Ökonomie des Idealismus

Oekonomie des Idealimus Medienarbeit jenseits der Hermeneutik

B92 und all seinen Mitarbeitern gewidmet. Ihr Slogan: “Don’t trust anyone, not even us. But keep the faith!” (http: // www. B92. net)

Bislang standen sich Idealismus (net.activisme) und Ökonomie (bzw. E-commerce) als feindliche Blöcke gegenüber. Wir brauchen hier den Idealismus nicht zu verteidigen oder über den grünen Klee zu loben – und auch nicht nachweisen, daß der Idealismus der Zeit nach dem Kalten Krieg nicht funktioniert. Starten wir eine Untersuchung jenseits der Guten Absicht. Glücklicherweise muß nichts bekannt oder verraten werden. Auch keine Futurologie. Es geht hier nicht um Modetrends oder Börsenprognosen. Worum es geht ist Leidenschaft, Getriebenheit, Überzeugung. Und “Respekt!” – die Bewunderung, Liebe und Solidarität für andere, anderswo, die irgendwo sitzen und mit der Apparatur spielen. Ich nehme der Einfachheit halber an, daß diese Mentalitäten existieren. Medien sind kein Problem mehr. Sie sind einfach da, umgeben und begleiten uns. Medien, ein Freund für’s Leben. Und wenn man genug hat, geht man einfach aus dem Zimmer oder drückt den Ein-/Ausschalter.

Wir müssen uns hier wenig mit der Generation der sechziger Jahre bemühen, mit ihren hohen Erwartungen und Dogmatismen. Sie besitzen nicht das Copyright auf Idealismus. Mit derselben Verbissenheit wie ehedem vertreten sie jetzt die Privatisierung, Kommerzialisierung und den Ausverkauf der gesamten Öffentlichkeit. Ihr Glaube an die freie Marktökonomie ist ebenso ideologisch wie seinerzeit der akademische Marxismus, der durch sie verkündet wurde. Ich meine, daß es möglich ist, einen radikalen Pragmatismus mit einer kräftigen Prise Negativismus zu verbinden, auf der Grenze aufgeklärten Zynismus und fröhlichem Nihilismus balancierend. Der heutige Idealismus kann den Konsens nur angreifen, wenn er das Durchbrechen von Tabus nicht als Ziel an sich betrachtet. Idealismus 3000 lacht über das eigene Mißlingen. Die Spirale hochgeschraubter Erwartungen (und Ideale), die nicht realisiert werden können und in Enttäuschung, Abhaken und sektiererische Splitter, die übligbleiben, umschlagen, kann nun endlich durchbrochen werden. Endlich durchschauen Menschen diesen Mechanismus und lassen sich nicht mehr verarschen durch “the higher you fly the deeper you fall.” Die Yuppies der achtziger Jahre zeigten bereits, daß Idealismus keine an Lebenszeit gebundene Erfahrung ist. Das Karussel von Spektakel und Debakel ist ein special effect der Medien selbt, die schnell zum nächsten Thema switchen müssen. Idealismus 2.0 hat das begriffen und macht sich nichts aus der Tatsache, daß wir nun verschwiegen, gehypt werden, um danach wieder verbannt zu werden. Medienbewußt handeln bedeutet, daß wir uns auf dieselbe Wellenbewegung einspielen können, ohne selbst durch sie berührt zu werden. Wir sind (die) Medien, nicht die Journalisten, die nur darüber berichten können.

Der Idealismus wird ökonomisch sein. Ich meine damit folgendes. Der Kampf um eine gerechte Welt darf nicht einfach als Wohltätigkeit abgetan werden. Zur Zeit herrscht ein starker Trend, alle Kritik und den daraus entstehenden Protest und Widerstand zum konstruktiven Beitrag zu marginalisieren. Der Idealismus wird somit einerseits neutralisiert als ideologische bzw. spirituelle Kompensation. Ohne Ideale würde die Welt in purer Lethargie und Hedonismus versanden. Das ist natürlich ein falscher Gegensatz. Andererseits wird er stets weiter in die Ecke einer scheinbar unvermeidlichen Professionalisierung gedrängt. Die sozialen Bewegungen der letzten Jahrzehnte sind ein eigener Sektor geworden, derjeniger der NGOs, der non-governmental organisations. Dieser professional delegierte Idealismus, unterstützt durch ein Heer Freiwilliger, kopiert immer deutlicher die Arbeitsweise von Unternehmen, mit derselben Management-Philosophie, Bürokultur, denselben Werbekampagnen und politischen Lobbies. Alle politischen Aktivitäten werden auf dieses Modell bezogen.

