Der Jenaer Medienphilosophie-Professor Mike Sandbothe behauptet, Medienphilosophie sei ein Wort, das von Medienleuten gern verwendet und von Fachwissenschaftler gern vermieden werde. Trotzdem tut sich einiges. Im November gab es eine entsprechende Tagung in Stuttgart, und bei Fischer erschien der BandMedienphilosophie. Beiträge zur Klärung eines Begriffs. In zwölf programmatischen Aufsätzen wird darin auf die Frage eingegangen, was Medienphilosophie wohl sein möge. Anstelle einer Buchbesprechung oder eines Konferenzberichts hier das Ergebnis meiner Emailanfragen an einige Autor/inn/en, in denen ich um Stellungnahmen zu einem Interview mit dem Medienphilosophen Frank Hartmann bat. Darin sprachen wir über seine neue Studie zum Begriff der ‘Mediologie’ und das Spannungfeld zwischen begriffszentrierter Theorie und digitaler Bildkultur. Für Lettre bat ich Sybille Krämer, Marie-Luise Angerer, Mike Sandbothe und Wolfgang Ernst, zu den Hartmanninterview stellung zu nehmen.
Der Vormarsch der Computervernetzung hat endgültig die Philosophiestuben erreicht. Technologie ist nicht länger das Forschungsgebiet einzelner, sondern verwandelt die Wissensproduktion insgesamt, einschliesslich der Philosophie, egal ob es nun Ethik oder Logik betrifft. Und dort setzt die gegenwärtige Diskussion an. Während einige glauben, dass der Kern der Philosophie (‘das Denken an sich’) von den modischen Maschinen unangetast bleibe, glauben andere, es sei lebenswichtig für die gesamte Disziplin, sich mit der Medienfrage zu befassen. Die Auseinandersetzungen drehen sich um die Zielsetzungen dieser neuen Teildisziplin namens ‘Medienphilosophie.’ Die Wahl fiel nicht von ungefähr auf dieses Label, denn bei der Namenswahl geht es geht eindeutig um die Positionierung innerhalb dieses Jahrtausende alten Faches. Gleichzeitig aber tauchen hier und da parallele Projekte wie ‘Medientheorie’, ‘Mediologie’ oder ‘Medienwissenschaft’ auf.
Machen wir schnell die Runde. Da gibt es zum Beispiel den Neo-rationalisten Matthias Vogel, die Ästhetik des Weimarer Medienphilosophen Lorenz Engell, den kritischen Ansatz der Italienerin Elena Espositos, die Online-Identitätsforscherin Barbara Becker, den Gießener Philosophen Martin Seel und den Salzburger Systemtheoriker Stefan Weber. Während die einen strikt wissenschaftlich Medienphilosophie als Lehr- und Forschungsprogramm definieren, propagieren andere einen pragmatischen, kunst- und designbezogenen Umgang. Skeptiker sehen das Projekt Medienphilosophie als Renovierungsunternehmen mit begrenzter Mission (Seel), während andere durchaus bereit zu sein scheinen, sich im Umgang mit medialer Praxis die Hände schmutzig zu machen. So schreibt Lorenz Engell „Medienphilosophie ist ein Geschehen, möglicherweise eine Praxis, und zwar eine der Medien. Sie wartet nicht auf den Philosophen, um geschrieben zu werden. Sie findet immer schon statt, und zwar in den Medien und durch die Medien.“ Stefan Weber dagegen sieht eine “intellektuelle Gegenbewegung, als eine Renaissance des Luxus des reflektierenden Denkens im Kontext einer Medienwissenschaft, die sich immer mehr der Tyrannei der Praxis unterwirft.”
Im zwanzigsten Jahrhundert wurde die Technologie, einschliesslich des Medienbereiches, vorwiegend von draussen, als ‘Alien’ betrachtet. Wer Philosophie sagt, denkt unwillkürlich an verstaubten Kulturpessimismus und das Gejammer der Apokalyptiker. Immer wieder stösst man auf Vorbehalte, konservative Pauschalurteile, ohne jeden Bezug zur Praxis. Die Philosophie scheint im ‘Konzeptknast’ gefangen und kommt leicht ohne das eigentliche Objekt ihrer Betrachtungen aus. Neugier oder Fragen gibt es kaum. Für die Berliner Professorin Sybille Krämer ist der ‘linguistic turn’ allerdings längst zur Sackgasse geworden. Sie schreibt mir: “Die Idee der Medialität philosophisch radikal zu denken, führe unweigerlich dazu, die Apriorizität, die ‚Unhintergehbarkeit’ und letztbegründende Kraft der Sprache infrage zu stellen.” Das ewige Flirten mit dem Bilderverbot solle ein Ende nehmen, will die Philosophie nicht völlig herabsinken auf das Niveau esoterischer Lebenshilfe. Manch ein akademischer Rat aber sieht die Medien vorbeitreiben, nachdem sich die Naturordung der Schrift, samt ihrer Klassiker, wiederherstellt.
