Geert Lovink–Interview
Sprache, Migration und die Globalisierung von Deutsch
Fragen und Bearbeitung von Krystian Woznicki
Für Berliner Gazette
Ich bin zunächst mit Niederländisch aufgewachsen, dann kamen im Laufe von vier bis fünf Jahren immer mehr Englische Wörter dazu, weil bei uns Zuhause viele Internationale Gäste zu Besuch waren. Popmusik war auch wichtig, und vor allem die fremden Klänge der Schallplattensammlung meiner Eltern waren von großer Bedeutung. In Amsterdam Mitte und Ende der Sechziger Jahren als Kind aufzuwachsen, war etwas besonders: Die ganze Politik-, Drogen- und Sexrevolution vor der eigenen Tür mitzuerleben, hatte schon etwas prägendes. Dazu kam noch, dass mein Vater viel unterwegs war und in der Zeit gerade Russisch und Italienisch lernte. Das Interesse für Deutsch ging aber von mir aus. Die Liebe für die deutsche Sprache und Kultur kam erstmals im Alter von 14 Jahren. Natürlich spielte der zweite Weltkrieg eine entscheidende Rolle. Ich wollte die Vorkriegszeit verstehen, und nicht einfach die Deutschen hassen für das, was sie getan hatten, wie die meisten meiner Generation. Man muss in Holland schon ein ziemlicher Einzelgänger sein, um sich mit der deutschen Sprache und Kultur auseinander zu setzen. Aber es gibt genügend Megaindividualisten wie mich, es ist daher nicht überraschend, dass nicht wenige irgendwann in ihrem Leben mal in Berlin gewohnt haben. Das Problem ist aber, dass wir uns in der Öffentlichkeit nicht zu dieser Leidenschaft bekennen können.
Seit 25 Jahren komme ich nun regelmäßig nach Berlin, manchmal ein paar mal im Jahr. Dreimal blieb ich in dieser Stadt sogar ein ganzes Jahr: 1983-84, 1990-91 und 2005-06. Als ich in Australien wohnte (2000 bis 2004), habe ich es trotzdem geschafft, einmal im Jahr in Berlin oder wenigstens irgendwo auf deutschsprachigem Boden zu sein. Deutschland ist meine geistige Heimat. Automatisch kehre ich immer wieder dorthin zurück. Anfangs war es die Hausbesetzerbewegung, dann die Medientheorie, Mitte der Neunziger schließlich die Netzkritik zusammen mit Pit Schultz, der in Berlin wohnt. Nun hat mich meine eigene Forschung zur Netzkultur wieder in die deutsche Hauptstadt verschlagen. Der rote Faden ist da die Reflektion hinsichtlich einer kritischen Medienpraxis. Diese Art der Reflektion gibt es kaum in Amsterdam. Da zählt nur das Machen.
Was die deutsche Sprache anbetrifft, ging es mir immer wieder ums Überwinden der Angst vor Grammatikfehlern. Um 1986, als ich mal kurze Zeit Hollandkorrespondent für die taz war, musste ich Berichte auf Deutsch verfassen. Da habe ich einen Deutschkurs gemacht. Das Ergebnis war schockierend: mindestens ein Fehler pro Satz. Da wird man schnell depressiv. Viele kapitulieren. Ich habe das aber nicht gemacht. Mitte der Neunziger Jahre waren meine Deutschkenntnisse vermutlich am besten. Es war damals eindeutig meine Zweitsprache, interessanterweise nicht das Englische. Dann aber ging es bergab, weil ich in der Zeit die Entscheidung treffen musste, nur noch auf Englisch zu schreiben. Das hatte damals klare wirtschaftliche Gründe. Das Internet ging los und ich wusste einfach nicht mehr, wie ich die ganzen Übersetzungen von Niederländisch und Deutsch ins Englisch organisieren und finanzieren sollte. Diese Frage beschäftigt mich immer noch, aber mittlerweile in die umgekehrte Richtung.
Wenigstens in den Neunziger Jahren habe ich mich als Teil der deutschsprachigen Kultur verstanden. Manche würden mich als engagierten Outsider bezeichnen, oder eben als Insider, der sich im Abseits bewegt. Egal. Es hat einfach nicht mit Nationalität oder Wohnort zu tun. Heutzutage ist es ja unwichtig, wo man ist. Entscheidend ist, in welcher Kultur man sich positioniert. Der Einfluss der deutschsprachigen Theorie auf meine Arbeit war und ist besonders groß, das steht außer Frage. Ich muss aber feststellen, dass er in den letzten fünf Jahren stetig abgenommen hat. Das hat aber weniger mit meinen Australienaufenthalt zu tun, als vielmehr mit der generellen Verflachung der intellektuellen Kultur in Deutschland. Irgendwann wird es uninteressant die ganzen Klagen zu lesen. In der Tat, alles geht bergab, sitzt fest im Reformstau, globalisiert nicht so richtig, bleibt provinziell, und so weiter. Es würde Sinn machen, Deutsch als Sprache der Maschinen zu etablieren. Denke an Volkswagen, BMW und Mercedes und was für Einfluss der deutsche Maschinenbau weltweit hat. Ohne deutsche Maschinen gäbe es diesen Wachstum in China gar nicht. Da sehe ich also viele Möglichkeiten. Problem ist aber, dass die Sprache der Technologie halt Englisch ist und sich da derzeit wenig machen lässt.
