Chat mit Oliver Gassner (auf Deutsch)

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Der deutsche Blogger Oliver Gassner chattet mit dem Medientheoretiker und Netzkritiker Geert Lovink über den Geist der Innovation, über das Ende der Echtzeitkommunikation und die Uncoolness von Smartphones.

Oliver Gassner: Hi Geert!

Geert Lovink: Hallo.

OG: Bitte stell dich kurz selbst vor.

GL: Ich bin ein niederländischer Medientheoretiker und Netzkritiker und unterrichte neue Medien an der Universität Amsterdam und leite eine kleine Forschungsstelle: das Institut für Netzkultur (www.networkcultures.org).

OG: Was ist für Dich die Web- oder Mobile-Entdeckung der vergangenen 12 Monate?

GL: Ich verfolge zwei Sachen: Alternativen für Facebook wie Diaspora und alternative Netzwährungen und Online-Bezahlsysteme wie Bitcoin.

OG: Was unterscheidet eine gute Idee von einer echten Innovation?

GL: Gute Ideen sind viel interessanter als sogenannte echte Innovationen. Wir müssen wieder lernen, spekulativ zu denken und zu handeln. Was derzeit als Innovation verkauft wird, ist meistens alt und konservativ, weil es die bestehende Strukturen nicht wesentlich in Frage stellt. Utopisch denken heißt heute eben, negativ zu sein. Gute Ideen stellen viel in Frage. Natürlich sind sie unrealistisch, aber das ist logisch. Es reicht nicht aus, disruptiv zu sein. Darum mag ich Sachen wie peer-to-peer mobile Zahlungssysteme. Sie stellen die existierenden Banken und das Geldmonopol des Staates in Frage. Das ist schon mal was!

OG: Was entscheidet darüber, ob eine gute Idee auch eine erfolgreiche Geschäftsidee wird?

GL: Das kann manchmal Jahrzehnte dauern. Oder Jahrhunderte. Die Technologie entwickelt sich derzeit schnell, nicht aber die grundlegenden Ideen. Die sind oft rückwärtsgewandt.

OG: Weshalb kommen die meisten international erfolgreichen Web- und Mobile-Anwendungen derzeit aus den USA – und nur ganz wenige aus Europa?

GL: Gute Frage, und ich stimme mit dieser Einschätzung überein. Es gibt aber ein paar Ausnahmen wie das WWW, das am CERN entwickelt wurde, und Nokia aus Finnland. Oder denke an Skype, TomTom und andere. Auch im Automobil- und Flugzeugwesen ist Europa weltweit noch präsent. Sogar was Grundlagenforschung im IT-Bereich angeht, stehen die Dinge nicht so schlecht. Das Problem aber ist die direkte Verbindung zwischen Innovation und Finanzkapital, wie sie im Silicon Valley existiert. Viele versuchen das Modell zu kopieren. Aber das ist nicht so einfach, weil die Zeitkomponente nicht mitgedacht wird. Man muss schnell handeln, in Echtzeit. Und das fällt den meisten Europäern schwer.

OG: Wagst Du eine Prognose, was das nächste große Ding im Netz sein wird?

GL: Das ist schon lange in Planung: alles, was mit Verortungstechniken von GPS bis RFID zu tun hat. Das ist eigentlich nicht mal eine Prognose. Globale Technologien werden sozusagen umgelenkt und zurückgebogen. Das, was Kolonisierung des Großraumes genannt wird, kann ja auch im Mikrobereich des Urbanen und Sozialen eingesetzt werden. Was aber ein wenig kontroverser wäre, ist die Verzögerungsthese, also die Tendenz zu slow food oder slow communication. Ich schätze, dass sich die Echtzeittechnologien wie Twitter nicht durchsetzen und viele lieber asynchron kommunizieren. Wenn Smartphones sich weiter durchsetzen, werden sie früher oder später im Alltag integriert sein und viel intelligenter und charmanter sein. So viele Leute sind derzeit obsessiv mit ihrem Telefon beschäftigt… das wird bald uncool.

OG: Ein Blick zurück: Inwiefern unterscheidet sich Dein heutiges Mobile Life von Deinem „Pre-Mobile Life“ vor 15 oder 20 Jahren?

GL: Nicht viel im Vergleich zu 1996, aber doch erheblich im Vergleich zu 1991, als ich zwar Laptop und Modem hatte, aber keinen Internetzugang und auch kein Handy.

OG: Und zum Schluss zwei Gewissenfragen: iOS oder Android? Facebook oder Google Plus? Und warum?

GL: Entweder oder. Viele werden sagen: Nie Apple, nie Google. Wenn futuristisch, dann vielleicht richtig… HTC mit FLOSS OS, entwickelt unter der Leitung von Richard Stallman, also keine Fusion von Linux und Android, sondern etwas völlig neues. Darüber hinaus müssen wir die wachsende asiatische Teilnahme in Betracht ziehen und uns nicht nur mit Kalifornien befassen. Viele wissen nicht, dass Apple OS weltweit nicht mehr als 2 bis 3 Prozent Marktanteil hat. Viele reden nur über Smartphones, aber das ist derzeit nur ein kleiner Markt.

 

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