Es sollte klar sein, daß ich idealistisch genug bin, um zu sagen, daß der Kampf in Zukunft zweifellos nicht von eintönigen Zentralen aus geführt wird. Sicher ist auch, daß er nicht die Form politischer Parteien, Gewerkschaften, Aktionsgruppen oder selbst sozialer Bewegungen annimmt. Vage Konturen zeichnen sich ab: die Organisationsform ist die des Netzwerks. Der Sektor Design und neue Medien hat eine spezifische Position. Diese Avantgarde hat nicht nur die besondere Verantwortlichkeit übernommen, die Kommunikationsumgebungen der Zukunft (mit) zu bestimmen. Wir stellen nur fest, daß dieser Sektor, qua ökonomischem Bewußtsein, stracks in Richtung des 19ten Jahrhunderts (zum Anfang) unterwegs ist. Während allerhand über den uniken neuen Charakter dieser Medien erörtert wird, sind die Arbeitsbedingungen in dieser Branche mindestens miserabel, sagen wir: vorindustriell. Es wird wohl manchmal hoffnungsvoll auf Gilden und Zünfte verwiesen, doch auch diese Ebene von Organisation ist noch nicht erreicht. Die eigene Vorstellung und die Alltagsrealität entfernen sich allerdings immer weiter von einander.

Eine kleine Gruppe Professioneller, Spezialisten und Experten verdient Geld wie Heu (und hat keine Zeit, es auszugeben), während breite Schichten der Bevölkerung mit McJobs abgespeist wird. Ziel dessen ist in erster Linie die Disziplinierung der Arbeitskraft. Mit dem Abbau von Sozialleistungen entstanden zugleich eine Anzahl Simulationsjobs, Fake-Arbeitsplätzen (wie Job-Pools und ABM), die vor allem Mobilität und Flexibilität fördern sollen (und nicht so sehr die Produktion). Pauline Terrehorst träumte noch von einem Bauernhofmodell. Schön zu Hause, weit weg von den Massen, auf den Land hinter dem Bildschirm. Doch die Realität dieses Planeten sieht anders aus: großstädtisch, industriell, eine ausgebreitete Matrix von (nicht funktionierenden) Infrastrukturen, wobei die Architektur von Computernetzwerken große Ähnlichkeit mit der von Autobahnen, Stromnetzen und Kapitalströmen zeigt. Das ist das Internet. Tatsächlich eine digitale Stadt. Es gleicht wegen seiner (trans/non-lokalen) Verdichtungen, Unterschiedlichkeit von Funktionen genau einer Stadt. Und ihrer Lebendigkeit. Sie gleicht Websites, dicht an dicht wie Häuser, mit im Raum verteilter großer Datenkonzentration und ihren Nutzern. Die Kulturindustrie der Neuen Medien ist nicht mehr jungfräulich weiß und unschuldig. Nicht mehr David, aber noch kein großer Riese. Bereits mehrere hundert Millionen Internetnutzer partizipieren an einer immer stärker standardisierten Virtualität. Sicherlich nimmt mit dem Aufkommen von electronic commerce und den ständigen Fusionen von Webfirmen die Uniformität nur noch weiter zu, auf Kosten der netten, kleinen, kreativen Firmen, die noch vor wenigen Jahren das allgemeine Klima bestimmten. Die Machtkonzentration, die wir in den letzten Jahrzehnten bei anderen Medien sehen konnten, greift nun auch innerhalb des Netzes rasant um sich. Zur Zeit entstehen große Konsortien, die aus verschiedenen Teilsystemen bestehen: Steuersysteme, die Suchmaschinen aufkaufen, danach Browser integrieren, sich zusammenschließen mit Providern, etc. Von offenen Standards kann eigentlich nicht länger gesprochen werden. War es früher IBM gegen den Rest der Welt, und heute Microsoft, kann es bald AOL sein (access/content/browsers) oder MCI-Worldcom, die ihr Bandbreitenmonopol mißbrauchen werden. Willkommen in der Brave New Economy von Kevin Kelly.