Berlin ist voller genialen Einzeltäter, von denen wir wenig erfahren, weil die Stadt pleite ist und nur noch das alte, etablierte und konventionelle gefördert wird. Ja ja. Trotzdem ist Berlin, wenigstens für mich, aber auch für viele andere, die Kulturhauptstadt Europas. Vielleicht besagt das auch etwas über die globale Lage, weil die organisierte Langeweile und ihre Spektakel den Rest der Welt fest im Griff haben. Berlin ist da eine Anomalie. Marxistisch gesehen, müsste man sagen, dass Berlin nur deshalb so interessant ist, weil die Stadt den Immobilienboom verpasst hat. Elend als Chance. Sonst wäre es genau so langweilig wie überall sonst wo.
Während meiner Zeit am Wissenschaftskolleg in Berlin habe ich mein nächstes Buch zu Ende geschrieben. Das bedeutet, dass ich nicht so viele neue Sachen habe anfangen können. Ich musste dieses Manuskript auf Englisch verfassen, das geht leider nicht anders. Ich habe aber vor, mich in der nächsten Zeit mit Internet und globalen Sprachen zu befassen. Ich mache das zusammen mit Gerard Goggin in Sydney, der sich auch für dieses Thema interessiert. Es geht dabei um die gängige These, das Englische übernehme die ganze Welt und das Internet sei sein Vehikel – das Ganze soll nun aus der Netzperspektive angegangen werden. Wenn man Blogs und die sogenannten Social Networks wie MySpace und Flickr ansieht, fällt es immer wieder auf, wie sprachlich begrenzt und länderbedingt diese Webseiten sind. Die wenigen Ausnahmen mal ausgenommen. Blogs gibt es nur in der jeweiligen Muttersprache. Nur ganz wenige machen ihre eigene Kommunikation direkt auf Englisch. Das meiste ist auf Japanisch, Deutsch, Portugiesisch, Chinesisch usw. Dieser Trend wird sich fortsetzen. Die Annahme, dass mit Internet, alle auf einmal anfangen Englisch zu schreiben, stimmt einfach nicht. Reden, vielleicht. Lesen, ja, wer weiß. Aber bestimmt nicht produzieren.
Deutsch hat als die größte Sprache im kontinentalen Europa eine wichtige aber gleich auch bescheidene, regionale Rolle. Europa wird in Zukunft immer weniger bestimmen, was sich global tut, und ich bin mir sicher, dass viele damit zufrieden sind. Europa als Weltmacht, das wäre doch eine Katastrophe. Das bringt mehr Alltag und weniger Krieg mit sich. Das große Kontrastprogramm zum 20.sten Jahrhundert also. Europa weiter zu dekolonisieren und zu enthistorisieren halte ich für besonders wichtig. Immer noch arbeiten viele an den Traum einer Normalisierung der Verhältnisse. Die deutsche Sprache spielt in diesem Prozess eine wichtige Rolle, vor allem weil sie die Verbindung nach Ost-Europa herstellen kann. Das kann man doch von Französisch oder Englisch nicht gerade sagen. Es gibt in England oder Frankreich doch kein Interesse an, sagen wir, Moldavien. London und Paris verbleiben nach wie vor in ihrem globalen Traumland. Das ist auch gut so, warum sollten sie es anders machen?
Unwichtig im Zusammenhang mit der Sprachthematik ist das Sprechen. Denn: Sprechen können alle. Worauf es in meiner Erefahrung ankommt, ist das Schreiben. Die entgültige Meisterung einer Fremdsprache, liegt im Schreiben. Das gilt genauso für die Holländer. Fast alle Studenten, die ich an der Universität betreue, schreiben ihre Abschlussarbeit und Doktorarbeit auf Englisch. Erst dann bemerken die, wie schlecht ihr Englisch eigentlich ist. Deswegen würde ich in den Schulen noch früher mit Fremdsprachen anfangen. Tatsache ist aber, dass sich die meisten nicht mal fehlerfrei schriftlich in ihrer Muttersprache ausdrücken können. Das gilt vermutlich auch für die Deutschen.