Interview mit Geert Lovink von Alexander Wragge (iRights.info)
iRights Fassung: http://irights.info/geert-lovink-facebook-ist-eine-firma-ohne-eigenschaften/13154
Kontext: der Deutsche Fernsehmoderator Jürgen Domian beklagt sich, dass seine kritischen Kommentare auf Facebook gelöscht wurden. Siehe: https://www.facebook.com/Domian.Juergen/posts/466265690110405. Es ging um Kritik an einem katholischen Hardliner. Facebook hat sich für die Löschungen entschuldigt und spricht von einem Fehler.
iRights.info: Die Löschung kirchenkritische Kommentare auf Facebook hat in Deutschland für Wirbel gesorgt. Das Unternehmen erklärte, ein Facebook-Team müsse wöchentlich Hunderttausende Inhalten prüfen, um Menschen vor Missbrauch, Hassrede und Mobbing zu schützen, und habe dabei einen Fehler gemacht. Offenbar hatte jemand die Kommentare als Verstoß gegen die Nutzungsbedingungen bei Facebook gemeldet. Wie bewerten Sie diesen Vorgang?
Geert Lovink: Man muss nicht Siegmund Freud studiert haben, um die Bedeutung von Fehlern zu kennen. Aus psychoanalytischer Sicht lehren uns Fehler etwas über den Normalzustand. Und hier erstaunt mich sehr, dass Facebook im Hintergrund wöchentlich offenbar Hunderttausende dieser Meldungen bekommt. Davon bekommen wir ja sonst nichts mit. Facebook ist ein recht geheimnisvolles Unternehmen. Wenn sich die Zahl nur auf Deutschland beziehen sollte, wäre sie unglaublich hoch. Dieses Denunziantentum müsste man dann dringend untersuchen. Der Fall würde für eine Art Blockwart-Mentalität in Deutschland sprechen, die sich online fortsetzt, für echte Probleme mit der Meinungsfreiheit.
iRights.info: Könnte der Löschfehler dafür sprechen, dass letztlich Software die Meldungen automatisiert überprüft?
Geert Lovink: Ich weiß nicht, inwieweit Facebook hier Software, also Bots, einsetzt. Aber ich kann mir kaum vorstellen, dass Facebook genug Mitarbeiter hat, um Hunderttausende Meldungen in der Woche persönlich zu prüfen. Bots können sicherlich einzelne Wörter erkennen und sperren, aber meines Wissens noch nicht komplexe Zusammenhänge, also die Syntax, fehlerfrei einschätzen. Es müsste ihnen schwer fallen, zwischen einer Diskriminierung und einem Scherz über Diskriminierung zu unterscheiden.
iRights.info: Muss Facebook überhaupt den Zensor spielen?
Geert Lovink: Der entscheidenende Punkt ist: Diese Frage hat uns gar nichts anzugehen. Facebook darf als private Firma mit den Inhalten auf den eigenen Servern machen was es will. Der Dienst ist umsonst, und wir haben als Nutzer kein Recht darauf, dass unsere Inhalte dort bleiben. Ich bin also nicht dafür das Privatfirmen so eine zentrale Rolle spielen. Debatten die für alle zugänglich sind sollten von öffentlichen Foren veranstaltet werden (und zum Beispiel durchsuchbar sein und gemeinnützlich archiviert werden, was bei Facebook ja nicht der Fall ist).
iRights.info: Die Regeln in den Nutzungsbedingungen bieten recht viel Interpretationsspielraum. So dürfen Nutzer etwa keine „irreführenden“ oder „bösartigen“ Handlungen durchführen. Irreführend und bösartig kann je nach Perspektive alles Mögliche sein. Ist Facebooks Zensurpolitik zu intransparent?
