CS:. Dein neues Buch heißt >My First Recession<. Wie hast du persönlich den dot.crash, das Zerplatzen der Internet-Blase, erlebt?
Die Periode 1998-1999 war fuer mich eine Aera rapider Entfremdung. Eindeutig war die ursprungliche Netzkultur in dieser Zeit der Hyperspekulation nicht in der Lage eine passende Antwort auf den Dotcomgewalt zu finden. Eine war eine Zeit des Schweigens. Ziemlich dunkel, voller Leute die schwerst kompromitiert haben. Im Gegensatz zu den individualistischen Anschein war Herdenmentalitaet angesagt. Fuer mich persoenlich war es eine Periode in den ich mich von Amsterdam verabschiedete. Die Yuppies in Anzuegen hatten die Stadt uebernommen. Eine lange Tradition von Subversion kam abrupt zu Ende. Die unabhaengige Medienprojekte wie die Digitale Stad, xs4all aber auch die Piratenradios konnten sich nicht mehr behaupten.
Ich war hell begeistert als ich Februar 2000 bemerkte das die Dotcom anfing zu platzen. Vielleicht ist Krise doch eher Alltag fuer mich. Es hat natuerlich andererseits etwas kalvinistisches, das man diese Geldorgie (die auch hauptsaechlich auch eine Drogen und Partyorgie ist) nicht richtig geniessen kann. Nun gut. Das ist vielleicht etwas persoenliches. Was mich aber stoerte war nicht sosehr die Orgie, den Rausch–daran wir in Amsterdam schon gewoehnt. Was mich wunderte war diese kollektive Ausschalten jeglicher Reflexion, die voellige Hingabe an bloede PR und die Aberglaube, diesen Boom wuerde ewig dauern und die Welt grundsaetzlich veraendern. Es war wirklich eine Geldreligion. Und wie wir wissen ist schwer mit Glaubigen rationell zu diskutieren.
Die Dotcomblase kam gerade zuende als Eric Kluitenberg und ich die Tulipomania Dotcom Konferenz in Amsterdam veranstalteten. Trotz allem habe ich deren Niederlage nicht als persoenlichen Sieg erfahren. Das hat glaube ich vor allem mit GW Bushregime und den 9.11 zu tun. Die Boersenskandalen wurden so gross das sie den Internetkontext weit ueberstiegen–und auf einmal befanden wir uns in eine radikal anderes Zeitalter, als ob die ‘goldenden Neunziger’ nicht stattgefunden hatten. Diese Beschleunigung der Geschichte fasziniert mich auch.
CS: Glaubst du, dass es sich dabei um eine >normale< Krise handelt, wie sie oft in der Anfangsphase neuer Technologien auftritt, die dann wieder von einem ruhigeren Wachstum abgelöst wird? Oder siehst du dahinter eine grundsätzlichere Krise, etwa eine prinzipielle Schwierigkeit, dem Internet kommerziellen Wert abzugewinnen?
Ende der Neunziger kam einiges zusammen. Es war meinentwegen eine klassische Mischung aus alte und neue Krisen, oder sollten wir Schwenkungen oder gar Beben sagen? Viele Wirtschaftler haben mittlerweile beweisen das Technologie an sich keine erhebliche Produktivitaetssteigerung mit sich bringe. Trotzdem hat die Vernetzungsrevolution fuer viel Wirbel gesorgt, vor allem in finanziell-spekulativen Sinne. Dazu kommt den Sturz der Mauer und das Hoehepunkt des Neo-liberalismus.
CS: Du hast eine Reihe von Internetprojekten mit begründet oder maßgeblich begleitet, von der Digitalen Stadt Amsterdam über Nettime bis zu Fibreculture und Discordia. Gibt es für dich dabei rückblickend so etwas wie eine Entwicklungslinie?
