Geh doch lieber Spazieren! Ueber Netzausstieg, Software, Wetware und Muell Interview mit Geert Lovink (Agentur Bilwet) Juni 1995 Von Elisabeth Loibl (Wien) (gypsy@blackbox.ping.at) Die Agentur Bilwet sich in Dada-Manier ihren Mythos als gewitzter Autor geschaffen. Wer sind die Menschen, die da dahinterstecken? Lovink: Die Agentur ist zwar ein Sammelname, aber wir sind nicht anonym. Wie wir in dem Buch beschreiben, ist es einfach so, dass wir, wenn wir alleine schreiben, nie in der Lage sind, auf dieses Niveau zu kommen oder diesen speziellen Ton zu finden. Das ist etwas, was wir nur gemeinsam kreieren koennen. Die Texte werden geschrieben, wenn wir zusammen sind, meistens zu zweit - paarweise - manchmal zu dritt. Zu dritt ist schon ein bisschen schwieriger. Da muesste ihr aber phantastisch aufeinander abgestimmt sein! Lovink: Das kommt mit den Jahren. Wenn man selbst viel schreibt, findet man heraus, dass das gemeinsame Schreiben viel Spass macht, weil man auf ganz andere Gedanken kommt, weil es den eigenen Horizont (mind) uebersteigt. Das nennen wir third mind. Wir sind zwei Leute, aber wenn die zusammensitzen, entsteht ein dritter Geist, ein dritter Autor. Der dritte Autor ist die Agentur Bilwet. Ihr habt in dieser Weise bereits zwei Buecher herausgebracht, das Verfahren ist also sehr produktiv! Lovink: Wir machen ein Buch in ein bis zwei Jahren. Es ist nicht so, dass wir sehr intensiv zusammenarbeiten. Wir sind ein bisschen vorsichtig, weil wir gerne mvchten, dass es sich weiterentwickelt, dass es eine langfristige Sache wird und man sich nicht gegenseitig verbraucht. Es soll keine kurze, intensive Phase sein, es ist besser, wenn ein solches Projekt sich in die Ldnge zieht. Intensives Zusammenarbeiten kann man nicht jeden Tag machen. Habt Ihr engen Umgang miteinander? Lovink: Nein, da sind wir vorsichtig! Es sind schon langjdhrige Freundschaften. Aber weil das so intensiv ist, was wir machen, kommen wir wdhrend dem Schreiben und speziell in der letzten Phase unter Druck. Da muessen wir aufpassen, dass nicht einer abspringt und dass es auseinanderfdllt. Agentur Bilwet, das ist ein gemeinsamer Schreibprozess, vielleicht sogar eine gemeinsame Technik: Wie man gemeinsam auf einer Tastatur einen Text schreibt ohne sich abzuwechseln oder zu sagen, Du schreibst jetzt den ndchsten Absatz und das bringen wir dann auf dem Computer zusammen. Deswegen ist es auch so, dass wir nicht sehr viele und sehr lange Aufsdtze schreiben koennen. Das uebertraegt sich auch auf den Leser: Man kann das Buch nicht schnell in einem Zug durchlesen, die Texte sind zu dicht. Lovink: Es geht uns genauso, wenn wir die Texte wieder durchlesen. Wir schreiben nicht nur ueber Medien, wir schreiben auch gerne ueber Sex, ueber Filme, ueber Comics, ueber Verkehr, jetzt auch mehr ueber Zeitphdnomene - z.B. wir schreiben jetzt ueber Ikea und seine Philosophie. Es scheint so, als ob Ihr Euch in Eurer konzentrierten und eher theoretischen Medientheorie des Medien Archivs Massstdbe erarbeitet habt, die Ihr nun an Alltagsphaenomenen anlegt, wier sie im Daten Dandy zu lesen sind. Lovink: So kann man das schon sagen. Es ist aber auch so, dass wir schon damals, 1992/93, den Eindruck hatten, dass man diese spekulative Medientheorie abschliessen muss. Zur Zeit bearbeiten wir die final world version. 