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Patrick Dax/ORF.at: Herr Lovink, Sie sprechen in der kommenden Woche auf beim Kongress “Creative Cities” in Wien über die kreative Ökonomie. Welche Rolle spielt das Internet in der Kreativwirtschaft?
Lovink: Das Internet spielt eine zentrale Rolle, aber nicht jene, die es spielen könnte. Es ist eine disruptive Technologie und die Prophezeiungen der Gurus haben sich nicht erfüllt. Es läuft zwar die Kommunikation über das Netz ab, die Geldströme, die eine kreative Ökonomie ausmachen, bleiben jedoch aus. Für Inhalte wird beispielsweise nicht bezahlt. Es kursieren Ideen, Bilder, Gedanken Trends. Transaktionen finden jedoch außerhalb des Netzes statt. E-Kommerz hinkt hinterher. Das war auch schon bei der Dotcom-Krise um 2000 so. Die ganzen Fragen von damals sind nach wie vor ungelöst.
ORF.at: Ist das Konzept des geistigen Eigentums als Grundlage für Geschäftsmodelle gescheitert?
Lovink: Das ist gescheitert. Wir leben in einer Welt, in der sich Creative Commons, Open Source und Free Software durchsetzen. Es geht nicht mehr ums geistige Eigentum. Es geht jetzt um das Erfinden utopischer, alternativer Modelle. Das Zurückgehen auf geistiges Eigentum halte ich für ausgeschlossen.
ORF.at: Sie nehmen gegenüber Creative Commons und freien Inhalten eine skeptische Position ein. Warum?
Lovink: Weil sie sich nur an die so genannten Amateure richten und das diese Leute Zugang zu der Kultur haben sollen. Dass sie etwa ein Musikstück von Madonna kopieren und bearbeiten dürfen. Damit habe ich kein Problem. Der Punkt ist, dass Creative Commons von Leuten, die sich professionalisieren und mit ihrer Arbeit Geld verdienen wollen, nichts wissen will. Es geht in den kreativen Industrien auch um die Erschaffung von neuen Berufen. Creative Commons nimmt das nicht wahr, und das hat bestimmte ideologische Gründe.
ORF.at: Welche wären das?
Lovink: Das geht auf die Struktur der Computerindustrie zurück. Die Industrie hat von Anfang an darauf gesetzt, dass Inhalte umsonst sein müssen. Sie wollten mit Software, Hardware und Kommunikationsinfrastruktur Geld verdienen. Die Inhalte sollten frei fließen. Entscheidungen in diese Richtung sind sehr früh gefallen. Ich würde sagen, schon in den 80er Jahren. Weil dieselben Leute die Systeme weiterentwickelt haben, ist das bis heute so geblieben.
Es gibt zwar Kreditkartenzahlungen, aber das Problem ist, dass wir es mit kleinen Informationseinheiten zu tun haben, dafür eignen sich Kreditkartenzahlungen nur bedingt. Das liegt auch daran, dass die Kreditkartenwirtschaft an materiellen Gütern orientiert und dann schaut wie das Netz angepasst werden sollte um die gewünste Integration zu erreichen. Man kauft etwas, was in der realen Welt schon vorhanden ist. Damit lässt sich aber keine Internet-Wirtschaft aufbauen.
ORF.at: Lassen sich auf Modelle wie Creative Commons und Open Source nicht auch Geschäftsmodelle aufbauen, mit denen sich über Zusatzdienstleistung Geld verdienen lässt?
Lovink: Das Problem ist, dass es dieselben Leute sind, die so etwas propagieren, im Moment aktiv verhindern, dass eine Internet-Wirtschaft aufgebaut wird. Vielleicht wird es erst eine Internet-Wirtschaft geben, wenn sie selbst arbeitslos werden oder für ihre Arbeit nicht mehr bezahlt werden. Das wird aber nicht passieren, denn dann bricht die Welt zusammen. Diese Leute werden also nie kapieren, dass andere Leute mit dem Wirtschaftsmodell, das sie selbst vehement verteidigen Probleme haben.
ORF.at: Wie beurteilen Sie das Modell einer Kultur-Flatrate – eine Pauschalgebühr für Inhalte aus dem Internet, die zuletzt wieder heftig diskutiert werden?
