Gibt es eine deutsche Medientheorie?

Ein Online-Dialog

Im Oktober 2004 habe ich die Frage ob es eine Deutsche Medientheorie gaebe an Rohrpost, ein Deutschsprachiges Emailforum ueber Netzkultur, geschickt. Wenn es ‘Franszosische Philosophie’ gibt, warum dann auch nicht Deutsche Medientheorie? Langsame wird das Ausland wach. Reden wir  moeglicherweise ueber einen Exportschlager oder ein gelungerer Fehlschlag? Ist der oft spekulativen Ansatz zeichen seiner Staerke oder verbirgt sich hinter der Begriffslawine eher Ohnmacht, Kulturpessimismus und Mangel an praktischen Kenntnissen der (neue) Medien und seinen pragmatischen Funktionalitaeten? Und fuer den Bildungskontext nicht unwichtig: warum sollten die abertausenden neue Medienstudien weltweit nur englishsprachigen Autor und Kenntnisse zu sich nehmen?

Ich moechte hier nicht einfach ueber die schoene neue Welt der Medien berichten sondern ein schritt weitermachen und den Dialogcharakter, so praegend fuer das Internet, in den Essaygenre einpflanzen. Das Printmedium selbst veraendert sich und hat nicht bloss Beobachterstatus. Es ginge darum nicht nur neue Formen eines vernetzten Diskurses zu diskutieren sondern auch zu praktisieren. Anbei meine Auswahl der Emails. Die recht lebendige und ausfuehrliche Debatte laesst sich ins  Rohrpostwebarchiv nachlesen. Naechstes Semester biete ich hier in Amsterdam einen Seminar ueber Deutsche Medientheorie an. Ausserdem soll im April eine Tagung  zum gleichen Thema stattfinden. Mehr dazu finden sie auf der Website meines neues Instituts: www.networkcultures.org.

Gehen wir also ins Netz. Noch Am gleichen Tag gab es eine Vielzahl an Antworten. Mercedes Bunz bestaetigte meine Frage. Deutsche Medientheorie: Gibt es. Absurder Weise aber nicht als Exportschlager, sondern als Importware. D. h. es gibt sie erst, seitdem sie dort drauen, in den anderen anderssprachigen Lndern so wahrgenommen wird. Ein Bekannter von Mercedes aus London formulierte es so: Here in the UK there’s beginning to be something of a buzz around what’s being termed ‘German media theory’, by which is meant the work mainly of Kittler, Siegert, Flusser, Luhmann and Theweleit, but also Sloterdijk and Winkler. Bunz: Aus der franzsischen Theorie, die es in Frankreich nicht gab, lernt man also: Deutsche Medientheorie wird es in Deutschland nicht geben. Woanders stehen die Chancen allerdings ganz gut.

Es war absehbar das das Label ‘Deutsch’ problematisch sei. Ich meinte damit die Sprache, nicht das Land. Deutsch stehe fuer Mittelmass und verfehlte Chancen. Pit Schultz bringt es auf den Nenner: Deutsch waere Transrapid, Space Center Bremen, tollcollect, Arbeitsamtwebsite, cargoshifter, phonoline, Volksaktie, Karstadt und Wiedervereinigung. Also die Logik des Scheiterns auf hohem niveau. Es haette etwas mit grosstechnischen Netzwerken und ihrer Kultur zu tun, also eher in Richtung Harald Innis und Lewis Mumford oder Bruno Latour oder HP Hughes, oder gleich Avital Ronells Studie ueber die Dummheit. Weit weg von Deutschland fragen sich viele Medienstudenten ob es Nachfolger von Benjamin und Krackauer und Benjamin gaebe. Wegen abwesender Uebersetzungspolitik wird die Antwort darauf schuldig bleiben.

Florian Cramer vereint das es schon sowas wie eine einheitliche, ausgearbeitete Medientheorie gaebe. Seit den 1990er Jahren nennt jeder Geisteswissenschaftler, der etwas auf sich hlt, auch ‘Medien’ als sein Forschungsgebiet. Das praktische Analphabetentum auf diesem Gebiet, die Nicht-Beherrschung elementarer ‘neu-medialer’ Kulturtechniken (angefangen mit E-Mail) und grundstzliches technisches Nichtwissen spotten jedoch jeder Beschreibung und liefern immer wieder Real-Gelehrtensatiren. Das ist genauso, als wenn man Fremdsprachenphilologe ist ohne Fremdsprachenkenntnisse oder Musikwissenschaftler, der weder ein Instrument spielen, noch Noten lesen kann. Gefordert werden muesse von einem Medienwissenschaftler da  er oder sie mindestens wei, was TCP/IP, Routing und DNS sind.