Es gibt aber auch Positives zu berichten. Im deutschen Sprachraum hat sich seit den achtziger Jahren eine rege, weltweit einmalige, Medientheorieproduktion entwickelt. Häufig sind diese Studien archeologischer und begrifflicher Natur und versuchen den Computer und die Bildmedien historisch einzuordnen. Dieses wertvolle Unterfangen bleibt aber eine zweischneidige Sache. Es ist mittlerweile vielen klar, dass es die ‘neuen’ Medien nicht erst seit vorgestern gibt und dass es auch politisch und kulturell sinnvoll ist, sie aus dieser Vorgeschichte heraus zu verstehen. Diese Einordnungwut kann aber auch als Einhegungsversuch verstanden werden, quasi nachträglich etwas zu meistern, nachdem die Kontrolle über die mediale Praxis längst nicht mehr bei den Intellektuellen liegt. Trotzdem lassen sich viele dieser Theorien leicht umbauen, um als Brennelemente die digitale Einbildungskraft anzufeuern. Mike Sandbothe meint dazu: “Neue Konzepte wie die Mediologie, die Medienökologie oder die Medienphilosophie entwickeln intellektuelle Werkzeuge, mit deren Hilfe sich die aktuellen Digitalisierungs- und Globalisierungsprozesse nicht nur passiv analysieren, sondern aktiv mitgestalten lassen.”
Motor dieser Debatte ist die stets steigende Nachfrage, neue Studiengänge aufzumachen zu etablieren, die sich explizit mit neuen Medien befassen. Es werden neue Lehrbücher publiziert und Lehrstellen ausgeschrieben. Frank Hartmann, Betreiber der Webseite www.medienphilosophie.net : „Es geht nicht mehr darum, ob es eine neue Disziplin geben soll, sondern wie man sie tatsächlich gestaltet. Es gibt in der philosophischen Tradition viel wertvolles Material, aber wir bekommen nicht notwendigerweise Antworten auf Fragen zu unserer Lage, die wir gänzlich neu und anders stellen müssen. Doch das Problem der Medientheorie ist nicht nur ein theoretisches oder methodisches, es stehen auch institutionelle Reputationen und akademische Karrieren auf dem Spiel.“
Was machen Medienphilosophen? Frank Hartmann: “Man kann sich nicht in eine Welt klassischer Texte zurückziehen. Es gibt Probleme mit unserer Auffassung von Wissen, mit Semantik und Information, mit ‚intelligenten’ Maschinen der Informationsverarbeitung. Bei der Behandlung dieser neuen Fragen befindet man sich eher im Bereich von Engagement und Intervention als in jenem von Interpretation und Hermeneutik. Man muss ja auch mit anderen Fächern zusammenarbeiten, wie mit der soziologischen Technikfolgenabschätzung, oder sich in einem Informatik-Labor umsehen, den Programmierern zuhören oder sich an einer Diskussion über die Effekte von Open Source in unserer Kultur beteiligen—alles zeitgenössische Belange, die für das zentral sein sollten, was da Medienphilosophie genannt wird. Der italienische, in Oxford lehrende Philosoph Luciano Floridi, der genau das vorschlägt, meinte, man müsse damit aufhören, nur Akademiker zu klonen, um damit zu beginnen, die einst schon von Plato geforderten Bürger unserer Gesellschaft auszubilden, mit all den Kompetenzen, die eine reflexive Medienkultur verlangt.” Dabei sollte man Akademiker nicht übersehen. Überraschenderweise haben etliche Medientheoretiker es, laut Hartmann, noch nicht einmal zu eigener Web-Präsenz gebracht, geschweige denn zu neuen Publikationsformen – eine spezifische Internet-Kompetenz etwa, die über das Rezipieren von Web-Content hinausginge, ist nicht erkennbar. Eine Sklavenmentalität den Verlagen gegenüber, was copyright anbetrifft, kommt noch dazu.
