Interview mit Geert Lovink

Für SPEX magazin

Der Kampf zwischen Freiheit und Kontrolle
Interview mit Geert Lovink
Von Florian Schneider

Bekannt als Medientheoretiker, Internetaktivist der ersten Stunde und Pionier der Netzkritik,  hat Geert Lovink in letzter Zeit an einer politischen Ökonomie des Internet gearbeitet, die nicht erst mit dem Zusammenbruch der New Economy einsetzt. Nach einer längeren Buchpause gab es von ihm 2002 auch neuen Lesestoff. Ein Gespräch über die Zustände virtueller und nicht-virtueller Vernetzung.

Dein neues Buch heisst »Dark Fiber« – ein Fachausdruck aus der Welt der Glasfasertechnologie, der die ungenutzte Bandbreite bezeichnet. Firmen lassen oft mehr Leitungskapazität verlegen, als sie eigentlich benötigen – aus dem einfachen Grund, dass nicht jedes Mal, wenn wieder mehr Bandbreite benötigt wird, von Neuem die Erde aufgerissen werden muss. In deinem Buch geht es aber auch um die dunklen Seiten des Internet-Booms. Wie schwarz siehst du die Zukunft des Netzes?

Alle halten mich für einen Technoskeptiker. Das bin ich nicht. Netzkultur ist das, was der Fall ist. Für das Netz findet die Zukunft jetzt statt. Das bedeutet, dass es nicht länger Sinn macht, bestimmte Trends zu extrapolieren. Das Netz hat keine einmaligen Qualitäten mehr, die sich in der Zeit entfalten. Der Kampf zwischen Freiheit und Kontrolle wird noch lange andauern. Das Ergebnis dieser Auseinandersetzungen ist nicht im Voraus bekannt – auch nicht den Experten. Der Dotcom-Crash hat Voraussagen von Internetexperten sowieso diskreditiert. Das ist auch gut so. Zehn Jahre nach der kommerziellen Öffnung und der Geburt des World Wide Webs ist das Internet nun alles andere als neu. Statt auf das Potenzial der Technologien zu spekulieren, würde ich das Netz als einen Spiegel globaler wirtschaftlicher, politischer und kultureller Spannungfelder beschreiben. Wir müssen zuvor aber jegliche Propheterie aufgeben. Weder Künstler noch Programmierer noch Netzkritiker sind dazu in der Lage, sich eine Vorstellung davon zu machen, was die Zukunft bringen mag. Das alles ist pure New-Age-Management-Religion. Warnungen von Liberalen wie Lawrence Lessig vor der wachsenden Macht der Monopole machen zwar durchaus Sinn, diese Aspekte bestimmen aber nicht die Gesamtlage. Stattdessen geht es darum, dass wir selbst uns besser im Netz bewegen lernen, die aktuellen Kontroversen analysieren und unsere jeweiligen Standpunkte weiter propagieren und radikalisieren. Das wäre »Dark Fiber« für mich: Egal ob freie Software, Peer-to-Peer-Netze, Wi-Fi oder Weblogs, alle diese offenen Konzepte befinden sich enorm in Bewegung   und führen gerade zu einer Renaissance des Netzes nach dem Kollaps der Dotcoms und Telekoms.

Ich trauere dem Boom der New Economy und diesem ungeheuren Ausbruch spekulativer Phantasie ein wenig hinterher. Was jetzt als schnöde Bilanzfälschung auffliegt, verweist in einem gewissen Sinne auf die Unmöglichkeit, mit den gängigen Bemessungsgrundlagen und betriebswirtschaftlichen Verfahrensweisen im Virtuellen so etwas wie Profit im herkömmlichen Sinne zu erwirtschaften. Müsste es jetzt nicht
darum gehen, neue Produktionsweisen und Formen der Wertschöpfung zu entwerfen, die die allzu simple Gegenüberstellung überwinden  von hysterischer Geldgier auf der einen und romantischem Altruismus – den man sich erstmal leisten können muss – auf der anderen Seite?

Wenn wir die kriminelle Energie vieler Dotcoms mal beiseite lassen, können wir schon feststellen, dass die Dotcom-Unternehmer und die Programmierer freier Software etwas gemein haben. Beide sind nicht daran interessiert, techno-finanzielle Modelle zu entwickeln, die für ein nachhaltiges Einkommen der Content-Produzenten sorgen werden. Vielleicht macht es keinen Sinn, noch länger auf Mikrobezahlungssysteme zu warten. Die freie Softwaregemeinde hat kein Interesse daran, eine eigene Wirtschaft im klassischen Sinne aufzubauen. Für sie sollte alles erst einmal >frei< sein. Das gilt sowohl für den Code als auch für die Inhalte, die in digitaler Form online zur Verfügung gestellt werden. Du hast also recht, aber es wird erstmal keine gemeinsame Interessenslage wahrgenommen von denjenigen, die die Programme schreiben, und denen, die dafür theoretisch bezahlen könnten – falls solche Software in Auftrag gegeben wird. Kurz: Es gibt keine Solidarität mit denen, die Geschichten schreiben, Musik machen, Bilder herstellen, Theorie und Kritik treiben, usw. Das müssten wir erstmal festhalten, bevor wir uns schöne Pläne für die Zukunft ausdenken. Meiner Erfahrung nach ist dies schon seit 15 Jahren der Fall. Einen Ausweg könnte nur die generelle Aufstockung der IT-Mittel im Bildungsbereich bieten. Das hieße, dass alle, die z.B. Kunst oder Geisteswissenschaften betreiben, in Zukunft in der Lage sein müssten, zu programmieren. Die Vorstellung, dass dies andere für einen machen, die müsste man glatt aufgeben.