Neue Medien müßten im Prinzip auch eine neue Ökonomie mit sich bringen. Dort liegt meines Erachtens eine strategische Option für Idealismus 2.0. Er könnte sich “für die Befreiung von der Arbeit” einsetzen, der prachtvolle Titel der Geschichte der niederländischen Gewerkschaftsbewegung, verfaßt von Ger Harmsen und Bob Reinalda. In diesem Titel kommen zwei Ziele zusammen: die Abschaffung von Arbeit als solcher und der Kampf für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen (im weitesten Sinn des Wortes). Der Sektor der neuen Medien könnte eine Diskussion über die Zukunft der Arbeit anstrengen. Das kann die Diskussion über das Basiseinkommen sein, die 30- oder 35-Stundenwoche oder den Aufbau des Wohlfahrtstaates, oder dem, was davon noch übrig ist. Oder man nehme den Mythos der Vollbeschäftigung. Es ist eine Realität, daß in der Europäischen Union die Arbeitslosigkeit 10% beträgt, und diese Zahl wird sicher nicht abnehmen. Muß eine Umverteilung von Arbeit kommen? Ein Abbau von Überstunden? Wie kann aus dem Sektor der neuen Medien ein Angriff auf den heutigen Arbeitsethos gestartet werden? Befreit uns der Computer von der Arbeit, so wie es früher oft behauptet wurde? Das ist ein Witz. Eher arbeiten sich die Menschen im IT-Sektor kaputt, ganz im Einklang mit dem calvinistischen Poldermodell. Die Computernetzwerke haben jedoch keine von Gott (oder Gates) gegebene soziale Architektur. Das bestimmen wir selbst oder zumindest können wir den Freiraum erkämpfen. Es kann gestreikt, verhandelt werden, nur scheint es manchmal, daß wir wieder ganz bei Null anfangen müssen. Dieser millennium bug ist noch nicht beseitigt. Wenn wir nicht aufpassen, stellt sich das Arbeitsbewußtsein auf den 1. Januar 1900 zurück, während die Computer upgedatet sind.

Was ist die Ökonomie des Idealismus? Nicht nur objektive Interessen der netzwerkenden Klasse. Es sind auch Träume, negative Utopien, alternative Modelle aus Gegenwart und Vergangenheit, die sich von der Konsensgesellschaft und ihrer Diktatur der großen Absichten fernhalten, so wie Calin Dan es nennt. Wir können dabei an Arbeitsverweigerung und Forderung nach Freizeit denken, die Einführung eines Jubeljahres, nach sieben Jahren harter Arbeit ein Jahr etwas anderes tun (etwas von der Welt sehen hinter/außer dem Bildschirm). Es kann uns um Umgehen elektronischer Bewachung und Messen von Arbeitsproduktivität gehen. Aber wir können auch an andere Unternehmensformen denken. Nicht alles muß eine GmbH oder Aktiengesellschaft sein mit einem Chef an der Spitze, der das Sagen hat. Wir brauchen nicht gleich an die basisdemokratischen Kollektive der siebziger und achtziger Jahre zu denken… es kann auch eine Form der freien Assoziation von Programmierern, Designern und Organisationstalenten annehmen. Und wo bleibt das Gratissystem für Software? Die local exchange and trade-Systeme (LETs) beschäftigen sich hauptsächlich mit dem Austausch von Gutscheinen, Zimmermannsarbeiten und Gardinennähen. Die Ökonomie des Geschenks ist so alt wie Software, hat sich jedoch meines Wissens nach noch nicht außerhalb ihres eigenen (virtuellen) Terrains begeben. Wo ist der Oskar für Netzkritik? Welche Förderungen gibt es außerhalb von Kunst und des akademischen Bildungswesens? Wer schreibt den Europäischen Preis für Open Source Software aus? Genug Pläne für den Internet-Idealisten in der Welt nach Wired.

Uebersetzung: Petra Ilyes (petra@inm.de)