Unkenntnisse vermischen sich mit Unbehagen, die man sich gerne teilt. Cramer: Da ‘die Medien’ autonom seien, der Mensch also ‘den Medien’ ohnmchtig  ausgeliefert sei, und da dies das Ende traditioneller Kultur bedeute, ist der rote Faden, der sich durch praktische alle deutschen Medientheorien zieht, deren Autoren ungefhr vor 1955 geboren wurden. Man findet dieses Leitmotiv entweder in pessimistisch-negativer Frbung vor oder, in dialektisch-spiegelbildlicher Verkehrung, als Bejahung eines postmodernen ‘Stop Making Sense’.

Laut Harald Hillgrtner sei es erstaunlich wie viele ‘Einfhrungen’ in die Medienwissenschaft in den den letzten beiden Jahren erschienen sind, obwohl es doch keine Medienwissenschaft gibt und dies zumindest bei den Bnden, in die ich rein geschaut habe, auch jeweils in den Einleitungen kritisch erwhnt wird.

Sebastian Luegert geht auf den Friedrich Kittler Schueler, auch Kittlerjugend genannt ein. Wenn es britpop ’95 oder young berlin art ’02 gaebe, dann natrlich auch deutsche Medientheorie – also das gemeinsame interesse der marketingabteilungen deutscher Universitten, angesichts zunehmender Standortkonkurrenz ein nationales label zu lancieren. das aber keine Denktradition bezeichnet, oder berhaupt nur irgendeinen Gedanken sondern bloss die Schicksalsgemeinschaft deutscher professoren.

Auch Stefan Heidenreich haelt das Label “deutsch” fuer schwach. Wenn man jede Erwhnung des Begriffs “Medien” dazu zhlt, wird das ganze uferlos. Das Wort steht ja mittlerweile weniger fr eine inhaltliche Position, sondern dient vor allem als Label, um sich im akademischen Verteilungskampf Gelder und Stellen zu sichern.

Verena Kuni glaubt das Theorie sich durchaus lokalieren laesst. Es geht dabei aber eher um Institutionen und nicht um Nationen. Ihr interessiert es vor allem wie Netzkultur sich zu traditionellen Institutionen wie Hochschulen verhalten. Florian Cramer fuegt da hinzu das ihn keine zeitgenoessischen Medientheorien bekannt sind die Netzkulturen reflektieren und die Technologie, wie Wikis, aktiv im Schreibprozess einbezieht. Der Dotcom-Crash hat konservative Abwehrhaltungen und Ressentiments bestrkt und vielen die Gewiheit gegeben, da Internet sei ein toter Hype.  Andererseits haben jene Netzkulturen, die wie Nettime vor fast zehn Jahren mit dem Anspruch des ‘kollaborativen Filterns’ einer ‘Netzkritik’ angetreten sind, keine Alternativen zustandegebracht.

Till von Heiseler bringt die Lage noch mal auf den Punkt. Medientheorie heute schafft es nicht, sich selbst als Theorie in Medien zu begreifen und entsprechende Konsequenzen daraus zu ziehen. Sie ist angeschlossen an den akademischen Betrieb und nutzt weitgehend reflexionslos die traditionellen Formate der Wissenschaft, die sich aus der Geschichte der Wissenschaft und den vielen kontingenten Einzelentscheidungen fr Reputation ergeben. In diesem Zusammenhang wird das Buch als einzig wrdiger Lorbeer umkmpft. Wenn man von deutschsprachiger Medientheorie sprechen wollte, kme fuer Till Niklas Luhmann in den Blick, insbesondere, weil er sich auf Hegel, Husserl, Gnther bezieht und Parsons ohne Weber auch nicht vorgekommen wre.

Verena Kuni warnt vor einem generalisierenden Essentialismus weil jede Praxis und jede Disziplin ihre je eigenen blinden Flecke produziere. Was man von Theoretiker/innen verlangen koennen sollte ist dass die Gegenstaende, auf die sich das Gesagte/Geschriebene bezieht und die Grenzen, auch die eigenen, praezise benannt werden. Letzteres gehoert allerdings leider nicht zu den gluecklichen Strategien, wenn man seine theorie etablieren will.

