Einfuehrung fuer das Telepolis-Buch Virtuelle Staedte und ihre Bewohner von Geert Lovink
“I have written six theories on cybercities. They can’t all be true.” Johan Sjerpstra
Die vielfaeltige Benutzung von Metaphern wie ‘Telepolis’, ‘Digitaler Stadt’, ‘Infocity’, ‘Staedte des Wissens’, ‘Globale Stadt’ usw., hat fuer viel Verwirrung gesorgt. Es handelt sich hier aber um eine aeusserst produktive Konfusion. Die Stadtmetaphern, die sich rasch ueber die Gesellschaft ausbreiten und sich im Bestehenden eingraben und einnisten, gehoeren zur Einfuehrungsphase der Netze. Gleichzeitig aber wird das existierende Territorium verlassen und es zirkulieren Vorstellungen ueber das Verlassen des Koerpers und die private Einoede. Die eingebildete Urbanitaet funktioniert hier als buchstaebliche Einstiegsdroge. Sie reizt die Phantasie, eine paradoxale Metaebene herzustellen, mit dem Ziel, eine temporaere Synergie zwischen Lokalitaet und Globalitaet herbeizufuehren. Die unscharfen Stadtmetaphern spielen ein Spiel mit der Sehnsucht der neuen Benutzer, die Dichte einer On-Line Masse zu spueren, die schnell anwaechst und immer die Gefahr in sich birgt, auseinderzufallen, so wie das in Canetti’s ‘Masse und Macht’ so schoen nachzulesen ist.
Stadt, City und Metropolis stehen fuer die neuen, kuenstlichen Erlebnisraeume, wo wenigstens noch etwas los ist. Das, zumindest, ist das Versprechen der Netzbetreiber dieser Systeme. Die Anziehungskraft der Grossstadt ist, mal abgesehen von den offensichtlichen wirtschaftlichen Sachzwaengen, vor allem etwas unbewusstes. Werden wir in der Leere des abstrakten, schwarzen Cyberspace jemals jemanden begegnen? Draussen im digitalen All, sei der virtuelle Wald der Websites und 3-D Bildergalerien der Netzkuenstler nachwievor tot, so lautet die Befuerchtung. Deswegen lockt uns in die Stadt. Die angestrebten Begegnungen mit Fremden werden die Grundlage bilden fuer spaetere Taetigkeiten und das Netz-Dasein ueberhaupt.
Den Gruendungsakt in Form einer ‘Stadt’ mag zuerst regressiv klinken und ist das auch. Wie Cyberspace hat auch die Stadt eine militaerische Vorgeschichte mit seinen Festungswerken und Pforten, die den In- und Output kontrollierten. Die Stadt aber verkoerpert auch den unausgegesprochenen Willen, eine richtige Existenz im Draussen aufzubauen. Virtuelle Staedte bringen die real existierende Netzdialektik zwischen Zerstreuung und Verdichtung auf den Begriff. Sachliche und technische Planung im staedtebaulichen Sinne und den halluzinierenden Traum der Modernitaet (wie Walter Benjamin ihn beschrieben hat) laufen hier kreuz und quer durcheinander. Surfen und Haeusle bauen gehen sehr wohl zusammen, das beweist das World Wide Web besser als kein anderes Medium. Manche elektronischen Kuenstler und Theoretiker der ersten Generation (wie z.B. Roy Ascott) hoffen auf die Geburt von neuen Metaphern. Diese Konzepte sollten Technologie- und netzimmanent sein und keine Verweise auf die alte, schmutzigen Welt beinhalten. Total global, losgeloest von den Ort, werden wir aufgefordert, mit religioesen Eifer an das ‘Neue’ zu glauben, es zu erforschen und selber zu gestalten. Der Mensch, einmal befreit von seinen alten Denkmuster, kommt in diesen virtuellen Raeumlichkeiten ohne Macht und Politik, Sprache und das Unbewusste aus. Nur die Fluegel strecken und den Sprung in den Wolken wagen… Es mag klar sein, dass die Stadtmetapher eine solche naive und optimistische Weltsicht nicht in sich hat. Die Stadt steht ersteinmal fuer aktuelle Probleme, wie Migration (Sassen), die Belagerung von Sarajevo (Bogdanovic), Umweltprobleme, Kollaps der Infrastruktur und die Militarisierung der Oeffentlichkeit (Mike Davis). Aber auch fuer das Recht auf public access und free content.
Im Gegensatz zu den Wunschvorstellungen einer reinen und abstrakten ‘Architektur der Cyberception’ (Ascott) haelt die Stadtmetapher die Moeglichkeit offen, sozialen Strukturen und unsichtbaren Machtsstrukturen innerhalb des Cyberspace explizit zu machen (wenn man das ueberhaupt will). Das kulturpessimistische Grundwissen ueber die dunklen Triebstrukturen des Menschen, das Diktat der oekonomischen Interessen und die Wirkung totalitaeren Gesellschaften, das nach 1945 das abendlaendische Denken so gepraegt hat, ist nicht einfach ausser Kraft getreten mit der Vernetzung von Computern. Solche Technologiekritik mag altmodisch sein und muss oft draussenbleiben. Die 68er Generation ist ja erschoepft von ihren Langen Maerschen und verteidigt krampfhaft ihre hierarchischen ‘alten Medien’. Was aber nachwievor zutrifft, sind die Vorbehalte gegenueber dem guten Menschen und seinen Utopien, die in Schrecken enden. Es gab noch nie so viel glaeserne Menschen wie im Zeitalter des Internets wie ebensoviele Versprechungen, der Orwellstaat sei von nun an obsolet. Die Cybercommunity habe schon gewonnen, sie brauche nur zuzuschauen wie die alten Strukturen in sich zusammenstuerzen, wie damals der eiserne Vorhang. Auch mag es verfuehrersich sein sich Netz und Stadt als Schaltkreis vorzustellen (mit Siemens Inside), doch die Mega-Maschinen-Metapher stoesst dort an ihre Grenzen, wo durch Technik weder Ursprung noch Ziel, sondern eben immer wieder nur neue Probleme zutage treten. Stadt und Wunsch produzieren sich gegenseitig. Ob die Cybercities tatsaechlich Schauplatz fuer Friktionen,
Widerspruche und urbanes Laissez-Faire sein werden, steht in den Sternen. Viel wird davon abhaengen, ob die Systeme in der Lage sein werden, von der Interface-Ebene wegzukommen und Offenheit im sozial-technischen Sinne so zu implementieren, dass explosive Verdichtungen entstehen. Die Oekonomie von Aengsten und Verfuehrungen ist instabil, sie treibt uns durch die Netze. Erst an der Netzmauer, an den Grenzen von Global City wo wir ueber wellenformige Kommunikationsknoten hinausschauen, werden wir die richtigen Grenzerfahrungen machen, das dahinterverborgene bleibt bis dahin leider metaphorischer Natur.