Drei Fragen von Mercedes Bunz (DE:BUG)

(Anlass für dieses De:bug Emailinterview mit Mercedes Bunz ist das netz.macht.kultur Kulturpolitische Bundeskongress das am 9-10.6 2011 in Berlin stattfinden wird wo wir beide auftachen. /GL)

MB: Die Digitalisierung hat keine Zukunft, die ist jetzt. Was meinst du damit?

GL: Wir müssen in Bezug auf digitale Medien aufhören, über die Zukunft zu reden. Das ist mittlerweile zur schlechten Gewohnheit geworden. In den neunziger Jahren hatte das noch Sinn gemacht, doch jetzt leben wir schon mitten in dieser Zukunft. Wir brauchen also keine Visionen mehr, davon gibt es derzeit mehr als genug.

Worum es jetzt geht, ist schlichtweg das Verständnis von dem, was um uns herum passiert, kurz eine Echtzeitanalyse von einer Echtzeitmedienmacht. Das ist natürlich verdammt schwierig, weil Reflektionen immer Zeit brauchen. Wir haben zum Beispiel gerade erst halbwegs verstanden, was wir mit Blog-Software machen können, und schon sollen wir uns mit sogenannten sozialen Medien auseinandersetzen.

Das Problem in Deutschland ist außerdem leider, dass die metaphysisch angehauchten Medientheorie uns hier auch noch besonders wenig weiterhilft. Die interdisziplinären Ansätze sind viel zu pauschal. Sollten wir also auf die klassische Soziologie oder die Frankfurter Schule zurckgreifen? Nein danke… hier sehe ich derzeit ein schwieriges Begriffsvakuum.

MB: Du hast Netzkritik mitbegründet, und bezeichnest dich als radikalen Pragmatist, der negativ denkt und proaktiv handelt. Das klingt spannend. Erklär unseren Leser das doch mal genauer.

Leider kommen wir derzeit im neuen Medienbereich mit Generalansätzen nicht viel weiter. Auch der übliche Verwendungsdrang läuft ins Leere< weil das sogenannte Lesen von zum Beispiel Facebook mit Gayatri Spivak oder Bruno Latour nur bekannte Floskeln abliefert. Was wir brauchen, ist eine generelle Netztheorie, die das Medium selbst ernst nimmt, sich mit dem Objekt und deren Architektur direkt auseinandersetzt. Aber leider sind wir noch nicht so weit. Trend ist vielmehr gerade das Befragen von den Marketing-Hypes der Web 2.0 Unternehmen und deren Techno-Evangelisten. Das war nur schon als wir 1995 anfingen Programm der nettime-Gemeinde, und macht jetzt überhaupt kein Sinn.

MB: Kann Europa eine andere Netzkultur etablieren als die USA? Siehst du da eine Chance?

Warum ist Evgeny Morozov aus Weißrusland damals nicht nach Berlin gezogen und hat er sich stattdessen in der US als Netzkritiker niedergelassen? Reden wir doch mal darüber.

Noch immer werden neue Medien und Internet besonders in akademischen Kreisen verpönt: ‘Das ist doch nur was für Betriebswirtschaftler, alles nur Marketing. Das geht schon wieder vorbei. Da kann man doch gar nicht forschen, das ganze Feld ist unreif und formlos.’

Leider ist das nicht nur in Deutschland die herrschende Meinung. Gegen alle Erwartungen sehen wir in der Bildungsindustrie auf der universitären Ebene eine Abnahme von neuen Medienkursen, und damit auch von Medienkompetenz. Es geht ja nicht darum, dass die Kids wissen, wie man Facebook bedient oder gar Apps programmiert. Was abnimmt, ist die kritische Distanz und die technische Programmierfähigkeit. Erst mit ihrer Kombination entsteht wirklich etwas Neues.

Obwohl das Internet sich derzeit vor allem in Asien rapide verbreitet, und es im Mittleren Osten interessante Entwicklungen gibt, heisst das noch nicht, dass es dort auch ein kritisches Potential gibt – Indien wäre vielleicht eine Ausnahme.

Sachkundige und innovative Netzkritik, befreit von Resentiments, kommt nachwievor aus den USA. Wo ist der Nicholas Carr Europas? Das Problem ist doch, das sich die Intellektuellen sich in Europa überhaupt nicht für Netzpolitik interessieren. Im besten Fall twittern sie ein bisschen, aber wenn man Publikum haben will, gehört das mittlerweile ja zum Standard für alle VIPs oder Celebrities. Soziale Medien ist für sie Brandmanagement.

Doch die Europafrage ist da. Ich sehe das vor allem als eine Organisationsfrage. Es geht hier auf dem alten Kontinent nicht darum, das einzelne brillante Thesen entwickeln oder gründlich Forschung betreiben – nicht einmal das! Wir brauchen eine sichtbare Lobby, die an einer radikalen Analyse arbeitet, und zwar auf allgemeinem Level, nicht nur aus Angst über den Verlust der Privatsphäre.

Share