Traum der Freien Kooperation

Ihr Korrespondent ist gerade zurück aus Buffalo, New York, an der Grenze Kanadas, wo er mit dem New Yorker ex-Ossi Trebor Scholz eine Konferenz über ‘freie Kooperation’ veranstaltete. Im Kontext von Kunst, Theorie und neuer Medien war dort die Rede von Selbstorganisation und Vernetzung. Im Zentrum stand die Frage, was online im sozialen Sinne eigentlich passiert, jenseits von Euphorie und Enttäuschung. Das Internet ist längst Alltag geworden, und dies gilt auch für virtuelle Gemeinschaften, ein Bereich, für den ständig neue Anwendungen entwickelt werden, von weblogs und Wikis zu P2P-Technologien und Multiuser- Spielen. Für Abermillionenen bedeutet das Netz mehr als nur Email und Musikdownloads und etabliert sich rasch als komplexer sozialer Raum. Das heisst auch, das die Virtualität ihre Unschuld verliert. Konsens bleibt nach wie vor die Regel, aber es treten immer häufiger Konflikte auf, die den traditionellen Umgang mit Problemen unter Insidern herausfordern. Die Aufklärungethik unter Hackern zum Beispiel gilt nur noch für ganz bestimmte Bereiche und kann die anschwellende Flut von Viren, Spam und Trojanischen Pferde nicht aufhalten. Das Internet ist ‘out of control’, aber nicht im Sinne techno-libertärer Utopien von Dotcomgurus wie Kevin Kelly.

Je mehr sich die neuen Medien verbreiten, um so dringender stellt sich die Frage der Kooperation. Noch mag sich der Schwerpunkt der Tagung in Buffalo sich wie ein Spezialistenthema anhören, aber das wird sich bald ändern. Das Universalmedium Computer hebt die Arbeitsteilung zwar nicht auf, sondern reorganisiert sie, und die Informationsgesellschaft spuckt keine Gesamtkünstler aus, obwohl alle mit der gleichen Maschine arbeiten. Wer wäre schon in der Lage, sämtliche Betriebssysteme und Softwareprogramme zu meistern? “Everyone is a designer”, sicher, aber zum Glück machen nicht alle daraus ihren Beruf. Im digitalen Zeitalter kommt es auf die hohe Kunst des Zusammenarbeitens an. Computer räumen mit dem Ideal der genialen Gesamtkünstler auf. Text, Ton und Bild waren bisher getrennte Fachdisziplinen, und die Einführung vernetzer Computer hat daran bisher nichts geändert. Die Umwertung aller Disziplinen steht eitgentlich an – sie findet aber nicht statt. Je einfacher Photoshop wird, desto mehr wird es auf Fachtalent und Wissen ankommen. Kreativität setzt zwar entsprechende Techniken voraus, wird aber – zurecht – nicht daran gemessen. Im Multimediazeitalter aber müssen sie von Anfang zusammengedacht und -geplant werden. Zwar wäre eine allgemeine Ausbildung im Umgang mit Interdisziplinarität wünschenswert, die disziplinspezifischen Wissensformen aber bleiben und werden nur noch komplexer.

Teamarbeit ist also für viele eine gesellschaftliche Realität, oder eben ein Alptraum. In der Kunst allerdings hat Gruppenarbeit mittlerweile eine beachtliche Tradition, die vor allem mit der Konzeptkunst der Siebziger und den Politprojekten der Neunziger in Verbindung gebracht wird. Beispiele aus anderen Bereichen sind das Italienische Literaturkollektiv Luther Blissett und die Niederländische Medientheorietruppe Agentur Bilwet. Kunstformen wie Theater, Oper und Film sind ohne Zusammenarbeit schlichtweg undenkbar. Das Innenleben einer Kooperation bleibt aber oft ein Geheimnis.