1992 gab es die erste - die niederldndische - Ausgabe vom Medien Archiv, 1993 die zweite - deutsche - Fassung, und jetzt, 1995, gibt es die endgueltige Fassung, die dann auch ins Japanische uebersetzt wird. Damit haben wir jetzt das Medien Archiv abgeschlossen, und damit auch eine gewisse Phase der Medientheorie. Das gilt nicht nur fuer uns: Es tut sich im Moment so viel im Bereich der Medientheorie, dass die allgemeine, spekulative Medientheorie wegen aller dringlicher Fragen, die aufkommen, nicht mehr so gefragt oder notwendig ist. Medientheorie taugt zur Darstellung der Entwicklungen nicht mehr, sie muss uebergehen zu anderen, lebensnaeheren Bereichen. Lovink: Ja, das hoffe ich sehr! Und im Medienbereich selber gibt es viel mehr praktische und politische Probleme oder Standardprobleme und dsthetische Probleme, vor allem stellt sich die Frage, wie dieser Boom zu bewerten ist. Eigentlich haben wir mit dem Multimediageschdft und mit den Netzen gar nichts zu tun. Wir steigen da gar nicht ein, wir bleiben lieber marginal und gehen in andere Richtungen. Vor allem in Richtung tristesse, der Traurigkeit des Alltagslebens, Mittelmaessigkeit, und das, was wir elektronische Einsamkeit nennen. Ein anderer Text, den wir jetzt geschrieben haben, heisst "Organisierte Unschuld" - Unschuld als Panzer gegen das Boese da draussen. Kann man das so definieren: Ihr habt damit begonnen, Euch als Medienkritiker zu profilieren, erweitert den Medienbegriff nun zu einem Kulturbegriff und Beobachterstatus: Es ist nicht die Zeit, zu befinden, sondern hinzuschauen, wahrzunehmen und zu beschreiben, und erst spaeter moegen sich neue Erfahrungen theoretisch buendeln lassen. Lovink: Das ist jetzt die Entwicklung. Aber wir haben uns nicht profiliert als Medientheoretiker, das ist ziemlich automatisch aus unserer Vergangenheit - aus der Hausbesetzerbewegung, in der wir angefangen haben in den 80er Jahren - gekommen. Da war die Medienfrage fuer uns sehr wichtig, das Verhdltnis von realem Raum - Stadt - besetzten Haeusern und die Medienarbeit - Vffentlichkeit. Das geht kontinuierlich weiter, wenn man Aktionen macht und in einer Bewegung aktiv ist. Das gilt nach wie vor und ist etwas anderes als Profilierung. Aber ich muss schon sagen, dass im deutschen Sprachraum das Buch sehr gut aufgenommen wurde und dass man das schon als Durchbruch bezeichnen kann. Das Medien Archiv ist ja nicht durch die Unterstuetzung von Grosskritikern bekannt worden, sondern durch das berechtigte Interesse von Menschen, Usern, die dhnliche Erfahrungen und Probleme haben. Insofern hat der Durchbruch ja doch einen gewissen Netzwerkcharakter. Lovink: So ist es. Es spielt sich nicht ab im akademischen Bereich, auch nicht im Bereich der etablierteren Medientheoretiker wie Kittler oder Bolz oder damals Flusser. Aber wir haben Spass dabei. Wenn man das Buch liest, ist man neben spekulativen Thesen und postmodernen Behauptungen auch mit Euren Erfahrungshintergrund konfrontiert, aber auch mit einer starken Literaturtradition. Ueberspitzt ausgedrueckt kvnnte man sagen, Ihr seid die Urenkel von Walter Benjamin, die Enkel von Roland Barthes, die Neffen von Rutschky... und Ihr seid rotzfrech. Lovink: Wir wollen nicht boese sein, wir wollen vor allem geniessen. Wir sind sehr ironisch. Wir muessen auch immer sehr lachen beim Schreiben, und wenns keinen Spass mehr macht, hvren wir auf. Es gibt keine Sachzwdnge in dem Sinne. Wir muessen auch immer sehr ueber uns lachen, wir nehmen uns nicht so wichtig. Die Ueberschriften im Medien Archiv sind eigentlich Kategorisierungen des Medienkomplexes. Wie seid Ihr auf diese Begriffe gekommen? Lovink: Es hat einfach damit zu tun, dass wir uns in einer Phase befinden, in der die Medien langsam aufeinander zukommen, aber im Kulturbereich gegeneinander ausgespielt werden. D.h. Radio ist gegen Fernsehen, Film wehrt sich gegen Fernsehen, alle gegen den Computer, Buch ist der Naturfeind von CD-Rom, Oper ist der Hauptfeind von ... usw. Das hat eine lange Tradition und ueberall stoesst man darauf, wenn man in diesen Bereichen tdtig ist. Vor allem im Bereich neue Medien, deswegen haben wir auch gleich den Gegenbegriff "Alte Medien" erarbeitet - wenn es neue Medien