Alexander Kluge on the importance of keeping internet open (in German)

Below a fragment of a Skype (!) interview by the Berlin-based Freitag weekly with the German public intellectual, film maker and TV producer Alexander Kluge on the importance of the internet. I am sorry for those who do not (yet) read German. I’ll leave it untranslated as it as.

Freitag: Sie haben von der Intelligenz der Libelle gesprochen. Für mich hat das Netz etwas unmittelbar Rauschhaftes. Wenn ich abends um zwölf mit den Leuten chatte, hat das etwas, was mit der Droge vergleichbar ist.

Alexander Kluge: Aber es ist nicht so egozentrisch wie die Drogenerfahrung. Man muss sich den Ursprung der Netz-Technologie richtig vor Augen führen: Die Schweizer Feinmechanik und die Einsteinsche Physik bauen gemeinsam ihre Fragestellung im CERN auf – die Beschäftigung mit etwas so Kleinem wie den Quanten, dieses Kleine, das das Spiegelbild des Großen im Kosmos ist. Der Nachrichtenaustausch darüber ist so komplex, dass dafür das Internet erfunden wurde – zunächst als Binnenkommunikation zwischen Physikern – das macht dann zunächst noch einen Umweg über das Pentagon, aber dann eignet sich die Menschheit das an! Das ist doch eine großartige Geschichte! Es kommt aus der kleinen Zelle, aus der Neugier nach der Frage, was das Kleine und das Große miteinander verbindet. ­Daraus entsteht eine neue Öffentlichkeit.

Wenn man die Erde aus dem Orbit sieht, wie sie leuchtet, dann kann man schon einen Rausch empfinden, wenn man sich vorstellt, wieviele Menschen sich da unten Mühe geben, miteinander zu kommunizieren. Wenn ich mir das vorstelle, kann ich herrlich schlafen. In Paris schlafe ich zum Beispiel wie ein Bär, weil ich weiß, die anderen arbeiten und leben. In Berlin auch.

Sie haben über das Fernsehen einmal gesagt, dass Sie das Fernsehen offenhalten für das, was außerhalb des Fernsehens Geltung hat. Gilt das auch für das Netz?

Das ist nicht in gleichem Maße nötig. Das geschieht fast von selbst. Das Fernsehen ist ein sehr reduktives Medium. Der Programmdirektor ist subtraktiv tätig, er lebt von dem, was er aussortiert. Und das TV-Medium hat einen tiefen Minderwertigkeitskomplex. Rundfunk, das heißt Sendung an alle, wird mit einem permanenten Minderwertigkeitskomplex bezahlt. Das ist im Netz ganz anders. Dort sind selbstbewusste Leute und die denken additiv, multiplikativ, das platzt ja geradezu. Aber die Gefäße, die es außerhalb des Netzes gibt – die hereinzutragen, das ist etwas Wertvolles. Worin man etwas aufbewahren kann, etwas unterschieden halten kann, das muss man hereintragen. Auch die Metamorphosen von Ovid sind ein Netz. Die Leitfigur von dctp.tv und mir persönlich ist Arachne, die Spinne. Das war eine Tuchweberin in Byzanz, die auf ihre Stoffe Geschichten malte. Die ganze Weltgeschichte wob sie in die Gewänder hinein. Sie trat in den Wettstreit mit der Göttin Athene. Und weil die vernetzten Bilder der Athene nicht halb so gut wurden, verwandelte die enttäuschte Göttin Arachne von einer Spinnerin in eine Spinne. Sie ist die Schutzherrin des Netzes. Eine der schönsten Geschichten bei Ovid.

Ist das Netz eine positive Erweiterung bürgerlicher Öffentlichkeit?

Es ist eine revolutionäre Erweiterung. Es ist nicht nur die Durchsetzung der brechtschen und der enzensbergerschen Radiotheorie. Jeder ist hier Sender! Es ist eine Revolution. Man darf es sich nicht wieder wegnehmen lassen! Es muss offen bleiben. Der freie Zugang muss erhalten bleiben. Da soll man nicht sagen, dass es dann aber ein großes Durcheinander gebe. Der Ozean ist auch ein großes Durcheinander.

Aber Sie haben selber einmal geschrieben, dass im großen Ozean der Artenreichtum gefährdet ist, weil sich der Stärkere durchsetzt und der Schwächere verdrängt wird. Während die Seen die Keimzellen der Vielfalt sind: Für Fische sind Seen Inseln, haben Sie geschrieben. Sie sind Philanthrop und Optimist. Das Netz kann auch zur Verflachung führen, zur Herrschaft des lautetesten Gedanken, der nicht der beste sein muss. Und es kann einen scheinbaren Freiraum bieten, der aber keine wirkliche Kontrolle von Herrschaft gewährleistet.

Ich bin kein Optimist. Ich kenne nur viele Auswege. Aber einen anderen Weg, als den, dass wir uns verbinden gegen das, was wir ablehnen, kenne ich nicht. Wir müssen uns schon die Mühe machen, uns zu einer Koalition zu vereinen.

Der Turm von Babel, das ist eine Revolution, eine Schichtung von Unten nach Oben, da werden die Äcker gestapelt und Oben ist der Kaiser und der Papst. Nachdem der Turm zerfallen ist, entsteht 1.000 Jahre später im Inneren der Menschen ein neuer Turm, der homo novus von 1.600, ein Gallilei, ein Monteverdi, ein neuer, selbstbewusster Mensch, der sagt: Meine Bilanz, meinen Betrieb ordne ich verantwortlich, das ist mein Acker in der zweiten Natur, meine Lebensverhältnisse werde ich bewusst gestalten, auch meine Liebesverhältnisse. Es kommen die Liebesromane auf! Die Beziehungen werden nicht nur rational sondern auch emotional bestückt! Hier entstehen Gärten! Der bürgerliche Mensch. Der ist heute im Silicon Valley, sozusagen im Flachbau, nicht im Hochbau tägig. Ich halte sehr viel vom Gartenbau.

Der normale Ackerbau wird in Italien nach dem Mittelalter um den Gartenbau ergänzt. Mit Feingriff gebaute Gärten, handwerklich sozusagen, nicht mehr bäuerlich, das ist der Fortschritt.

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