Auf dem Campus der State University of New York im Buffalo trafen sich 150 Künstler und Akademiker, um über solche ‘Gruppendynamiken’ nachzudenken und Themen wie Anti-Universitäten, Radioexperimente, kollaborative Performanceprojekte, P2P Porn,  geteilte Autorenschaft oder die Zusammenarbeit in der Open Source Bewegung zu diskutieren. Sieben Monate lang war das Treffen online diskutiert und vorbereitet worden, und die Debatten wurden in einer kostenlosen Theoriezeitung zusammengetragen. Obwohl das Event auf einem Unicampus stattfand, war die Atmosphere alles andere als akademisch. Es gab keine ‘keynote speakers’, und die Organisatoren hatten sich grosse Mühe gegeben, das Programm dem Thema entsprechend als informellen gemeinsamen Dialog zu gestalten.

Anlass der Konferenz war ein Essay von Christoph Spehr. Der Bremer Theoretiker und Autor des SF Sozialromans ‘Die Alien sind unter uns!’ gilt als Erfinder des Begriffes der freien Kooperation und gewann 2002 mit einem gleichnamigen Essay den Preis der Rosa Luxemburg Stiftung. Als typischer post-1989 Denker versucht Spehr die Balance zwischen Freiheit und Gleichheit neu zu denken. Als Theoretiker der freien Linken nimmt er die Katastophen der Linken an beiden Seiten der Mauer ernst, verweigert sich aber den lebensmüden Posen des postmodernen Zynismus ebenso wie dem Pessimismus der Kritik. Spehr bezieht sich dabei auf die automonen Bewegungen der letzten Jahrzehnte, die in ihren vielfältigen Projektexperimenten mehr dazugelernt haben, als sie vielleicht selbst anerkennen, und setzt seine Vorstellungen nicht zuletzt in seinen Video-Collagen um,  in denen er Fragmente von SF-Filmen mit politischen Kommentaren unterlegt und aktuelle Theoriedebatten ungewöhnlich lustig und ironisch begleitet.

Was Spehrs Arbeit im Zusammenhang der (online) Kooperation so wichtig macht, ist seine Definition der Verweigung als positive Geste und Moment der Befreiung. Für ihn ist die Negativität fester Bestandteil der Utopie: “In einer freien Kooperation sind die Beteiligten frei, sich der Kooperation zu entziehen.” Es geht Spehr nicht darum, für andere zu definieren, wie sie sich organisieren sollten. Ebenso wie die ‘Andersglobalisierten’ teilen diese ein grundsätzliches Vertrauen in den Anderen. Das ist ihre Stärke und unterscheidet sie von paternalistischen Alt-Linken. Bei allem Respekt für unorthodoxe Organisationsformen fällt aber auch auf, dass diese ebenfalls organisatorische Schwächen haben, die wiederum einen Ausgangspunkt für Spehrs Reflektionen zum Thema freie Kooperation bilden.

Ich fragte Christoph Spehr in Buffalo was er davon hält wenn Leute mit seinen Ideen herumexperimentieren, und auch wie BRD-spezifisch seine Theorien eigentlich sind. Christoph Spehr: “Die Einflüsse die eingeflossen sind, sind international – vom italienischen Feminismus über Fanon und Spivak bis zu Chiapas. Die Theorie der freien Kooperation ist nichts, was jemand erfindet, sondern nur ein Versuch etwas zu strukturieren und zu konzeptionalisieren, was als Politik stattfindet. Überall.” Spehr betont, dass es aber sehr wohl spezifische soziale Erfahrungen gibt, die den Hintergrund für seinen eigenen Umgang mit der Praxis freier Kooperation bilden: “Das wäre vor allem die Welt der selbstorganisierten und selbstverwalteten Projekte, von der Zeitschrift übers Kulturzentrum bis zur Kindertagesstätte, diese ganze Halbwelt des Neuen, die sich seit den 70ern zwischen den schuppigen Riesenfüßen der staatlichen und konzernmäßigen Dinosaurier tummelt und sie eines Tages beerben wird.”