Wolfgang Ernst ist der neue Humboldt Universitätsprofessor für Medienwissenschaft. Er plädiert für eine Konvergenz mit ganz anderen Praktiken jenseits der Philosophie, von der Ingenieurskunst bis hin zur Quantenphysik. Eine Realität namens Medien bedarf einer eigenständigen disziplinären Matrix, so Ernst. „Während Philosophen die Medien etwa dezidiert von der phänomenologischen Seite aus analysieren, unterziehen sich Medienwissenschaftler z.B. den Mühen, mathematische Operationen des Programmierens zu betreiben oder die elektrotechnischen Details von Chip-Architekturen zu analysieren (denn erst auf dieser Ebene gibt es Medien als epistemische Dinge).“ Ernst sieht in der Kombination von akademischen Reflexion mit technologischer Kompetenz „die kritische Chance der Medientheorie, sich wohldefiniert gegenüber einem inflationären, außer Rand und Band geratenen Medienbegriff zu profilieren. Dabei ist die konkrete Archäologie der Medien der Lackmustest für alle Medientheorie—während Medienphilosophie in dieser Hinsicht gelegentlich nachlässig, ja unscharf ist.“
Neues dazulernen, was Technik angeht, ist die eine Sache, das müssen letzten Endes alle. Es gibt aber im vernetzten Wissensgebiet auch einen anderen Umgang mit Text, und der fällt manchem Medienphilosoph schwer. Hartmann: “Deutsche Philosophen sind lediglich darin ausgebildet, sich in Textverhältnissen zu bewegen, also Texte zu produzieren, die sich auf andere Texte beziehen. Die klassische Haltung dieses Diskurses ist wie folgt: die These des eigenen Textes zu verteidigen und Gegenargumente zu zerstören. Irgendwie bringt das kein lebendiges Denken in Gang, keinen Dialog. Sogar in ‚Workshops’ lesen sich die Leute nur gegenseitig ihre vorfabrizierten Texte vor.“ Was neue Medien aber im Frage stellen ist die Hegemonie der Schriftgelehrtheit. Das Verfassen von Texten sei nur eine Form des Prozessierens von Gedanken unter anderen. Hartmann: „Die neue Medienkultur weist über die singulär Form hinaus, ja sogar über das sprachliche Medium selbst. Kein deutscher Philosoph will so etwas hören.“ Wolfgang Ernst schreibt: “Ich bin mir mit Frank Hartmann einig, der im Interview betont, daß auch visuelles Design, DJ-ing oder Programmieren als eine Form philosophischer Reflexion zu achten sind. Digitale Medien selbst sind potentiell theoriefähig – auch in dem Sinne, daß sie ohne Theorie (rein als Maschinen) nie zustandegekommen wären.“
Marie-Luise Angerer, Professorin an der Kunsthochschule für Medien Köln bemerkt, dass es in der deutschsprachigen Mediendiskussion primär um die Meister-Definition >Medium< geht. Angerer: „Es geht weniger darum, was das Medium macht, wie es sich inszeniert, sondern immer wieder darum: wer ist dein Meister? Ich finde das eine sehr männliche Attitude, vom Ende der Meistererzählungen zu reden, aber immer gleich mit einer neuen daher zukommen. Der universitäre Mediendiskurs in Deutschland und Österreich ist auch nicht europadeckend. Was sich in Italien und Frankreich tut, was in England, was in Slowenien usw. sind wieder andere Dinge, die auch in Hartmanns Blick nicht vorkommen. Außerdem wäre es wert, nicht nur den universitären Mediendiskurs anzuschauen, sondern Medienlabors, Kunsthochschulen und andere hier miteinzubeziehen.“ In diesem Sinne kann der gesamte Medientheoriebetrieb noch als prä-feministisch bezeichnet werden, der auch noch seine post-koloniale Periode noch vor sich hat. Es ist aber die Frage, ob mehr praxisorientierte Diskurse grundsätzlich in der Lage wären, Machtskonstellationen wie gender und Geographie zu ändern.
Stell dir vor, es gibt netzkompetente Philosophen, und keiner clickt durch. Viele betonen, ‘Medien’ seien nicht die Lösung aller Probleme. Sybille Krämer: “Medien sollten nicht die ‚Leerstelle’ besetzen, welche die Erosion des neuzeitlichen Subjektbegriffes hinterlassen hat. Die Herausforderung der Medienphilosophie besteht also darin, die grundlegende Rolle der Medialität aufzuzeigen, ohne dabei einen Medienapriorismus und Medienfundamentalismus zu etablieren.” Laut Wolfgang Ernst soll bloß keine Synergie angestrebt werden: „Wenn Medien im Fach Philosophie bedacht werdern, ist dies zum Nutzen, solange die Begriffe Medien und Philosophie nicht hybrid konvergieren, sondern in ihrer gegenseitigen Beobachterdifferenz produktiv bleiben.” Medienphilosophie soll weder aufmunternde Zukunftsforschung noch dunkle Folgenabschätzung, sondern unzeitgemäße Blaupausen liefern. Medien brauchen keine Monopolstandards sondern endlose Variationen. Eben Techno-Differenz. Eine passionierte Medienphilosophie eröffnet Möglichkeitsräume—aber erst nach der Umwertung aller Vorlesungsverzeichnisse.