Im Gespräch mit der Bielefelder Ideenwerkstatt

Gespräch mit Geert Lovink anlässlich der VI. Bielefelder Ideenwerkstatt am 27./28.11.2010 zum Thema  „Die Informations-und Wissensgesellschaft – Zwischen Risiken und neuen Möglichkeiten“. Ein .pdf des Interviews finden Sie hier. Die HTML Fassung hier.

Bielefelder Ideenwerkstatt: Sie gelten als einer der prominentesten Medientheoretiker. Häufig beziehen Sie in Ihren medienkritischen Beiträgen auch Stellung gegen den Kapitalismus bzw. Neo-Liberalismus und den daraus resultierenden Leistungszwang im Internet. Sind Sie der Ansicht, dass das Internet helfen könnte den Kapitalismus zu überwinden? Und was wäre in Ihren Augen die Alternative?

Geert Lovink: Nein, das glaube ich nicht. Ich bin nicht der Ansicht, dass ein Medium die grundsätzlichen Fragen von Kritik, Stellungnahme, Widerstand und Organisation übernehmen kann. Stand der Dinge ist, dass wir im Web 2.0-Zeitalter leben, in dem die sogenannten sozialen Medien an Bedeutung gewinnen. Malcolm Gladwell, nicht gerade ein Revoluzzer, hat vor kurzem in „The New Yorker“ einige Selbstverständlichkeiten aufgelistet. Der Internet-Kritiker aus Weißrussland Evgene Morozov machte gleiche Vorbehalte. Facebook ist eben nicht das ideale Tool für die Selbstorganisation. Wenn die Organisation einmal steht und ein gewisses Momentum da ist, sind die sogenannten sozialen Medien sehr wohl geeignet die Botschaft zu verbreiten. Wozu die sozialen Netze derzeit nicht in der Lage sind, ist die Förderung von Zivilcourage und Widerstand. Sie sind lauter positiv und produktiv eingestellt. Das Problem heute aber liegt in der wachsenden Unfähigkeit, Nein zu sagen, nicht mitzumachen, sich mit Leuten zu treffen, die gleicher Meinung sind und etwas Konkretes anzufangen. Das sehen wir mit Wikileaks auch wieder. Jetzt wo Wikileaks vier Jahre läuft, machen alle mit, schreiben darüber, aber darum geht es ja nicht. Was an Wikileaks so interessant ist, ist das Konzept, das ein enormes Potential in sich birgt. Wir müssten uns fragen, wären wir selber in der Lage, ein Wikileaks zu betreiben? Generell kann, denke ich, festgestellt werden, dass das Internet die Legitimationskrise der heutigen politischen Parteien nicht lösen kann.

Bielefelder Ideenwerkstatt: Vor dem Hintergrund der aktuellen öffentlichen Diskussionen, wie bewerten Sie Wikileaks? Ist eine Grenze zum Negativen überschritten, wenn nicht nur Dokumente über umstrittene Militäreinsätze veröffentlicht werden, sondern auch vertrauliche diplomatische Nachrichten?

Geert Lovink: Aus medientheoretischer Sicht reden wir ja hier über Daten, Dokumente. Als Aktivisten aber müssten wir uns fragen, ob wir auch wirklich alles einfach so wie es ist veröffentlichen müssen. Wir sollten das Dogma loswerden, dass Information einen eigenen Willen hat (um befreit zu werden…). Was wir nicht möchten, und was Wikileaks selbst auch nicht vorhat, ist Leute in Lebensgefahr zu bringen. Es sollte kein Opfer gebracht werden nur für dies oder jenes Hackerprinzip. Ob wir das erweitern sollten in Richtung Auslandspolitik weiß ich aber nicht. Ich arbeite nicht für die NATO und identifiziere mich nicht mit den Zielsetzungen von Regierungen und dem Militär. Es stört uns also nicht, wenn ihre Pläne in die Öffentlichkeit gebracht werden. Was passiert aber, wenn Zeugen und Verräter, sagen wir in Afghanistan, wegen Wikileaks-Dokumenten, umgebracht werden? Mit Patrice Riemens und anderen plädiere ich also für eine Ethik in diesem Kontext. Die Deutsche Übersetzung der 12 Thesen yu Wikileaks erschien vor kurzem in der Frankfurter Rundschau und ist hier online zu lesen.