Lovink: Mir gefällt das sehr gut. Ich glaube nicht, dass die Lösung für diese Probleme eine technische sein kann. Die Industrie wird immer verhindern, dass es sowas geben wird. Weil sie fest daran glaubt, dass alle Inhalte frei sein müssen. Die Idee, dass man Inhalte noch sichern kann, halte ich für Quatsch. Man muss sie aufgeben. Eine keynesianische Lösung wie eine Kultur-Flatrate ist deshalb sinnvoll. Man muss sich aber bewusst sein , dass sie eine politische Lösung für ein technisches Problem ist, dessen Lösung die Programmiererklasse aktiv verhindert.
ORF.at: Welche Modelle könnten Sie sich noch vorstellen?
Lovink: Ich würde eine technische Lösung bevorzugen, bei der man über Mikrobezahlungen im Hintergrund einfach für das bezahlt, was man sich ansieht. Ich denke, dass man die Netzarchitektur selbst zur Diskussion stellen muss. Das ist natürlich ein utopischer Vorschlag und ich weiß auch, dass er völlig naiv ist. Der Einfluss der technolibertären Klasse und ihrer Wirtschaftsinteressen ist sehr groß.
ORF.at: Die Unterhaltungsindustrie versucht vor diesem Hintergrund gesetzliche Regelungen durchzusetzen und Datenströme zu kontrollieren.
Lovink: Die stehen sowieso auf verlorenem Posten. Es geht mir keinesfalls um die Verteidigung der Unterhaltungsindustrie. Aber ich kann mir sehr gut vorstellen, dass es dezentrale Modelle gibt, in denen die Leute, die etwas herstellen, dafür bezahlt werden. Wenn wir uns die Komplexität und die Genialität des Netzes ansehen und die Entwicklung, die das Netz in den vergangenen 20 Jahren genommen hat, halte ich es für machbar, dem einen wirtschaftlichen Faktor hinzuzufügen. Ich weiß aber auch, dass noch nicht viel in diese Richtung hinweist.
ORF.at: In den vergangenen Jahren ist ein regelrechter Hype um so genannte Web 2.0-Unternehmen entbrannt. Sehen sie die Unterschiede zum Dotcom-Boom in den späten 90er Jahren.
Lovink: Die Unterschiede sind sehr groß. Die erste Dotcom-Welle war sehr auf e-commerce ausgerichtet. Es gab jedoch noch keine kritische Masse von Nutzern. Die Sachen, die entwickelt wurden, waren eigentlich fünf Jahre zu früh dran. Dass sie nicht überlebt haben, liegt letztlich am Finanzmodell, das auf Risikokapitalfinanzierung aufgebaut war. Das Modell ging davon aus, dass das Geld innerhalb kurzer Zeit, ein oder zwei Jahre, über den Verkauf von Anteilen wieder verdient werden muss. Das Netz ist aber gar nicht so schnell gewachsen. Die Modelle der 90er Jahre waren nicht nachhaltig. Auch die Nutzer waren damals noch nicht da. Erst jetzt, fast zehn Jahre später, sind große Teile der westlichen Welt im Netz.
Damals war auch der Informationsbegriff recht traditionell. Es wurde von Informationsangeboten gesprochen, der soziale Charakter fehlte völlig. Die Nutzer wurden als Kunden gesehen. Es gab zwar den Begriff “virtual communities” – es wurde versucht um Dienste und Güter virtuelle Gemeinschaften zu bauen. Heute sieht man, dass es um die gemeinschaft selbst geht, sie ist der Dienst, sie wird nicht gebaut für einen Zweck außerhalb des Sozialen. Darin liegt der große Unterschied.
Es wird heute auch nicht mehr erwartet, dass diese Firmen das Geld, das in sie investiert wurde, innerhalb von ein oder zwei Jahren zurückverdienen. Das hat dazu geführt, dass sich diese Plattformen entwickeln können und Millionen von Leuten sie nutzen. Im Dotcom-Modell wären sie längst geschlossen worden.
ORF.at: Viele dieser Plattformen, wie etwa Facebook oder Twitter, verdienen kein, oder kaum Geld.
Lovink: Das ist gut so. Sie haben Zeit, spezifische Modelle zu entwickeln. Die Lösungen werden wohl über Werbung laufen, klassische Werbung.
ORF.at: Einige dieser Seiten, darunter Facebook, wurden in der Vergangenheit aber gerade wegen dem Umgang mit den Daten ihrer Nutzer und den Versuch sie kommerziell zu verwerten scharf kritisiert. Können die kommerziellen Imperative der Plattformen mit den Interessen der Nutzer zusammengebracht werden?