Es gibt aber auch Alternativen, wie der von Sebastian Luegert initiertes Textarchive www.textz.com. Florian Cramer: ie Rolle als subversiver Importeur, eklektischer Filter, Denkprovokateur, inoffizieller Diskursinstitution und Gegen-Suhrkamp, die Merve einmal hatte, nimmt heute textz.com ein, letzteres sogar im juristischen Sinne und radikaler als Merve es jemals gewagt htte. Nur stellt sich textz.com mit seiner Textauswahl, wie z.B. ‘Heidegger fr Analphabeten’, quer zu einer Vereinnahmung als ‘deutsch’. Ebenso qualifizieren sich nur die wenigsten Texte auf dem Server als ‘Theorie’. Stattdessen versammelt und verzeichnet textz.com  tangentiale Diskurse, die zu weiten Teilen auch ein Diskurs ber Medien sind. In gewisser Weise lst textz.com somit medial und epistemologisch ein, was gerade in Merve-Bnden als Diskurstheorie beschrieben, aber kaum umgesetzt wurde.

Mir ging es bei der Ausgangsfrage nicht um das auflisten von Lieblingsautoren sondern um die Frage wie Eurosprachen sich global positionieren. Deutsch wird von 100 millionen Leute gesprochen, wird aber trotzdem oft als irrelevant und provinziell eingestuft. Die Uebersetzungsmachinen in UK und USA sind nachwievor in den Haenden von nekrofilen Verlage. Erst ein toter Denker laesst sich  irgendwie vermarkten. Das ist aber fatal fuer die Gegenwartstheorie. Wir leben im Echtzeitalter und da warten die Leser nicht mehr 20 bis 50 Jahre. Ausserdem geraet den Gutenbergzentrismus ins schwanken. Unter diesen Bedingungen, wie laessen sich da neue Dialogformen innerhalb Europas gestalten? Konkret: soll die Tagung ueber Deutsche Medientheorie in Amsterdam auf Englisch gehalten werden? An der Uni hier gibt es nur noch eine Hand voll Exoten die noch Deutsch lesen. Florian Cramer ist da, wie immer, ausgesprochen: Deutschsprachige akademische Medien- und Kulturwissenschaften kapseln sich vom Rest der Welt ab, weil sie in ihren Heimatlnder nur auf Deutsch kommuniziert und unterrichtet werden, ihre akademischen Konferenzen nur auf Deutsch abhalten, und nur auf Papier und auf Deutsch publizieren.

Janus von Abaton zieht schwarz und weiss schon wie die Amsterdamer Tagung verlaeuft. Die aus den Suhrkampbndchen wandeln durch die Rume des neuen Instituts. Knapp unter dem Niveau tatschliche Denkentwicklungen lsst sich prima plaudern. Wer ehrt wen? Man beleidigt niemand. Natrlich ist man intelligent und spricht englisch kaum schlechter als deutsch. Das hlt man dann fr Internationalismus. Man denkt auch ein wenig nach, soweit es die Karriere erlaubt und solange es nicht weh tut. Am Ende geht man dann in einem kleinen Grppchen in ein gutes Amsterdamer Restaurant, lsst sich bedienen, da fhlt man sich wohl. Da ist man in seinem Element. Man denkt an eine Nutte, die man bei einem Spaziergang gesehen hat. Die kam wohl aus Sdamerika. Und dann  sieh da kommt tatschlich noch ein Gesprch zustande. Janos hat da noch den obligatorischen Besuch an den Coffeeshop vergessen.

Laut Pit Schultz muesste meine Frage umformuliert werden: gibt es eine Europaeische Medientheorie? Also doch: forget German? Ausserhalb Deutschland waechst die Neugier auf zeitgenoessische Theorie aus dem alten Europa. Da eine exportorientierte Uebersetzungspolitik wahrscheinlich endgueltig im Reformstau steckt, bleibt fuer Einzelautoren wenig anders uebrig als das direkte abfassen ins Englisch, einen Schritt denen ich mitte der neuen Neunziger, nicht ohne Schmerz, gemacht habe. Aber auch dies verlange nichts weniger als eine Revolution im Bildungswesen und wird die Verlagerung von Wissen in Richtung Netz nur weiter vorantreiben. Deutsch oder Postdeutsch, was das Welt brauechte ist eine neue Medientheorie. Aber dazu mehr ins Netz.

URL der Debatte: http://coredump.buug.de/pipermail/rohrpost/2004-October/thread.html

Nachfolgewiki ueber Medientheorie:
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