gibt, gibt es auch alte Medien. Es geht darum, dass der Medienbegriff bei uns nicht so sehr technisch ist. Wir haben zwar grosse Bewunderung fuer die Leute, die immer nur die technischen Vorgdnge und Definitionen benutzen, aber bei uns stehen doch eher Schaltungen von Datenstroemen, von Traditionen und Kulturen im Zentrum. Dieser Medienbegriff nehmen wir uns wie einen Teig her, rollen und kneten ihn - so versuchen wir, Panzerungen an diesem Begriff aufzuloesen. Wir wollen auch gerne einen Standpunkt beziehen - nicht so gerne einen von oben nach unten, sondern eher vom Ende her geredet, im Rueckblick. Nicht weil wir gerne moechten, dass die ganze Medienentwicklung zu Ende ist oder weil es zuviel ist, sondern weil die Medien sich selbst zu wichtig nehmen. Wir glauben schon, dass die Medientheorie erst dann einen Sinn macht, wenn sie ironische Distanz zu ihrem Thema hat und nicht glauben macht, dass die Medien jetzt die Welt erobern. Das ist nicht der Fall. Und wir moechten es ganz gerne sehen - obwohl wir die Gadgets und die Daten lieben -, dass wir sie mal in eine Ecke stellen und andere Sachen machen. Nicht immer: Wir sind von Medien beherrscht und unterdrueckt oder Wir muessen mit den Medien die ganze Welt erobern! Entweder sich schuetzen oder sie als Waffe benutzen - beides lehnen wir ab. Fuer Euch sind Medien kein Instrument und Werkzeug? Lovink: Nein, das lehnen wir ab! Fuer uns sind Medien eine neonatuerliche Umgebung, in der wir uns bewegen. Ihr lasst alle Medien nebeneinander gelten? Lovink: Ja, die sind sowieso verschaltet. Darum kommen wir auch in unserem Buch ueber vage, souverdne oder alte Medien reden, weil das fuer uns ein Gebiet ist und wir es verweigern, dass die Medien auseinanderdividiert werden und bewertet im kulturellen Sinn werden. Eure Kategorien sprechen ja nicht von einer Unterordung in Techniken. Lovink: Wir meinen eine bestimmte kulturelle Organisation, wie man mit Medien arbeitet. Medien als Ueberbegriff, der alle Mvglichkeiten zulaesst? Lovink: Das ist sowieso der Fall. Das sieht man, wenn man Recherchen macht. Das Gespraech, das wir gerade aufnehmen, kannst du benutzen fuer Radio und senden, du kannst es abtippen und diesen file eingeben im Netz; dann kannst du es abdrucken, in einem Buch veroeffentlichen, kannst nur einen Teil davon abdrucken; du kannst es aber auch in eine CD-Rom reinpacken. Dann kannst du es als O-Ton noch fuer ein Video benutzen, du kannst das Video auch wieder senden im Fernsehen. Aber du kannst als dem Abgetippten auch eine Opernpartitur machen, in einer CD einsetzen... Jetzt hast du Daten erzeugt, indem du mit mir sprichst und es ist voellig an dir, etwas damit zu machen. Und das ist unser Medienbegriff. Es geht da um die Qualitdt der Recherchen, um die Qualitaet - oder die Verruecktheit, was auch immer - des Ausgangsmaterials. Wie das jetzt gesendet oder gelagert wird, ist voellig egal. Das heisst aber jetzt nicht, dass Ihr der Mediendebatte gleichgueltig gegenuebersteht. Fuer Euch gibt es sehr wohl Grenzen, Gefahren, Pervertierungen, Machtkonstellationen und die beschreibt ihr in Euren Kategorien-Kapitel. Lovink: Es geht uns aber vor allem darum, Auswege zu finden, indem wir auch die Frage stellen: Was werden wir machen dagegen und welche Ausdrucksformen werden wir haben? Es ist sehr wichtig, eine politische Oekonomie des Netzes aufzustellen und daraus Schluesse zu ziehen. Ihr seid ein wenig pessimistisch ... Lovink: Nein! ... z.B. wenn Ihr in Eurem Buch ueber das Medium TV sprecht, wenn Ihr das Business der Journalisten als obsoletes Medium angesichts der Direktschaltungen beschreibt. Da seid Ihr gnadenlos in Eurem Befund. Lovink: Das sind doch die Sachen, die wir auch selbst erlebt haben, weil ich selbst Live-TV in Amsterdam