Bielefelder Ideenwerkstatt: Im Rahmen der Ideenwerkstatt wurde von Herrn Philipp Holtmann im Detail dargestellt wie gewaltbereite Fanatiker moderne Kommunikationsmittel, wie z.B. Diskussionsforen, nutzen um für sich zu werben und Terroranschläge vorzubereiten. Gleichzeitig sprach sich Herr Holtmann aber gegen ein Verbot von Foren aus, in denen solche Themen eine Rolle spielen, da staatliche Stellen diese Foren sehr gut überwachen könnten. Was ist Ihre Meinung zu diesem Thema?

Geert Lovink: Natürlich ist das Thema uns hier in Holland besonders nah. Vielleicht erinnern Sie sich noch an den Mord an Theo von Gogh. Der Experte in Fragen Foren ist Albert Benschop und er hat verschiedene Untersuchungen dazu veröffentlicht. Eine insbesondere ist auch übersetzt auf Englisch (hier). Ein Verbot von Foren würde nichts bedeuten. Wir wissen das schon lange und es ist ein wenig merkwürdig, dass gerade in Deutschland immer wieder vorgeschlagen wird, dies und jenes auf dem Internet zu verbieten. Das Internet ist ein Spiegel der Kultur, und wenn wir also eine andere Diskussionskultur möchten, müssen wir also selbst das gute Beispiel geben. Wir könnten also das Blabla der Einzelsätze und losen Sprüche verringern mit der Regel, dass man selbst mehr posten muss. Das blöde Schreien von Leuten, die eigentlich nichts zu sagen haben, sollten wir minimalisieren. Das ist kein Verbot, sondern ein Aufruf richtig zu argumentieren. Selbstverständlich werden diese Foren gut überwacht, aber das gilt für alle Teile des Netzes… Die Idee vom Internet als Freiraum stimmt doch überhaupt nicht, schon über ein Jahrzehnt ist dies nicht mehr der Fall. Es wäre interessant herauszufinden, wer diesen Mythos ständig wiederholt.

Bielefelder Ideenwerkstatt: Der Chef der Schweizer Armee, Herr André Blattmann, sprach in einem Interview mit dem Migros-Magazin davon, dass „Cyberwar“ (z.B. Angriffe auf die Kommunikations-und Stromnetze) aktuell die größte Bedrohung darstelle. Der US-Verteidigungsminister plant sogar eine „Cyber-Verteidigungstruppe“ aufzustellen, die die Netzwerke des US-Militärs gegen Angriffe schützen soll. Wie schätzen Sie das Bedrohungspotenzial ein?

Geert Lovink: Bedrohung für wen? Ich bin kein Militärexperte und schon gar kein Anhänger von Verschwörungstheorien. Wir alle wissen, dass es ein Wachstum von Hackerangriffsaktivitäten aus Russland und China gibt. Aber laßt mich zwei Fälle kurz rausnehmen. Erstens hat der Iran vor kurzem zugegeben, dass seine Nuklearinstallation von einem Computer-Worm (eine Art Virus) angegriffen wurde. Dann schrieb Evgene Morozov auf sein Blog über die Sicherheitslücken in der sogenannten Haystack-Software, die angedacht war, die iranischen Behörden zu umgehen. Dieser Fall interessiert mich schon, weil es da um die Frage geht, was Hacker und Aktivisten genau machen können. Sollten wir überhaupt noch die These vertreten, dass wir die technische Hoheit besitzen Behörden (wie die iranische) zu umgehen?

