Interview mit Jungle World (22 Januar 2009)

http://jungle-world.com/artikel/2009/04/32483.html

Geert Lovink: “Die derzeitige Software verstärkt das Expertentum”

Die Gesellschaft sei in die »Epoche s digitalen Nihilismus« eingetreten, behauptet der Medientheoretiker Geert Lovink. Er ist Mitgründer des Community-Netzwerks »Digital City«, Mitglied der Stiftung zur Förderung illegalen Wissens und lehrt im Bereich Neue Medien an der Hogeschool in Amsterdam. Bekannt ist er auch als Autor zahlreicher Bücher zur Internetkultur, zuletzt erschien von ihm die Studie »Zero Comments«.

Interview: Doris Akrap

Teilen Sie die Klage einiger Musikkritiker, dass durch die massenhafte Verbreitung von Musik im Internet die Kritik der Musik- und der Popkultur ins Abseits geraten sei?

Richtig ist, dass es für professionelle Musikkritiker und unabhängige Künstler viel schwieriger geworden ist, mit ihren Produkten im Internet zu überleben. Das hat schlicht und einfach damit zu tun, dass es immer noch keine wirtschaftlichen Modelle gibt, die nachhaltig sind. Viele Kulturprodukte, für die früher bezahlt wurde, werden heute unentgeltlich produzert. Ob damit allerdings auch die Bedeutung von Kultur oder Kulturkritik verschwindet, ist eine andere Sache. Das Internet hat einerseits eine Vermehrung der Stimmen gebracht, gleichzeitig aber findet eine Reproduktion des Gängigen statt, und die ist in die Software der sozialen Netze eingeschrieben. Man kann verlinken und wiederholen, aber nicht widersprechen.

Muss Kritik oder Kunst, nur weil sie nicht bezahlt wird, einfach so verschwinden?

Fakt ist, dass man als Kritiker oder Künstler im digitalen Raum sehr wenig oder kaum Geld verdienen kann, weil das von der heutigen Software nicht unterstützt wird. Wie auf der Konferenz »Dancing with myself« gesagt wurde, ist es aus betriebswirtschaftlicher Sicht klüger, einen Club aufzumachen oder dort aufzutreten, um sich als Künstler oder Musiker eine Existenz aufzubauen.

Es gibt eine Verschiebung weg von der Content-Industrie, also den Leuten, die Inhalte produzieren und verwalten. Sie sind die Verlierer. Die Gewinner sind jene, die die Software entwickeln und die Infrastruktur verwalten. Innerhalb der kapitalistischen Verhältnisse ist das keine große Verschiebung, ein Industriezweig verliert, der andere gewinnt. Aber derzeit sind die Journalisten oder Kulturproduzenten die Verlierer.

Andererseits haben kürzlich gerade einige Blogger von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ­einen Job bekommen. Nicht alle Kulturproduzenten sind also Verlierer.

Man kann diese Leute aber auch als große Verlierer beschreiben. Sie haben es nicht geschafft, sich im Netz eine eigene Existenz aufzubauen. Das ist doch bezeichnend dafür, wie schlecht dieses Medium ist, das täglich von 20 bis 30 Millionen Leuten in diesem Land benutzt wird. Es ist nicht mal in der Lage, eine Handvoll Leute zu beschäftigen.

Ist der Nutzen, den das Internet für staatliche und kommerzielle User bietet, mittlerweile größer als der, den es als Plattform einer Gegenöffentlichkeit hat?

Die Chancen, die das Internet dafür bot, sind aufgegeben worden. Es hätte unterbunden werden müssen, dass eine große Firma wie Google sich eine derartige Monopolstellung verschafft. Das Internet ist sozusagen ein Spiegel der realen Welt. Die Überwachung oder Zugangsbeschränkung öffentlicher Orte wiederholt sich auch im Internet. Dieses Medium muss als öffentliche Infrastruktur neu definiert werden. Denn derzeit ist es das leider nicht. Das war es einmal, aber das ist 20 Jahre her.

Die Frage der Selbstvermarktung im Internet muss man allerdings radikal von der Frage trennen, ob sich im Internet wieder autonome Strukturen installieren lassen. Wenn man verstanden hat, dass der selbständige Künstler oder Kritiker mit seinen Produkten im Internet kein Geld verdienen kann, dann eröffnet das auch wieder die Möglichkeit, sich über politische Prozesse zu verständigen.