mache. Das ist einfach die Schlussfolgerung aus dem Golfkrieg und allem, was danach kam. Das Fernsehen selbst hat schon genuegend eine Art Selbstkritik geuebt in diesem einen Fall des Golfkriegs. Geht Ihr auch von der Situation aus, dass oeffentlich-rechtliches Fernsehen mit seinem Kulturbegriff als Argument gegen die Kommerzsender ankdmpfen muss? Lovink: Da es gleichzeitig Kommerzfernsehen gibt, ist es kein Monopol mehr. Aber ich muss sagen, dass natuerlich mehr und mehr mvglich ist im Bereich von lokalem Radio und Fernsehen. Das ist interessant, das muessen wir verteidigen und weiter ausbauen. Aberr die Situation bleibt in Europa grundsaetzlich gleich, dass die vffentlich-rechtlichen Sender in die Defensive geraten sind, selber sehr buerokratisch vorgehen - gross und trdge geworden und unfaehig, flexibel gegenueber den Entwicklungstendenzen. Loesungsmodelle scheint es keine zu geben? Lovink: Es zeichnet sich doch ein bisschen ab, dass das britische Modell sich durchsetzen wird bei uns, d.h. dass es einen oder zwei oeffentlich-rechtliche Kandle gibt, die einen hohen Anspruch und Kulturauftrag zu erfuellen haben in Zukunft. Das sieht man in Deutschland auch, mit dem ARTE-Programm z.B. Bei uns sind bisher nur gegenldufige Anstrengungen sichtbar: Fuehrungskrdfte, die den Privaten abgeworben werden, machen populistische Programme ` la RTL. Da muss sich ein Rundfunkgebuehrenzahlen fragen, warum er zahlt fuer Programme, die sowieso kommerziell sind. Lovink: Ja, fuer Rundfunkgebuehren soll man eigentlich Qualitaet bekommen und keinen Schrott. Und das gleiche gilt fuer das Netz. Auch unser Netzwerkprojekt "Digitale Stadt" ist ein klarer Versuch, zu bestimmen, was eigentlich ein oeffentlicher Raum im Netz ist. Wenn es so viele Kommerzialisierungstendenzen gibt, ist es sehr wichtig, Netz-Raum zu verorten, der als oeffentlich definiert werden kvnnte. Wenn man annemmen kann, dass das Internet territorialisiert und kolonialisiert wird von kommerziellen Interessen - anlog der Fernsehdiskussion, wo die Entwicklung stehengeblieben ist - wie kann man dem entgegenwirken? Lovink: Darum sehen wir die "Digitale Stadt" auch im Medienbereich als einen Versuch, Oeffentlichkeit neu und offensiv zu definieren. D.h. wir lassen uns nicht auf das defensive Gerede ein ` la "Die Oeffentlich-Rechtlichen sind in Gefahr und sind buerokratisiert und kommen nicht mehr weiter" - nein, man muss es offensiv neu gestalten. Ich nehme an, Eure Erfahrungen kommen aus den 70ern/80ern, der Zeit der Installation freier Radiosender... Lovink: Ja, die gibt's jetzt noch in Amsterdam, drei Stueck! Bei uns in Oesterreich ist diese Entwicklung irgendwann stehen geblieben und ueber die erste spielerische Anarchophase nicht hinausgekommen. Kvnnt Ihr auf die Erfahrungen aufbauen, habt Ihr dieses alte Medium genutzt? Lovink: Ja! Und sowieso wachsen die Medien technisch und gesellschaftlich aufeinander zu. Man kann nicht sagen, dass die alten Medien in verschiedene Richtungen abtriften, man sieht ja, das Gegenteil ist der Fall. Und alle Leute, die behaupten, dass der klassische Filmbereich zu verteidigen ist, siehe Wim Wenders, und die anderen konservativen Ansdtze, den Film abzuschotten, weil nur das Zelluloid das Wahre uebertrdgt und das Videoband produziert nur Luegen, die gilt es fuer uns zu kritisieren. Das fliesst doch alles ueber, im Versteck in den Filmstudios haben sie ldngst alles digitalisiert, selbst die Oper ist ldngst ein Multimedialbetrieb. Alle Behauptungen, die besagen, dass nur eine Form von Ausdruck, sei es Oelmalerei oder alte Musik, das Wahre vom Menschen wiedergeben kann, finden wir hoechst amuesant! Ihr arbeitet in Eurem Buch stark mit dem Begriff der Alienation, der Entfremdung. Was ist die groessere Entfremdung, sich