Bielefelder Ideenwerkstatt: Wie erklären Sie sich, dass 1987 die Volkszählung in der Bundesrepublik auf heftigen Widerstand stieß, heute aber viele Bürger freiwillig teilweise sehr private Informationen im Internet preisgeben? Denken Sie, dass junge Menschen ausreichend auf den richtigen Umgang mit persönlichen Daten in der Informationsgesellschaft vorbereitet werden?

Geert Lovink: Dieser Fall interessiert mich, weil ich mich erinnere, wie meine Mutter sich 1971 an einem ähnlichen Boykott hier in den Niederlanden beteiligte (ich war damals 12). Diese Wende, die Ihr hier ansprecht, ist durchaus interessant und geht m.E. zurück auf das Aufkommen des Neoliberalismus und die Subjektformulierung in den letzten 20 Jahren, wobei alles von innen kommt. Die Bedrohung durch „Big Brother“ ist nach wie vor da, aber in dieser individualisierten Gesellschaft wird es als harmlos angesehen, wenn wir Privatdaten freiwillig preisgeben. Das ist sogar gut. Wie wir dazu verführt werden, und was mit den Daten genau gemacht wird, ist unwichtig. Ich weiß allerdings nicht, ob es insbesondere die Jugendlichen sind, die sich so unkritisch und ahnungslos verhalten. Auch hier gilt der alte Hölderlinspruch „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch!“. Es sind mittlerweile die Jugendlichen, die am besten verstehen, dass sie sich eine zweite oder dritte Identität zulegen müssen und vielleicht in bestimmten Fällen nicht anrufen, texten oder elektronisches Geld benutzen.

Bielefelder Ideenwerkstatt: Welche Rolle spielt Netzpolitik in den Niederlanden im Vergleich zu Deutschland? Haben Ein-Themen-Parteien wie die „Piratenpartij Nederland“ in Ihren Augen Aussicht auf Erfolg?

Geert Lovink: Die Kluft zwischen den Ländern ist nach wie vor da, aber es sieht anders aus als vor 10 oder 20 Jahren. Aus den Niederlanden können wir nicht viel Positives berichten. Eine Piratenpartei hier wäre süß und vielleicht sogar erfolgreich, hätten wir nicht Geert Wilders und seine PVV Partei. Weil die ganze Debatte fast schon ein Jahrzehnt vom sogenannten Scheitern der Multikulti-Gesellschaft und dem Aufkommen des Islams geprägt wird, gibt es eigentlich keine nennenswerten netzpolitischen Initiativen mehr. In Deutschland könnte so etwas auch passieren. 2010 hat die Sarrazin-Debatte in Deutschland schon viel Bandbreite aufgefressen (im Sinne der Aufmerksamkeitsökonomie). Es ist eine gute Sache, dass diese völlig blöde anti-deutsche Stimmung in den niederländischen Medien endlich vorbei ist. Wir alle sind ja EuroTechno-Touristen und fahren gerne nach Berlin, die neue Kulturhauptstadt Europas. Politisch gibt’s viel zu lernen. Ob das auch so ist im Bereich Bildung, bezweifele ich.

Bielefelder Ideenwerkstatt: Wagen Sie zum Schluss unseres Gesprächs doch bitte eine Prognose. Welche technische Entwicklung wird unsere Zukunft bestimmen und wie wird sich das Zusammenleben der Menschen dadurch verändern?

Geert Lovink: Alles was mobil und online ist, nicht wahr? Klein und schnell. Aber das ist schon längst der Fall, nur wird alles noch mal um das 10-oder 100-fache schneller und kleiner und von Milliarden gleichzeitig benutzt. Diese Kombination von Miniaturisierung, Beschleunigung und Vermassung sorgt für Ereignisse Heideggerianischen Ausmaßes. Also, ein Winter-Tipp: Wir müssen alle wieder brav Ernst Jünger lesen und die titanischen Geschehnisse gelassen auf uns zukommen lassen!

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