GL: Komischerweise nicht. Die Einsicht habe ich von Phil Agre, der mal argutierte, das Netz habe sich grundsetzlich kaum weiterentwickelt in den letzten 20 Jahren. Er meinte damit technische Funktionalitaet, aber das koennen wir genausogut auf der sozialen Ebene ausweiten. Kar gibt es einfachere Benutzeroberflaechen, wie Weblogs und content management systems. Der Mensch aber bleibt der stabilen Faktor–oder sollten wir sagen, den instabilen? Wetware als Stoerfaktor hat natuerlich was. Ich finde, wir sollten uns darueber lustig machen und nicht argumentieren als sei noch so viel zu tun. Klar brauchen wir Massenerziehungswaffen. Abermillionen werden durch Microsoft vebloeded und sind noch nicht bekannt mit der subversiv-befreiende Wirkung von open source und freie Software. Das gilt auch fuer die innere Dynamik von virtuelle Gemeinschaften die eigentlich alle bescheid wissen sollten. Wie mit VIren und Spam umzugehen? Das Problem ist das wir alle ziemlich genau wissen muessen wie mit den Internettools umzugehen. Aber akzeptieren wir diese real existierende Komplexitaet? Ich glaube nicht. Den Alltag ist schon anstrengend genug. Nach neugier, extase und normalitaet erreicht das Netz jetzt seine Regressionsfase. ich sehe es als ein sadistisches Moment der Rache, an diejenigen die dachten, den Komputer gemeistert zu haben. Sollten wir es eine Rueckkehr des technischen Unbewusstseins nennen? Ich moechte hier nicht an Paul Virilio’s Unfalltheorie verweisen weil ich denke das es nicht (nur) um Pannen geht. Den Zusammenbruch von Internetfunktionalitaet fuehrt nicht zu Apokalypsen sondern zu Frust und das Begierde wegzuschauen und den Kist wegzuschmeissen.
CS: Wie ist für dich das Verhältnis zwischen Vernetzung durch elektronische Medien und realer Vernetzung, also von Konferenzen, Treffen, persönlichem Kontakt?
Klar, darueber habe ich viel veroeffentlicht. Ich glaube sehr daran das reale und virtuelle Vernetzung eins sind und ueberhaupt nicht seperat diskutiert werden sollten. Ich moechte aber aufpassen und den ganzen virtuellen Kram nicht herunterreden. Es kann in bestimmten Faellen eine grosse befreiende Wirkung haben das man sich eben nicht trifft (weil man zum Beispiel einfach dazu nicht in der Lage ist). Diese Projekte sind aber eher Ausnahme. Zum Beispiel gibt es besonders interessante globale Foren, auf Englisch, von Patienten mit bestimmten Krankheiten. Was wir so langsam nicht mehr machen muessten ist eine Dekonstruktion der Neunzigerideologien. Stattdessen ist vielleicht eher angesagt eine Geschichtschreibung anzufangen die die real erlebte Extase in Betracht nimmt. Dies gilt auch fuer Techno, die Partydrogen, Clubgeschichten usw. Darin gehoert das Netz fuer mich. Erst dann werden vielleicht feststellen das die ‘reine Virtualitaet’ und das mischen von realen und virtuellen Vernetzungsform kein Gegensatz ist. Letztenendes ginge es dabei um die politische Einschaetzung von den Cyberlibertaeren Stroemungen. Mitte der Neunziger waren sie konservativ, jetzt aber wieder das genaue Gegenteil!
CS: Was sind deiner Meinung nach die anstehenden nächsten Entwicklungsschritte bei der Nutzung des Internet für Netzwerke? Gibt es Dinge, die dringend entwickelt werden müssten?
GL: Wie die heutige Spam und Virenkrise ueberwunden wird, kann ich ueberhaupt nicht vorhersagen. Ich finde es interessant das es weltweit doppelt so viel Handybenutzer als Internetbenutzer gibt–und das viele Aktivisten, Kuenstler und Techies diese blosse Tatsache bisher negieren. Neue Medien sind vor allem von der US-Amerikanische Obsession fuer den (festen und schweren) Buero-PC definiert. Euroaktivisten sind noch nicht in der Lage gewesen sich von den statischen home computer zu verabschieden. Das steht aber an. Was mich auch noch immer wundert ist wie viele noch Angst fuer das copyright haben und alles was sie produzieren einfach an Verlage verschenken statt ihre Arbeit online zu Verfuegung zu stellen. Nach alle Standards und Zugangskriege wird es letztenende um die online Inhalte gehen… oder wird es doch die Software drehen? Die Technodeterministische Frage also bleibt spannend und ungeloest.
CS: In >My First Recession< ziehst du eine eher kritische Bilanz des Oekonux-Projekts, eines Netzwerks, das sich für den Zusammenhang von freier Softwareentwicklung und gesellschaftlicher Utopie interessiert. Welche Probleme siehst du hier? Ist etwas daran typisch für Vernetzungsprozesse?