zurueckzuziehen auf einen Purismus oder sich zu verlieren in den Gerdten? Lovink: Wir sehen da nicht so einen grossen Unterschied. Da haben wir schon einen allgemeinen Begriff dafuer, dass die Medien nicht dazu da sind, nicht das Wahre aus den Menschen herauszuholen, sondern sich in etwas Fremdes zu verlieren. Man begibt sich auf ein unbekanntes Terrain, Medien sind fuer uns Landschaften, die zu erforschen sind und die fuehren nicht zu einem heilen Kern, sondern eher in etwas Neues, Unbekanntes, das fremd ist. Muss man sie erforschen und fuer sich erobern, um nicht raeumlich eingeschrdnkt zu werden? Lovink: Ja, natuerlich, sonst gibt's nur Abschottung. Und wir leben nun einmal in Zeiten extremer Abschottung von Individuen, von Gebaeuden, die sich gegen das aussen wehren, Gesellschaften, die sich gegen Auslaender wehren. Aber die Sache ist doch sehr komplex: Ihr sprecht von aliens und warnt gleichzeitig vor dem Ausschluss des Fremden. Es ist immer ambivalent. Lovink: Ja, weil es fuer uns auch immer wieder Schreibversuche sind. Wenn wir etwas aufschreiben, schauen wir nicht darauf, ob wir wieder zu dem gleichen Standpunkt kommen koennen, sondern versuchen uns auch selbst zu verlieren in den Texten um zu sehen, wo wir herauskommen. Das birgt eine bestimmt Gefahr, eine Gefahr, die im ganzen Kalten Krieg der Nachkriegszeit ganz stark narkotisiert, eingedaempft wurde. Die Gefahren beim Schreiben, beim Dussern, sich auf totalitdre Gebiete zu begeben, sind sehr gross. Sich nicht auf diese gefaehrlichen Pfade zu begeben, ist die Lektion, die man aus dem 20. Jahrhundert gelernt hat. Aber das schraenkt die Leute auch sehr ein, ihre Phantasie zu benutzen, weil sie immer wieder durch die eigene Moral oder Gruppenmoral oder Gesellschaft ueber bestimmte persoenliche soziale Beschrdnktheiten nicht hinauskommen. Aber das komplexe Leben heutzutage ist ja ein Balanceakt: Furcht zu haben ist ja durch aus angemessen, sie darf aber nicht ldhmen. Lovink: Ja, du musste heute sehr gut informiert sein und gleichzeitig einen grossen Abstand zu den Medien bewahren. Du musst viel lesen, Sprachen lernen, Buecher lesen, sich in der Welt umschauen. Ist es auch unerlaesslich, sich ins Netz zu begeben und dort viel Zeit zu verbringen? Lovink: Nein, absolut nicht. Fuer nuns ist es ein Menschenrecht, nicht vernetzt zu sein. Wir glauben sehr stark daran, dass man mvglichst bald damit aufhoeren soll, ueberhaupt wenn es Sachzwaenge in diese Richtung gibt. Ich kann jedem empfehlen, keine email-Adresse zu nehmen! Wenn man nicht ganz praktisch und pragmatisch sieht, wie man das benutzen kann fuer sich und seine Zwecke, dann ist es voellig bloedsinnig zu denken, etwas zu verpassen. Geh lieber in die Bibliothek oder ins Restaurant, mach* einen Spaziergang! Das bringt viel mehr. Dieses Unbehagen, das immer wieder produziert wird, davon soll man sich lieber fernhalten! Wir sollten eher versuchen zu sehen, ob es ein Jenseits der Medien gibt, wo man lavieren kann, wo man nicht in etwas hineingezwungen wird. Kann man das, ohne sich vorher in den Medien bewegt zu haben? Kann man sich die unmittelbare Erfahrung ersparen? Lovink: Ich glaube schon, dass eine bestimmte Art von Erfahrung gemacht werden muss. Wir selbst haben Erfahrungen mit Medien gesammelt und beteiligen uns immer wieder an solchen Projekten. Aber grundsaetzlich kann man sagen, dass sich die Erfahrungen dhneln, man kann die Computernetze sein lassen. Ich habe z.B. sehr viel nachgedacht, wie die Buecher heute produziert und verteilt werden oder was mit dem vffentlich-rechtlichen Rundfunk und Fernsehen passiert - und daraus meine Schluesse gezogen. Zu glauben, dass das Computernetz dem Menschen vvllig neue Erfahrungen auftut und zugaenglich macht: also nein! Das kann man