Die Zusammenraffung eigentlich als recht langwierig bekannter Prozessse oder das, was du Dromo-Darwinismus genannt hast, die Geschwindigkeitsreligion der Dotcoms, korrespondiert mit der rein quantitativen Ausdehnung, die gegenwärtig das ausmacht, was einst als Anti-Globalisierungsbewegung gehypt wurde: eine Bewegung der Bewegungen, die frei von jeder Dramaturgie sowie innerer oder äußerer Einflussnahme scheint und einfach immer nur breiter wird. Die Einschätzung, dass diese Bewegung nach Genua und dem 11.9. zusammenfallen wird, hat sich nur insoweit bestätigt, als der Retro-Trend zur Friedensbewegung offenbar lediglich an der Oberfläche stattfindet, bzw. mit Italien, Großbritannien und den USA vor allem Länder erfasst, die seinerzeit nicht besonders viel davon mitgekriegt haben. Welche Entwicklung hat für dich die (Anti-)Globalisierungsbewegung genommen?

Ich denke dabei vor allem an die Proteste in Amsterdam im Juni 1997, als es dort einen EU-Gipfel gab und auf einmal aberzehntausende Demonstranten aus ganz Europa auftauchten. Damals war schon das Spannungsfeld sichtbar zwischen einer klassischen Linken und der post-linken Multitude, die nicht mehr durch Partei oder Gewerkschaft mobilisiert worden war. Nach wie vor gibt es in der Bewegung der Bewegungen keine allzu großen Spannungen zwischen diesen beiden Polen, wenngleich sehr große Unterschiede existieren. Das hängt vielleicht damit zusammen, dass die Bewegung immer noch wächst und deswegen nicht so einfach defensive Ghettos entstehen. Die globale Wirtschaftskrise verschärft die Lage weiter. Es kann also gut sein, dass wir längst jenseits der großen historischen Debatten operieren. Im Unterschied zu den 68er Bewegungen gibt es diesmal kaum Bühnenpersönlichkeiten, die von den Medien gehypt werden können. Scheinbar handelt sich um eine Bewegung ohne Intellektuelle – was natürlich so nicht stimmt. Aber auffällig ist schon, dass es so viele nicht-hierarchische Strukturen gibt, Netze und Subnetze eben. Das kann leicht zu unsichtbaren informellen Strukturen führen. Trotz E-Mail-Listen und Indymedia ist das (neue) Medienbewusstsein aber recht rudimentär entwickelt.  Auch das deutet auf die Gefahr hin, dass die Bewegung bloß reagiert und einen Hang zum Retro hat. Trotzdem bleibe ich zuversichtlich und bin erstaunt über die immer weiter anwachsenden Massen, die auf die Strassen gehen und sich im Netz treffen. So etwas hat es lange Jahre nicht mehr gegeben. Es kann auch schnell wieder verschwinden oder dogmatische Züge annehmen.

Mit »New Rules for the New Actonomy« haben wir das Potenzial eines vernetzten Aktivismus zu beschreiben versucht, der in der Schnittmenge aus einem aufreizenden Übermut im Virtuellen und fundierter Kritik der herrschenden Verhältnisse bestimmte systematische Umwertungen vornimmt. Da verwundert es eigentlich nicht, dass mit dem Crash der Netzökonomie und der Regression des Neoliberalismus in eine Art Nationalliberalismus auch die ursprüngliche, naive Euphorie des Netzaktivismus in Mitleidenschaft gezogen wird. Worin könnte im Moment der Handlungsspielraum bestehen, das spezifische Gewicht zeitgemäßer politischer Interventionen: Ist es die strategische Aneignung zuletzt von der Gegenseite bebenutzter, heute aber leerstehender und immer weiter herunterkommender Kampfbegriffe wie Globalisierung, Europa oder Freiheit, die vor dem Hintergrund der ersten konkreten Erfahrungen einer Multitude erstmal von Grund auf digitalisiert und virtualisiert werden müssten?

Der Dotcom-Crash hat zu einer Renaissance der Internetapplikationen geführt. Viele Konzepte, die schon seit geraumer Zeit vorhanden sind, können sich jetzt erst richtig entfalten und breitmachen, wie das Beispiel der WaveLAN oder WiFi-Netze am Besten zeigt. Hier eröffnet sich ein riesiger Handlungsspielraum. Technologie war noch nie so offen und so politisch, trotz aller Gefahren und Beschränkungen. Grund dafür ist, dass eben so viele Menschen Zugang haben zu billigen Geräten und günstigen Verbindungen. Elektronische Kommunikation ist keine Luxusware, sondern eine Notwendigkeit. Das heisst aber auch, dass viele Aktivtisten erstmal ihre eigene Vorstellung von der Welt den Gegebenheiten anpassen müssten. Komischerweise sind viele Aktivisten und Künstler ganz und gar nicht mehr innovativ, kreativ oder avantgardistisch tätig. Der Rest der Welt holt in Lichtgeschwindigkeit auf und es fällt allen schwer, da überhaupt mitzuhalten. Leider wird mehr und mehr reagiert und nicht so sehr initiiert. Die Besetzung leerstehender Kampfbegriffe des Gegners setzt Mut voraus und technische Kompetenz. Beides aber wird vorhanden sein – das ist nur eine Frage der Generationen.

Geert Lovink: »Dark Fiber«, ist bereits bei MIT-Press erschienen und wird in Kürze in deutscher Übersetzung erscheinen. Mehr Netzkultur unter www.nettime.org.