Lovink: Das wird sich noch zeigen. Denn derzeit gehen dies Firmen davon aus, dass der Verkauf von Nutzerprofilen das ist, womit sie Geld verdienen werden. Aber sie wissen gleichzeitig natürlich auch, dass es direkt gegen die Interessen der Nutzer verstößt. Es wird diesen Konflikt geben. Ich denke, es wäre besser, dass mit klassischer Werbung zu lösen. Denn dieser Konflikt wird dazu führen, dass die Nutzer früher oder später weg gehen. Man weiss schon, wie es ausgeht. Insofern ist es eine sehr dumme Strategie. Ich verstehe, warum sie es machen. Es ist auch sehr verführerisch, so viel intimes Wissen über so viele Leute zu haben. Ich bezweifle, dass die Internet-Nutzer so etwas mit sich machen lassen. Mittlerweile wissen sehr viele Leute, wie dieses Spiel gespielt wird. Wenn es zu krass wird, hauen sie ab.
ORF.at: In den 90er Jahren haben Sie die Maillingliste nettime mitgegründet – Damals wurde dem Internet noch ein Potenzial zur Schaffung von Gegenöffentlichkeit zugeschrieben. Sehen Sie dieses Potenzial heute auch noch?
Lovink: Nein, die cyberkulturelle Underground, der sich Ende der 80er Jahre etabliert hat, hat sich als Mode verstanden und hat versucht, einen Anspruch durchzusetzen. Sie ist aber darin gescheitert, weil das Medium selbst nichts mit Mode zu tun hat. Es nimmt eine es nimmt eine unendliche vielfalt an identitäten, kulturellen Strömungen und Ideen in sich auf. Man hätte damals vielleicht technischer denken müssen. Das man sehr wohl die Netzarchitektur selbst kulturell besetzen kann und nicht die Erscheinungen. Das ist völlig beliebig und hat mit Geschmack mit kulturellem Hintergrund zu tun. Man hätte das viel unsichtbarer, konzeptueller machen müssen.
Nettime und die Sachen, die wir gemacht haben, waren radikaler. Wir haben geglaubt, dass man die unsichtbaren Ideologien, Bedingungen und Voraussetzungen des Netzes verstehen kann. Ich weiss nicht, ob wir darin gescheitert sind. Das Projekt ist nach wie vor unerfüllt.
Es müssen immer wieder sehr viele Leute verstehen, was passiert. Sie müssen das Neue dekodieren, transformieren und in sich aufnehmen. Dieses Medium wächst so schnell und entwickelt so rasch, dass man nach wie vor von den neuen Entwicklungen überfallen wird. Das passiert mir genauso wie allen anderen. Da ist es egal, ob man jetzt sich schon vor 20 Jahren damit befasst hat. Die Frage ist, wie kann man eingreifen, wie kann man Einfluss nehmen und diese Entwicklungen mitsteuern.
ORF.at: In ihrem Text “Blogging – der nihilistische Impuls” sprechen Sie im Zusammenhang mit Weblogs von “Digitalen Nihilsmus” – können Sie das erläutern?
lovink: es geht nicht um den Nihilismus des 19 jahrhunderts, dass wir nicht mehr an Gott glauben. Der Nihilsmus heute bezieht sich auf zentralistische Bedeutungssysteme. Das was im 19. Jahrhundert Religion war, sind heute die alten Medien – Zeitung, Radio, Fernsehen. Zentralisitischen Mediensysteme, die den Annspruch haben, eine große Anzahl von Leute zu informieren und zu unterhalten. Das Netz stellte diese zentralistische Herstellung von Bedeutung in Frage. Weblogs versuchen diese Bedeutungssysteme nicht aufzulösen, aber mindestens zu kommentieren und ihnen ihre Wichtigkeit im Alltag zu nehmen.
ORF.at: Sie bezeichnen Weblogs als “dekadente Artefakte, die das Mediensystem zu Fall bringen” – Warum die pessimistische Tonlage?
Lovink: In manchen Fällen ist es mit Zynismus verbunden. Die Leute versuchen, in dieser Medienlandschaft zu überleben und sie versuchen ihre eigene Identität zu gestalten. Sie wissen natürlich, dass es nicht möglich ist. Und diese Unfähigkeit ein eigenes Leben zu leben und es trotzdem zu versuchen in dieser Vielfältigkeitswurst, seine eigenen Gedanken zu formen. Vielleicht ist das auch einer Krise der Individualität. Individualität wird massiv hergestellt, das ist ein Paradox, damit kommt niemand klar – das ist der eigentliche Hintergrund – die Frage, was eigentlich Massenindividualität im Internet ausmacht.