vielleicht vom Tantra behaupten oder von intensiven esoterischen Erfahrungen oder Drogen, aber von den Medien nicht. Das aehnelt sich sehr, da sind bestimmte allgemeine Gesetze. Wie seid Ihr in Eurem Buch auf Kategorisierungen wie "souveraene" oder "naive" Medien gekommen? Wie ist das zu verstehen? Lovink: Bei souveraenen Medien ist es so, dass es keinen Zwang fuer die Benutzer gibt, sich zu identifizieren. Seit den 80er Jahren gibt es einen sehr starken Druck in den Medien, nur noch fuer ein bestimmtes, imagindres Klientel zu arbeiten. Wir haben sehr gute Erfahrungen gemacht mit dem Loslassen. Nicht aus elitdren Gruenden, weil nur das, was wir machen, wichtig ist und der Benutzer unsd egal ist - das wdre zynisch. Das mvchten wir nicht, wir glauben vielmehr daran, dass der Benutzer seine Spass und seine Freude an den Entdeckungen ausleben soll. Wenn Menschen nur mehr nach in Koordinatenraster eingeteilt werden - formell eingeteilt und soziologisch auseinandergenommen nach Beduerfniszuweisungen - finden wir das ekelhaft. Man muss von diesen Zuweisungen loskommen. Ist "naiv" eine dhnliche Kategorie, ohne gewisses Wissen oder Erfahrungen? Lovink: Wir benuetzen eigentlich lieber den Begriff der Vagheit und nicht den der Naivitaet. Ist Euch "naiv" zu kindlich regressiv? Lovink: Wenn du eine bestimmte Lebenserfahrung hast, kannst du vieles ueberspringen, weil du Kompakteres anbieten kannst an Qualitaet. Ich glaub, dass es auch in der Techno-Music eher um Environements geht, die aufgebaut werden, wo die Leute dann erforschen und erleben. Wenn man dann einen Schritt weiter macht, dann kann das viel kompakter und strenger realisiert werden. Aber einen bestimmten Bereich aufzumachen ohne Gefahr, dass man sich verliert oder dass die Ausdehnung ins Uferlose geht, das halten wir nach wie vor extrem wichtig. Das machen Leute viel zu wenig, weil sie glauben, dass sie nur Erfolg haben werden, wenn sie bestimmten formats - von den Journalisten, von den Redakteuren - nachfolgen. D.h. sie giessen ihre Ergebnisse eigentliche nur in vorgegebene Formate, und das macht das ganze so langweilig. Es mag langweilig sein, aber muss sich jemand, der sich der unueberschaubaren Mvglichkeiten der Medien bedienen will, nicht vorgefasste Formen, Formate lernen, um es sich anzueignen? Lovink: Nein, das finde ich nicht. Dann kommt man nicht zu seinem eigenen Stil. Wie kommt man zu seinem eigenen Stil? Lovink: Nein, das kostet soviel Muehe und Zeit, spdter die ganzen Formate von anderen wieder loszuwerden, dass man sich selbst kreativ in dieser entscheidenden Phase gar nicht entwickeln kann. Ich sehe bei vielen Leuten, die jetzt jung sind, dass sie nur noch nachahmen und letztendlich dann in eine Staffage kommen und sich kaum haben entwickeln koennen. Was koennen Vermittler wie wir einer neuen und fremden Generation - denen wir technologisch nichts lernen brauchen, das koennen die besser von Kind an - geben? Lovink: Es ist sehr wichtig, zu betonen, dass die ganze Palette in der eigenen Hand bleibt, dass man sich nicht allzuschnell verkauft. Dass z.B. Vertrieb, die Macht ueber das Medium selbst, einmal gespuert haben muss, dass man nicht immer anderen unterlegen ist. Das ist auch die gute Tradition der alternativen Medien, die ja doch immer wieder auf diesen Punkt zurueckgekommen ist und eigene Netze, eigene Vertriebssysteme aufgebaut haben. Die juengere Generation jetzt ist sehr gut in den Techniken, aber nicht in eigenen Vertriebssystemen. Sie landen schon ganz am Anfang in einer Kommerzschleife, wovon ich befuerchte, dass da kaum mehr rauskommen. Dem Eigensinn entgegensetzen, dazu muss man schon sehr energisch ermutigen. Alles Kommerzielle hat natuerlich viel mehr Ressourcen, viel mehr Geld, viel mehr Entwicklungschancen