leeren B¸hne zu zelten, wo die Lautsprecher noch funktionier- ten. Das Foyer aus rotem Pl¸sch wurde fast von alleine zur Kneipe. Der Pakistani, der das Geb”ude als letzter verwaltet hatte, hatte die Projektoren mitgenommen aber die Notaggregate stehen lassen, so daþ die stimmungsvolle Saalbeleuchtung so- fort angeschaltet werden konnte. Da ein Kino nunmal keine Fen- ster hat, wurde der Biorhythmus der Bewohner v–llig durch- einander gebracht. Als man aufwachte hatten die Gesch”fte schon wieder geschlossen, was zu einem alternativen Einkaufs- verhalten f¸hrte:nicht die T¸r, sondern das Schaufenster wurde zum Eingang. Um die langen N”chten ohne Lichtspiele totzuschlagen griff man auf prim”re Lebensfunktionen zur¸ck, wie Sex, Drugs, Alk und Rock & Roll. Erst Monate sp”ter zog die komplette Gesellschaft in die B¸ror”ume um, wo die administrativen Unterlagen sieb- zigj”hriger Kulturindustrie in Kisten gelagert waren. Eine K¸che wurde gebaut, denn Ger¸chten zufolge gab es ein Fall von Skorbut. Gegen Herbst war man eingezogen und es gab keine Heizung, da die Energiezulieferer sich weigerte, Gas zu liefern. Die Kon- zerte, die man dennoch organisieren konnte, kamen nicht in Schwung, da jeder rundum die Heiþluftkanone unterm Balkon fror. Nur die Nachbarn gl¸hten vor Wut, wegen des L”rms bis tief in die Nacht. Es trat das merkw¸rdige Ph”nomen auf, daþ jeder Wohnungssuchende, der l”nger als drei Wochen im Victoria h”ngen blieb, zum Inkommunikado f¸r wohlwollende Auþenstehen- den wurde. Die Victoriakrieger verloren sogar den Kontakt zur Zentralmonade der Besetzerbewegung in der Nachbarschaft. Im Laufe der Jahre zogen immer wieder Gr¸ppchen aus, und neue kamen herein, die alle zwangsl”ufig die gleiche Strecke von Ansprechbarkeit bis zur tobenden Ruhe, zur¸cklegten. Die R¸ck- kopplung zur zivilen Existenz der bewohnten Welt hat die Ðber- lebenden Jahre gekostet. Die Intensit”t, mit der die Bewohner in der Dauerauff¸hrung der Geister des Geb”udes mitgespielt hatten, hinterlieþ ein riesiges Staunen, das die ganze Palette vom Mythos bis zum Tabu umfaþte. In einem Kino kann man nicht wohnen. Wer diese Regel verletzt, wird es zu sp¸ren bekommen. II. Eine zweite Gruppe hat die Kommunikation an sich als Wohnort entdeckt. Es sind die Radiomacher und die Computerhacker, die in einem Studio oder einer Werkstatt landen und da nicht mehr herauskommen. Ihr Arbeitsplan geht dermaþen drunter und dr¸- ber, daþ sie an dem kritischen Punkt, an dem zwischen Freizeit und Arbeitszeit noch unterschieden werden kann, l”ngst vorbei sind. Ihre Pr”senz in Ÿther oder Netzwerk ist derart ausge- dehnt, daþ auch andere Leute akzeptieren, daþ sie st”ndig auf Sendung sind. Ab dem Moment ist jeder Mitarbeiter nur noch de- ren Gast. Ein Unterschied zwischen den wenigen privaten Sachen und der Apparatur ist l”ngst ausgel–scht. Nur die Matratze und wenige Kleider deuten die hinzugef¸gte Wohnfunktion an. Die Werkstatt hat sich zu einem mit elektronischen Fundst¸cken vollgestauten, gem¸tlichen Salon verwandelt. Manche ausran- gierten Maschinen sind beyond repair, andere sind, ihrer K”- sten entledigt, in Vollbetrieb. Der black-box Mythos der Me- dien ist durchbrochen worden, und die Technik prahlt in ihrer aufgeschraubten Nacktheit. Die pers–nliche N”he zur hardware kennt keinen Benutzerstress und nimmt sich n”chtelang die Zeit, sich ein grundliches Bild der Matrix zu machen. Der Be- sucher wird von den Daten”rzten ausgiebig durch die zusammen- gew¸rfelten Teile der Kollektion, die seine Aufmerksamkeit erregt haben, gef¸hrt. Der Daueraufenthalt im Medienraum erleichtert die B¸rde des allt”glichen Zeitzwangs. Hier ist keine Rede mehr von wertvol- ler Sende- oder Programmierzeit, jede Minute hat eine Vielfalt an unbezahlbaren M–glichkeiten in sich. Da, f¸r einen Studio- bewohner, jede Begegnung eine Sendung ist, kann er immer, auch ohne Funkger”te, eine