Geert Lovink: Facebooks Ziel ist die Gewinnmaximierung. Es ist ein ganz normales Unternehmen. Das heißt für die Zensurpolitik, Facebook wird Inhalte löschen, die die Gewinne gefährden. Wenn zum Beispiel eine große Mehrheit der Nutzer dagegen ist, dass auf Facebook extremistische Inhalte sind, wird das Unternehmen sie löschen. Basta. Wenn nicht, dann nicht. Hinter dieser Zensur steckt keine Ethik, sondern nur ein marktorientiertes Kalkül. Deshalb ändert sich auch die Löschpolitik ständig, nicht nur bei Facebook, und man kann die moralischen Prinzipien dahinter nicht verstehen, weil es keine gibt. Es ist eine Firma ohne Eigenschaften und in dem Sinne auch anders als Google wo Ideen und Weltdominanz wenigstens im Zusammenhang stehen.
iRights.info: Bisher zeigt sich Facebook recht prüde und löscht Nacktbilder selbst dann, wenn es sich um Kunst von 1940 handelt. (LINK:http://www.spiegel.de/netzwelt/web/nackte-fotokunst-facebook-sperrt-museumsseite-wegen-pornografie-a-887391.html). Spricht das nicht gegen Ihre These der nicht vorhandenen Moral? Mit etwas mehr Freizügigkeit würde Facebook vielleicht noch eine größere Nutzungsintensität erreichen…
Geert Lovink: Das hat mit ihren Hintergrund als U.S. Firma zu tun. Diese Regeln haben sie bestimmt nicht selbst formuliert sondern das haben ihren Anwalten in den Vereinigten Staaten sie vorgeschrieben. Auch hier zeigen sie das wie unkreativ und langweilig diese Leute im grunde sind.
iRights.info: Manche Facebook-Nutzer in den USA konnten ihren Kommentar gar nicht erst loswerden. Es erschien die Meldung „Dieser Kommentar erscheint irrelevant oder unangemessen und kann nicht veröffentlicht werden. Um zu vermeiden, dass Ihre Kommentare blockiert werden, stellen Sie bitte sicher, dass sie in einer positiven Art und Weise etwas zum Beitrag beisteuern.” (LINK: http://techcrunch.com/2012/05/05/facebooks-positive-comment-policy-irrelevant-inappropriate-censorship/) Die Formulierung klingt wie eine Satire auf die Internetzensur. Fehlt Facebook hier schon sprachlich die Sensibilität?
Geert Lovink: Nein, diese Formulierung ist ganz typisch für die großen Internetkonzerne. So denken und sprechen diese Unternehmen. Das sind New-Age-Menschen. Sie beschwören das Gute und Positive. Da ist für das Unangemessene, Negative, kein Platz. Das ist die kalifornische Ideologie. In den USA kann vielleicht eine solche Meldung erscheinen. In den Niederlanden wären diese Sätze komplett lächerlich, übrigens auch die Mitteilung der Facebook-Sprecherin in Deutschland.
iRights.info: Ein privates Unternehmen reguliert nun den Kommunikationsraum von 1 Milliarde Menschen. Da müssten doch die Regeln und Werte gesamtgesellschaftlich diskutiert werden…
Geert Lovink: Ich bin eher dafür gemeinsam dafür zu sorgen das Facebook verschwindet. Wir könnten es uncool machen, und dafür sorgen das vor allem junge Leute es langweilig finden. Der Einfluss dieser Firma ist im Moment noch viel zu groß und führt zu allen möglichen Problemen. Es ist schade, dass das Internet so weit degeneriert ist, dass wir großen Unternehmen so viel Macht geben. Es ist allerdings dumm, sich darüber zu beschweren, wenn private Unternehmen ihre Gewinninteressen verfolgen. Wenn wir ein öffentliches Internet hätten, hätten wir diese Probleme nicht. Die Infrastruktur dürfte nicht einer privaten Firma gehören.
iRights.info: Soll der Staat soziale Netzwerke und Suchmaschinen finanzieren?
Geert Lovink: Der Staat ist in diesen neoliberalen Zeiten ja leider selbst eine Firma, der eng mit Privatinteressen verbunden ist und nicht unbedingt für das Allgemeinwohl eintritt. Der Staat kummert sich nicht mehr um die Gestaltung und Verwaltung der (virtuellen) Öffentlichkeit. Internet ist da doch der Paradebeispiel. Wir müssen uns selbst um den Aufbau der commons kümmern.