gehabt als jeder Medienkuenstler oder Lokalnetzbetreiber. Lovink: Wir stehen nunmal dieser hightech sehr skeptisch gegenueber. Ich glaube einfach daran, dass es nicht um hightech geht, sondern was man damit macht. Ob man auch die Geraete auseinandernehmen kann, ob man auch tatsdchlich mit der hardware spielen kann. Es muessen nicht Geraete um hundertausend Dollar sein, mit denen man ganz ehrfuerchtig umgeht! Man muss hardware und software selbst verstehen, sie auseinandernehmen koennen, damit spielen - sonst folgt man nur den Formaten der Firmen. Das ist einfach der Fall, z.B. bei den Computernetzen bleibst du nur in diesem bloedem Format von HTML im WorldWideWeb stecken und kannst dir ueberhaupt nicht vorstellen, dass es etwas anderes gibt. Es gibt noch immer viel rudimentaerere Systeme, mit denen ganz andere Sachen moeglich sind, die mit dieser aufwendigen Graphik einfach nie realisiert werden koennen. Da ist ja in den letzten eineinhalb Jahren eine riesige Veraenderung vor sich gegangen: Das internet war kommunikativ und sehr schnell und jetzt ist alles blockiert mit Graphik, mit WWW sites lieber als emails. Ueber das Spielerische ist man noch nicht hinausgekommen, beim Logisch-Funktionellen happerts noch immer - und so ist das Netz blockiert durch sehr naive, sehr exhibitionistische Botschaften. 95% Schrott zu 5% Information ist das Ergebnis von Entdeckungsreisen auf dem Datenhighway. Das ist doch ein sehr autistischer Spass! Lovink: Ja, so schnell ist das gegangen. Aber man kann daraus seine Schluesse ziehen und eigene Netze aufbauen, die ganz andere Standards und Logiken haben. Das ist sehr wohl moeglich. Man ist nicht verheiratet mit diesem einen Standard, ueberhaupt nicht, der Computer ldsst ja noch ganz viel anderes zu. Der Computer ist neutral, ist in gewissen Sinne doch noch immer eine universal computation machine. Dem ist egal, welche software darauf lduft, das ist unser Problem. Kann man den jungen Leuten heute anraten, selber eine Computersprache zu lernen, wo es doch alles als Benutzerflaechen organisiert gibt? Lovink: Ja, natuerlich, das ist absolut keine Energie- und Zeitverschwendung. Dann ist man den Standards nicht mehr ausgeliefert, du kannst direkt mit einer Maschinen reden. Und das wird immer bleiben! Kann das ein jeder machen oder nur Spezialisten? Lovink: Nein, das ist zum Glueck fuer jederman machbar, das hat man ja bei den Textverarbeitungsprogrammen gesehen. Vor 10 Jahren war das noch recht schwierig, und jetzt hat das dermassen grosse Verbreitung und die Leute sehen das ganz locker. Auch dltere Leute koennen damit umgehen. Das hat mit Gewvhnung zu tun. Und wiederum taucht die Gefahr auf, sich in der Technik zu verlieren, gerade, wenn das spielerische Element nicht zu kurz kommen soll. Lovink: Ich persoenlich kann mit den Spielereien nicht so viel anfangen. Ich benutze die Maschine fuer ganz funktionelle Zwecke und bin gerade dabei, mit vielen Leuten Computersysteme im ehemaligen Jugoslawien aufzubauen. Das geht sehr gur voran. Da hat es eine grosse Notwendigkeit und da wird ueber lebenswichtige Sachen kommuniziert. Wie stehts mit den Ressourcen fuer diese Projekt, wie seid Ihr ausgestattet? Lovink: Natuerlich haben wir keine teuren Geraete zu Verfuegung. Man muss den Muellberg umverteilen und verschalten! Dem Muell widmet Ihr in Eurem Buch auch ein Kapitel. Zundchst abfdllig als Abfall, aber prinzipiell doch positiv bewertet als Recyclingmaterial. Lovink: Wir haben damit gute Erfahrungen gemacht. Einerseits definieren wir Technik als Muell: Hightech, die vom Militaer aussortiert wird und auf dem Zivilmarkt landet. Dann ist es so, dass die Maschinen in ein bis zwei Jahren tatsdchlich Muell sind, erstens weil sie verbraucht sind und zweitens weil sie veraltet