geniale show zeigen. Wer immer on-the- air ist, ist offen f¸r jeden Gast in seiner live-Sendung. Das unterscheidet den Salonmediast von seinem japanischen Kolle- gen-otaku, der die Einsamkeit der elektronischen Monade sucht, um sein Spiel mit anderen Leute zu spielen. Beide haben gemeinsam, daþ die klassische Wirklichkeit eine black box ist, in der es immer dunkel ist. III. Wir wohnen nun schon seit Jahren in den Medien. Die Entlokali- sierung bzw. Enttemporalisierung ist ein state of mind, der in vielen Schichten der Weltbev–lkerung als eine Selbstverst”ndlichkeit pr”sent ist. Die Verkabelung der Erde und die stratosph”rische Durchstrahlung haben eine Infrastruk- tur kreiert, in der alles ¸berall stattfinden kann und jeder immer und ¸berall anwesend sein kann. Die Teleb¸rger der Welt- nation sind Schicksalsgenossen und das werden sie sp¸ren m¸s- sen. Wir sitzen alle im gleichen Boot und paddeln mit den Me- dien, die wir haben. Das kalte Kriegsideal der open society and its enemies findet seine logische Konsequenz in der Telemonade des smart buil- dings, in der die H–hlenbewohner des 21. Jhts in ihr elektro- nisches Inneren starren. Sich spiegelnd am verbarrikadiereten, besetzten Haus, bekommt das home wieder den Glanz des mittel- alterlichen castle. Ðberwuchert von elektronischen Sicher- heitssystemen glaubt man Fixer, Asylanten, Ost-Europ”er, Kin- derverf¸hrer, Kunstdiebe, Einsteigediebe, Vergewaltiger und andere Vertreter des entgleisten Verhaltens auþen vor halten zu k–nnen. Die Paranoia, ausgeraubt werden zu k–nnen, hat die Angst, etwas, das auf Erden passiert zu verpassen, als Gegen- st¸ck. Man verkabelt sich mit allen verf¸gbaren Kan”len, ob astral oder regional. Der schwankende Dollarkurs ist fesselnd wie die Staumeldungen. Man bl”ttert durch wenigstens vier Zei- tungen, einen Haufen Magazine, in der die favorisierten Schreiberlinge anzutreffen sind und alle Fachmagazine, von Cosmopolitan bis Arcade. Kurz und gut, wer in die Medien ein- gezogen ist, weiþ nicht mehr, was drauþen passiert. Solange die Medien es nicht schaffen, die biologischen Zeitun- terschiede auszuschalten und alle Uhren gleichzuschalten, m¸s- sen die humanen Ðberreste in ihrem privaten Biorhythmus 'rum- krebsen. Designerdrogen beschleunigen die Informationsverar- beitung einigermaþen. Der neue Trend der Stimulierung der Syn- apsis im menschlichen Hauptprocessor hat keinen anderen Zweck als das Beschleunigen der innerlichen Geschwindigkeit, um letztendlich die Frequenz der Bilderwechsel mithalten zu k–n- nen. F¸r Datenbenutzer ist der Aufenthalt in den Medien eine nicht zu ¸berbietende Vorstellung. F¸r das nomadische Denken, das sich auþerhalb der Medienburg aufh”lt ist der Medienrausch dagegen synonym f¸r absolute Unbeweglichkeit. Die Passagiere der Infotr”ger sind aus deren Perspektive blind, weil sie zu- viel sehen, taub, weil sie zuviel h–ren und gehbehindert, weil sie zuviele Kilometer zur¸cklegen. Aus dieser Perpektive sind alle Monados furchtbar krank. Umgekehrt meinen die Mona- dos freilich, gerade die Nomados seien Tr”ger des kriminellen Virus, die schnellstens durch die DNA-Wolf gedreht werden sollten. In diesem Klassenkampf der teleworker vs Datenlosen werden die letzten, im Agriff gegen die Allmacht des Digita- len, die Materie einsetzen. Wenn es nach den Datenbek”mpfern geht, m¸ssen wir nicht unbedingt zur¸ck zum modernen Adagium des Lichts, der Luft und der Raum. Sie reichen lieber einer herumschweifenden Seele die Hand und quasseln. Sie st¸rzen sich mit Begeisterung in die babylonische Sprachverwirrung. Teleworker, die noch nicht in die Datenkanalisation der free- flow-of-information gesp¸lt worden sind, werden zwangsger”umt, woraufhin die f¸r unbewohnbar erkl”rte Medienmonade besetzt wird. Die zur¸ckgebliebenen Daten verschwinden ins Ozonloch und l–sen sich in interastrale, schwarze Materie auf.