Spehr kommt aus dem links-autonomen Spektrum. Ich wunderte mich aber, ob ‘freie Kooperation’ im Kontext von Kunst und neuen Medien anders aussähe als im Bereich der Politik. Spehr dazu: “Grundsätzlich nicht; die Prinzipien, die soziale Logik, sind dieselbe. Es geht immer darum, das Konzept der freien und gleichen Verhandlungsmacht an die Stelle von preskriptiven Utopien zu setzen, die aus irgendwelchen sogenannten Erkenntnissen heraus Rollenzuweisungen und Verhaltensvorschriften vornehmen.” Das Interesse am Konzept der freien Kooperation führt er auch auf ein Theoriedefizit zurück: “Kooperation wird ja von links wie von rechts gebraucht und gefordert; es kann neoliberale Flexibilisierung und Vereinnahmung genauso damit gemeint sein, wie freie Kooperation. Das Angebot an Theorien, mit denen sich das auseinander nehmen lässt, die einem helfen das eine zu kritisieren und das andere reflektiert zu praktizieren, ist derzeit nicht besonders reichlich.”

Was im Bereich Kunst und neue Medien aber immer auf Widerstand stößt, so Christoph Spehr, ist die Bedeutung, die er Konflikt, Auseinandersetzung, Streit und richtigem Krach, beimisst. “Man liebt es da harmonisch, jedenfalls untereinander, und diese Neigung wird dann auch ausgebeutet für Dominanz-Strategien. Der Abschied von der fixen Idee objektiver, wissenschaftlicher Erkenntnis als Grundlage für gemeinsames Handeln fällt dagegen im Kontext von Kunst und neuen Medien ganz leicht.” Auseinandersetzung als deutsche Kulturmission, Polemik als Exportprodukt -warum auch nicht?

Der Kunsthistoker Stefan Römer, der zur Zeit München lehrt, war auch in Buffalo. Seit Anfang der 1990er hat er in unterschiedlichen Gruppierungen und Kollektiven künstlerisch, journalistisch und politisch gearbeitet. Er hält das Kollektiv nicht für eine grundsätzliche Antwort auf die Fragen kreativer Arbeit. “Wer nicht alleine arbeiten kann, wird auch im Kollektiv Schwierigkeiten haben. Und antihierarchisch geht es in Gruppen auch immer ausgesprochen selten zu.” Laut Römer  führe die Gefahr, in neuen Organisationsformen der Gruppe oder des Kollektivs Allheilmittel für Missstände zu suchen, nur zu großen Illusionen, und die Macher von Curricula und Ausbildungsprogrammen suchten darin neue rhetorische Anlässe für schöne Artikel. Nach jahrelanger Förderung kollektiver Prozessen finde, so Römer, eine Rückkehr zu hierarchischen Modellen statt. Vor allem nach dem .com-Krash gabe es im Bereich der in der immateriellen Arbeit eine Regression zu konservativen Arbeitsmodellen, da man die langwierigen Diskussionsprozesse – vor allem wenn sie auch noch  ‘interdisziplinär’ sein sollten – satt hatte. Allerdings bieten sich im Bereich Websites und multiple Autorschaft technisch bedingt ganz neue Perspektiven der Zusammenarbeit. Hier gibt ee laut Römer wieder rapide Entwicklungen, und es ist noch überhaupt nicht absehbar, wie diese in den nächsten Jahren verlaufen werden. Römer zieht daraus den Schluss, dass die Entscheidung, im Bereich der Kunst kollektiv zu arbeiten, oft ein wichtiger Versuch ist, sich nicht den traditionellen Regeln zu  unterwerfen und sich durch ein eigenes Milieu auch unabhängige diskursive und mediale Bedingungen zu erschaffen. Ein Experimentierfeld ganz im Sinne Spehrs also.

Christoph Spehr (Hrg.), Gleicher als andere, eine Grundlegung der freien Kooperation, Karl Dietz Verlag, Berlin, 2003. URL der Buffalo Konferenz: www.freecooperation.org.

(Deutsche Ueberarbeitung von Soenke Zehle)