Wäre einer dieser politischen Prozesse der »digitale Nihilismus«, von dem Sie sprechen?

Ja, damit meine ich die Blogs und andere soziale Netze, die dazu geführt haben, dass die Aufgabe der Massenmedien, eine verallgemeinerbare Meinung zu repräsentieren, verschwunden ist. Heute schreibt ein Journalist seine Position in einer großen Zeitung auf, aber darüber hinaus hat das keine Bedeutung mehr. Denn das, was jemand im Internet zum selben Gegenstand sagt, kann von wesentlich mehr Leuten gelesen und geglaubt werden.

Aber es ist doch trotzdem so, dass die Klickzahlen von Spiegel online immer noch die der meisten Blogs übertreffen. Spricht das nicht dafür, dass die Internetuser immer noch konservativ auf Experten vertrauen?

Das Internet steht dem Expertenwissen überhaupt nicht entgegen. Im Gegenteil, die derzeitige Software verstärkt das Expertentum beispielsweise durch Services wie die RSS-feeds. Es ist überhaupt nicht so, dass das Internet von sich aus demokratischer wäre oder dass es dort tatsächlich eine gesteigerte Zahl unterschiedlicher Meinungen gäbe. Es ist viel eher so, dass sich einfach noch mehr Leute auf ein- und dasselbe stürzen. 15 Millionen Menschen gucken sich gleichezeitig ein Video auf Youtube an.

Dazu kommt, dass die Leute keine Zeit mehr haben, sich selber über das Gedanken zu machen, was sie da gerade gesehen oder gelesen haben, weil die Beschleunigung der Nachrichten­industrie eine unglaubliche Geschwindigkeit erreicht hat und die Echtzeit-Information immer intensiver und massiver wird. Auch private Personen werden durch Twitter und das Microblogging zunehmend zu Trägern dieser Beschleunigung.

Wird sich irgendwann auch das starke Bedürfnis nach Entschleunigung einstellen?

Wir dürfen hier nicht nur vom Verhalten der User reden. Es geht um technische Prozesse, um Netzarchitektur, um Dinge, die durch die Technik festgeschrieben sind. Diese Beschleunigung ist keine Macke oder ein Bedürfnis von jemandem, sondern die Software zieht die Leute da hinein. Hier ist weniger eine kulturpessimistische Sichtweise über das Verhalten der Leute gefragt als eine Anforderung an die Maschinen, die uns bei der Entschleunigung behilflich werden müssen. Von den Softwareentwicklern und Netzbetreibern wird dieses Geschäft aber nicht gefördert. .

Sie haben oft behauptet, dass das Internet die Frage nach Autorität und Macht auf neue Weise stellen würde. Sehen Sie das immer noch so?

Durchaus. Ob allerdings das Internet auch die gesellschaftlichen Strukturen verändert, ist eine andere Frage. Festhalten kann man aber, dass diese Infragestellung geltender Autoritäten nicht zwangsläufig in eine linke Kritik an Autorität und Herrschaft mündet. Das sehen wir gerade hier in den Niederlanden, wo sich zunehmend ein Rechtspopulismus entwickelt. Eine große Anzahl junger, aber auch etablierter und älterer Leute wollen den linksliberalen Konsens durchbrechen. Und das passiert auch unter dem Gesichtspunkt des Internets und dessen Idee, ein Gegenpol zur herrschenden Medienkultur im Printbereich, im Rundfunk und Fernsehen zu sein. Früher war das mal links und subversiv konnotiert. Heute äußert sich das anders.

Ist das Internet schuld am Rechtspopulismus?

So kann man das nicht sagen. Es gab nach 1989 große gesellschaftliche Veränderungen und Verschiebungen, die in vielen Ländern stattgefunden haben. Es gibt den bürgerlichen Konsens nicht mehr, es ist nicht mehr die FDP, die diesen vertritt, sondern eben eher rechtspopulistische Kräfte. Diese großen Veränderungen wurden eben auch durch das Internet begleitet, und rechte Kräfte machen sich dort seit einigen Jahren besonders krass bemerkbar und können dieses Medium für sich nutzen.