sind. D.h. diese Branche steht unter einem ungeheurem Modernisierungsdruck. Da wir diesen Druck nicht kennen, finden wir es wunderbar, dass es Schrott wird, wir brauchen nur ein bisschen zu warten. Computer, die jetzt zehn Jahre alt sind, funktionieren noch wunderbar, auch im Netz, gerade im Netz ist das ueberhaupt kein Problem. Erst wenn man sehr hohe Anforderungen im Bereich Multimedia hat, wird es ein Problem! Man sieht auch, dass die Mulimedia-Branche viel zu schnell wdchst und dass die Leute und die Gerdte noch viel zu langsam sind. Kommen wir noch zu einem Eurer eigentuemlichen Begriffe: wetware. Japan ordnet Ihr das hardware-Monopol zu, Amerika das software- Monopol, fuer Europa habt Ihr die Spezialierung auf wetware. Dabei definiert Ihr den Begriff wetware, der aus der Cybermedizin (Cyberhandschuh, Chipsimplantation) neu. Lovink: Wir definieren wetware als das Menschliche, die Fluessigkeiten, die den Menschen bestimmen: die 90% an Fluessigkeit und Beduerfnissen und Begierden. Auch als Pannenverursacher, als das Menschliche, das in der Lage ist, die Perfektion zu stoeren. Das ist nicht abwertend gemeint, das heisst nur, dass wir die Schaltungen zwischen Mensch und Maschine, die nicht funktionieren, die Fehler beobachten und in unsere Analyse miteinbeziehen. Es passiert so oft, aber die Pannen werden immer ausgegrenzt - die soll es eigentlich gar nicht geben, wir leben schon ldngst in einer perfekten Gesellschaft und alles, was schief geht, existiert eigentlich nicht. Wir finden das gut, uns gefallen die Fehler. Sie weisen ja auf etwas hin: der perfekte Vorgang hat etwas Nichtsagendes, erst wenn der Fehler auftritt, werden auch Spuren hinterlassen, kommt man zu Erkenntnissen, kann man etwas Neues machen. Das gilt auch fuer Fernsehsendungen. Ich finde es sehr lustig, wenn die Satellitenverbindungen nicht klappen, wenn nur mehr Fehlanzeigen kommen. Vom kritischen Ansatz her wuerde ich immer das betonen, solche Versuche muss man aus seinen Fehlern heraus definieren. Die Vision vom Ueberwachungsstaat waere in dieser Hinsicht nicht mehr so furchterregend, z.B. Rasterfahndung, oder auch militaerische Forschung. Lovink: Wir haben einen militaerischen US-Propagandafilm ueber Ambulancen, Cyberoperation, Computernetzen, Teleprdsenz - absolut perfekt, aber bei dem System kann man sicher sein, dass es ueberhaupt nicht funktionieren wird. Das ist doch nicht die Realitaet der Schlachtfelder! Die Realitdt ist, dass ganz viele Leute in Amerika an fremden Krankheiten leiden, wo man ueberhaupt nicht weiss, wo die herkommen, und nicht die Rettung in der golden hour! Zurueck zur wetware: das europdische Element, das Ihr ihr zuschreibt, ist das Denken, die Kulturgeschichte. Wetware also als spezifisch europdische software? Lovink: Das Europaeische in diesem Zusammenhang ist das Niedliche, das Ldcherliche, nicht so sehr Tradition, auf die man stolz sein kann. Es ist eher etwas, was von aussen, aus japanischer Sicht, betrachtet wird. Die finden das Museum Europa ganz toll. Eine Art Realitaets-Park, mit nicht- oder halbfunktionierenden Realitdten. Europa nicht als Chaoshaufen und nicht als Perfektion, sondern mittendrin. Leute, die stdndig versuchen, trotz der ganz vielen Kulturen und Sprachen und Behinderungen noch miteinander klar zu kommen. Es hat auch etwas Ironisches, weil heutzutage auch ein Krieg hier stattfindet. Europa ist auch gut fuer Irritation in den internationalen sich selbst erfuelenden Progammen: ein bisschen irrational, eigensinnig, anarchistisch? Lovink (lacht): Ja, die nicht funktionierenden Teile aufzutreiben! Nicht um das ganze zu zerstoeren, auch nicht, um es zelebrieren, sondern um bestimmte Realitdten wahrzunehmen. Um die Geschichre von hardware und auch von software zu schreiben.