GL: Oekonux hat als ur-Deutsches Projekt angefangen, wo die Maenner ueber sogenannte Grundsatzfragen diskutieren. Dies ist zum Glueck nicht mehr so. Oekonux hat ihr Kalvinistisches Element verloren und ist internationaler geworden. Ich bin mir nicht sicher ob ich Oekonux als solches kritisieren sollte weil ich es hier und da doch interessant fand. Problem bleibt die freiwillige Diktatur der Gruender. Das haben viele online Foren. Leute wie Stefan Merten, die Oekonux aufgebaut haben, sollte man eigentlich in Rente schicken. Diese Art von Projektbosse haben eine Promotion verdient, machen aber trotzdem ewig weiter und das ist eigenlich schade. Dies alles sind Verwandlungsfragen und ganz und gar nicht persoenlich, obwohl Persoenlichkeitszuegen immerhin eine Rolle spielen. Wie koennen Projekte weitermachen und trotzdem wachsen, und sich aendern, und falls noetig, sich aufloesen? Dies ist meine zentrale Frage–schon seit 1983. Und gibt es ueberhaupt etwas zu ‘lernen’? Koennen Erfahrungen weitergegeben werden, ueber Generationen und Regionen hinweg? Oder muss jeder immer wieder von vorne anfangen? Was sagt du dazu?
CS: In deinem Eröffnungsbeitrag auf dem NEURO-Kongress hast du darüber gesprochen, dass Netzwerke eine natürliche Lebensdauer haben – eine Jugend, eine Reifezeit, eine Zeit des Alterns und schließlich des Sterbens. Wie charakterisierst du diese Phasen?
Eh, ob sie sterben muessen, das habe ich nicht behauptet! Ich bin ja kein Naturalist und glaube nicht an Lebenszyklen. Worum es doch geht ist die Frage was nach den fun passiert. Alle koennen sich was bei der Gruendungseuforie vorstellen, und moechten sich daran beteiligen. Vernetzung aber faengt erst nach der Bekanntmachung an, wenn die Beteiligten anfangen zusammenzuarbeiten. Erst dann wird es interessant. Oder hoert sich das vielleicht zu morbide an, da ich mich nur an der Krise interessiere? Sag mir, was waere wichtiger, das wissen um die Gruendung, der Anfang, oder die hohe Kunst des Stagnation?
CS: Was hat dich und Trebor Scholz dazu gebracht, eine Konferenz zum Thema >Netzwerke, Kunst und Kooperation< zu machen? Was fasziniert dich an Kooperation?
GL: Wir trafen uns zuerst online, anfang 2000 als Trebor eine Konferenz zu Kosovo organierte. Maerz 2003 trafen wir uns in Chicago und entschieden und zusammenzuarbeiten. Das Thema war eindeutig von deinen Arbeiten beeinflusst. Wie Trebor dazu gekommen ist kann ich nicht beantworten aber fuer mich hat Klaus Theweleit’s Arbeiten damit zu tun. Er stellt die Frage nach der Moeglichkeit gewaltfreier Verwandlungen. Bei mir sind diese Fragen nicht nur theoretischer Natur weil ich seit Ewigkeiten in Gruppenzusammenhaenge arbeite, anfangs in der Hausbesetzerbewegung und deren Medien, dann die Agentur Bilwet und zuletzt die Netzinitiativen. Meine Arbeit entsteht in Form einer Dialog. Ich bin nun mal kein klassischer Author–oder sagen wir, ungern.
CS:. Seit kurzem bist du aus Australien wieder nach Holland umgesiedelt und hast einen Job an der Uni angenommen. Womit beschäftigst du dich dort? Was sind deine nächsten Projekte?
CS: Ein guter Rat für alle NetzwerkerInnen und solche, die es werden wollen?
GL: Relax, don’t do it. If you want to go to it. Zu behaupten, Vernetzung sei nur moeglich auf der Basis ‘freier Kooperation’ idy fuer mich keine leeres Versprechen. Wenn es dir nicht interessiert, mache es nicht. Du kannst dich schnell in so eine Sache verlieren. Halte immer ganz genau im Kopf warum du mit all diesen Leute in Kontakt bist. Das alles kann ziemlich verwirrend sein wie zum Beispiel wenn du anfaengst international zu operieren.
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Geert Lovink’s Webarchiv: www.laudanum.net/geert. Alte Agentur Bilwet texte (auch auf Deutsch): www.desk.org/bilwet.
Geert Lovink: My First Recession. Critical Internet Culture in Transition. V2-NAi, Rotterdam 2003. Euro 27,50. Auf Deutsch erschienen ist Lovink’s Dark Fiber, BPB, Bonn/Berlin 2004.